12.01.2009 | Begrenzte Verpflichtungen für Arbeitgeber
Wiedereingliederung von Arbeitnehmern -
so meistern Arbeitgeber diese Grauzone!
von Rechtsanwalt Martin Hassel, Kanzlei Dr. Schmidt und Partner,
Koblenz/Dresden/Oberhausen/Weimar
Die Wiedereingliederung langzeiterkrankter Arbeitnehmer in den Arbeitsprozess wirft viele rechtliche Fragen auf. Problematisch ist, dass die Rechte und Pflichten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur spärlich geregelt sind, und sich Arbeits- und Sozialrecht oft überschneiden. Nachfolgend gehen wir näher auf diese „Grauzone“ ein.
Entgeltfortzahlung und Krankengeldbezug
Ist ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, muss der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt bis zu sechs Wochen fortzahlen (§ 3 EFZG). Dieser Entgeltfortzahlungszeitraum wird rechtlich wie ein normales Arbeitsverhältnis behandelt, bis auf die Tatsache, dass der Arbeitgeber Arbeitsentgelt zahlen muss, ohne dass der Arbeitnehmer eine Arbeitsleistung erbringt.
Wichtig: Bezüglich Urlaub, 13. Monatsgehalt und sonstiger Gehaltsfragen zählen die Entgeltfortzahlungstage ebenfalls wie ein Arbeitsverhältnis, in dem die Arbeitsleistung auch tatsächlich erbracht wird.
Krankengeldbezug
Endet die Entgeltfortzahlung nach sechs Wochen, muss der Arbeitgeber kein Arbeitsentgelt mehr zahlen und das Arbeitsverhältnis ruht. Ist der Arbeitnehmer privat krankenversichert ist, hat er den nun folgenden Zeitraum mit einer Krankentagegeldversicherung abgedeckt.
Bei gesetzlich versicherten Arbeitnehmern entsteht ein Anspruch auf Krankengeld nach § 44 SGB V. Der Arbeitnehmer erhält 70 Prozent des erzielten regelmäßigen Bruttoarbeitsentgelts. Das heißt: Auch Einmalzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld gehen in die Berechnung dieses Bruttoeinkommens ein. Das Krankengeld wird für gesetzlich Versicherte für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit für längstens 78 Wochen innerhalb von einem Drei-Jahres-Zeitraum geleistet, gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit.
Beachten Sie: Während des Krankengeldbezugs hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf zusätzliche Entgeltleistungen, insbesondere keinen Anspruch auf Gratifikationen, Weihnachtsgelder oder andere Treueboni, weil diese in der Regel bei Ruhen des Arbeitsverhältnisses nicht ausgezahlt werden. Die Resturlaubsansprüche oder Urlaubsansprüche für das Kalenderjahr verfallen bei nicht wiedererlangter Arbeitsfähigkeit am 31. März des Folgejahrs (§ 7 Abs. 3 BUrlG).
Stufenweise Wiedereingliederung
Langzeiterkrankte Arbeitnehmer können schrittweise in das Arbeitsleben zurückgeführt werden (§ 74 SGB V).
Beispiel
Ein Mitarbeiter eines Maschinenbauunternehmens erleidet einen Bandscheibenvorfall und ist daraufhin arbeitsunfähig erkrankt. Nach Ablauf der Entgeltfortzahlung zahlt die Krankenkasse dem Arbeitnehmer Krankengeld. Innerhalb des Krankengeldzeitraums teilt sie dem Arbeitgeber mit, dass eine stufenweise Wiedereingliederung des Arbeitnehmers vorgesehen ist und dieser zunächst für die Dauer von zwei Wochen für zwei Stunden pro Arbeitstag wieder auf seinen ursprünglichen Arbeitsplatz arbeiten kann. Danach soll die Arbeitszeit stufenweise erhöht werden. |
Voraussetzungen einer Wiedereingliederung
Eine stufenweise Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess ist möglich, wenn ein eigentlich arbeitsunfähiger (erkrankter) Arbeitnehmer seine bisherige Tätigkeit teilweise verrichten kann. Diese teilweise Arbeitsmöglichkeit wird durch den Arzt festgestellt und auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vermerkt.
Wichtig: Die teilweise Erbringung der Arbeitsleistung bedeutet jedoch nicht, dass die arbeitsrechtliche Arbeitsunfähigkeit aufgehoben wäre. Nach der Rechtsprechung des BAG ist ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen arbeitsunfähig, wenn er krankheitsbedingt an der Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung gehindert ist (Urteil vom 29.1.1992, Az: 5 AZR 37/91; Abruf-Nr. 083932). Nach dieser Definition liegt Arbeitsunfähigkeit somit auch bei Arbeitnehmern vor, die teilweise wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert werden können, weil sie teilweise ihre ursprüngliche Arbeitsleistung aufnehmen können. Das heißt: Es gibt keine partielle Arbeitsunfähigkeit.
Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Bereits dem Wortlaut des § 74 SGB V ist zu entnehmen, dass eine stufenweise Wiedereingliederung lediglich durchgeführt werden „kann“. Der Arbeitgeber ist dazu gesetzlich nicht verpflichtet (Ausnahme Schwerbehinderte). Er kann deshalb eine gewünschte Wiedereingliederung - sei es aus organisatorischen oder sonstigen Gründen - ablehnen.
Dabei muss er nicht befürchten, aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs (§ 615 BGB) in eine Lohnzahlungspflicht zu geraten. Denn der Arbeitnehmer ist weiter arbeitsunfähig erkrankt und somit nicht in der Lage, die arbeitsvertraglich vereinbarte Leistung zu erbringen. Der Arbeitgeber ist daher nicht zur Annahme der angebotenen Arbeitskraft verpflichtet.
Wichtig: Aus der Tatsache, dass der Arbeitgeber nicht zu einer Wiedereingliederung verpflichtet werden kann ergibt sich, dass es für eine Wiedereingliederung einer eigenständigen vertraglichen Grundlage bedarf.
Das heißt: Wollen Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine Wiedereingliederung durchführen, müssen sie hierfür eine vertragliche Grundlage schaffen. Dieses Wiedereingliederungsverhältnis ist ein zusätzliches eigenständiges, auflösend bedingtes Rechtsverhältnis eigener Art. Es handelt sich nicht um ein zusätzliches Arbeitsverhältnis, da keine Arbeitsleistung geschuldet ist.
Inhalt des Wiedereingliederungsverhältnisses
Gegenstand des Wiedereingliederungsverhältnisses ist daher nur eine der berufliche Rehabilitation dienende Tätigkeit, die der Arbeitnehmer in der Wiedereingliederungsphase ausführt. Der Umfang der Tätigkeit ist durch die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgegeben.
Wichtig: Auch nach Aufnahme der Tätigkeit hat der Arbeitgeber keinen Anspruch darauf, dass der Arbeitnehmer die Tätigkeit in dem vorgegebenen Umfang ausübt. Denn aus medizinischen Gründen kann es jederzeit erforderlich sein, dass die Tätigkeit des Arbeitnehmers ausgedehnt oder reduziert werden muss. Umgekehrt ergibt sich keine Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers, wie dies in einem Arbeitsverhältnis der Fall wäre.
Vergütungszahlung
Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf eine Vergütung während der Wiedereingliederung, es sei denn sie wurde ausdrücklich vereinbart (BAG, Urteil vom 29.1.1992, Az: 5 AZR 37/91; Abruf-Nr. 083932).
Weil der Arbeitnehmer aber während der Wiedereingliederung weiter Krankengeld erhält, würde ein Vergütung durch den Arbeitgeber auf den Krankengeldbezug des Arbeitnehmers angerechnet werden (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Deshalb vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Regel in einem Wiedereingliederungsverhältnis keine Vergütung. Der Arbeitgeber erhält seinen Arbeitnehmer somit kostenlos zurück.
Anspruch auf Urlaub
Weil Arbeitnehmer während der Wiedereingliederung durchgehend als arbeitsunfähig eingestuft wird, erwirbt er in dieser Zeit auch keinen Urlaubsanspruch. Denn der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer nicht von seiner Arbeitspflicht befreien, weil der Arbeitnehmer aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit keine Arbeitsleistung schuldet.
Kündigung und Kündigungsschutz
Wie bereits dargestellt, erfolgt in einem Wiedereingliederungsverhältnis die Tätigkeit freiwillig durch den arbeitsunfähigen Arbeitnehmer und dieser hat keinen Rechtsanspruch auf Wiedereingliederung. Somit kann der Arbeitnehmer jederzeit seine Bereitschaft für diese freiwillige Tätigkeit widerrufen.
Auch der Arbeitgeber kann das Wiedereingliederungsverhältnis jederzeit beenden. Aus der Rechtsnatur des Wiedereingliederungsverhältnisses ergibt sich, dass dies durch einfache Erklärung möglich ist.
Allerdings wird die Beendigung aus Billigkeitsgesichtspunkten mit einer Art Auslauffrist verbunden sein. Das heißt der Arbeitgeber muss die Beendigung rechtzeitig ankündigen. Die Länge der Auslauffrist hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab.
Beachten Sie: Durch das Ende des Wiedereingliederungsverhältnisses wird das ruhende Arbeitsverhältnis nicht berührt, es besteht weiterhin unbeendet fort. Ob ein Fehlverhalten während der Wiedereingliederung zu einer Beendigung des ruhenden Arbeitsverhältnisses führen kann, ist nach den Grundsätzen einer verhaltensbedingten Kündigung durch außerbetriebliches Fehlverhalten zu beurteilen, obwohl sich der Arbeitnehmer bei der Wiedereingliederung auf dem Betriebsgelände befindet. Somit können nur solche vertraglichen Pflichtverletzungen relevant sein, die konkrete Auswirkungen auf das zugrunde liegende Arbeitsverhältnis haben.
Betriebsrat
Betriebsrat muss bei einer Wiedereingliederung nicht eingeschaltet werden, weil der Arbeitnehmer nicht als Arbeitnehmer im Sinne der Betriebsverfassung angesehen wird ( § 5 Abs. 2 Nr. 4 Betriebsverfassungsgesetz). Der Betriebsrat hat somit auch hinsichtlich des Einsatzes des Arbeitnehmers keine Mitbestimmungsrechte.
Betriebliches Eingliederungsmanagement
Der Arbeitgeber kann bei einem Wiedereingliederungsverhältnis die Anwesenheit des Arbeitnehmers nutzen, um ein betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX durchzuführen, welches von der Rechtsprechung auch vor dem Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung gefordert wird (BAG, Urteil vom 12.7.2007, Az: 12 AZR 716/06; Abruf-Nr. 083962).
Zusammenfassung und Fazit
Das Wiedereingliederungsverhältnis ist ein Rechtsverhältnis eigener Art, welches der Arbeitgeber mit seinem langzeiterkrankten Arbeitnehmer freiwillig eingehen kann, während das eigentliche Arbeitsverhältnis ruht.
Der Arbeitgeber geht hierbei sehr begrenzte Verpflichtungen ein und kann die Wiedereingliederung jederzeit wieder abbrechen. Insofern ist bei einer medizinisch angeratenen stufenweisen Wiedereingliederung der Arbeitgeber gut beraten, die Wiedereingliederung durchzuführen, wenn keine betriebsorganisatorischen Gründe entgegenstehen.
Unser Tipp: Für den Arbeitnehmer kann es günstiger sein, unter Verrechnung seines Urlaubs teilweise zu arbeiten (zum Beispiel jeweils einen halben Tag). Das hat zum einen den Vorteil, dass er den vollen Arbeitslohn bekommt. Zum anderen würde diese Zeit - anderes als bei einer Wiedereingliederung - nicht auf die maximal mögliche Dauer eines Krankengeldbezugs (78 Wochen) angerechnet werden.