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  • · Fachbeitrag · Geldwerte Vorteile

    Gesundheits- oder Führungszeugnis: Müssen Arbeitgeber die Kosten erstatten?

    von RA Björn Braun, LL.M, Osborne Clarke, Köln

    | Viele Arbeitgeber fordern von ihren Arbeitnehmern vor Beginn oder im Laufe der Arbeitstätigkeit ein Gesundheits- oder Führungszeugnis. Für die Ausstellung solcher Zeugnisse erheben die Behörden Gebühren, die der Arbeitnehmer verauslagen muss. LGP klärt die Frage, ob und in welcher Höhe der Arbeitgeber die Kosten erstatten und was er dabei beachten muss. |

    Muss der Arbeitgeber die Kosten erstatten?

    Ob der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer die Kosten für Gesundheits- oder Führungszeugnisse erstatten muss, hängt von verschiedenen Faktoren ab:

     

    Bewerbungsverfahren

    Verlangt der Arbeitgeber den Nachweis von Zeugnissen im Bewerbungsverfahren, trägt der Bewerber die Beschaffungskosten grundsätzlich selbst. Eine Übernahme der Kosten durch den Arbeitgeber erfolgt hier nur, wenn es sich um völlig außergewöhnliche Unterlagen handelt.

     

    Laufendes Arbeitsverhältnis

    Fordert der Arbeitgeber in einem laufenden Arbeitsverhältnis die Vorlage von Zeugnissen, kommt eine Erstattung nach den Grundsätzen des zivilrechtlichen Auftragsrechts in Betracht. Danach kann derjenige, der im Interesse und auf Wunsch eines anderen Aufwendungen macht, Ersatz dieser Aufwendungen verlangen (§ 670 BGB). Das BAG hat im Hinblick auf eine mögliche Erstattungspflicht des Arbeitgebers folgende Grundsätze entwickelt (u. a. BAG, Urteil vom 14.10.2003, 9 AZR 657/02, Abruf-Nr. 042236):

     

    • Aufwendungen des Arbeitnehmers, die zur selbstverständlichen Einsatzpflicht des Arbeitnehmers im Rahmen seiner Arbeitsleistung gehören, werden bereits durch seine Vergütung abgegolten.

     

    • Aufwendungen im Interesse und auf Wunsch des Arbeitgebers, die über die normale Einstandspflicht des Arbeitnehmers hinausgehen, kann dieser analog § 670 BGB ersetzt verlangen. Der Arbeitgeber muss sie allerdings nur dann voll tragen, wenn sein Interesse so weit überwiegt, dass das Interesse des Arbeitnehmers vernachlässigt werden kann.

     

    Abwägung der Interessenslage

    Für die Bewertung der Interessenslage ist entscheidend, wem der Gesetzgeber die Beschaffungspflicht zugewiesen hat. Im Hinblick auf vorzulegende Zeugnisse ist bisher nur ein Verfahren bekannt. Ein Gebäudereinigungsunternehmen verlangte von einer Innenreinigungskraft ein polizeiliches Führungszeugnis. Dafür muss der Arbeitgeber die Kosten erstatten, so das LAG Hessen (Urteil vom 21.04.2015, Az. 15 Sa 1062/14, Abruf-Nr. 146575).

     

    Als Begründung führte das LAG Hessen an, dass die Arbeitnehmerin ihre Arbeitspflicht auch ohne Zeugnis hätte erbringen können. Damit diente das Zeugnis primär den Interessen des Arbeitgebers. Dies gelte, obwohl der Auftraggeber des Arbeitgebers die Vorlage des Führungszeugnisses ausdrücklich verlangte. Ein Einsatz der Arbeitnehmerin ohne Führungszeugnis wäre dem Arbeitgeber also nicht möglich gewesen. Das BAG hat die Frage der Erstattungspflicht in der Revision offen gelassen, also keine Rechtssicherheit geschaffen (BAG, Urteil vom 09.08.2016, Az. 9 AZR 417/15, Abruf-Nr. 190086).

     

    PRAXISHINWEISE | Da sich Arbeitgeber nicht auf eine klare Rechtsprechung berufen können, müssen sie im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der geschuldeten Arbeitsleistung sorgfältig ermitteln, ob die Beschaffung eines solchen Zeugnisses zur selbstverständlichen Einsatzpflicht des Arbeitnehmers zählt. Bei dieser oft nicht einfachen Einzelfallentscheidung können folgende zwei Grundsätze helfen:

    • Hat der Gesetzgeber die Beschaffungspflicht für ein Zeugnis dem Arbeitnehmer zugewiesen, so z. B. für die Vorlage eines Gesundheitszeugnisses nach §§  2 Abs. 1, 43 Abs. 1 IfSG bzw. für die Vorlage eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses im Kinder- und Jugendhilferecht nach § 72a SGB VIII, zählen die anfallenden Kosten zur selbstverständlichen Einsatzpflicht des Arbeitnehmers. Denn ohne das Zeugnis könnte der Arbeitnehmer seine Tätigkeit gar nicht ausüben. Den Arbeitgeber trifft keine Erstattungspflicht.
    • Ist die Beschaffungspflicht nicht gesetzlich geregelt, muss der Arbeitgeber typisierend abwägen, ob die Beschaffung des Zeugnisses überwiegend seinen Interessen dient. In einem solchen Fall muss er die Kosten erstatten.
     

    Wichtig | § 670 BGB ist dispositiv. Der Arbeitgeber kann daher Aufwendungsersatzansprüche des Arbeitnehmers durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarungen erweitern, erleichtern oder auch einschränken. In der Praxis vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer oftmals schriftlich, dass der Arbeitgeber Zeugniskosten lediglich anteilig übernimmt.

    Was ist bei einer Erstattung zu beachten?

    Erstattet der Arbeitgeber die Kosten für die Beschaffung des von ihm geforderten Führungs- oder Gesundheitszeugnisses, stellt sich die Frage, ob er davon Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge einbehalten muss.

     

    Lohnsteuerpflichtiger Arbeitslohn versus steuerfreien Auslagenersatz

    Zählen die erstatteten Kosten zum steuerpflichtigen Arbeitslohn, muss der Arbeitgeber Lohnsteuer einbehalten und an das Finanzamt abführen (§ 38 Abs. 3 S. 1, 41a Abs. 1 S. 1 EStG). Zum Arbeitslohn zählen alle Vorteile, die für das konkrete Dienstverhältnis eingeräumt werden und sich als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft erweisen (§ 19 Abs. 1 S. 1 EStG). Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um laufende oder einmalige Bezüge handelt und ob ein Rechtsanspruch besteht (§ 19 Abs. 1 S. 2 EStG).

     

    Dagegen sind Zahlungen des Arbeitgebers, mit denen Auslagen des Arbeitnehmers ersetzt werden, nach § 3 Nr. 50 2. Alt. EStG steuerfrei. Solche Zahlungen besitzen keinen Entlohnungscharakter, stellen keine Gegenleistung für die Arbeitstätigkeit dar und führen nicht zur Bereicherung des Arbeitnehmers.

     

    PRAXISHINWEIS | Auch die Abgrenzung zwischen steuerpflichtigem Arbeitslohn und steuerfreiem Auslagenersatz ist bisher nicht rechtssicher geklärt. Steuerfreier Auslagenersatz ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer Aufwendungen im ganz überwiegenden Interesse des Arbeitgebers tätigt, diese der Arbeitsausführung dienen und nicht zu einer Bereicherung des Arbeitnehmers führen. Das ist zu bejahen, wenn zivilrechtlich ein Erstattungsanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber entsprechend § 670 BGB vorliegt (BFH, Urteil vom 21.08.1995, Az. VI R 30/95). Dazu gilt das oben Gesagte.

     

    Sozialabgaben hängen von lohnsteuerlicher Behandlung ab

    Die steuerrechtliche Beurteilung hat unmittelbar Einfluss auf die Beitragspflicht in der Sozialversicherung. Ist die Erstattung des Arbeitgebers lohnsteuerfrei, entfällt auch die Verpflichtung, Sozialversicherungsbeiträge abzuführen (§ 14 Abs. 1 S. 1 SGB IV, § 1 Abs.1 Nr. 1 SvEV).

    Kann der Arbeitnehmer Abzugsbeträge nachfordern?

    Nicht selten ist der Arbeitnehmer nach Abführung der Lohnsteuer und der Sozialversicherungsbeiträge durch den Arbeitgeber der Ansicht, dass hierzu kein Anlass bestand. Er möchte die Abzugsbeträge dann vom Arbeitnehmer noch ausbezahlt haben. Dazu hat das BAG aber klargestellt, dass der Arbeitgeber seine Pflicht zur Zahlung der erstattungsfähigen Zeugniskosten grundsätzlich auch mit der Abführung von Lohnsteuern und Sozialabgaben erfüllt (BAG, Urteil vom 09.08.2016, Az. 9 AZR 417/15, Abruf-Nr. 190086).

     

    Das bedeutet: Für den Arbeitnehmer ist eine Zahlungsklage vor den Arbeitsgerichten auf Auszahlung der vermeintlich unberechtigt einbehaltenen Beträge nicht der richtige Weg. Vielmehr muss er versuchen, sich die abgeführten Steuern im Wege seiner Einkommensteuererklärung bzw. die Sozialversicherungsbeiträge durch die zuständigen Sozialversicherungsträger erstatten zu lassen. Notfalls muss er den Weg über ein steuer- und sozialrechtliches Rechtsbehelfsverfahren gehen.

     

    Wichtig | Die Erfüllungswirkung tritt nicht ein, wenn für den Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Steuer- und Beitragsabzugs eindeutig erkennbar war, dass keine Verpflichtung zum Abzug bestand. Dann wäre eine Zahlungsklage vor den Arbeitsgerichten möglich. Im obigen BAG-Fall forderte allerdings die Betriebsprüfung die Lohnsteuer auf den vorher steuerfrei behandelten Auslagenersatz nach. Insofern war dem Arbeitgeber nichts vorzuwerfen.

     

    FAZIT | Arbeitgeber müssen vor der Erstattung von Zeugniskosten genau prüfen, ob dazu eine rechtliche Verpflichtung besteht.

    • Diese liegt vor, wenn der Arbeitnehmer auch ohne Zeugnis arbeiten dürfte. Fordert der Arbeitgeber dennoch eines, muss er die Kosten erstatten, der Ersatz kann dann in der Regel steuerfrei bleiben.
    • Darf der Arbeitnehmer ohne Zeugnis gar nicht arbeiten, muss der Arbeitgeber die Kosten für das Zeugnis auch nicht erstatten. Tut er es trotzdem, muss er grundsätzlich Lohnsteuer und Sozialabgeben einbehalten.

    Aufgrund der unsicheren Rechtslage beim Einbehalt von Abzugsbeträgen sollten Arbeitgeber in größeren Fällen eine - kostenfreie - Anrufungsauskunft beim Lohnsteuerfinanzamt einholen (§ 42d EStG).

     
    Quelle: Ausgabe 05 / 2017 | Seite 76 | ID 44579635