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  • 28.11.2017 · IWW-Abrufnummer 197940

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 19.10.2017 – 5 K 3971/14 U

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Münster

    5 K 3971/14 U

    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

    Die Revision wird zugelassen.

    1

    Tatbestand

    2

    Streitig ist, ob der Beklagte einen nach der Einspruchsentscheidung innerhalb der Klagefrist gestellten Antrag auf schlichte Änderung zu Recht abgelehnt hat.

    3

    Die Klägerin ist eine GmbH. Der Unternehmensgegenstand erstreckt sich auf die Herstellung und den Vertrieb von Spezialschrauben für die Auto- und Elektroindustrie und auf die Funktion als Holding- und Führungsgesellschaft.

    4

    Im Jahr 2008 beschloss die Klägerin den Verkauf einer der Tochtergesellschaften, der T GmbH & Co KG (T), nebst ihrer Komplementärin, der T Verwaltungs-GmbH. Die Klägerin hielt jeweils 100 % der Anteile an der KG sowie der Verwaltungs-GmbH. Mit Vertrag vom 27.2.2009 verkaufte die Klägerin ihre Kommanditanteile sowie die Beteiligung an der GmbH (jeweils 100%) mit Wirkung zum 1.1.2009 für insgesamt 1,5 Mio. EUR an drei Erwerber. Umsatzsteuer wurde nicht in Rechnung gestellt. Anschließend übertrug die Klägerin ihre Anteile auf die Erwerber.

    5

    Im Zusammenhang mit dem Verkauf nahm die Klägerin in den Jahren 2008 und 2009 Beratungsleistungen in Anspruch. Aus den Rechnungen brachte sie die ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer in Höhe von 7.044,32 EUR (2008) und 64.138,30 EUR (2009) in Abzug.

    6

    Nach einer Großbetriebsprüfung, bei der u.a. die Kaufverträge geprüft wurden, erließ der Beklagte am 1.3.2013 geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2008 (Bl. 4 brauner Hefter) und 2009 (Bl. 7 brauner Hefter), mit denen der Vorsteuerabzug aus den Beratungsleistungen versagt wurde. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde jeweils aufgehoben.

    7

    Die Klägerin legte gegen diese Bescheide am 8.3.2013 Einspruch ein (Bl. 10 brauner Hefter). Zur Begründung führte sie an:

    8

    Es liege eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen i.S.v. § 1 Abs. 1 a UStG vor. Die mit dieser Geschäftsveräußerung im Ganzen im Zusammenhang stehenden Vorsteuerbeträge seien somit nach § 15 Abs. 1 UStG absetzbar; der Ausschluss vom Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG greife nicht ein, da ein nicht steuerbarer Sachverhalt vorliege und keine nach § 4 Nr. 8 f ) UStG steuerfreie Anteilsveräußerung. Die Klägerin nahm Bezug auf die höchstrichterliche Rechtsprechung (EuGH, Urteil vom 29.10.2009 C-29/08, SKF, BFH/NV 2009, 2099; BFH, Urteil vom 27.1.2011 V R 38/09, BFHE 232, 278, BStBl II 2012, 68).

    9

    Der Beklagte wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 4.2.2014 als unbegründet zurück (Bl. 18 brauner Hefter) und verwies auf ein BMF-Schreiben vom 11.12.2013 (IV D 2/S 7100-b/13/10001, IV D 2-S 7100-b/11/10001, 2013/1145204). Die bloße Veräußerung von Kommanditanteilen an der T sowie die Beteiligung an der Verwaltungs-GmbH führe nicht zu einer Geschäftsveräußerung im Ganzen, da es an der gleichzeitigen Übertragung von Vermögenswerten als Teil einer wirtschaftlichen Einheit fehle, um den Erwerber in die Lage zu versetzen, als Rechtsnachfolger der veräußernden Einspruchsführerin diese Tätigkeit fortzuführen. Im Hinblick auf die gesellschaftsrechtliche Beteiligung an der T zum unternehmerischen Bereich der Einspruchsführerin sei die Veräußerung im Rahmen ihres Unternehmens erfolgt. Da es sich hierbei um einen nach § 4 Nr. 8 f UStG steuerfreien Umsatz handelte, sei ein Vorsteuerabzug aus Aufwendungen, die mit der Veräußerung im unmittelbaren Zusammenhang stehen, nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG ausgeschlossen.

    10

    Mit Schreiben vom 24.2.2014 (Bl. 24 brauner Hefter) stellte die Klägerin einen Antrag gem. § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a i.V.m. S. 2 und S. 3 AO auf Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für 2008 und 2009.

    11

    Zur Begründung führte sie an, dass sie ein in der Unternehmensgruppe selbständig und eigenverantwortlich operierendes Unternehmen verkauft habe. Im Zusammenhang mit der Veräußerung seien nicht nur lediglich Kommanditanteile verkauft worden, sondern ein eigenständiger Betrieb mit allen dazugehörenden Vermögenswerten. Insbesondere seien auch alle bilanziellen Aktiva und Passiva, Vertragsverhältnisse sowie Kunden- und Lieferantenbeziehungen, die ein lebendes Unternehmen ausmachen, verkauft worden. Insofern seien die Anforderungen des BMF-Schreibens vom 11.12.2013 erfüllt und eine selbständige wirtschaftliche Einheit übertragen, die den Erwerber in die Lage versetzt, eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit als Rechtsnachfolger des Veräußerers fortzuführen.

    12

    Diesen Antrag lehnte der Beklagten mit Bescheid vom 11.3.2014 ab (Bl. 28 brauner Hefter). Zur Begründung führte er an, dass keine neuen Sachverhaltsmomente vorgetragen worden seien, die nicht bei der Betriebsprüfung bereits berücksichtigt worden wären. Im Übrigen verwies er auf die Einspruchsentscheidung vom 4.2.2014.

    13

    Gegen den ablehnenden Bescheid erhob die Klägerin am 14.4.2014 Sprungklage zum Finanzgericht (Az. 5 K 1161/14 U) gem. § 45 Abs. 3 FGO, die mangels Zustimmung des Beklagten als außergerichtlicher Rechtsbehelf weitergeführt wurde.

    14

    Mit Einspruchsentscheidung vom 6.11.2014 verwarf der Beklagte den Einspruch als unzulässig und wies ihn hilfsweise als unbegründet zurück. Zur Begründung führt er aus, dass eine schlichte Änderung eines Steuerbescheids gem. § 172 Abs. 1 Nr. 2 a S. 2 und S. 3 AO auch nach Ergehen der Einspruchsentscheidung möglich sei, wenn sie – wie vorliegend– vor Ablauf der Klagefrist beantragt wurde. Es entspreche jedoch dem eindeutig erkennbaren Gesetzeszweck, dass das Einspruchsverfahren eine grundsätzliche abschließende Prüfung im Verwaltungsverfahren bedeute. So bestimme auch § 348 Nr. 1 AO, dass gegen eine Einspruchsentscheidung kein Einspruch statthaft sei. Deshalb könnten Tatsachen und Rechtsfragen, über die in der Einspruchsentscheidung bereits entschieden worden ist, im Regelfall auch nicht in einem Änderungsverfahren nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a, S. 2 und S. 3 AO erneut geprüft werden. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung verwiesen (Bl. 161 GA).

    15

    Am 9.12.2014 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

    16

    Die Klägerin meint, § 172 Abs. 1 S. 2 AO sehe die Änderung eines Steuerbescheids explizit auch dann vor, wenn dieser bereits durch eine Einspruchsentscheidung bestätigt wurde. Weiterhin seien in dem Sachverhalt die Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 S. 3 AO erfüllt. Erst der Änderungsantrag habe zu einer weitergehenden Prüfung durch den Beklagten geführt, mit der Folge, dass der Vorsteuerabzug, soweit er auf die Veräußerung der GmbH-Anteile entfiel, für zulässig erachtet wurde.

    17

    Die Klägerin beantragt,

    18

    den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 11.3.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6.11.2014 zu verpflichten, die Umsatzsteuerbescheide 2008 und 2009, jeweils vom 1.3.2013 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4.2.2014, dahin zu ändern, dass weitere Vorsteuerbeträge in Höhe von 7.044,32 EUR (2008) und in Höhe von 64.138,30 EUR (2009) in Abzug gebracht werden;

    19

    hilfsweise, für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.

    20

    Der Beklagte beantragt,

    21

    die Klage abzuweisen.

    22

    Er verweist zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung. Es entspreche dem Gesetzeszweck, dass das Einspruchsverfahren eine grundsätzlich abschließende Prüfung im Verwaltungsverfahren bedeutet.

    23

    Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakte und die Akten des Verfahrens 5 K 1161/14 U verwiesen.

    24

    Die Sache ist am 19.10.2017 mündlich vor dem Senat verhandelt worden. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.

    25

    Entscheidungsgründe

    26

    Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.

    27

    1.

    28

    Die Ablehnung des Antrags gem. § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a i.V.m. S. 2 und S. 3 AO auf schlichte Änderung der Steuerfestsetzungen Umsatzsteuer 2008 und 2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 S. 1 FGO).

    29

    Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Änderung der Umsatzsteuerbescheide 2008 und 2009.

    30

    a.

    31

    Die Tatbestandsvoraussetzungen der § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a i.V.m. S. 2 und S. 3 AO sind nicht erfüllt.

    32

    Nach dieser Norm darf ein Steuerbescheid, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn er andere Steuern als Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder Verbrauchsteuern betrifft, soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird; dies gilt jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen nur, soweit er vor Ablauf der Einspruchsfrist zustimmt oder den Antrag gestellt hat oder soweit die Finanzbehörde einem Einspruch oder einer Klage abhilft. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid durch Einspruchsentscheidung bestätigt oder geändert worden ist (S. 2). Die Vorschrift ist ebenfalls anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige vor Ablauf der Klagefrist zustimmt oder den Antrag gestellt hat (S. 3).

    33

    Tatsachen und Rechtsfragen, über die in der Einspruchsentscheidung bereits entschieden worden ist, können im Regelfall nicht in einem Änderungsverfahren nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a, S. 2 und S. 3 HS. 1 AO erneut geprüft werden (vgl. BFH-Beschluss vom 5.2.2010 VIII B 139/08; offen gelassen im BFH-Beschluss vom 30.11.2010 VIII B 3/10; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.6.2017 5 K 11174/15, EFG 2017, 1404, Rev: X R 31/17).

    34

    Dies gebietet eine Auslegung der Norm, insbesondere nach ihrem Zweck und dem systematischen Zusammenhang.

    35

    Nach dem Wortlaut ist eine schlichte Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen auch nach dem Ergehen der Einspruchsentscheidung möglich, wenn sie vor Ablauf der Klagefrist beantragt wurde.

    36

    Die Vorschrift ist jedoch nicht dahin zu verstehen, dass der Steuerpflichtige mit einem schlichten Änderungsantrag nach Ergehen der Einspruchsentscheidung eine nochmalige sachliche Überprüfung der bereits im Einspruchsverfahren vorgetragenen Argumente verlangen kann.

    37

    Ein solches Verständnis steht im Widerspruch zu dem durch das Einspruchsverfahren der §§ 347 ff AO gewährten Rechtsschutzmöglichkeiten, die eine einmalige Überprüfung eines Sachverhalts durch die Finanzbehörde vorsehen (§ 348 Nr. 1 AO). Bei einer ablehnenden Entscheidung durch die Finanzbehörde ist der Rechtsweg zu den Finanzgerichten zu bestreiten. Würde dem Steuerpflichtigen eine solche Möglichkeit eröffnet, so drohen (theoretisch) nicht endende Behördenentscheidungen zu einem identischen Lebenssachverhalt, die in parallelen Antrags-, Einspruchs- und Klageverfahren gipfeln könnten.

    38

    Ein solches Verständnis würde auch dem Willen des Gesetzgebers widersprechen. Der Gesetzgeber hatte die Absicht, eine Regelung (insbesondere) für Schätzungsfälle zu schaffen, wenn die Steuererklärung erst nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, aber innerhalb der Klagefrist eingereicht wird. Um in diesen Fällen eine Änderung der Steuerfestsetzung auch ohne ein Klageverfahren zu erreichen und damit das Verfahren zu vereinfachen und die Finanzgerichte zu entlasten, wurde die Vorschrift des § 172 Abs. 1 S. 3 AO mit dem Gesetz zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften (Steuerbereinigungsgesetz 1999) eingeführt (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs, BT-Drucks. 14/1514, S. 47).

    39

    Der Gesetzgeber wollte also gerade keine erneute Überprüfungsmöglichkeit für den Steuerpflichtigen schaffen, sondern – für den Fall, dass nach Ergehen der Einspruchsentscheidung neue Tatsachen oder Rechtsfragen auftreten – ein vereinfachtes Verfahren ermöglichen, das auch der Entlastung der Finanzgerichte dienen sollte.

    40

    Die Auslegung gebietet, dass eine erneute Überprüfung durch die Finanzbehörden im Rahmen eines schlichten Änderungsantrags nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a, S. 2 und S. 3 HS. 1 AO nur in Bezug auf neue Tatsachen und Rechtsfragen in Betracht kommt.

    41

    Diese Ansicht folgt aus den Erwägungen des Gesetzgebers (s.o.) und insbesondere auch aus dem systematischen Zusammenhang mit § 172 Abs. 1 S. 3, 2. HS AO. Hier hat der Gesetzgeber im Interesse der Rechtsklarheit geregelt, dass durch eine schlichte Änderung die Wirkungen einer nach § 364 b Abs. 2 AO gesetzten Ausschlussfrist nicht unterlaufen werden darf. Diese Regelung setzt es als selbstverständlich voraus, dass mit einem Änderungsantrag auch neuer Vortrag einhergeht.

    42

    Im Streitfall lagen die Kaufverträge bereits im Rahmen der Betriebsprüfung vor; ein neuer Sachvortrag ist nach Ergehen der Einspruchsentscheidung nicht mehr erfolgt. Auch sind keine neuen Rechtsauffassungen mehr ausgetauscht worden. Der Beklagte hat sich in der Einspruchsentscheidung mit dem Sachverhalt und den Rechtsauffassungen auseinandergesetzt. Eine nochmalige sachliche Prüfung dieser Argumente im Verfahren wegen schlichter Änderung nach § 172 AO kommt nicht in Betracht.

    43

    b.

    44

    Da bereits die Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt sind, kommt es nicht mehr darauf an, ob eine schlichte Änderung gem. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a AO der Finanzbehörde auf der Rechtsfolgenseite Ermessen eröffnet.

    45

    2.

    46

    Die Revision war zuzulassen mit Blick auf die beim BFH anhängigen Revisionsverfahren IX R 2/17 und X R 31/17 sowie die zum Teil kritischen Stimmen in der Literatur (Bartone in Beermann/Gosch AO/FGO, § 348 AO Rn. 9; Seer in Tipke/Kruse AO/FGO, § 348 AO Rn. 1; Wendt EFG 2015, 1587).

    47

    3.

    48

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.