09.11.2012 · IWW-Abrufnummer 123360
Finanzgericht Münster: Urteil vom 05.09.2012 – 12 K 1948/11 E
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
12 K 1948/11 E
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger (Kl) und seine Ehefrau leben seit März 2002 dauernd getrennt. Der Kl leistet an seine Ehefrau seitdem Barunterhalt und machte die Zahlungen als Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG)) geltend. Der Beklagte (Bekl) berücksichtigte die Zahlungen in den Vorjahren als Sonderausgaben.
Die Ehefrau hatte dem Realsplittung zugestimmt, zuletzt mit einer am 30. Dezember 2009 unterzeichneten Anlage U. Die Zustimmungserklärung war durch die Ehefrau nicht widerrufen worden.
Der steuerlich beratene Kl reichte seine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2007 im März 2010 elektronisch (ELSTER-Verfahren) ein. Dabei wurden mit den elektronisch übermittelten Daten keine Unterhaltszahlungen geltend gemacht. Die dem Bekl postalisch übersandten Unterlagen enthielten keine Anlage U.
Der Bekl setzte die Einkommensteuer 2007 mit formell bestandskräftigem Bescheid vom 20. April 2010 auf X EUR ohne Ansatz der Unterhaltszahlungen fest. Der Bescheid wurde dem Prozessbevollmächtigten als Empfangsbevollmächtigtem gegenüber bekannt gegeben.
Ende August 2010 machte der Kl die Unterhaltszahlungen gegenüber dem Bekl geltend und begehrte die Änderung der Festsetzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) oder § 129 AO.
Der Bekl lehnte eine Änderung ab. Der dagegen gerichtete Einspruch war erfolglos.
Mit seiner Klage begehrte der Kl weiterhin die Änderung des Einkommensteuerbescheids. Die Einkommensteuererklärung sei mit dem Einkommensteuerprogramm für 2007 der DATEV (Version 11.3) erstellt und elektronisch übermittelt worden. In der Bildschirmansicht der bei der Datenübernahme aus 2006 in 2007 erstellten Daten sei der Unterhaltsbetrag von X EUR in der Anlage U im Feld „Barleistungen“ angezeigt worden. Die fertig gestellte Erklärung habe weder im Zeitpunkt der Erstellung noch bei Übermittlung an die Finanzverwaltung Anlass zu einer Überprüfung gegeben, ob die übermittelten Daten von den angezeigten Daten abwichen.
Eine Änderung sei nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO möglich. Der Antrag sei nicht fristgebunden. Er könne auch nach Bestandskraft gestellt werden. Durch den Antrag und die Zustimmung ändere sich der Rechtscharakter der Zahlungen. Aus der Rechtsprechung des BFH folge nicht, dass der Antrag nur dann ein rückwirkendes Ereignis darstelle, wenn auch die Zustimmung erst nachträglich, nach Bestandskraft, erteilt werde.
Eine Änderung sei auch nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO möglich. Ein grobes Verschulden liege nicht vor. Ein Abgleich der durch die Finanzverwaltung elektronisch übermittelten Daten mit den bei elektronischer Abgabe der Steuererklärung übermittelten Daten habe keinerlei Abweichungen erkennen lassen. Eine abschließende Kontrolle erfolge heutzutage elektronisch durch Bildschirmansicht. Ein ausgedrucktes Exemplar der Steuererklärung existiere in vielen Fällen nicht mehr. Erst auf Nachfrage bei der DATEV bei Erstellung der Erklärung für 2008 sei das DATEV-Dokument 1015067 bekannt geworden, in dem auf den Fehler hingewiesen worden sei. Die Datenbank enthalte mehrere tausend Dokumente. Keinem Berater sei die Kenntnis einer derartigen Datenbank zuzumuten.
Der Kl beantragt,
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 2. September 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Mai 2011 den Einkommensteuerbescheid 2007 vom 20. April 2010 abzuändern und Sonderausgaben i. H. v. X EUR zu berücksichtigen,
hilfsweise, im Fall des Unterliegens,
die Revision zuzulassen.
Der Bekl beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, im Fall des Unterliegens,
die Revision zuzulassen.
Der Bekl macht geltend, die Zustimmung der Ehefrau habe seit 2004 vorgelegen. Eine Änderung nach § 175 AO scheide aus. Der Antrag entfalte keine Rückwirkung. Eine Anwendung von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erfolge in Fällen der nachträglich erstrittenen Zustimmung. Ein solcher Fall sei nicht gegeben.
Einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO stehe ein grobes Verschulden entgegen. Unterhaltszahlungen seien bereits seit 2004 geltend gemacht worden. Insoweit hätte bei routinemäßiger Überprüfung des Steuerbescheids auffallen können und müssen, dass anstelle eines Unterhaltsbetrags von X EUR nur der Sonderausgaben-Pauschbetrag i. H. v. 36 EUR angesetzt worden sei. Zudem obliege es dem steuerlichen Berater, die verwendete Software regelmäßig auf eine eventuelle Fehlerhaftigkeit zu prüfen. Auch hätte dem Kl selbst beim Unterschreiben der Steuererklärung auffallen können, dass eine Eintragung zu den Unterhaltsleistungen nicht erfolgt sei. Unterschreibe ein Steuerpflichtiger die von seinem Steuerberater erstellte Steuererklärung ohne angemessene Prüfung der gemachten Angaben, handele er grob schuldhaft.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
Der Senat hat in der Sache am 5. September 2012 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet. Der Kl hatte keinen Anspruch auf Änderung der bestandskräftigen Festsetzung der ESt 2007 unter Ansatz von Unterhaltszahlungen als Sonder-ausgaben.
1. Änderung nach § 129 AO
Eine Änderung des Einkommensteuerbescheids nach § 129 AO kommt nicht in Betracht.
Nach § 129 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit (innerhalb der Verjährungsfrist) berichtigen. Das setzt grundsätzlich voraus, dass der Fehler in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist.
Offenbar ist eine Unrichtigkeit, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist. Das Tatbestandsmerkmal "ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" setzt voraus, dass die Unrichtigkeit einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich ist, d.h. dass es sich um einen "mechanischen" Fehler handelt, der ebenso "mechanisch", also ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden kann (BFH-Urteile vom 12. April 1994 IX R 31/91, BFH/NV 1995, 1, und vom 29. März 1990 V R 27/85, BFH/NV 1992, 711, m.w.N.).
Nach der Rechtsprechung des BFH, liegt grundsätzlich keine offenbare Unrichtigkeit vor, wenn sie für den zuständigen Sachbearbeiter des FA nur erkennbar gewesen wäre, wenn er die Steuererklärung eines Vorjahres bei der Veranlagung der Streitjahre zugezogen hätte (vgl. BFH-Urteil vom 14. Februar 1995 IX R 101/93, BFH/NV 1995, 1033). Soweit die Finanzbehörde auf Akten des Vorjahres zurückgreifen muss, liegt eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter jedoch unterlassene Sachverhaltsermittlung vor, die kein mechanisches Versehen ist. In solchen Fällen hat das Finanzamt zwar möglicherweise seine Amtsermittlungspflicht verletzt; diese Pflichtverletzung ist aber nicht mit einer offenbaren Unrichtigkeit gleichzusetzen (BFH-Urteil vom 25. Februar 1972 VIII R 141/71, BFHE 105, 234, BStBl II 1972, 550); sie schließt vielmehr in der Regel eine offenbare Unrichtigkeit aus (BFH-Urteil in BFHE 146, 350, 355, BStBl II 1986, 541, 544).
Nach diesen Rechtsgrundsätzen kann in dem Nichtansatz von Unterhaltszahlungen als Sonderausgaben keine offenbare Unrichtigkeit gesehen werden. Die Unrichtigkeit wurde durch einen Übermittlungsfehler verursacht, welcher dazu führte, dass weder der von dem Bekl verarbeitete Datensatz Unterhaltszahlungen enthielt noch der ausgedruckten und übersandten Steuererklärung eine Anlage U mit entsprechenden Angaben beigefügt war. Der Fehler ist - gleich ob er bei der Erfassung oder Übermittlung der Daten erfolgt ist - dem Verantwortungsbereich des Kl oder des von ihm beauftragten Steuerberaters zuzurechnen und nicht der Sphäre des Bekl. Ob der Umstand, dass der Kl in den Vorjahren ebenfalls Barunterhalt i. H. v. X EUR als Sonderausgaben geltend gemacht hat, eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht des Bekl zu begründen vermag, kann dahin gestellt bleiben, da sich die Unrichtigkeit nicht aus den elektronisch übermittelten Daten oder der im Nachgang übersandten unterschriebenen Steuererklärung ergab. Eine Anlage U, welche eine Unstimmigkeit zwischen den elektronisch übermittelten Daten und den angefallenen und zum Abzug geltend zu machenden Aufwendungen offenbar hätte werden lassen können, ist dem Bekl unstreitig nicht zugegangen. Die Unrichtigkeit hätte erst unter Einbeziehung der Steuerakten der Vorjahre offenbar werden können, was für eine Anwendung des § 129 AO nicht ausreicht (vgl. BFH-Urteile vom 27. Mai 2009 X R 47/08, BFHE 226, 8, BStBl II 2009, 946; vom 25. Februar 1972 VIII R 141/71, BFHE 105, 234, BStBl II 1972, 550M; Seer, in Tipke/Kruse, § 129 AO Rnm. 14 m. w. N.)
2. Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO
Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
Ein rückwirkendes Ereignis im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn sich nach Ergehen eines Steuerbescheids der rechtserhebliche Sachverhalt in der Weise ändert, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (BFH-Urteil vom 28. Juni 2006 Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C.II.1.b der Gründe). Ob ein Ereignis ausnahmsweise in die Vergangenheit zurückwirkt, richtet sich nach den Normen des materiellen Steuerrechts (vgl. z.B. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C.II.1.c der Gründe; BFH-Urteile vom 12. Juli 1989 X R 8/84, BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957; vom 3. März 2005 III R 22/02, BFHE 209, 454, BStBl II 2005, 690).
Nach dem BFH-Urteil vom 12. Juli 1989 (X R 8/84, BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957) ist ein Einkommensteuerbescheid gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern, wenn erst nach Eintritt der Bestandskraft sowohl die Zustimmung zur Anwendung des Realsplitting erteilt als auch der Antrag nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG gestellt wird. Der X. Senat des BFH führte zur Begründung aus, der Antrag i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG sei nicht nur Verfahrenshandlung, sondern --in sachlich untrennbarem Zusammenhang mit der Zustimmung des Unterhaltsempfängers-- selbst Merkmal des gesetzlichen Tatbestands. Er wirke rechtsgestaltend auf die Steuerschuld ein, weil er die einkommensteuerrechtliche Qualifikation der Unterhaltsleistungen verändere; Unterhaltsleistungen, die nach § 12 Nr. 2 EStG --vom Ausnahmefall der §§ 33a, 33 EStG abgesehen-- unbeachtlich seien, würden bis zu der in § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG genannten Höchstgrenze zu abziehbaren Sonderausgaben. Der Antrag wirke nachträglich auf die Steuerschuld ein, weil er der objektiven Tatbestandsverwirklichung --der Leistungsbewirkung an den geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten-- zeitlich notwendigerweise nachfolge. Die Rückwirkung des rechtsgestaltenden Antrags nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG in die Vergangenheit ergebe sich aus der Erwägung, dass die in dieser Vorschrift geforderte Zustimmung des Leistungsempfängers in typischen Fällen erst nachträglich erteilt werde. Das Gesetz sehe für den Antrag keine Frist vor und eine solche ergebe sich auch nicht aus allgemeinen Grundsätzen. Da sich die Erlangung der für die Tatbestandsverwirklichung erforderlichen Zustimmung schwierig gestalten könne, würde es eine unzumutbare Schwächung der Position der Unterhaltsleistenden bedeuten, wenn man ihn zur Wahrung der Abzugsmöglichkeit darauf verweisen wollte, einen nicht zurücknehmbaren Antrag (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG) beim FA zu stellen, ohne dass die Zustimmung des Empfängers vorliege. Es reiche nicht aus, den Steuerpflichtigen zur Wahrung seiner Rechte darauf zu verweisen, eine teilweise vorläufige Steuerfestsetzung (§ 165 AO) zu beantragen.
Der XI. Senat des BFH urteilte am 28. Juni 2006 (XI R 32/05, BFHE 214, 314, BStBl II 2007, 5), dass nach Bestandskraft auch ein erweiterter Antrag möglich sei, welcher in Verbindung mit einer erweiterten Zustimmungserklärung der Ehefrau ein rückwirkendes Ereignis darstelle. Dabei berief sich der XI. Senat auch für den Fall der nachträglichen (betragsmäßigen) Erweiterung auf die Erwägungen des X. Senats, da sich die rechtsgestaltende Wirkung des Antrag und der Zustimmung zuvor nur auf einen Teilbetrag erstreckt hätten. Nach Ansicht des XI. Senats sei die Rechtsprechung des X. Senat auch nicht durch die Neuregelung des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG durch das Gesetz zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus und zur Ergänzung des Steuerreformgesetzes 1990 (Wohnungsbauförderungsgesetz) vom 22. Dezember 1989 (BGBl I 1989, 2408, BStBl I 1989, 505) überholt. Danach bleibt die Zustimmung des Empfängers der Unterhaltsleistungen --mit Ausnahme der nach § 894 Abs. 1 der Zivilprozessordnung als erteilt geltenden-- bis auf Widerruf wirksam; der Widerruf muss nach Satz 4 vor Beginn des Kalenderjahrs gegenüber dem FA erklärt werden. Zwar habe der Gesetzgeber dadurch die Position des Unterhaltsleistenden verbessert, der sich bei Vorliegen einer Zustimmungserklärung nicht jedes Jahr erneut um die Zustimmung bemühen müsse. Jedoch bleibe die Lage eines Unterhaltsleistenden ohne Zustimmungserklärung davon unberührt.
In der Literatur wird unter Berufung auf die vorgenannten Entscheidungen teilweise vertreten, dass ein nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids gestellter Antrag ein rückwirkendes Ereignis i. S. v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sei (Hutter, in Blümich, § 10 EStG Rn. 76; Söhn, in Kirchhof/Söhn/Mellinghof, § 10 Anm. C 62 m. w. N.). Dies gelte auch in dem hier vorliegenden Fall, dass die Zustimmungserklärung des Unterhaltsempfängers bereits vorlag und nicht nachträglich erwirkt werden musste (Kirchhof/Söhn/Mellinghof, § 10 Anm. C 62 m. w. N.; ebenso FG Köln Urteil vom 27. April 1995 2 K 3854/94, EFG 1995, 893 für die Frage der Änderbarkeit der bestandskräftigen Festsetzung beim Unterhaltsempfänger nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO).
Dagegen wird eingewandt, dass das entscheidende Element der nachträglichen Umgestaltung des entscheidungserheblichen Sachverhalts nicht der Antrag als Verfahrenshandlung, sondern die Zustimmungserklärung des unterhaltsberechtigten Ehegatten sei, welche in den vom BFH entschiedenen Fällen erst nachträglich erteilt worden sei (von Groll, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 175 Anm. 65 a. E.).
Der Senat sieht in Fällen einer in der Vergangenheit erteilten und für den Veranlagungszeitraum fortgeltenden Zustimmungserklärung kein Bedürfnis für eine Rückwirkung des erst nach Eintritt der Bestandskraft gestellten Antrags.
Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Antrag ebenso wie die Zustimmung zum Tatbestand des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG zählen. Dieser Umstand rechtfertigt jedoch nur, den Antrag wie die Zustimmung als Ereignis i. S. v. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu qualifizieren, ohne die Frage zu beantworten, in welchen Fällen der Antrag als Verfahrenshandlung (Wahlrechtsausübung) steuerliche Rückwirkung entfalten kann und in welchen nicht.
Der BFH hat in seinen beiden Entscheidungen das aus dem materiellen Recht abzuleitende Bedürfnis für eine Rückwirkung im Wesentlichen aus der Situation eines Unterhaltsverpflichteten bei noch fehlender Zustimmungserklärung abgeleitet, da dieser einen Antrag ohne Anerkennung der Rückwirkung vor Erteilung der Zustimmung des Empfängers hätte stellen müssen. Dies sah der BFH aufgrund der Bindungswirkung zu Recht als nicht zumutbar an und verwarf auch die Möglichkeit, den Steuerpflichtigen auf einen Antrag auf teilweise vorläufige Festsetzung zu verweisen.
Bei Vorliegen einer wirksamen Zustimmungserklärung kann das Bedürfnis für eine Rückwirkung des Antrags nach der Gesetzesänderung seit dem Jahr 1990 jedoch nicht mit der zutreffenden Argumentation des BFH in Fällen der fehlenden Zustimmungserklärung begründet werden. Vielmehr hat es der Steuerpflichtige bei erteilter Zustimmung selbst in der Hand, die Antragstellung vor Eintritt der Bestandskraft zu bewirken, sei es, dass er den Antrag mit der Steuererklärung stellt oder --sollte dies aus welchen Gründen auch immer nicht geschehen sein-- dass er diesen Antrag entweder im Rahmen eines Einspruchsverfahrens oder durch schlichten Änderungsantrag nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst a AO nachholt. Die Notwendigkeit einer Antragstellung vor Bestandskraft der Festsetzung der Einkommensteuer des betreffenden Jahres stellt insbesondere keine unzumutbare Belastung des Unterhaltsverpflichteten dar.
Wird der Antrag nicht vor Bestandskraft gestellt, besteht nach materiellem Recht kein Bedürfnis für eine Rückwirkung. Der Umstand, dass Unterhaltszahlungen geleistet wurden, welche bei Antragstellung auch als Sonderausgaben hätten abgesetzt werden müssen, rechtfertig bei wertender Betrachtung keine Rückwirkung des Antrags zur Durchbrechung der Bestandskraft. Bei der wertenden Betrachtung ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die Stellung des Unterhaltsleistenden durch die Fortwirkung der einmal erteilten Zustimmung für die Folgejahre entscheidend verbessert hat, so dass es nur noch auf dessen Antrag ankommt. Versäumt er dies, rechtfertigt dies keine heilende Rückwirkung der zuvor versäumten Antragstellung.
3. Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO.
Zuletzt kommt eine Änderung auch nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO in Betracht.
Danach sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen und Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.
Eine Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO scheitert bereits daran, dass es sich bei dem Antrag als Tatbestandselement des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht um eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache handelt, sondern um eine nachträglich entstandene Tatsache.
Im Übrigen ist dem Kläger ein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden der geleisteten Unterhaltszahlungen als nachträglich bekannt gewordene Tatsache entgegen zu halten.
Grobes Verschulden i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (BFH-Urteil vom 3. Februar 1983 IV R 153/80, BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324). Ein grobes Verschulden liegt vor, wenn der Steuerpflichtige seine Erklärungspflicht schlecht erfüllt, indem er unzutreffende oder unvollständige Erklärungen abgibt (BFH-Urteile in BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324; vom 28. Juni 1983 VIII R 37/81, BFHE 139, 8, BStBl II 1984, 2, und vom 29. Juni 1984 VI R 181/80, BFHE 141, 232, BStBl II 1984, 693). Das Verschulden eines steuerlichen Beraters ist dem Steuerpflichtigen zuzurechnen (BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 641; Rüsken in Klein, AO, Kommentar, 10. Auflage 2009, § 173 AO Rn. 125).
Bei der Prüfung der Frage, ob den Steuerpflichtigen oder seinen Berater ein grobes Verschulden daran trifft, dass dem FA Tatsachen i.S. des § 173 Abs.1 Nr. 2 AO erst nachträglich bekanntgeworden sind, ist auch der Zeitraum mit einzubeziehen, in dem ein Einkommensteuerbescheid oder ein den Vorbehalt der Nachprüfung aufhebender Steuerbescheid noch anfechtbar, die Bestandskraft bzw. Rechtskraft des Bescheides also noch nicht eingetreten ist.
Insoweit kann dahin stehen, ob der Umstand, dass --bei unterstellter korrekter Bedienung der DATEV-Software bei der Datenübernahme aus 2006-- die Unterhaltsaufwendungen durch die Software nicht korrekt erfasst oder übermittelt wurden und ob darin nur ein leichtes Verschulden des Steuerberaters gesehen werden kann. Jedenfalls hätte sich bei der von einem Steuerberater zu erwartenden sorgfältigen Prüfung des Steuerbescheids aufdrängen müssen, dass die --bereits in den Vorjahren geltend gemachten-- Unterhaltsaufwendungen nicht berücksichtigt wurden.
Nicht gefolgt werden kann dem Prozessbevollmächtigten, dass eine Prüfung der elek-tronisch bereit gestellten Daten ausreicht, so dass eine unterbliebene Prüfung des Steuerbescheids selbst kein grobes Verschulden begründet. Solange die Festsetzung durch einen Steuerbescheid in Papierform erfolgt und nicht durch einen elektronischen Steuerbescheid, ist auch der Steuerbescheid in Papierform und die darin angesetzten Besteuerungsgrundlagen auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu prüfen. Vorliegend hätte ohne Detailprüfung auffallen können und müssen, dass anstelle der bereits in den Vorjahren geltend gemachten Unterhaltsaufwendungen in Höhe des Maximalbetrags nur der Sonderausgaben-Pausbetrag angesetzt worden war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage einer Rückwirkung eines nach Bestandskraft gestellten Antrags auf Realsplittung bei zuvor bereits vorliegender Zustimmungserklärung des Ehegatten zuzulassen.