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  • 01.02.2012

    Finanzgericht Hamburg: Beschluss vom 16.11.2011 – 2 V 173/11

    1. Im Rahmen der Ausübung des Auswahlermessens ist jeder Pflichtverstoß gesondert zu gewichten und zu bewerten.

    2. Eine bloße Vervielfältigung des Mindestsatzes pro Pflichtverletzung trägt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht hinreichend Rechnung.


    Tatbestand

    I.

    Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes.

    Die Antragstellerin ist ein Betrieb des ... Gewerbes und eingegliedert in den sogenannten A-Konzern, der mit mehreren rechtlich selbstständigen Betrieben ... Dienstleistungen anbietet.

    Der Antragsgegner hat Anfang 2010 mit einer Außenprüfung der Unternehmen des A-Konzerns begonnen, so auch bei der Antragstellerin für die Jahre 2003 bis 2007. Die Prüferin forderte die Antragstellerin Mitte Februar 2010 mit mehreren Faxschreiben auf, diverse Auskünfte zu erteilen und Unterlagen vorzulegen. Die Antragstellerin antwortete darauf fristgemäß mit Schreiben vom 04. März 2010. Zu diesem Zeitpunkt war die Prüferin erkrankt und musste deshalb die Prüfung längerfristig unterbrechen.

    Die Außenprüfung wurde Anfang März 2011 wieder aufgenommen. Die Prüferin war der Auffassung, dass die Antragstellerin ihr Auskunftsersuchen und die Bitte um Vorlagen von Unterlagen nicht vollständig erfüllt habe und forderte die Antragstellerin deshalb erneut mit Schreiben vom 9. März 2011 in aktualisierter Form auf, diverse Auskünfte zu erteilen und Unterlagen vorzulegen. Mit Schreiben vom 16. März 2011 verfügte die Prüferin, dass aufgrund des Wunsches nach vertraulicher Behandlung aller Unterlagen die Prüfung des A-Konzerns nur an Amtsstelle fortgeführt werde.

    Im Rahmen einer Besprechung beim Antragsgegner am 6. April 2011 wurde der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin mündlich von den Vertreterinnen des Antragsgegners aufgefordert, die aus ihrer Sicht ausstehenden Auskünfte und Unterlagen bis zum 26. Juni 2011 vorzulegen. Nachdem dies nicht erfolgt war, forderte der Antragsgegner die Antragstellerin mit Schreiben vom 06. Juli 2011 auf, zu insgesamt 11 Punkten Auskünfte zu erteilen und/oder Unterlagen vorzulegen. Hierfür wurde der Antragstellerin eine Frist bis zum 08. August 2011 gesetzt. Ihr wurde angekündigt, dass bei fruchtlosem Fristablauf unter Anwendung des § 146 Abs. 2b der Abgabenordnung (AO) ein Verzögerungsgeld in Höhe von jeweils 2.500 € für die Punkte 1, 2, 3, 4, 10 und 11, für die Punkte 5, 6 und 7 sowie für die Punkte 8 und 9, insgesamt also in Höhe von 7.500 €, festgesetzt werden würde.

    Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin nahm mit Schreiben vom 26. Juli 2011, beim Antragsgegner eingegangen am 03. August 2011, dazu Stellung und fügte in einem Schuhkarton unsortierte Belege für mehrere Steuerpflichtige des Konzerns bei.

    Nach Sichtung der Auskünfte und Belege kam die Prüferin zu dem Schluss, dass die Antragstellerin die angeforderten Auskünfte und Unterlagen nicht vollständig vorgelegt habe und setzte mit Bescheid vom 06. September 2011 unter Anwendung von § 146 Abs. 2b AO ein Verzögerungsgeld in Höhe von je 2.500 € für die Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten nach § 200 AO zu den Punkten 3 und 10, zu den Punkten 5 und 7 und zum Punkt 9 der Aufforderung vom 06. Juli 2011 fest. Insgesamt wurde ein Verzögerungsgeld in Höhe von 7.500 € festgesetzt. Von der Festsetzung sei abzusehen, wenn die Nichterfüllung der Pflichten entschuldbar erscheine oder ein Verschulden nur geringfügig sei. Derartige Gründe lägen nicht vor.

    Die Antragstellerin legte dagegen am 09. September 2011 Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung. Über den Einspruch ist noch nicht entschieden worden.

    Mit Bescheid vom 14. September 2011 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Es lägen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids vor und die Vollziehung habe keine unbillige Härte zur Folge. Das Entschließungs- als auch das Auswahlermessen seien ordnungsgemäß ausgeübt worden. Bei der Ausübung des Auswahlermessens habe er, der Antragsgegner, sich am Mindestbetrag für die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes von 2.500 € pro gebündeltem Punkt orientiert, deshalb sei insoweit keine Begründung erforderlich gewesen.

    Die Antragstellerin hat am 30. September 2011 bei Gericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, dass der Antragsgegner sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Sie habe im Januar 2011 die Geschäftsräume gekündigt und den Büroumzug eingeleitet. Die Unterlagen, die immer noch zur Weiterführung der Außenprüfung bereit gelegen hätten, seien in Kisten verpackt und zwischengelagert worden. Überraschend habe sich dann die Prüferin Mitte März 2011 aus längerer Krankheit zurückgemeldet. Der Antragsgegner habe es unterlassen, über die Unterbrechung/Fortführung der Betriebsprüfung zu unterrichten und verlange jetzt nach eingeleitetem Büroumzug Unterlagen. Hinsichtlich der Verlegung der Betriebsprüfung in die Räume des Finanzamtes stehe dem Antragsgegner keinen Ermessensspielraum zu, weil bei ihr, der Antragstellerin, ein geeigneter Raum zur Verfügung gestanden habe. Die Prüferin habe Unterlagen angefordert, die nicht hätten vorhanden sein können, weil es den Sachverhalt nicht gegeben habe. Sie habe die erteilten Auskünfte nur nicht verstanden.

    Zu Punkt 3 sei der Privatanteil anhand der Anschaffungskosten von 1991 ermittelt und seitdem jedes Jahr unverändert übernommen wurden. Die Berechnung von 1991 sei nicht mehr in den laufenden Unterlagen. Der Listenpreis des Pkws von 1991 sei nicht mehr zu beschaffen gewesen. Zu Punkt 10 sei das Mehrergebnis bereits vorher akzeptiert worden. Zu Punkt 5 sei die Auskunft erteilt worden. Die Prüferin habe nur nicht verstanden, dass eine im Jahr 2002 erbrachte Leistung nicht im Jahr 2003 als Erlös zu versteuern sei. Die Abwicklung ergebe sich aus der Buchführung. Zu Punkt 7 habe die Prüferin die Stundenaufzeichnungen erhalten. Für die Tätigkeit bei der Gesellschaft erhalte die Geschäftsführerin keine Bezüge. Zu Punkt 9 handele es sich nicht um weiterberechnete ... Dienstleistungen, sondern um die Weiterbelastung des anteiligen Geschäftsführer-Gehaltes. Auch der Tatbestand des § 146 Abs. 2b AO sei nicht erfüllt.

    Die Antragstellerin beantragt, die Vollziehung des Bescheides über die Festsetzung des Verzögerungsgeldes vom 06. September 2011 auszusetzen.

    Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.

    Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 146 Abs. 2b AO lägen vor. Es liege auch kein Ermessensfehler vor. An die Begründung des Entschließungsermessens seien keine zu strengen Anforderungen zu stellen. In diesem Zusammenhang sei zu beachten gewesen, dass aus dem Gesetz keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich seien, wonach ein Verzögerungsgeld erst bei äußerster Verletzung der Mitwirkungspflichten in Betracht kommen solle. Das nunmehrige Vorbringen der Antragstellerin im finanzgerichtlichen Verfahren sei für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Festsetzung nicht mehr relevant. Bezüglich der Höhe des festgesetzten Verzögerungsgeldes sei im Fall der Festsetzung des Mindestbetrages das Auswahlermessen nicht näher zu begründen.

    Gründe

    II.

    Der Antrag ist zulässig und begründet.

    Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen.

    Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Die Aussetzung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH-Beschluss vom 16. Juni 2011 IV B 120/10, BFH/NV 2011, 1549, BFH-Beschluss vom 06. November 2008 IV B 126/07, BStBl II 2009, 156). Die Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ergeht wegen dessen Eilbedürftigkeit aufgrund des Prozessstoffs, der sich aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere den Akten der Finanzbehörde und präsenten Beweismittel ergibt (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Juli 1994 IX B 78/94, BFH/NV 1995, 116).

    Daran gemessen, bestehen vorliegend ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides über die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes vom 06. September 2011.

    Nach § 146 Abs. 2b AO kann ein Verzögerungsgeld von 2.500 € bis 250.000 € festgesetzt werden, wenn ein Steuerpflichtiger der Aufforderung zur Rückverlagerung seiner elektronischen Buchführung oder seinen Pflichten nach § 146 Abs. 2a Satz 4 AO, zur Einräumung des Datenzugriffs nach § 147 Abs. 6 AO, zur Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage angeforderter Unterlagen im Sinne des § 200 Abs. 1 AO im Rahmen einer Außenprüfung innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist nach Bekanntgabe durch die zuständige Finanzbehörde nicht nachkommt oder er seine elektronische Buchführung ohne Bewilligung der zuständigen Finanzbehörde ins Ausland verlagert. Ein Verzögerungsgeld kann somit auch dann verhängt werden, wenn ein Steuerpflichtiger einer Aufforderung des Finanzamtes zur Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage von Unterlagen im Sinne von § 200 Abs. 1 AO im Rahmen einer Außenprüfung innerhalb einer angemessenen Frist nicht nachkommt (vgl. BFH-Beschluss vom 16. Juni 2011 IV B 120/10, a. a. O.; Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 01.02.2011 3 K 64/10 EFG 2011, 846). Deswegen ist der Anwendungsbereich des § 146 Abs. 2b AO vorliegend eröffnet.

    Nach summarischer Prüfung ist der Tatbestand des § 146 Abs. 2b AO vorliegend erfüllt. Der Antragsgegner durfte die mit Schreiben vom 06. Juli 2011 konkretisierte Aufforderung zur Erteilung von Auskünften und Vorlage von Unterlagen an Amtsstelle bis zum 08. August 2011 erlassen. Die Aufforderung erfolgte im Rahmen einer Außenprüfung.

    Die Antragstellerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass die in § 200 Abs. 1 AO genannten Unterlagen im Regelfall in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen vorzulegen sind. In § 200 Abs. 2 Satz 1 AO ist ein Vorrang der Prüfung in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen statuiert (vgl. BFH-Beschluss vom 15.05.2009 IV B 24/09, BFH/NV 2009, 1402). Soweit ein geeigneter Geschäftsraum vorhanden ist, steht dem Finanzamt bei der Auswahl des Prüfungsortes kein Ermessensspielraum zu (vgl. BFH-Beschluss vom 05.10.1994 I S 10/94, BFH/NV 1995, 469). Die Festlegung des Prüfungsorts ist allerdings ein selbstständiger, vollziehbarer Verwaltungsakt (vgl. BFH-Urteil vom 24.02.1989 III R 36/88, BStBl II 1989, 445; BFH-Beschluss vom 15.05.2009, IV B 24/09, a. a. O.). Die Prüferin hat den Prüfungsort bei den Betrieben des A-Konzerns mit Verwaltungsakt vom 16. März 2011 dahingehend bestimmt, dass die Prüfung an Amtsstelle fortgeführt werden soll. Dieser Verwaltungsakt ist von der Antragstellerin - soweit ersichtlich - weder angefochten, noch ist seine Vollziehung ausgesetzt worden. Die Antragstellerin war deshalb - unabhängig davon, ob bei ihr geeignete Räumlichkeiten vorhanden waren oder nicht - verpflichtet, die angeforderten Unterlagen beim Antragsgegner vorzulegen.

    Unabhängig von der Frage, ob es sich bei der Aufforderung vom 06. Juli 2011 um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 118 AO handelt, wofür der Hinweis auf die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes spricht, war die Aufforderung von der Antragstellerin zu befolgen. Sie stellt eine Konkretisierung der Mitwirkungspflichten im Außenprüfungsverfahren nach § 200 Abs. 1 AO dar.

    Die Fristsetzung bis zum 08. August 2011 war angemessen. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin nach Wiederaufnahme der Prüfung durch die Prüferin bereits ab März 2011 mehrfach zur Erteilung der Auskünfte und Vorlage der Unterlagen aufgefordert worden war. Die Antragstellerin hatte damit mehrere Monate Zeit, die prüfungsrelevanten Auskünfte und Unterlagen zusammenzustellen.

    Nach summarischer Prüfung dürfte der Antragsgegner zutreffend davon ausgegangen sein, dass die Antragstellerin innerhalb der eingeräumten Frist jedenfalls nicht alle Auskünfte erteilt und Unterlagen vorgelegt hat. So war etwa unter Punkt 9 der Aufforderung vom 06. Juli 2011 Folgendes aufgeführt:

    „Die den B-Rechnungen beigefügten Stundenaufstellungen, die der Prüferin bei Einsichtnahme in die Rechnungen nicht zur Verfügung gestellt wurden. (Bei unserer Besprechung an Amtsstelle am 06.04.2011 wurde Herrn C als Beispiel dazu die Kopie der Rechnung Nr. XXX vom 30.06.2007 über einen Betrag von 3.000 € überreicht.)”

    Hierzu wurde - nach Aktenlage unstreitig - lediglich die Stundenaufstellung zu einer B-Rechnung vorgelegt, obwohl der Antragstellerin angesichts des insoweit eindeutigen Wortlauts der Aufforderung vom 06. Juli 2011 klar sein musste, dass die Stundenaufstellungen für alle B-Rechnungen angefordert worden waren. Soweit die Antragstellerin dazu mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2010 - soweit ersichtlich erstmalig - vorträgt, dass es sich nicht um weiter berechnete ... Dienstleistungen, sondern um die Weiterbelastung des anteiligen Geschäftsführer-Gehaltes handele, und sich der Sachverhalt deshalb anders als von der Prüferin vermutet dargestellt habe, ändert dies nichts daran, dass die Antragstellerin die der Sachaufklärung dienende Aufforderung des Antragsgegners nicht fristgemäß erfüllt hat. Eine Erfüllung der Mitwirkungspflichten nach Ablauf der hierfür festgesetzten Frist hindert nicht die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes. § 335 AO ist weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar (vgl. Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 01. Februar 2011 3 K 64/10, a. a. O.).

    Die Festsetzung des Verzögerungsgeldes ist nach summarischer Prüfung indes ermessensfehlerhaft. Nach § 146 Abs. 2b AO „kann” ein Verzögerungsgeld von 2.500 € bis 250.000 € festgesetzt werden. Es handelt sich somit um eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde, die zunächst entscheiden muss, ob sie ein Verzögerungsgeld festsetzt („Entschließungsermessen”) und auf der nächsten Stufe in welcher Höhe („Auswahlermessen”). Die Ermessensentscheidung der Finanzbehörde ist gemäß § 102 FGO gerichtlich nur eingeschränkt dahingehend überprüfbar, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.

    Das Entschließungsermessen ist nicht dergestalt vorgeprägt, dass eine Verletzung der Mitwirkungspflicht im Rahmen der Außenprüfung zur Festsetzung eines Verzögerungsgeldes regelmäßig ausreicht und insbesondere Verschuldensaspekte beim Entschließungsermessen nicht zu berücksichtigen sind. In das Entschließungsermessen sind vielmehr alle entscheidungserheblichen Umstände einzubeziehen, insbesondere Verschuldensaspekte, auch wenn dies, anders als etwa beim Verspätungszuschlag nach § 152 AO, im Tatbestand des § 146 Abs. 2b AO nicht genannt wird. Eine Beschränkung der Ermessensgesichtspunkte ist § 146 Abs. 2b AO nicht zu entnehmen. Allerdings sind an die nach § 121 AO erforderliche Begründung des Entschließungsermessens keine zu strengen Anforderungen zu stellen. Insbesondere braucht in der Ermessensentscheidung dann nicht auf den Steuerpflichtigen entlastende Umstände eingegangen zu werden, wenn die dementsprechende Bewertung der Finanzbehörde dem Steuerpflichtigen bereits vorher bekannt gemacht wurde (vgl. Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 01. Februar 2011 3 K 64/10, a. a. O.).

    Vorliegend kann aus dem Bescheid vom 06. September 2011 entnommen werden, dass der Antragsgegner sein Entschließungsermessen erkannt und ausgeübt hat. Er ist dort auf Verschuldungsgesichtspunkte - wenn auch nur formelhaft - eingegangen und hat insoweit entlastende Gesichtspunkte nicht für gegeben erachtet. Dies ist bei summarischer Prüfung zutreffend. Ob darüber hinaus noch weitere Gesichtspunkte in den Ermessenserwägungen zu berücksichtigen gewesen wären, etwa der Umfang der Auskunfts- und Vorlageverpflichtung und die teilweise Erfüllung durch die Antragstellerin oder der Umfang der eingetretenen Verzögerung, kann vorliegend dahingestellt bleiben, weil jedenfalls ernstliche Zweifel daran bestehen, dass der Antragsgegner sein Auswahlermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat.

    Er hat ein Verzögerungsgeld von insgesamt 7.500 € festgesetzt und die Festsetzung mit der Nichterfüllung von mehreren Punkten der Anforderung vom 06. Juli 2011 (teilweise gebündelt) verknüpft, für die jeweils der Mindestbetrag des Verzögerungsgeldes von 2.500 € angesetzt wurde. Im Bescheid vom 06. September 2011 ist dazu ausgeführt worden, dass ein Verzögerungsgeld in Höhe von je 2.500 € für die Nichterfüllung von drei (teilweise gebündelten) Punkten festgesetzt werde. Im Bescheid über die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung vom 14. September 2011 führt der Antragsgegner aus, dass er sich bei der Ausübung des Auswahlermessens am Mindestbetrag für die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes von 2.500 € pro (gebündelten) Punkt orientiert habe. Deshalb sei keine Begründung der jeweiligen Ausübung des Auswahlermessens erforderlich gewesen.

    Dies begegnet rechtlichen Bedenken. Diese - auf die einzelne (oder gebündelte) Pflichtverletzung bezogene - eigenständige Festlegung eines Verzögerungsgeldes in Höhe des Mindestbetrags und die damit verbundene tatbestandliche Vervielfältigung dürfte weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck des § 146 Abs. 2b AO zu entnehmen sein. Der Gesetzgeber hat durch die Aufzählung diverser Pflichtverletzungen i. V. m. der Umschreibung „oder” im Tatbestand der Vorschrift zum Ausdruck gebracht, dass die Finanzbehörde ein Verzögerungsgeld festsetzen kann, wenn der Steuerpflichtige zumindest eine der genannten Pflichten verletzt. Selbstverständlich kann die Finanzbehörde auch dann ein Verzögerungsgeld festsetzen, wenn der Steuerpflichtige gleich mehrere Pflichten verletzt. In diesen Fällen sind die Verstöße des Steuerpflichtigen aber im Rahmen des Auswahlermessens zu gewichten und zu bewerten. Die lediglich tatbestandliche Vervielfältigung des Mindestsatzes pro Pflichtverletzung begegnet dagegen ernstlichen rechtlichen Zweifeln (vgl. Hessisches FG Beschluss vom 08. August 2011 8 V 1281/11, StE 2011, 647; a. A. BMF-Schreiben vom 22.04.2010, DStR 2011, 676; Gebbers, Die steuerliche Betriebsprüfung 2009, S. 162, 168).

    Es ist zwar zutreffend, dass bei der Festsetzung des Mindestbetrages das Auswahlermessen keiner Begründung bedarf (vgl. Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 01.02.2011 3 K 64/10, a. a. O.; so wohl auch BFH-Beschluss vom 28.06.2011 X B 37/11, BFH/NV 2011, 1833). Eine bloße Vervielfältigung des Mindestsatzes für jeden Pflichtenverstoß, ohne eine Bewertung seines Gewichts im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Höhe des (insgesamt) festgesetzten Verzögerungsgelds, trägt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aber nicht hinreichend Rechnung (vgl. Hessisches FG Beschluss vom 08. August 2011 8 V 1281/11, a. a. O.). Deshalb fehlt es hier an einer rechtmäßigen Ausübung des Auswahlermessens. Dies gilt vorliegend umso mehr, als von der Prüferin ohne nähere Erläuterungen die Nichterfüllung von einzelnen Aufforderungen im Rahmen der Verzögerungsgeldfestsetzung gebündelt worden ist. So kann nicht nachvollzogen werden, wie die einzelnen Pflichtverstöße vom Antragsgegner bewertet worden sind. Dieser hat allerdings die Möglichkeit, im Einspruchsverfahren die bisher unterlassenen Ermessenserwägungen nachzuholen.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Beschwerde war nicht zuzulassen, weil keinerlei Gründe des § 115 Abs. 2 FGO gegeben sind (§ 128 Abs. 3 FGO).

    Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 128 Abs. 3 FGO).

    VorschriftenAO § 146 Abs. 2b, AO § 200 Abs. 1