01.01.2008 | Aktuelle BAG-Entscheidung
Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei einer Fortsetzungserkrankung
Ein Arbeitnehmer hat im Krankheitsfall sechs Wochen Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber (§ 3 EFZG). Problematisch sind die Fälle, in denen der Arbeitnehmer aufgrund derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig wird (Fortsetzungserkrankungen). Für diese Fälle gelten besondere Regeln. Dazu hat das BAG jüngst eine wichtige Frage beantwortet.
Grundsätzliches zum Anspruch auf Entgeltfortzahlung
Voraussetzung für einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber besteht. Unerheblich ist, ob es sich um ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis handelt. Auch geringfügig beschäftigte Aushilfen haben Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
Der Arbeitnehmer muss zudem durch Krankheit arbeitsunfähig sein. Das heißt: Er darf objektiv nicht mehr in der Lage sein, die ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegende Arbeit zu verrichten. Arbeitsunfähigkeit liegt auch vor, wenn der Arbeitnehmer die Arbeit nur unter der Gefahr erbringen kann, in absehbarer Zeit seinen Zustand zu verschlimmern.
Unverschuldete Arbeitsunfähigkeit
Der Arbeitnehmer darf die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit zudem nicht selbst verschuldet haben. Ein schuldhaftes Verhalten liegt vor, wenn er im erheblichen Maß gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartenden Verhaltensweise verstößt. Bei Verkehrsunfällen ist ein Verschulden des Arbeitnehmers gegeben, wenn der Verkehrsunfall durch grob fahrlässiges Verhalten des Arbeitnehmers verursacht wurde. Arbeitsunfähigkeit infolge von Sportunfällen muss der Arbeitgeber in der Regel hinnehmen, wenn der Arbeitnehmer entsprechend ausgerüstet und mit der Sportart offensichtlich nicht überfordert ist.
Beispiele
Verschulden des Arbeitnehmers
Kein Verschulden des Arbeitnehmers
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Dauer und Höhe der Entgeltfortzahlung
Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wird grundsätzlich für sechs Wochen (42 Kalendertage) geleistet (§ 3 Abs. 1 EFZG). Sie beginnt mit dem Einsetzen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und endet mit dem Ende der Arbeitsunfähigkeit bzw. mit Ablauf der sechs Wochen.
Fortgezahlt wird das Arbeitsentgelt zu 100 Prozent. Maßgeblich ist die regelmäßige zu leistende Arbeitszeit des Arbeitnehmers. Sowohl die Grundvergütung als auch die Zuschläge für Überstunden gehören nicht zum fortzuzahlenden Arbeitsentgelt. Bei Arbeitszeitkonten oder unregelmäßigen Arbeitszeiten wird der Durchschnitt der vergangenen zwölf Monate angesetzt. Nicht fortgezahlt werden Aufwendungsersatzansprüche, die während der Krankheitsphase nicht entstehen, wie zum Beispiel Fahrtgeld.
Erneute Erkrankung – Einheit des Versicherungsfalls
Die Begrenzung auf sechs Wochen bedeutet aber nicht, dass der Arbeitnehmer höchstens 42 Kalendertage Entgeltfortzahlung im Kalenderjahr erhalten kann. Ist der Arbeitnehmer aufgrund einer neuen Erkrankung arbeitsunfähig, erhält er einen neuen Anspruch auf Entgeltfortzahlung und ein neuer Entgeltfortzahlungszeitraum über sechs Wochen beginnt.
Eine neue Erkrankung liegt vor, wenn die Krankheit eine andere Ursache hat und nicht auf denselben Grundlagen beruht. Weil der Arbeitgeber von den Krankheitsursachen in der Regel keine Kenntnis hat, muss zunächst der Arbeitnehmer darlegen, dass es sich um eine neue Erkrankung handelt und er deshalb Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat. Bestreitet der Arbeitgeber nach Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine neue Erkrankung, muss der Arbeitnehmer Tatsachen geltend machen, die den Schluss erlauben, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Notfalls muss er seinen Arzt von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden (LAG Hamm, Urteil vom 14.12.2005, Az: 18 Sa 168/05; Abruf-Nr. 060694).
Beachten Sie: Erkrankt ein Arbeitnehmer während einer bestehenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit an einer neuen Krankheit, handelt es sich um eine einheitliche Arbeitsunfähigkeit, sodass kein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch ausgelöst wird (Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalls). Begründet wird diese Ansicht damit, dass es nicht die zweite Erkrankung ist, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat, sondern die erste Erkrankung.
Beispiel
Der Arbeitnehmer ist aufgrund eines Armbruchs fünf Wochen arbeitsunfähig erkrankt. In der vierten Woche ereilt ihn zusätzlich eine Bronchitis, die ihn für weitere drei Wochen arbeitsunfähig stellt. Hier endet der Entgeltfortzahlungszeitraum 42 Kalendertage nach dem ersten Ereignis (Armbruch), obwohl die Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf des Sechs-Wochen-Zeitraums durch eine neue Erkrankung verursacht wird. Es entsteht kein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch. |
Beachten Sie: Ist der Arbeitnehmer zwischen den zwei Krankheiten wieder arbeitsfähig – sei es auch nur für wenige Stunden – wird ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch ausgelöst.
Fortsetzungserkrankungen
Wird der Arbeitnehmer nach einer sechswöchigen Entgeltfortzahlung erneut arbeitsunfähig krank und besteht ein Zusammenhang zu der ersten Arbeitsunfähigkeit, handelt es sich um eine Fortsetzungserkrankung (§ 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG).
Von derselben Krankheit kann gesprochen werden, wenn sie auf demselben Grundleiden beruht oder auf derselben chronischen Veranlagung des Arbeitnehmers zurückzuführen ist. Die Fortsetzungserkrankung stellt insofern eine Folgewirkung eines bestehenden Leidens dar. Die Krankheitssymptome müssen hierbei nicht identisch sein.
Beispiel
Bei einem Arbeitsunfall bricht sich ein Arbeitnehmer die Hand. Er ist sechs Wochen lang arbeitsunfähig. Nachdem er wieder zwei Monate gearbeitet hat, muss er aufgrund anhaltender Beschwerden erneut an der Hand operiert werden und ist danach noch einmal vier Wochen arbeitsunfähig.
Es handelt sich um eine Fortsetzungserkrankung, weil die Krankheit medizinisch gesehen nicht vollständig ausgeheilt war, sodass die neue Erkrankung und Operation nur eine Fortsetzung einer früheren Erkrankung war. Es entsteht kein weiterer Entgeltfortzahlungszeitraum. |
Beachten Sie: Wurde der Entgeltfortzahlungszeitraum bei der ersten Arbeitsunfähigkeit nicht voll ausgeschöpft, weil der Arbeitnehmer zum Beispiel nur vier Wochen arbeitsunfähig war, kann er den Rest bei der Fortsetzungserkrankung noch verbrauchen.
Ausnahmefälle
Von dem Grundsatz, dass Fortsetzungserkrankungen keine erneute Entgeltfortzahlung auslösen, gibt es zwei Ausnahmen:
- Sechs-Monats-Zeitraum: Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung entsteht für weitere sechs Wochen, wenn der Arbeitnehmer vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 EFZG).
Der Arbeitnehmer bricht sich die Hand und ist sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt. Daraufhin arbeitet er acht Monate lang, ohne in diesem Zeitraum wegen seiner Handbeschwerden arbeitsunfähig erkrankt zu sein. Im neunten Monat wird er erneut an der Hand operiert und fällt weitere acht Wochen aus. Hier entsteht aufgrund der sechsmonatigen Arbeitsfähigkeit der Anspruch auf Entgeltfortzahlung neu. |
Ein Arbeitnehmer ist wegen einer Lungenentzündung sechs Wochen lang arbeitsunfähig. Zwei Wochen nach dem Ausbruch der Lungenentzündung stürzt er und bricht sich die Hand. Der Arbeitnehmer erhält ab dem ersten Tag der Lungenentzündung sechs Wochen Entgeltfortzahlung. Darüber hinaus erhält er keine Entgeltfortzahlung mehr, obwohl er im Anschluss an die Lungenentzündung zwei weitere Wochen aufgrund des Handbruchs arbeitsunfähig ist (Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalls).
Wird der Arbeitnehmer – nachdem er wieder arbeitsfähig war – erneut an der Hand operiert, beginnt ein erneuter Entgeltfortzahlungszeitraum von sechs Wochen. In diesem Fall spielt es keine Rolle, wie lang der Arbeitnehmer zwischenzeitlich wieder arbeitsfähig war. Denn für den Handbruch hatte er noch keine Entgeltfortzahlung erhalten. |
- Zwölf-Monats-Zeitraum (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 EFZG): Ist der Arbeitnehmer nicht mindestens sechs Monate arbeitsfähig, entsteht trotzdem ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit zwölf Monaten vergangen sind. Die Zwölf-Monats-Frist ist dabei nicht mit dem Kalenderjahr identisch.
Ein Arbeitnehmer ist aufgrund eines Schulterverletzung acht Monate arbeitsunfähig. Für die ersten sechs Wochen erhält er die Entgeltfortzahlung. Nachdem er fünf Monate wieder gearbeitet hat, muss er erneut an der Schulter operiert werden. Weil seit der ersten Arbeitsunfähigkeit mehr als zwölf Monate vergangen sind, erhält der Arbeitnehmer erneut Entgeltfortzahlung, obwohl zwischenzeitlich nur fünf Monate keine Arbeitsunfähigkeit wegen der Schulterverletzung vorlag. |
Ein Arbeitnehmer ist aufgrund eines Herzinfarkts in der Silvesternacht vom 1. Januar 2006 bis 31. Januar 2007 arbeitsunfähig. Er hat nur für sechs Wochen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. |
Der Arbeitnehmer mit dem Herzinfarkt war am 1. Oktober 2006 wieder arbeitsfähig. Weil sich sein Gesundheitszustand aber erneut verschlechterte wurde er ab 16. Oktober 2006 wieder krank geschrieben bis zum 31. Januar 2007. Der Arbeitnehmer verlangte jetzt von seinem Arbeitgeber ab 1. Januar 2007 erneut eine Entgeltfortzahlung, weil seit der ersten Arbeitsunfähigkeit zwölf Monate vergangen waren. |
Beachten Sie: Wechselt ein Arbeitnehmer den Arbeitgeber beginnt unabhängig vom Bestehen einer Fortsetzungserkrankung und dem Ablauf der sechs bzw. zwölf Monate immer ein neuer Entgeltfortzahlungszeitraum.