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Zufluss von Tantiemen: Das sind die aktuellen Regeln bei Arbeitnehmern und Gesellschaftern
von Dipl.-Finanzwirt Marvin Gummels, Hage
| Arbeitgeber zahlen gerade leitenden Angestellten und Gesellschafter-Geschäftsführern häufig Tantiemen. Doch wann fließen sie zu? Die Frage ist nicht immer leicht zu beantworten; zumal viele Vereinbarungen unterschiedliche Regelungen enthalten. Kein Wunder also, dass sich der BFH regelmäßig mit dem Zuflusszeitpunkt beschäftigen muss. Erst kürzlich war es wieder so weit. Grund und Anlass genug für LGP, die BFH-Grundsätze zu erläutern und sein jüngstes „Tantieme-Urteil“ zu beleuchten. |
Tantieme ist Arbeitslohn
Erhält ein Arbeitnehmer eine Tantieme, handelt es sich nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG um Arbeitslohn in Form eines sonstigen Bezugs. Und zwar, weil die Tantieme einen Vorteil darstellt, den der Arbeitgeber mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis ‒ und damit als Honorierung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers ‒ gewährt. Das gilt grundsätzlich auch für Tantiemen an (Gesellschafter)-Geschäftsführer (GGf). Eine Ausnahme besteht beim GGf einer Personengesellschaft; in dem Fall werden die nichtselbstständigen Einkünfte in Sonderbetriebseinnahmen i. S. v. § 15 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 HS 2 EStG umqualifiziert.
Besteuerung erfolgt im Zeitpunkt des Zuflusses
Die Tantieme stellt nach R 39b.2 Abs. 2 Nr. 3 LStR einen sonstigen Bezug dar. Deshalb kommt es erst im Zeitpunkt des Zuflusses zur Besteuerung (§ 38a Abs. 1 S. 3 und § 11 Abs. 1 S. 4 EStG). Vollkommen unbedeutend ist, für welchen Zeitraum der Arbeitgeber die Tantieme zahlt.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH erfolgt der Zufluss nämlich mit der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht (BFH, Urteil vom 12.04.2007, Az. VI R 6/02, Abruf-Nr. 071704, Rz. 12 u. 13) ‒ und das ist der Zeitpunkt des Eintritts des Leistungserfolgs. Geldbeträge fließen deshalb dadurch zu, dass sie dem Empfänger bar ausbezahlt oder auf dem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden (BFH, Urteil vom 22.02.2018, Az. VI R 17/16, Abruf-Nr. 201527).
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Ein leitender Angestellter erhält arbeitsvertraglich eine Gewinntantieme von einem Prozent des handelsrechtlichen Jahresüberschusses. Für das Jahr 2023 wurde ein handelsrechtlicher Jahresüberschuss von 500.000 Euro erzielt. Der Jahresabschluss wurde im April 2024 aufgestellt. Die dem Angestellten zustehende Tantieme von 5.000 Euro wurde im Mai 2024 ausgezahlt.
Lösung: Der Zufluss der Tantieme erfolgt im Mai 2024, also unterliegt sie auch zu diesem Zeitpunkt der Besteuerung. Unerheblich ist sowohl, dass sich die Tantieme auf das Jahr 2023 bezieht und der Arbeitgeber für die Tantieme möglicherweise zum 31.12.2023 eine Rückstellung gebildet hat als auch, dass der Jahresabschluss bereits im April 2024 festgestellt wurde. |
Bei beherrschendem GGf wird ohne Zufluss besteuert
Abweichend von dem die Besteuerung auslösenden tatsächlichen Zufluss kann die Besteuerung auch ohne jeglichen Zufluss erfolgen; nämlich bei beherrschenden GGf. Hintergrund dafür ist eine von der Rechtsprechung entwickelte Zuflussfiktion, die gesetzlich nicht vorgesehene Steuervorteile verhindern soll (§ 42 Abs. 2 S. 1 AO).
Nach dieser Zuflussfiktion fließt dem beherrschenden GGf einer Kapitalgesellschaft eine eindeutige und unbestrittene Forderung gegen „seine“ Kapitalgesellschaft bereits mit deren Fälligkeit zu ‒ unabhängig von der tatsächlichen Auszahlung. Der Gedanke dahinter: Ein beherrschender GGf hat es kraft seiner Stellung regelmäßig selbst in der Hand, sich geschuldete Beträge auszahlen zu lassen, wenn der Anspruch eindeutig, unbestritten und fällig ist (BFH, Urteil vom 14.02.1984, Az. VIII R 221/80).
Wichtig | Fällig ist die Tantieme mit Feststellung des Jahresergebnisses. Etwas anderes gilt nur, wenn im Anstellungsvertrag eine zivilrechtlich wirksame und fremdübliche abweichende Fälligkeit vereinbart wurde wie z. B. drei Monate nach Feststellung des Jahresergebnisses (BFH, Urteil vom 28.04.2020, Az. VI R 44/17, Abruf-Nr. 217587). Ohne die Zuflussfiktion könnte der GGf die Tantieme auf Ebene der Gesellschaft gewinnmindernd berücksichtigen (z. B. durch Ausweis einer Verbindlichkeit), müsste sie aber selbst ‒ mangels Zufluss nicht versteuern. Genau das will der Gesetzgeber verhindern.
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Einem beherrschenden GGf steht für 2023 eine Tantieme zu. Fällig ist sie mit der Feststellung des Jahresergebnisses. Das Jahresergebnis wurde im April 2024 festgestellt, die Tantieme jedoch nicht ausgezahlt.
Lösung: Unabhängig von der Auszahlung kommt es im April 2024 ‒ aufgrund der Zuflussfiktion zum Zeitpunkt der Fälligkeit ‒ zum Zufluss der Tantieme. |
Wichtig | Die Zuflussfiktion gilt nicht, wenn die Gesellschaft selbst nicht über die erforderlichen Mittel dafür verfügen sollte (BFH, Urteil vom 14.02.1984, Az. VIII R 221/80).
Zudem sind von der Zuflussfiktion nur die Gehaltsbestandteile betroffen,
- die die Kapitalgesellschaft dem sie beherrschenden GGf schuldet, und
- die sich bei der Ermittlung des Einkommens der Gesellschaft ausgewirkt haben.
Erfolgt auf Ebene der Gesellschaft kein gewinnmindernder Ansatz, lässt sich die Zuflussfiktion also nicht anwenden (z. B. BFH, Urteil vom 15.05.2013, Az. VI R 24/12, Abruf-Nr. 132616). Dann ist es auf Ebene der Gesellschaft gerade nicht zu einer gewinnmindernden Berücksichtigung gekommen, sodass auf Ebene des beherrschenden GGf ein Zufluss fingiert werden muss.
Bei Verzicht auf Tantieme kann Zufluss fingiert werden
Passiviert die Gesellschaft keine Schuld, kann das auch daran liegen, dass der GGf auf die Tantieme verzichtet. Aus diesem Verzicht kann die Finanzverwaltung einen Zufluss der Tantieme fingieren. Dazu bedient sie sich des Konstrukts der verdeckten Einlage (BFH, Beschluss vom 09.06.1997, Az. GrS 1/94, Abruf-Nr. 97521).
Ob eine verdeckte Einlage vorliegt und sich beim GGf deshalb Arbeitslohn in Höhe der verzichteten Tantieme ergibt, richtet sich nach dem Zeitpunkt des Verzichts:
- Verzichtet der GGf auf eine rechtlich bereits entstandene Tantieme ‒ das ist in der Regel der Fall, wenn der Verzicht erst nach Ablauf des maßgebenden Wirtschaftsjahrs erklärt wird ‒, dann ist ein Gehaltszufluss in Höhe des werthaltigen Teils der Tantieme als Arbeitslohn zu versteuern. Parallel kommt es zu einer verdeckten Einlage in das Vermögen der Gesellschaft; und das bedeutet zusätzliche Anschaffungskosten i. S. v. § 17 EStG.
- Erklärt der GGf den Verzicht hingegen vor dem Entstehen des Anspruchs auf die Tantieme, wird weder ein Gehaltszufluss auf Ebene des Gesellschafters fingiert noch ergibt sich ‒ mangels eines einlagefähigen Vermögensvorteils ‒ eine verdeckte Einlage.
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Einem beherrschenden GGf steht vertraglich eine Gewinntantieme zu. Er verzichtet im Januar 2024 auf die Tantieme für 2023.
Lösung: Der Verzicht erfolgt nach dem Entstehen der Gewinntantieme. Somit muss der GGf die Tantieme ungeachtet seines Verzichts versteuern; parallel erhöhen sich die Anschaffungskosten des GGf für seine Beteiligung an der GmbH. Auf Ebene der Gesellschaft erhöht sich durch den Verzicht das zu versteuernde Einkommen. Diese Erhöhung wird durch die verdeckte Einlage neutralisiert (§ 8 Abs. 3 S. 3 KStG). |
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Wie Beispiel 3; der GGf verzichtet aber im Januar 2024 auch auf die Tantieme für 2024.
Lösung: Der Verzicht auf die Tantieme für 2024 hat keine steuerlichen Konsequenzen, weil er den Verzicht vor dem Entstehen des Anspruchs erklärt hat. |
Was gilt für fällige, aber nicht ausgezahlte Tantiemen?
Eine Frage ist jetzt noch offen: Wird auch dann ein Zufluss angenommen, wenn einem beherrschenden GGf eine Tantieme zusteht, die jedoch nicht ausgezahlt und auf Ebene der Gesellschaft auch nicht als Verbindlichkeit oder Rückstellung passiviert wurde? Darüber musste jüngst der BFH urteilen.
Finanzverwaltung nimmt Zufluss an ‒ FG BW widerspricht
Für die Finanzverwaltung war die Antwort auf obige Frage ganz einfach. Sie sah gemäß ihrem BMF-Schreiben vom 12.05.2014 (Az. IV C 2 ‒ S 2743/12/10001, Abruf-Nr. 142101) einen Zufluss als gegeben an. Zwar sei bei der Gesellschaft keine gewinnmindernde Berücksichtigung erfolgt; diese hätte nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung durch die Bildung einer Rückstellung oder Verbindlichkeit jedoch erfolgen müssen. Und nur weil bei der Gesellschaft ein Bilanzierungsfehler erfolgt sei, könne die vom BFH entwickelte Zuflussfiktion nicht umgangen werden. Wäre der Buchungsfehler nämlich nicht passiert, hätte sich bei der Gesellschaft eine Gewinnminderung ergeben und die Zuflussfiktion wäre anzuwenden gewesen.
Dieser Auffassung hat im Klageverfahren dann das FG Baden-Württemberg eine Absage erteilt und die Anwendbarkeit der Zuflussfiktion verneint (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.06.2022, Az. 12 K 58/20, Abruf-Nr. 232552).
BFH bestätigt Zufluss nicht ausgezahlter Tantiemen bei Fälligkeit
Das letzte Wort sollte der BFH haben. Der schloss sich zwar den Feststellungen des FG an und verneinte ebenfalls die Anwendbarkeit der Zuflussfiktion, wies das Verfahren aber zur weiteren Überprüfung an das FG zurück (BFH, Urteil vom 05.06.2024, Az. VI R 20/22, Abruf-Nr. 242366).
Für den BFH war nämlich nicht erkennbar, warum die Gesellschaft die dem GGf vertraglich zustehende Tantieme nicht ausgezahlt hatte. Selbst wenn der fehlenden Passivierung der Tantieme ein Buchungsfehler zugrunde gelegen habe, hätte die Gesellschaft die Tantieme später doch auszahlen müssen. Deshalb stellte sich für den BFH die Frage, ob der GGf nach Ablauf des Wirtschaftsjahrs auf die Tantieme verzichtet habe. Wäre das der Fall, würde sich im werthaltigen Umfang des Tantiemeanspruchs eine verdeckte Einlage in das Vermögen der Gesellschaft ergeben. Mit dieser würde eine Besteuerung der Tantieme als Arbeitslohn auf Ebene des Gesellschafters einhergehen ‒ auch ohne Anwendung der Zuflussfiktion. Daher müsse das FG nun prüfen, ob sich infolge einer verdeckten Einlage eine Besteuerung der Tantieme ergebe.
Zudem muss das FG auch die Frage klären, ob die Tantieme eine verdeckte Gewinnausschüttung darstellt (§ 8 Abs. 3 S. 2 KStG und R 8.5 KStR). Ist das der Fall, müsste der GGf keinen Arbeitslohn, sondern eine Gewinnausschüttung versteuern. Damit es dazu nicht kommt, muss die Tantiemevereinbarung dem Grunde nach und der Höhe nach angemessen sein. Dabei heißt
- dem Grunde nach angemessen: Vereinbarung vor Geschäftsjahresbeginn, eindeutige, klare Vereinbarung, tatsächliche Durchführung;
- der Höhe nach angemessen: Maximal 50 Prozent des Jahresüberschusses, maximal 25 Prozent der Gesamtvergütung, Berücksichtigung von Verlustvorträgen.