25.02.2010 · IWW-Abrufnummer 100689
Bundesfinanzhof: Urteil vom 03.12.2009 – VI R 58/07
1.
Einem Steuerberater kann ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden von Zahnbehandlungskosten zur Last fallen, wenn er es unterlässt, seinen Mandanten nach solchen Aufwendungen zu fragen.
2.
Die Verpflichtung nachzufragen entfällt auch nicht dadurch, dass ein Dritter Angaben und Unterlagen für den Steuerpflichtigen beibringt.
Gründe:
I.
Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) die Änderung von Einkommensteuerbescheiden verlangen kann, weil Aufwendungen nachträglich bekanntgeworden sind.
Die Klägerin ist von Beruf Diplom-X und wurde für die Streitjahre 1998 bis 2000 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) bestandskräftig zur Einkommensteuer veranlagt.
Mit Schreiben vom 3. Januar 2003 beantragte die Klägerin die Änderung der genannten Steuerfestsetzungen nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO). Sie teilte dem FA mit, dass ihr in den Streitjahren hohe außergewöhnliche Belastungen erwachsen seien. Dabei handele es sich um Aufwendungen für medizinisch notwendige Zahnerhaltungsmaßnahmen infolge einer Kiefererkrankung in Höhe von 19.324,63 DM im Jahr 1998, 37.537,12 DM im Jahr 1999 und 11.213,21 DM im Jahr 2000.
Das FA lehnte eine Änderung der Bescheide mit der Begründung ab, die Klägerin bzw. ihren steuerlichen Berater treffe ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsache.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 645 veröffentlichten Gründen als unbegründet ab.
Mit der Revision rügt die Klägerin die unrichtige Anwendung des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Sie macht insbesondere geltend, dass die wesentlichen steuerlich relevanten Angaben und Unterlagen von der Firma Y bzw. Z zusammengestellt und an den steuerlichen Berater übermittelt worden seien. Das FG habe diesen Vortrag, insbesondere einen entsprechenden Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung, nicht gewürdigt. Damit liege ein Verfahrensmangel vor.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG München vom 29. November 2006 aufzuheben und die Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum 1998 auf 71.609 DM, für den Veranlagungszeitraum 1999 auf 120.666 DM und für den Veranlagungszeitraum 2000 auf 68.479 DM festzusetzen.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision der Klägerin ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 1998, 1999 und 2000 nicht nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zugunsten der Klägerin geändert werden können, weil sie ein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen nachträglich bekannt geworden sind.
1.
Das FG hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt vollständig aufgeklärt und damit nicht gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen.
a)
Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das FG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 FGO die erforderlichen Beweise zu erheben. Dabei hat es den entscheidungserheblichen Sachverhalt so vollständig wie möglich und bis zur Grenze des Zumutbaren, d.h. unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel aufzuklären. Von den Verfahrensbeteiligten angebotene Beweise muss das FG grundsätzlich erheben, wenn es einen Verfahrensmangel vermeiden will (vgl. auch Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. Dezember 2005 I B 249/04, BFH/NV 2006, 780). Auf eine beantragte Beweiserhebung kann es im Regelfall nur verzichten, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann, das Beweismittel unerreichbar, unzulässig oder absolut untauglich ist (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsentscheidungen vom 13. November 2007 VI B 100/07, BFH/NV 2008, 219; vom 1. Februar 2007 VI B 124/06, BFH/NV 2007, 956; vom 16. November 2005 VI R 71/99, BFH/NV 2006, 753; jeweils m.w.N.).
b)
Nach diesem Rechtsmaßstab musste der in der mündlichen Verhandlung vor dem FG angebotene Zeugenbeweis zu der Frage, ob und inwieweit die Klägerin durch die Firma Y bzw. Z in den Streitjahren wirtschaftlich betreut und für sie die Buchhaltung geführt wurde, nicht erhoben werden. Hierauf kam es im Streitfall nicht an. Das FG konnte daher auch auf die Erhebung dieses Beweises verzichten. Die Klägerin selbst hat vorgetragen, dass das FG in der mündlichen Verhandlung bedeutet habe, den vorgetragenen Sachverhalt bzw. die diesbezügliche Bestätigung durch den Zeugen als zutreffend zu unterstellen. Damit musste sich auch der Klägerin aufdrängen, dass unter den besonderen Umständen des Streitfalles eine Auseinandersetzung mit der Frage eines zurechenbaren Verschuldens von Hilfspersonen nicht entscheidungserheblich war. Das Urteil des FG geht demzufolge auch erkennbar von der Grundannahme aus, dass ein Steuerberater verpflichtet ist, den für die Abgabe einer vollständigen Steuererklärung maßgebenden Sachverhalt zu ermitteln. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn das FG allein auf das Verschulden des steuerlichen Beraters abgestellt hat und --ohne dies ausdrücklich in den Entscheidungsgründen auszuführen-- ein etwaiges Verschulden von Hilfspersonen für die zu treffende Entscheidung als unerheblich angesehen hat.
Da im Streitfall von einem eigenen Verschulden des steuerlichen Beraters auszugehen ist, widerspricht die Entscheidung des Senats auch nicht den Aussagen des III. und IV. Senats des BFH zum groben Verschulden von Hilfspersonen (BFH-Urteile vom 3. Februar 1983 IV R 153/80, BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324; vom 17. November 2005 III R 44/04, BFHE 211, 401, BStBl II 2006, 412). Selbst wenn man im Streitfall von einem Verschulden weiterer Hilfspersonen ausgehen würde, wäre dieses Verschulden nach Auffassung des Senats dem steuerlichen Berater als eigenes Verschulden zuzurechnen. Auch in diesem Fall ergäbe sich kein Widerspruch zur genannten Rechtsprechung des III. und IV. Senats des BFH, da im Unterschied zum Streitfall die Dienstleistungen der Hilfspersonen in jenen Fällen dem Steuerpflichtigen gegenüber unmittelbar erbracht worden waren. Im Ergebnis konnte das FG daher ein etwaiges Verschulden weiterer Hilfspersonen unberücksichtigt lassen.
2.
Nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.
a)
Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (z.B. BFH-Urteil vom 19. Dezember 2006 VI R 59/02, BFH/NV 2007, 866, m.w.N.). Grob fahrlässiges Handeln liegt insbesondere vor, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er unvollständige Steuererklärungen abgibt (BFH-Urteile vom 30. Oktober 1986 III R 163/82, BFHE 148, 208, BStBl II 1987, 161; vom 1. Oktober 1993 III R 58/92, BFHE 172, 397, BStBl II 1994, 346; vom 16. September 2004 IV R 62/02, BFHE 207, 269, BStBl II 2005, 75; in BFH/NV 2007, 866). Beruht die unvollständige Steuererklärung auf einem Rechtsirrtum wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften, ist dies dem Steuerpflichtigen in der Regel nicht als grobes Verschulden anzulasten (BFH-Urteile vom 10. August 1988 IX R 219/84, BFHE 154, 481, BStBl II 1989, 131; vom 23. Februar 2000 VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978; BFH-Beschluss vom 31. Januar 2005 VIII B 18/02, BFH/NV 2005, 1212).
b)
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH hat der Steuerpflichtige auch ein Verschulden seines steuerlichen Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung zu vertreten (z.B. BFH-Urteil in BFHE 211, 401, BStBl II 2006, 412, m.w.N.). Die Zurechnung des Verschuldens des steuerlichen Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung ergibt sich aus der Verantwortung des Steuerpflichtigen für die Richtigkeit seiner Angaben in der Steuererklärung (§ 150 Abs. 2 Satz 1 AO). Dieser Verantwortung kann er sich nicht dadurch entziehen, dass er die Ausarbeitung der Steuererklärung seinem steuerlichen Berater überträgt.
c)
Ob ein Beteiligter grob fahrlässig gehandelt hat, ist im Wesentlichen Tatfrage. Die hierzu getroffenen Feststellungen des FG dürfen --abgesehen von zulässigen und begründeten Verfahrensrügen-- nur daraufhin überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit und die aus ihm abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt worden sind und ob die Würdigung der Umstände hinsichtlich des individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen entspricht. Dies hindert das Revisionsgericht allerdings nicht, selbst zur Annahme eines groben Verschuldens zu kommen, wenn hierfür ausreichende tatsächliche Feststellungen vorliegen (BFH-Urteile vom 9. August 1991 III R 24/87, BFHE 165, 454, BStBl II 1992, 65; vom 23. Oktober 2002 III R 32/00, BFH/NV 2003, 441).
3.
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall hat das FG rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Klägerin am nachträglichen Bekanntwerden der Krankheitskosten ein grobes Verschulden trifft.
Wie das FG zutreffend erkannt hat, kann es im Streitfall offen bleiben, ob sich die Klägerin auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum in ihrer Person berufen kann. Die Klägerin muss sich aber, wie das FG ebenfalls zutreffend entschieden hat, das Verschulden ihres steuerlichen Beraters im Streitfall zurechnen lassen. Von Angehörigen der steuerberatenden Berufe muss verlangt werden, dass sie den Inhalt der Merkblätter kennen und die üblichen Vordrucke beherrschen. Der steuerliche Berater durfte weiter gerade bei einem steuerlichen Laien, wie der Klägerin, nicht ohne Nachfrage davon ausgehen, dass aufgrund der bestehenden Krankenversicherung und der hohen zumutbaren Belastung der Klägerin keine steuerlich relevanten Krankheitskosten vorlagen. Vielmehr musste er die von ihm beratene Steuerpflichtige im Bereich der außergewöhnlichen Belastungen nach Aufwendungen fragen, die steuerlich zu berücksichtigen waren. Denn ein Steuerberater hat seinen Mandanten, von dessen Belehrungsbedürftigkeit er grundsätzlich auszugehen hat, umfassend zu beraten. Im Rahmen dieser Verpflichtung hat er den für die Abgabe einer vollständigen Steuererklärung maßgebenden Sachverhalt zu ermitteln. Er darf sich insbesondere nicht --wie im Streitfall-- darauf verlassen, dass die steuerlich relevanten Angaben und Unterlagen durch Dritte derart aufbereitet werden, dass Nachfragen beim Steuerpflichtigen selbst entbehrlich werden. Der steuerliche Berater handelte daher im Streitfall grob fahrlässig.