· Fachbeitrag · Lohnfortzahlung
BAG bejaht Entgeltfortzahlung bei behördlicher Absonderungsanordnung wegen Corona-Infektion
von Rechtsanwältin Karin Sültrop, LL.M., Osborne Clarke, Köln
| Muss der Arbeitgeber im Falle einer Absonderungsanordnung für die Lohnfortzahlung aufkommen, wenn ein Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung aufgrund einer Quarantäne nicht erbringen konnte? Mit dieser Frage hat sich das BAG in einer Grundsatzentscheidung befasst und das Verhältnis von § 3 EFZG zu § 56 IfSG geklärt. |
Auch bei symptomloser Infektion greift Entgeltfortzahlung
In § 3 Abs. 1 EFZG heißt es: Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.
Lange war umstritten, ob § 3 Abs. 1 EFZG auch den Fall erfasst, in dem ein Arbeitnehmer zwar infiziert ist und einer Absonderungsanordnung unterliegt, aber keine Krankheitssymptome aufweist und seine Arbeit nur vor Ort verrichten kann. Das BAG hat diese Frage geklärt: Der Arbeitgeber muss den Lohn fortzahlen (BAG, Urteil vom 20.03.2024, Az. 5 AZR 234/23, Abruf-Nr. 241166).
BAG bejaht Kausalität zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit
Das BAG stellte zunächst knapp fest, dass
- eine SARS-CoV-2-Infektion einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit darstellt;
- Arbeitsunfähigkeit auch vorliegt, wenn ein Arbeitnehmer aus rechtlichen Gründen seine Leistung nicht erbringen kann; es sei auch bei einer Absonderungsanordnung „aus krankheitsbedingten Gründen rechtlich unmöglich“, da ein Verstoß gegen die Absonderungsanordnung bußgeld- und strafbewährt ist. Damit bejahte das BAG auch die Kausalität zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit;
- auch hier die Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung war. Der Kausalzusammenhang bestehe, da die Absonderungsanordnung eine unmittelbare Folge der Erkrankung sei.
Subsidiarität des § 56 Abs. 1 IfSG ‒ bei Krankheit kein Verdienstausfall
Das BAG betonte, dass der Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG nachrangig sei. Dieser stelle eine reine Billigkeitsregelung dar. Für sie sei kein Raum, wenn die finanzielle Einbuße in Wahrheit nicht auf eine staatliche Maßnahme, sondern auf eine Krankheit zurückzuführen sei. Daher gehe die Entgeltfortzahlung nach dem EFZG dem Anspruch aus § 56 Abs. 1 IfSG vor. Letzterer erfordert das Vorliegen eines Verdienstausfalls. An diesem fehle es jedoch, wenn dem Arbeitnehmer gemäß § 3 Abs. 1 EFZG weiter ein Anspruch auf Lohn zusteht.
Unterlassene Schutzimpfung ist kein Ausschlussgrund
Der Arbeitnehmer im Urteilsfall hatte sich nicht impfen lassen. Das BAG hatte daher zu entscheiden, ob dadurch der Anspruch wegen eines groben Verschuldens des Arbeitnehmers ausgeschlossen sein kann. Das BAG verneinte dies und begründete dies mit der hohen Wahrscheinlichkeit eines Impfdurchbruchs im maßgeblichen Zeitraum. Ein Verschulden des Arbeitnehmers könne nur dann den Anspruch ausschließen, wenn ohne das schuldhafte Verhalten die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vermieden worden wäre. Das sei aber nicht der Fall gewesen. Eine bloße Risikoerhöhung reiche nicht.
Insbesondere könne aus § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG nicht die Vermutung der Kausalität zwischen dem Unterlassen der Schutzimpfung und der Arbeitsunfähigkeit gefolgert werden. § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG schließt die Entschädigung für den Fall aus, dass die Absonderung durch eine Schutzimpfung hätte vermieden werden können. Insofern müsse der Charakter des § 56 Abs. 1 IfSG als subsidiäre Billigkeitsregelung beachtet werden. Die Ausschlusstatbestände solcher Regelungen könnten keineswegs einfach auf das EFZG übertragen werden, welches eigenständige Regelungen enthält.
Auswirkungen für Arbeitgeber in der Praxis
Mit der Entscheidung steht fest, dass Arbeitgeber nach der aktuellen Rechtslage im Falle einer Absonderungsanordnung den Lohn (fort-)zuzahlen haben, unabhängig vom Vorliegen von Symptomen. Dies widerspricht aber der behördlichen Praxis. Gerade in den „Hochzeiten“ der Pandemie wurde den infizierten Arbeitnehmern im Falle einer Absonderungsanordnung, aber fehlender Symptomatik stets eine Entschädigung gemäß § 56 Abs. 1 IfSG gewährt. Eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit wurde nur angenommen, wenn auch nennenswerte Symptome vorlagen.
Vor dem Hintergrund, dass Entschädigungsanträge nach § 56 Abs. 11 IfSG innerhalb einer Frist von zwei Jahren gestellt werden können und noch nicht beschieden sind, hat die Entscheidung des BAG massive Auswirkungen: Arbeitgeber haben keinen Anspruch auf Entschädigungszahlungen nach dem IfSG mehr im Falle einer Absonderungsanordnung bei Arbeitnehmern mit symptomloser Infektion.
Die Entscheidung gilt nicht für die Quarantäne-Fälle, in denen der infizierte Arbeitnehmer die Arbeit aus dem Home-Office verrichten kann. Hier fehlt es bereits an der Arbeitsunfähigkeit.
War der Arbeitnehmer gar nicht infiziert, liegt keine Krankheit vor. Daher besteht ein Anspruch auf Entschädigung gemäß § 56 Abs. 1 IfSG, wenn der Arbeitnehmer rein präventiv ‒ z. B. als „Kontaktperson“ ‒ oder fälschlicherweise abgesondert wurde.
Der Fall, dass der infizierte Arbeitnehmer innerhalb des Quarantänezeitraums „negativ wird“, hat das BAG nicht thematisiert. Hier kann wohl angenommen werden, dass die Zahlungspflicht aus § 3 Abs. 1 EFZG fortbesteht, da das BAG auf die Verknüpfung von Anordnung und Infektion verwiesen hat.