12.11.2009
Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 16.09.2009 – 7 K 7453/06 B
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit
...
hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 7. Senat -
ohne mündliche Verhandlung
am 16. September 2009
durch
den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...,
die Richterin am Finanzgericht ...,
den Richter am Finanzgericht ... sowie
die ehrenamtlichen Richter Herr ... und Herr ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Auswirkungen eines Antrags auf Aufteilung rückständiger Einkommensteuer nebst Nebenleistungen.
Die Klägerin und der Beigeladene waren vom 09.07.1999 bis zum 09.06.2006 verheiratet. Seit dem Juni 2002 lebten sie dauernd getrennt. Die Eheleute erzielten in den Streitjahren Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, wobei der Beigeladene nur zeitlich begrenzte Gelegenheitsjobs wahrnahm, so dass seine Erwerbsbiografie etliche Unterbrechungen aufweist. Den Lohnsteuerabzug nahmen die Arbeitgeber in den Streitjahren für die Klägerin nach der Lohnsteuerklasse III und für den Beigeladenen nach der Lohnsteuerklasse V vor.
Im I. Quartal 2004 reichten die Klägerin und der Beigeladene ihre Einkommensteuererklärungen 2001 und 2002 beim Beklagten ein. Darin beantragten sie die Zusammenveranlagung.
Die Kl ägerin und der Beigeladene erklärten folgende Bruttoarbeitslöhne und Steuerabzugsbeträge:
|Klägerin||Beigeladener| |2001|2002|2001|2002 Bruttoarbeitslohn|47.998,00 DM|39.846,00 EUR|24.442,00 DM|2.520,00 EUR Lohnsteuer|8.924,00 DM|4.984,00 EUR|5.530,89 DM|446,35 EUR Solidaritätszuschlag|490,82 DM|274,12 EUR|299,61 DM|22,49 EUR
Außerdem erzielte der Beigeladene Lohnersatzleistungen in Höhe von 740,- DM in 2001 und 2.432,- EUR in 2002. Der Beklagte setzte mit Bescheiden vom 06.04.2004 die Einkommensteuer 2001 auf 7.624,38 EUR zzgl. 12,- EUR Zinsen, 202,47 EUR Kirchensteuer für den Beigeladenen und 419,34 EUR Solidaritätszuschlag fest. Daraus ergaben sich Nachzahlungen in Höhe von insgesamt 208,91 EUR. Wegen der Beträge im Einzelnen nimmt das Gericht auf den Bescheid Bezug. Mit Einkommensteuerbescheid 2002 vom gleichen Tag setzte der Beklagte die Einkommensteuer auf 5.611,- EUR fest, zzgl. 96 EUR Kirchensteuer für den Ehemann und 308,60 EUR Solidaritätszuschlag. Daraus ergaben sich Nachzahlungen in Höhe von insgesamt 247,99 EUR. Wegen der Einzelheiten nimmt das Gericht auf den Bescheid Bezug. Die Nachzahlungsbeträge waren zum 13.05.2004 fällig.
Nachdem im Juni 2006 die nachzuzahlenden Beträge noch rückständig waren, meldete sich ein Vollziehungsbeamter beim Beigeladenen, worauf dieser am 14.06.2006 einen Antrag auf Aufteilung der Gesamtschulden aus den Einkommensteuerveranlagungen 2001 und 2002 stellte.
Zur Bearbeitung dieses Antrages führte der Beklagte Probeberechnungen ausgehend von getrennten Veranlagungen der Klägerin einerseits und des Beigeladenen andererseits durch. Danach ergab sich eine Einkommensteuer 2001 der Klägerin in Höhe von 8.196,92 EUR und des Beigeladenen in Höhe von 266,89 EUR sowie eine Einkommensteuer 2002 der Klägerin in Höhe von 8.762,- EUR und des Beigeladenen von 0 EUR. Wegen der Einzelheiten nimmt das Gericht auf die Probeberechnungen in der Hinweisakte Bezug. Auf dieser Grundlage erließ der Beklagte am 03.07.2006 Aufteilungsbescheide gegenüber der Klägerin und dem Beigeladenen, wobei er die rückständigen Beträge um die angerechnete Lohnsteuer und den angerechneten Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer erhöhte. Ferner bezog er - soweit relevant - Säumniszuschläge und Zinsen in die Aufteilung ein. Danach ergab sich ein aufzuteilender Betrag von 8.006,78 EUR für 2001 und 6.018,60 EUR für 2002. Den aufzuteilenden Betrag für 2001 ordnete er entsprechend dem Ergebnis der Probeberechnungen zu 96,85 vom Hundert der Klägerin und zu 3,15 vom Hundert dem Beigeladenen zu. Den aufzuteilenden Betrag zur Einkommensteuer 2002 rechnete er bis auf die evangelische Kirchensteuer allein der Klägerin zu, da sich bei der getrennten Veranlagung für den Beigeladenen keine positive Einkommensteuer ergeben hätte. Danach entfielen von dem aufzuteilenden Betrag auf den Beigeladenen 252,21 EUR und die Klägerin 7.754,57 EUR, auf die der Beklagte jeweils die von der Klägerin einerseits und vom Beigeladenen andererseits abgeführten Steuerabzugsbeträge anrechnete. Dadurch ergab sich für den Veranlagungszeitraum 2001 eine Erstattung zugunsten des Beigeladenen in Höhe von 2.728,94 EUR und eine Nachforderung zulasten der Klägerin in Höhe von 2.940,85 EUR. Für 2002 ergab sich eine Erstattung zugunsten des Beigeladenen in Höhe von 413,49 EUR und eine Nachzahlung zulasten der Klägerin in Höhe von 664,48 EUR. Wegen der Einzelheiten nimmt das Gericht auf die Aufteilungsbescheide Bezug.
Gegen diese Bescheide legte die Klägerin am 27.07.2006 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 05.12.2006 zurückwies.
Daraufhin hat die Klägerin am 29.12.2006 beim Finanzgericht Berlin unter dem Betreff "Einspruchsentscheid vom 05.12.2006 zu St.-Nr. ..." Klage erhoben, ohne einen Beklagten ausdrücklich zu bezeichnen.
Die Klägerin macht geltend, der Aufteilungsantrag des Beigeladenen verstoße gegen das Schikaneverbot gemäß § 226 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -. Sie sei bereit, die sich aus den Einkommensteuerbescheiden vom 06.04.2004 ergebenen Nachzahlungen in Höhe von 208,91 EUR bzw. 247,99 EUR zu tragen. Es komme jedoch nicht in Betracht, dass sie eine Nachzahlung von 3.560,14 EUR zahlen müsse. Da sie den Beigeladenen über sechs Jahre finanziell mit bedeutenden Beträgen unterstützt habe, müsse sich dieser an der Zusammenveranlagung festhalten lassen. Die Handhabung des Beklagten stehe im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -, nach der Anträge eines Ehegatten auf getrennte Veranlagung unwirksam seien, wenn dieser selbst keine eigenen Einkünfte habe oder wenn sie so gering seien, dass sie nicht zu einer Steuerveranlagung führen könnten oder wenn der Antrag auf getrennte Veranlagung wirtschaftlich oder steuerlich sinnlos sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Aufteilungsbescheide zur Einkommensteuer 2001 und 2002 vom 03.07.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.12.2006 ersatzlos aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, die angefochtenen Bescheide entsprächen den Vorschriften der §§ 268 ff. Abgabenordnung - AO -. Insbesondere seien nach § 276 Abs. 3 und 6 AO auch vor Fälligkeit der Nachzahlung geleistete Steuerabzugsbeträge in die Aufteilung einzubeziehen und demjenigen der beiden Gesamtschuldner zuzuordnen, für dessen Rechnung sie geleistet worden seien. So sei im Rahmen der angefochtenen Bescheide verfahren worden. Die angefochtenen Bescheide verstießen auch nicht gegen das Schikaneverbot, da der Beigeladene durch das Aufteilungsverfahren in den Genuss der Erstattung der von ihm abgeführten Steuerabzugsbeträge komme. Es stehe der Klägerin offen, einen Ausgleich über den Zivilrechtsweg zu suchen.
Dem Gericht haben je ein Band Lohnsteuer-, Arbeitnehmer- und Hinweisakten vorgelegen, die vom Beklagten für die Klägerin und den Beigeladenen unter der Steuernummer ... geführt werden.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht entscheidet entsprechend dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO - ohne mündliche Verhandlung, da der Rechtsstreit keiner weiteren Förderung durch eine mündliche Verhandlung bedarf.
Die Klage ist zulässig.
Die Klägerin hat in ausreichender Weise den Beklagten bezeichnet, da aus der in der Klageschrift angegebenen Steuernummer (...) erkennbar ist, dass es sich um einen Bescheid des Beklagten handelte. Im Übrigen hat sie in der Folge den Beklagten konkludent auch verbal bezeichnet.
Die Klage ist unbegründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 100 Abs. 1 und 2 FGO in ihren Rechten verletzt. Der Beklagte hat die der Klägerin und dem Beigeladenen zuzuordnenden Nachzahlungen und Erstattungen in den angefochtenen Bescheiden zutreffend festgesetzt.
Der Beklagte ist zutreffend von den in den Einkommensteuerbescheiden vom 06.04.2004 festgesetzten Abgabenforderungen zzgl. der Säumniszuschläge ausgegangen. Er hat daher keine Festsetzungen wie bei einer getrennten Veranlagung zugrunde gelegt, sondern die im Wege der Zusammenveranlagung ermittelten Beträge. Er hat lediglich für die Aufteilung der im Wege der Gesamtschuld geschuldeten Steuerbeträge fiktive getrennte Veranlagungen (Proberechnungen) vorgenommen und ausgehend von deren Ergebnis, die als Ergebnis der Zusammenveranlagung geschuldeten Beträge anteilig zugeordnet. Diese Vorgehensweise entspricht den in § 270 AO enthaltenen Regelungen.
Ferner hat sich der Beklagte zu Recht nicht darauf beschränkt, die in den Einkommensteuerbescheiden vom 06.04.2004 als rückständig ausgewiesenen Beträge aufzuteilen. Vielmehr war er nach § 276 Abs. 3 AO verpflichtet, die Steuerabzugsbeträge in die Aufteilung einzubeziehen, d.h., sie dem Gesamtschuldner zuzuordnen, für dessen Rechnung sie abgeführt worden waren. Dass es dabei zu einer Erstattung an einen der Gesamtschuldner kommen kann, wird vom Gesetzgeber in § 276 Abs. 6 Satz 2 AO ausdrücklich in Kauf genommen (ebenso die Lösung von Schwarz, AO, § 276 Rz. 20). Ferner ist es der Wille des Gesetzgebers, dass die Zahlungen des einen Gesamtschuldners nach Einleitung des Aufteilungsverfahrens nicht mehr dem anderen Gesamtschuldner zugute kommen (BFH, Urteil vom 12.01.1988 VII R 66/87, Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFHE- 152, 206, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1988, 406; Müller-Eiselt in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, AO, § 276 Rz. 12; Kruse in Tipke/Kruse, AO, § 276 Tz. 7; Klein/Brockmeyer, AO, 8. Auflage 2006, § 276 Rz. 4). Letztlich wird auf diese Weise die Wirkung der Steuerklassenwahl III / V rückgängig gemacht.
Entgegen der Auffassung der Klägerin war der Antrag auf Erlass eines Aufteilungsbescheids nicht wegen Verstoßes gegen das Schikaneverbot im Sinne des § 226 BGB unwirksam.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die von der Klägerin angeführten Urteile des BFH (vom 12.08.1977 VI R 61/75, BFHE 123, 172, BStBl II 1977, 870; vom 28.08.1981 VI R 139/78, BFHE 134, 412, BStBl II 1982, 156) nicht die Aufteilung von Gesamtschulden, sondern die Durchführung einer getrennten bzw. Zusammenveranlagung (also die Ebene des Festsetzungsverfahrens) betreffen. Diese Rechtsprechung kann nicht mit Erfolg auf den hiesigen Streitfall übertragen werden. Es kann dahinstehen, ob im Aufteilungsverfahren überhaupt Konstellationen denkbar sind, in denen ein Antrag auf Erlass eines Aufteilungsbescheids aus den gleichen Erwägungen rechtsmissbräuchlich sein könnte, wie es ein Antrag auf Durchführung einer getrennten Veranlagung in bestimmten Konstellationen sein kann. Denn im Streitfall liegt keine vergleichbare Konstellation vor.
Der Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es steuerlich anzuerkennende und nachvollziehbare Interessen des Beigeladenen gab, den hier streitigen Aufteilungsantrag zu stellen. Denn wie sich aus den angefochtenen Bescheiden ergibt, führt das Aufteilungsverfahren dazu, dass dem Beigeladenen Steuerabzugsbeträge in erheblicher Größenordnung erstattet werden. Es ist nicht Sache des Aufteilungsverfahrens darüber zu entscheiden, ob diese Beträge im Innenverhältnis zur Klägerin dem Beigeladenen zustanden.
Insoweit stand und ggf. steht es der Klägerin offen, im zivilgerichtlichen Verfahren auf den Kläger einzuwirken. Insbesondere stand es der auch anwaltlich vertretenen Klägerin offen, ein zivilgerichtliches Verfahren zu betreiben, das darauf abzielte, den Beigeladenen zur Rücknahme des Aufteilungsantrags zu verurteilen. Ein solches Verfahren hat die Klägerin nach Aktenlage bis heute nicht in Gang gesetzt. Überdies hat der Beigeladene in den Streitjahren Einkünfte erzielt und den Abzug von Steuerabzugsbeträgen hinnehmen müssen, die jeweils oberhalb einer Geringfügigkeitsschwelle gelegen haben (mindestens Einkünfte von 2.520,00 EUR bei einem Lohnsteuerabzug von mindestens 446,35 EUR und einem Solidaritätszuschlag von mindestens 22,49 EUR).
Die Kostenentscheidungen folgen aus §§ 135 Abs. 1, 139 Abs. 4 FGO.
Das Gericht hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil bisher höchstrichterlich nicht entschieden wurde, ob über den Wortlaut des § 276 Abs. 3 und 6 AO hinaus Grenzen für die Anwendung dieser Vorschrift bestehen.