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  • 07.08.2024 · IWW-Abrufnummer 243101

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 20.06.2024 – 5 K 150/24 U

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Münster


    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

    Tatbestand

    1
    Streitig ist, ob eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf die Klagefrist zu gewähren ist.

    2
    Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft in der Form einer GmbH. Gegenstand ihres Unternehmens ist der Handel mit und der Vertrieb von …baustoffen sowie das industrielle Fertigen von …teilen. Als Geschäftsführerin der Klägerin ist seit dem 10.02.2023 Frau OH im Handelsregister eingetragen. Zugunsten von Herrn DT wurde am 21.04.2021 eine Einzelprokura im Handelsregister vermerkt.

    3
    Den Einspruch der Klägerin vom 23.03.2018 gegen die Umsatzsteuerbescheide 2015 und 2016 vom 22.03.2018, in Gestalt des jeweiligen Änderungsbescheides vom 02.03.2020, wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 18.12.2023 als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung ging am 21.12.2023 bei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein.

    4
    Die Klägerin hat am 26.01.2024 Klage beim Finanzgericht erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Klagefrist beantragt.

    5
    Zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führt sie aus: Die Einspruchsentscheidung vom 18.12.2023 sei in der Sozietät ihres Prozessbevollmächtigten am 21.12.2023 eingegangen. Am Folgetag, dem 22.12.2023, sei die Einspruchsentscheidung auf Anweisung ihres Prozessbevollmächtigten von einer Mitarbeiterin in dessen Büro, Frau K, als Mail-Anhang an sie, die Klägerin, gesandt worden. Der Prozessbevollmächtigte habe zudem ergänzend ein Informationsschreiben diktiert. Das Schreiben sei am Tag des Diktates am 22.12.2023, einem Freitag, an dem Büroschluss um 14:00 Uhr sei, nicht mehr geschrieben worden, sondern erst nach den sich anschließenden Feiertagen am 27.12.2023. In dem an sie, die Klägerin, gerichteten Schreiben vom 27.12.2023 heißt es u.a.: „Die Klagefrist läuft damit am 22.01.2024 ab […]. Da unser Mandat mit der Einspruchsentscheidung abgeschlossen ist, werden wir ohne besondere Anweisung keine Klage gegen die Bescheide erheben. Wenn Sie die Erhebung der Klage wünschen, geben Sie uns dazu bitte eine entsprechende Nachricht.“ Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Schreibens verwiesen (Bl. 44 der Gerichtsakte). Sie, die Klägerin persönlich, habe jedoch bereits am Tag des Eingangs der Einspruchsentscheidung bei ihr per E-Mail mit einer Antwortmail an die E-Mail-Adresse, von der sie die Einspruchsentscheidung von ihrem Prozessbevollmächtigten übersandt erhalten habe (k......@.......de), ihrem Prozessbevollmächtigten mit den Worten „Moin, bitte Klage einreichen“ (Bl. 41 der Gerichtsakte) die Anweisung erteilt, Klage zu erheben. Diese E-Mail sei am Freitag, dem 22.12.2023, 14:14 Uhr, also nach Büroschluss, in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten eingegangen. Nach den Feiertagen sei die Nachricht im Büro ihres Prozessbevollmächtigten nicht wahrgenommen worden. Zwischen den Feiertagen sei der Arbeitsplatz der Mitarbeiterin Frau K aufgrund Urlaubs unbesetzt geblieben. Ihr Prozessbevollmächtigter, der der Klägerin, habe sich in der ersten Kalenderwoche des Jahres 2024 im Urlaub befunden. Die E-Mail mit der Anweisung zur Klageerhebung habe aus im Übrigen nicht mehr aufklärbaren Gründen den zuständigen Sachbearbeiter in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten nicht erreicht. Dieser Sachverhalt werde anwaltlich durch ihren Prozessbevollmächtigten versichert.

    6
    Aufgrund der ihrem Prozessbevollmächtigten bereits durch E-Mail vom 22.12.2023 erteilten Anweisung zur Klageerhebung habe es ihre Geschäftsführung, die der Klägerin selbst, als überflüssig angesehen, nach dem Eingang des Schreibens ihres Prozessbevollmächtigten vom 27.12.2023 diesem erneut eine Anweisung zur Klageerhebung zu erteilen.

    7
    Bei ihrem Prozessbevollmächtigten sei in der Folge der im Fristenkalender erfolgte Eintrag der Klagefrist bei Fristablauf wegen fehlender Klageanweisung als erledigt gekennzeichnet worden. Die Versäumung der Klagefrist sei aufgrund dessen entschuldigt.

    8
    Die Klägerin beantragt sinngemäß,

    9
    Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf die Versäumung der Klagefrist zu gewähren und im Rahmen eines Zwischenurteils zu entscheiden, dass die Klage zulässig ist.

    10
    Der Beklagte beantragt,

    11
    die Klage abzuweisen.

    12
    Der Beklagte hat zum Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keine Stellung genommen.

    13
    Die Sache ist am 20.06.2024 vor dem Senat mündlich verhandelt worden. Am Morgen des 20.06.2024 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin schriftsätzlich mitgeteilt, dass die Klägerin an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde und sie im Termin aufgrund der Erkrankung des sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten auch nicht vertreten sein werde. Wegen der Einzelheiten der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    14
    I. Der Senat konnte gemäß § 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in Abwesenheit der Klägerin und ihres Prozessbevollmächtigten mündlich verhandeln. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat die Ladung zur mündlichen Verhandlung gemäß elektronischem Empfangsbekenntnis am 04.06.2024 erhalten (Bl. 78 der Gerichtsakte). Er ist in der Ladung darauf hingewiesen worden, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten ohne diesen verhandelt und entschieden werden kann.

    15
    II. Die Klage ist unzulässig.

    16
    Sie ist erst nach Ablauf der Klagefrist von einem Monat (§ 47 Abs. 1 FGO) erhoben worden (dazu unter 1.). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO ist nicht zu gewähren (dazu unter 2.).

    17
    1. Die Klage ist ‒ was die Klägerin auch nicht bestreitet ‒ nicht fristgemäß erhoben worden.

    18
    Nach § 47 Abs. 1 FGO beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf, in den Fällen des § 45 FGO und in den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf nicht gegeben ist, mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts.

    19
    Vorliegend begann die einmonatige Klagefrist mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf am 21.12.2023. Nach § 366 Abgabenordnung (AO) kann die Einspruchsentscheidung ‒ wie im vorliegenden Fall ‒ schriftlich erteilt werden. Nach der Bekanntgabevermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Vorliegend trägt die Einspruchsentscheidung das Datum vom 18.12.2023. Das Datum der Einspruchsentscheidung entspricht regelmäßig dem Datum der Aufgabe zur Post. Insoweit haben die Beteiligten hier nichts Gegenteiliges vorgetragen. Die Einspruchsentscheidung gilt daher am 21.12.2023 als bekanntgegeben, was sich nach dem Vortrag der Klägerin auch mit dem Tag der tatsächlichen Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung an ihren Prozessbevollmächtigten deckt.

    20
    Für die Fristberechnung begann die einmonatige Klagefrist am 22.12.2023 (§ 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 Zivilprozessordnung ‒ ZPO ‒ i.V.m. § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch ‒ BGB ‒) und endete grundsätzlich mit Ablauf des 21.01.2024, einem Sonntag (§ 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB). Da das Ende der einmonatigen Klagefrist auf einen Sonntag fiel, endete die Frist abweichend hiervon jedoch erst mit Ablauf des nächsten Werktages, hier mit Ablauf des 22.01.2024, einem Montag (siehe § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1, 2 ZPO, § 193 BGB).

    21
    Die Klage ist im Streitfall nach dem Ablauf der Klagefrist am 26.01.2024 erhoben worden.

    22
    2. Der Klägerin ist im Streitfall keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Klagefrist gemäß § 56 FGO zu gewähren.

    23
    a. Gemäß § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. „Ohne Verschulden“ verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist jemand nur dann, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BFH, Urteile vom 11.08.1993, II R 6/91, BFH/NV 1994, 440; vom 20.11.2008, III R 66/07, BStBl. II 2009, 185; vom 17.3.2010, X R 57/08, BFH/NV 2010, 1780). Jedes Verschulden, auch einfache Fahrlässigkeit, schließt die Wiedereinsetzung aus (vgl. BFH, Beschlüsse vom 24.9.1985, III B 3/85, BFH/NV 1986, 190; vom 13.12.2023, VII B 188/12, BFHH/NV 2024, 294).

    24
    b. Der Beteiligte muss sich gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden eines Vertreters zurechnen lassen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 20.04.1982, 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253; BFH, Beschluss vom 01.03.2005, VIII B 207/02, BFH/NV 2005, 1574; BFH, Vorlagebeschluss vom 07.02.2013, VIII R 2/09, BFHE 241, 107, BStBl. II 2013, 823; BFH, Beschluss vom 07.01.2015, V B 70/14, BFH/NV 2015, 516). Handelt es sich bei dem Vertreter um einen Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe (Berufsträger), sind an die Sorgfaltspflichten besonders hohe Anforderungen zu stellen. Berufsträger sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur dann ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, wenn sie die „äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt“ haben walten lassen (vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 16.08.1993, VII B 163/93, BFH/NV 1994, 385; vom 24.01.2005, III B 34/03, BFH/NV 2005, 720; vom 10.12.2019, VIII R 19/17, BFH/NV 2020, 375). Berufsträger müssen daher alles ihnen Zumutbare tun, damit die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird. Hierzu ist grundsätzlich erforderlich, dass durch eine entsprechende Organisation des Büros alle Vorkehrungen getroffen werden, die nach vernünftigen Erwägungen geeignet sind, die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen (vgl. BFH, Beschluss vom 15.5.2015, II R 28/14, BFH/NV 2015, 1262, m.w.N.). Die Büroorganisation muss dabei auch der eigentlichen Rechtsmitteleinlegung zeitlich vorangehende, aber notwendigerweise mit ihr zusammenhängende Tätigkeiten berücksichtigen. Fristversäumnisse sind durch einen Organisationsmangel verschuldet, wenn Berufsträger ihr Büro nicht so organisiert haben, dass Fristen zuverlässig überwacht sowie eingehalten und Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristensachen sowie Fristversäumnisse möglichst ausgeschlossen werden (vgl. BFH, Beschlüsse vom 8.2.2008, X B 95/07, BFH/NV 2008, 969; vom 3.4.2013, V R 24/12, BFH/NV 2013, 970). Derartige Organisationsmängel werden Berufsträgern und den von ihnen Vertretenen als Verschulden zugerechnet. Allerdings dürfen die Anforderungen an die Wiedereinsetzung und den Verschuldensmaßstab auch bei Berufsträgern nicht überspannt werden. Berufsträger dürfen bestimmte Routineaufgaben ‒ etwa die Berechnung einfacher Fristen, die Fristenkontrolle oder die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze ‒ entsprechend ausgebildeten und zuverlässigen Mitarbeitern übertragen. Unterläuft einem solchen Mitarbeiter ein Fehler und führt dieser zu einem Fristversäumnis, handelt es sich um ein bloßes Büroversehen, das weder dem Berufsträger noch dem von ihm Vertretenen zurechenbar ist (FG Münster, Urteil vom 31.08.2023, 10 K 2110/19, K,U,F, EFG 2024, 81). Bei der Beurteilung der Frage, ob eine ordnungsgemäße Büroorganisation vorliegt, trägt die Klägerin die Feststellungslast (vgl. BFH, Urteil vom 14.05.2022, IX R 31/00, BFHE 198, 319, BStBl. II 2002, 712). Ein Verschulden i.S.d. § 56 Abs. 1 FGO liegt daher bereits dann vor, wenn ein Organisationsverschulden als Ursache der Fristversäumnis nicht ausgeschlossen werden kann (BFH, Beschluss vom 22.09.2023, IX R 29/22, BFH/NV 2023, 1404).

    25
    c. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand muss gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO innerhalb zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt werden. Der Antrag ist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO zu begründen. Die Wiedereinsetzungsgründe müssen innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist vollständig, substantiiert und schlüssig vorgetragen werden, soweit sie nicht offenkundig oder gerichtsbekannt sind (vgl. etwa BFH, Urteil vom 15.9.1992, VIII R 26/91, BFH/NV 1993, 219; BFH, Beschlüsse vom 17.6.2010, IX B 32/10, BFH/NV 2010, 1655; vom 17.8.2010, X B 190/09, BFH/NV 2010, 2285). Es ist dabei ausreichend, dass der Kern des geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrundes innerhalb der Antragsfrist schlüssig vorgetragen wird (BFH-Urteil vom 13.12.2007 ‒ VI R 75/04, BStBl. II 2009, 577). Dabei besteht bei fachkundiger Vertretung hinsichtlich der Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO keine Hinweispflicht des Finanzgerichts (BFH, Urteil vom 27.09.2001, X R 66/99, BFH/NV 2002, 358; BFH, Beschluss vom 19.05.2000, VIII B 13/00, BFH/NV 2000, 1358). Dies gilt erst recht für die Aufklärung über den erforderlichen Inhalt eines Wiedereinsetzungsgesuchs oder die Ergänzung eines insoweit unzulänglichen Vortrags (vgl. zum insoweit inhaltsgleichen § 110 Abs. 2 Satz 2 AO: BFH, Beschluss vom 06.12.2011, XI B 3/11, BFH/NV 2012, 707; siehe auch gegen eine Ermittlungspflicht des Finanzgerichts BFH, Beschluss vom 17.06.2010, IX B 32/10, BFH/NV 2010, 1655). Nach Ablauf der zweiwöchigen Frist können unvollständige Angaben noch erläutert und ergänzt werden (BFH, Urteile vom 24.8.1990, VI R 178/85, BFH/NV 1991, 140; vom 13.12.2007, VI R 75/04, BStBl. II 2009, 577). Die Schließung von Lücken eines zuvor noch nicht schlüssigen Vortrags erst nach Ablauf der Antragsfrist wird von der Rechtsprechung hingegen nicht anerkannt (vgl. BFH, Beschluss vom 8.5.1996, X B 12/96, BFH/NV 1996, 833; BFH, Urteil vom 18.3.2014, VIII R 33/12, BStBl. II 2014, 922). Das Gleiche gilt für das spätere Nachschieben von Wiedereinsetzungsgründen (BFH, Beschluss vom 15.12.1995, V B 88/95, BFH/NV 1996, 452; BFH, Urteil vom 18.3.2014, VIII R 33/12, BFHE 246, 1, BStBl. II 2014, 922).

    26
    d. Die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen sind gemäß § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung ist ein geringerer Grad des (Voll‑)Beweises. Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache dann, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für sie spricht (vgl. BFH, Urteil vom 28.12.1989, VIII R 70/87, BFH/NV 1990, 714). Demnach muss mehr als nur die bloße Möglichkeit für einen geschilderten Geschehensablauf sprechen; eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ist hingegen nicht erforderlich. Glaubhaft gemacht wird eine Tatsache durch die Vorlage präsenter Beweismittel, aufgrund deren Vorlage der Beweis sofort und unmittelbar erbracht werden kann (BFH, Urteil vom 28.12.1989, VIII R 70/87, BFH/NV 1990, 714). Wer eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen hat, kann sich aller Beweismittel bedienen (§ 294 ZPO i.V.m. § 155 Satz 1 FGO). Zusätzlich gestattet § 294 Abs. 1 ZPO auch die Versicherung an Eides statt. Soweit der Kern des geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrunds hinreichend schlüssig vorgetragen ist, kann eine entsprechende Glaubhaftmachung auch noch später im Verfahren über den Antrag erfolgen, d.h. bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz vor dem Finanzgericht (BFH, Beschluss vom 17.6.2010, IX B 32/10, BFH/NV 2010, 1655).

    27
    e. Unter Anwendung der dargestellten Grundsätze liegen im Streitfall die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, im hiesigen Fall in die abgelaufene gesetzliche Klagefrist i.S.d. § 47 FGO, nicht vor. Nach dem Vortrag der Klägerin fehlt es bereits an einem Wiedereinsetzungsgrund. Die Klägerin war nach den Feststellungen des Senats nicht ohne Verschulden verhindert, die Rechtsbehelfsfrist einzuhalten (vgl. § 56 Abs. 1 FGO). Die Klägerin muss sich einerseits ein Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (hier unter aa. und bb.) und andererseits ist auch ein eigenes Verschulden ihrerseits nicht auszuschließen (hierzu unter cc.).

    28
    aa. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat bereits nicht hinreichend dargetan, welche Organisationsmaßnahmen in seinem Büro von ihm getroffen worden sind, damit Fristen zuverlässig überwacht sowie eingehalten und Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristensachen sowie Fristversäumnisse möglichst ausgeschlossen werden. Im Streitfall war nach den Erläuterungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin die E-Mail der Klägerin mit der Aufforderung „Moin, bitte Klage einreichen“ am 22.12.2023, einem Freitag, um 14:14 Uhr, also nach Büroschluss, an die personalisierte E-Mail-Adresse der Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten K (k......@.......de) gesendet worden, die sich „zwischen den Feiertagen“, also ab dem 27.12.2023 bis einschließlich 29.12.2023, im Urlaub befunden habe. Ihr Arbeitsplatz sei in dieser Zeit unbesetzt gewesen. In den Fällen, in denen Kanzleimitarbeitern eine personalisierte E-Mail-Adresse zur Verfügung gestellt wird, die (auch) für eine Kommunikation mit Mandanten genutzt wird, entspricht es vernünftigen Erwägungen, Regelungen zur Nutzung dieser E-Mail-Adressen durch die Mitarbeiter und zur Bearbeitung und Weiterleitung von E-Mails von Mandaten zu treffen. Im Streitfall hätte es für die Darlegung der Büroorganisation daher insbesondere Erläuterungen durch den Prozessbevollmächtigten bedurft, wie die kanzleiinternen Abläufe im Zusammenhang mit von Mandanten direkt an die personalisierten E-Mail-Adressen der Mitarbeiter übersandten E-Mails organisiert sind und wie in diesem Zusammenhang sichergestellt wird, dass z.B. Anfragen zu konkreten Verfahren oder auch Aufträge, eine Klage zu erheben, den zuständigen Anwalt als Sachbearbeiter zeitnah erreichen. Ferner hätten die Regelungen zur Urlaubs- bzw. Krankheitsvertretung dargelegt werden müssen. Dies betrifft insbesondere Regelungen zum Umgang mit solchen E-Mails von Mandanten, die sich während Urlaub oder Krankheit eines Mitarbeiters unbearbeitet in seinem personalisierten E-Mail-Postfach befinden oder dort in dieser Zeit eingehen. Der Prozessbevollmächtigte hat in diesem Zusammenhang lediglich vorgetragen, die Klagefrist sei im Fristenkalender eingetragen und bei Fristablauf mangels Klageauftrag als erledigt ausgetragen worden. Dies lässt aber keine Schlüsse auf die konkrete Büroorganisation und insbesondere auf die Behandlung der elektronischen Kommunikation mit den Mandanten durch E-Mails zu. Ein zumindest mitwirkendes Organisationsverschulden kann der Senat ausgehend hiervon nicht ausschließen. Die Klägerin trägt ‒ wie ausgeführt ‒ insoweit die Feststellungslast.

    29
    bb. Außerdem ist der behauptete Geschehensablauf nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin führte in seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus, dass der von ihm beschriebene Sachverhalt „anwaltlich versichert“ werde. Zwar kann die Schilderung von Vorgängen durch einen Rechtsanwalt die mitgeteilten Tatsachen in gleicher Weise glaubhaft machen, wie dies sonst durch eine eidesstattliche Versicherung der Fall ist, wenn der Anwalt die Richtigkeit seiner Angaben unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichert (BGH, Beschluss vom 05.07.2017, XII ZB 463/16, NJW-RR 2017, 1266). Eine Aussagekraft hat die anwaltliche Versicherung aber nur dann, wenn sie eigene Wahrnehmungen des Anwalts bestätigt (Bayerisches OLG, 2 Z BR 140/93, WuM 1994, 296). Eigene Wahrnehmungen hat der Prozessbevollmächtigte im Streitfall hingegen nur im Zusammenhang mit der Anweisung, die Einspruchsentscheidung an die Klägerin weiterzuleiten, und dem Diktat des am 27.12.2023 an die Klägerin versandten Schreibens geschildert. Vorliegend ist die Beschreibung des Ablaufs innerhalb der Sozietät in entscheidenden Punkten von Nichtwissen des Prozessbevollmächtigten geprägt, wenn er ausführt, dass die E-Mail der Klägerin „nach den Feiertagen […] nicht wahrgenommen“ worden sei und die E-Mail mit der Anweisung zur Klageerhebung ihn, den Anwalt, aus „im Übrigen nicht mehr aufklärbaren Gründen nicht erreicht“ habe. Gerade diese Punkte, die der Prozessbevollmächtigte nicht wahrgenommen und auch nicht aufgeklärt hat, stellen jedoch gerade den Kern des Sachverhaltes dar, der für die Frage, ob die Versäumung der Klagefrist verschuldet oder unverschuldet erfolgte, vorliegend maßgeblich ist.

    30
    cc. Darüber hinaus ist auch ein der Klägerin gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 51 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 35 Abs. 1 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) zuzurechnendes Verschulden der Geschäftsführerin der Klägerin nicht ausgeschlossen.

    31
    Die Geschäftsführerin hat es als gemäß § 35 Abs. 1 GmbHG gesetzliche Vertreterin der Klägerin leicht fahrlässig versäumt, zu überprüfen, ob ihr Prozessbevollmächtigter ihre Anweisung, Klage gegen die Einspruchsentscheidung betreffend die Bescheide über Umsatzsteuer 2015 und 2016 einzureichen, erhalten und verstanden hat. Es gehört zu ihrer Pflicht, die Geschäfte der Gesellschaft zu führen und Schaden von der Gesellschaft abzuwenden (zu den Pflichten des Geschäftsführers siehe Stephan/Tieves, Münchener Kommentar GmbHG, 4. Auflage 2023, § 35 Rn. 86). Die Klägerin hatte, nachdem ihr Prozessbevollmächtigter ihrer Geschäftsführerin die Einspruchsentscheidung übermittelt hatte, vertreten durch ihren Prokuristen, am 22.12.2023 ihrem Prozessbevollmächtigten per einfacher E-Mail mitgeteilt: „Moin, bitte Klage einreichen“. Sie konnte aber nicht ohne Weiteres damit rechnen, dass der ‒ aus ihrer Sicht erteilte ‒ Auftrag zur Klageerhebung ihren Prozessbevollmächtigten tatsächlich erreicht hat, da sie zeitlich nach der E-Mail vom 22.12.2023 ein Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten mit Datum vom 27.12.2023 erhielt, in dem es u.a. hieß: „Da unser Mandat mit der Einspruchsentscheidung abgeschlossen ist, werden wir ohne besondere Anweisung keine Klage gegen die Bescheide erheben. Wenn Sie die Erhebung der Klage wünschen, geben Sie uns bitte eine entsprechende Nachricht.“ Aufgrund dieses Schreibens hätte es einer weiteren Nachfrage bei dem Prozessbevollmächtigte bedurft, ob er für sie Klage erhebt. Dies ist ihr anzulasten. Die Klägerin hat hierzu und zu den Umständen der Beauftragung zur Klageerhebung auch nicht weiter substantiiert vorgetragen, was vor dem Hintergrund der Feststellungslast und ihrer Verantwortung i.S.d. § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO, die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft zu machen, zu ihren Lasten geht.

    32
    III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    33
    IV. Die Revision war nicht zuzulassen, da keine Gründe i.S.d. § 115 Abs. 2 FGO vorliegen.