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  • 09.09.2011 · IWW-Abrufnummer 113035

    Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 20.07.2011 – 7 Sa 622/10

    Allein die Leistung von Überstunden, die nicht laufend vergütet werden, begründet noch nicht die Annahme, die Parteien hätten sich über die Führung eines Arbeitszeit-Kontos geeinigt.


    Tenor:

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23. Juli 2010, Az.: 2 Ca 26/10, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten über den Ausgleich eines Zeitguthabens bzw. die Zahlung von Überstundenvergütung.

    Der Kläger (geb. am 14.01.1961) war bei der Beklagten vom 01.07.2005 bis zum 31.10.2009 zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt € 3.660,00 als Techniker angestellt. Die Beklagte beschäftigt sich mit der Wartung von Deponie-, Bio- und Klärgasverstromungsanlagen. Der Kläger war im Rahmen seiner Tätigkeit zur Ableistung von Rufbereitschaft verpflichtet. Im schriftlichen Arbeitsvertrag hatten die Parteien u.a. folgendes vereinbart:

    "§ 3 Arbeitszeit

    Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 38,5 Stunden. .... Sollten Mehrstunden anfallen, so sind diese in Abstimmung mit der Firmenleitung baldmöglichst in Freizeit auszugleichen. Eine Vergütung für Mehrstunden findet nicht statt."

    Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 14.09.2009 zum 31.10.2009 aus betriebsbedingten Gründen gekündigt. Im Kündigungsschutzprozess (Az.: 2 Ca 2391/09) einigten sich die Parteien im Gütetermin vom 20.11.2009 vor dem Arbeitsgericht Koblenz auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung. In Ziffer 3 des gerichtlichen Vergleichs ist geregelt:

    "3. Die Parteien sind sich einig, dass mit Erfüllung des Vergleichs alle wechselseitigen finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, erledigt sind, mit Ausnahme möglicher Überstundenansprüche des Klägers. Der Urlaub des Klägers ist vollständig in natura genommen."

    Nach vergeblicher schriftlicher Geltendmachung mit Schreiben vom 08.12.2009 verlangt der Kläger mit seiner Klage vom 05.01.2010, die der Beklagten am 09.01.2010 zugestellt worden ist, die Bezahlung von 696,5 Überstunden aus der Zeit vom 01.07.2005 bis zum 31.10.2009 (696,5 Stunden x € 21,85 = € 15.218,17 brutto).

    Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf die Zusammenfassung im Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23.07.2010 (dort S. 2-4 = Bl. 111-113 d. A.) Bezug genommen.

    Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

    die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 15.218,17 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.12.2009 zu zahlen.

    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 23.07.2010 abgewiesen und - zusammengefasst - ausgeführt, die Klage sei unschlüssig. Der Kläger wolle insgesamt 696,46 Überstunden aus der Zeit vom 01.07.2005 bis 31.10.2009 gleichermaßen aus einem Arbeitszeitkonto begründen, in dem er über die Monate und Jahre Plus- und Minusstunden verrechne und so auf die genannte Zahl von Überstunden komme. Die Darstellung des Klägers sei bereits deshalb unvollständig, weil er für die Zeit vom 01.07.2005 bis 31.12.2006 keine Aufstellung über die geleisteten Arbeitszeiten vorgelegt habe, sondern pauschal behaupte, in dieser Zeit 290,11 Überstunden geleistet zu haben. Dieses Vorbringen sei unsubstantiiert. Die vom Kläger erstellten Arbeitszeitnachweise für die Zeit ab 01.01.2007 bauten auf einem Altbestand von 290,11 Überstunden auf. Da dieser Altbestand zum Stichtag 31.12.2006 nicht schlüssig dargetan sei, seien die Aufzeichnungen ab 01.01.2007 nicht zu verwerten, denn es sei nicht nachvollziehbar, ob die Berechnung des Klägers ab Januar 2007 von einer zutreffenden Basis ausgehe. Schließlich seien etwaige Ansprüche auf Überstundenvergütung aus der Zeit bis zum 31.12.2006 verjährt. Die Beklagte habe sich auf die Einrede berufen. Im Übrigen seien die geltend gemachten Ansprüche auch nach allgemeinen Grundsätzen verwirkt. Im Hinblick auf die Vereinbarung in § 3 des Arbeitsvertrages wäre es Obliegenheit des Klägers gewesen, bei etwaigen Überstunden baldmöglichst einen Freizeitausgleich einzufordern. Die Beklagte habe dazu vorgetragen, dass Freizeitausgleich erfolgt sei, soweit der Kläger auf Überstunden hingewiesen habe. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird auf Seite 4 bis 7 des Urteils vom 23.07.2010 (Bl. 113 -116 d.A.) verwiesen.

    Das genannte Urteil ist dem Kläger am 29.10.2010 zugestellt worden. Er hat mit am 23.11.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 31.01.2011 verlängerten Begründungsfrist mit am 28.01.2011 eingegangenem Schriftsatz begründet.

    Der Kläger ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe die Vorschrift des § 138 ZPO verkannt. Er habe erstinstanzlich vorgetragen, dass im Betrieb der Beklagten ein Arbeitszeitkonto geführt worden sei. Nach der Rechtsprechung des BAG genüge für die Schlüssigkeit einer Klage, dass der Arbeitnehmer die Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos und das Guthaben zum Auszahlungszeitpunkt darlege. Das Arbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass er keine Ansprüche auf Vergütung einzelner Überstunden geltend mache, sondern die Auszahlung des Zeitguthabens aus seinem Arbeitszeitkonto. Dieser Anspruch sei nicht verjährt, denn das Zeitguthaben sei erst am 31.10.2009 mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu kapitalisieren gewesen. Seine Ansprüche seien auch nicht verwirkt. Das Umstandsmoment der Verwirkung könne nicht aus der Regelung in § 3 des Arbeitsvertrages hergeleitet werden. Aufgrund der zugewiesenen Arbeitsmenge sei es ihm objektiv nicht möglich gewesen, Überstunden in Freizeit auszugleichen. Hilfsweise sei die Beklagte gehalten, die Wartungsbücher der Anlagen vorzulegen, aus denen hervorgehe, dass er die aufgeführten Arbeitsstunden verrichtet habe. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 28.01.2011 (Bl. 135-137 d.A.) Bezug genommen.

    Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,

    das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23.07.2010, Az.: 2 Ca 26/10, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 15.218,17 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.12.2009 zu zahlen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen,

    Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 15.02.2011, auf die Bezug genommen wird (Bl. 153-155 d.A.), als zutreffend. Ausgleichsansprüche aus einem Zeitguthaben könne der Kläger bereits aufgrund der Erledigungsklausel im gerichtlichen Vergleich nicht geltend machen. Ansprüche auf Überstundenvergütung seien nicht schlüssig dargelegt, für die Zeit vor dem 01.01.2007 verjährt und im Übrigen verwirkt.

    Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die zu den Sitzungsniederschriften getroffenen Feststellungen Bezug genommen. Außerdem wird Bezug genommen auf den Inhalt der zur Information des Gerichts beigezogenen Akte 2 Ca 2391/09.

    Entscheidungsgründe

    I. Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.

    II. In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von € 15.218,17 brutto für 696,46 Stunden aus der Zeit vom 01.07.2005 bis zum 31.10.2009 hat.

    1. Soweit der Kläger die Vergütung für 696,46 Überstunden geltend macht, hat das Arbeitsgericht die Klage zu Recht abgewiesen.

    Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte wird vom Arbeitnehmer, der im Prozess von seinem Arbeitgeber die Bezahlung von Überstunden fordert, verlangt, dass er im Einzelnen darlegt, an welchen Tagen und zu welchen Tageszeiten er über die übliche Arbeitszeit hinaus gearbeitet hat. Bestreitet der Arbeitgeber die Behauptung des Arbeitnehmers, muss der Arbeitnehmer darlegen, welche - geschuldete - Tätigkeit er jeweils an den fraglichen Tagen ausgeführt hat. Er muss ferner eindeutig vortragen, ob die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder geduldet wurden oder zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig waren (vgl. BAG Urteil vom 29.05.2005 - 5 AZR 319/04 - EzA § 611 BGB 2002 Mehrarbeit Nr. 1; LAG Rheinland-Pfalz Urteil vom 18.02.2011 - 9 Sa 577/10, Urteil vom 12.02.2009 - 10 Sa 456/08 und Urteil vom 10.10.2008 - 6 Sa 390/08 - Juris).

    Diesen Anforderungen wird der Sachvortrag des Klägers nicht gerecht.

    Der Kläger hat für die Zeit vom 01.07.2005 bis zum 31.12.2006 eine Summe von 290,11 Stunden genannt, die er überhaupt nicht aufgeschlüsselt hat. Der Kläger hätte ebenso die Leistung von 100, 200 oder x-beliebig vielen Überstunden angeben können. Das Risiko, dass er nach "Jahr und Tag" die behaupteten Überstunden nicht mehr näher darlegen kann, geht mit dem Kläger heim.

    Im Übrigen sind Vergütungsansprüche für die Zeit bis 31.12.2006 verjährt. Auch dies hat das Arbeitsgericht vollkommen zutreffend erkannt. Nach § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie begann nach §§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB mit Schluss des Jahres, in dem die Ansprüche entstanden sind. Demnach ist die Verjährungsfrist für die Ansprüche aus dem Jahre 2005 am 31.12.2008, die Ansprüche aus dem Jahre 2006 am 31.12.2009 abgelaufen. Die Klage wurde erst im Januar 2010 erhoben. Sie konnte die bereits vollendeten Verjährungsfristen nicht wahren.

    Auch für die Zeit ab dem 01.01.2007 hat der Kläger nicht im Einzelnen aufgeschlüsselt, mit welchen Arbeiten (in Minuten) er die behauptete Überarbeit von 406,41 Stunden zugebracht haben will. Die Stundenaufzeichnungen des Klägers in den angefertigten Excel-Tabellen verhalten sich dazu nicht. Ihnen ist nicht zu entnehmen, welche konkreten Arbeitsleistungen der Kläger zu den in der Tabelle eingefügten Zeiten erbracht haben will. Da der Kläger die geltend gemachten Überstundenansprüche nicht schlüssig begründet hat, kommt es auf die erstinstanzlich aufgeworfene Frage, ob die geltend gemachten Ansprüche für die Zeit ab 01.01.2007 verwirkt sind, nicht an.

    Entgegen der Ansicht des Klägers, ist die Beklagte nicht verpflichtet, die Wartungsbücher der technischen Anlagen vorzulegen, damit der Kläger die behaupteten Überstunden näher darlegen und unter Beweis stellen kann. Nach § 138 Abs. 2 ZPO hat sich zwar jede Partei über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Eine allgemeine Auskunftspflicht kennt das materielle Recht jedoch nicht, und es ist nicht Sache des Prozessrechts, sie einzuführen. Keine Partei ist gehalten, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt (BAG Urteil vom 20.11.2003 - 8 AZR 580/02 - NZA 2004, 489, m.w.N.). Der Beklagten war nicht gemäß § 142 Abs. 1 ZPO aufzugeben, die Wartungsbücher herauszugeben, denn die Vorschrift befreit die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, nicht von ihrer Darlegungs- und Substantiierungslast. Dem entsprechend darf das Gericht die Urkundenvorlegung nicht zum bloßen Zwecke der Informationsgewinnung, sondern nur bei Vorliegen eines schlüssigen, auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrags der Partei anordnen (vgl. BGH Urteil vom 26.06. 2007 - XI ZR 277/05 - NJW 2007, 2989). Im Streitfall liegt kein schlüssiger Vortrag des Klägers zu den behaupteten Überstunden vor, so dass die Beklagte nicht zur Herausgabe der Wartungsbücher verpflichtet ist.

    2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Auszahlung eines Zeitguthabens von 696,46 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto.

    Die Parteien haben weder eine ausdrückliche noch eine konkludente Abrede über ein Arbeitszeitkonto getroffen. Sie haben vielmehr in § 3 Satz 1 des Arbeitsvertrages eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden vereinbart. In Satz 3 haben sie geregelt, dass Mehrstunden, die anfallen sollten, baldmöglichst in Freizeit auszugleichen sind. Mit dieser Vereinbarung von Freizeitausgleich haben die Parteien kein Arbeitszeitkonto, also ein flexibles Arbeitszeitmodell mit langfristigen Ausgleichszeiträumen, eingerichtet. Allein die Leistung von Überstunden, die nicht laufend vergütet werden, begründet noch nicht die Annahme, die Parteien hätten sich über die Führung eines Arbeitszeitkontos geeinigt (vgl. MünchKomm-BGB/Müller-Glöge, 5. Aufl., § 611 BGB, Rn. 1056).

    Im Übrigen wären Ansprüche des Klägers auf Auszahlung eines Zeitguthabens im Umfang von 696,46 Stunden aufgrund der Erledigungsklausel in Ziffer 3 des gerichtlichen Vergleichs vom 20.11.2009 in dem Kündigungsrechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Koblenz (Az.: 2 Ca 2391/09) erloschen. Die Parteien haben nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Klausel "mögliche Überstundenansprüche", nicht jedoch Ansprüche aus einem Arbeitszeitkonto, ausgenommen.

    III. Nach alledem ist die Berufung des Klägers mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

    Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

    VorschriftenBGB § 611, ZPO § 138, ZPO § 138 Abs. 2, ZPO § 142, ZPO § 142 Abs. 1