· Fachbeitrag · Rechtsprechung
Kalkulatorischer Gewinnanteil im Eigenlabor zulässig ‒ BGH bestätigt Urteile der Vorinstanzen
von Anja Mehling, RAin und FAin für MedR, Hamburg
| Vor gut zweieinhalb Jahren befasste sich das Landgericht (LG) Darmstadt mit der Frage, ob Zahnärzte, die zahntechnischen Leistungen in einem eigenen Praxislabor erbringen, einen angemessenen kalkulatorischen Gewinnanteil abrechnen dürfen (Urteil vom 15.03.2021, Az. 18 O 33/20, Details in PA 07/2021, Seite 2 ). Das LG bejahte die Frage und wies die Klage der Wettbewerbszentrale, die den Ansatz einer Gewinnmarge für unzulässig hielt, ab. Ihre hiergegen gerichtete Berufung hatte keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt bestätigte die für Zahnärzte mit Eigenlabor erfreuliche Entscheidung (Urteil vom 17.03.2022, Az. 6 U 51/21). Der Bundesgerichtshof (BGH) wies die Revision der Wettbewerbszentrale nach der mündlichen Verhandlung am 13.07.2023 zurück (Az. I ZR 60/22). Das Urteil des OLG Frankfurt a. M. ist damit rechtskräftig. |
Hintergrund
Auslöser des Rechtsstreits war die Klage der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V. gegen die Firma Dentsply Sirona. Die beklagte Firma warb auf ihrer Website im Rahmen der angebotenen CAD/CAM-Technologie mit folgenden Aussagen
- im Vorwort der Broschüre „Abrechnungs-Spicker für CEREC-Restaurationen“ („Information für den autorisierten CEREC-Fachhändler“, Stand 04/2016; Quelle: voge.ly/vglgsY6/): „Neben den zahnärztlichen Leistungen regelt § 9 der GOZ die individuelle Kalkulation der Laborkosten und erlaubt abweichend von dem BEL II oder der BEB eine eigene Kalkulation der tatsächlich entstandenen Laborkosten. Hier entstehen Zahnärzten Freiräume für patientenindividuelle Lösungen.“ Ergänzend werden Praxisfälle/Beispiele dargestellt.
- in der Broschüre „Arbeitspapier für Steuerberater. CEREC Investitionsplanung“ (Stand 09/2013, S. 2; Quelle: voge.ly/vgl7T5P/): „Mit CEREC wandelt der Zahnarzt Fremdlaborkosten in Eigenlaborgewinn um.“
Beide Aussagen sah der Wettbewerbsverband kritisch und klagte u. a. auf Unterlassung. In den Broschüren werde der unzutreffende Eindruck erweckt, der Zahnarzt könne die eigenständig erbrachten zahntechnischen Leistungen willkürlich „kalkulieren“; des Weiteren, er könne das System und die damit erbrachten zahntechnischen Leistungen zur Gewinnsteigerung nutzen ‒ was eine unwahre Behauptung darstelle. Nach § 9 Abs. 1 GOZ dürfe der Zahnarzt für zahntechnische Leistungen nur die tatsächlich entstandenen Kosten abrechnen, also keine Gewinnmarge ansetzen.
Die Entscheidung der Vorinstanzen
Das OLG sah ‒ im Einklang mit dem LG ‒ in der Anpreisung eines Gewinnanteils für Leistungen des Praxislabors keinen Verstoß gegen § 9 GOZ.
Insbesondere erklärte das OLG den kalkulatorischen Gewinnanteil für zahntechnische Leistungen ausdrücklich für zulässig und nicht durch § 9 GOZ ausgeschlossen. Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Bestimmung sprächen für die Berücksichtigung eines Gewinnanteils. Die Werbung für ein System zur Restauration von Zahndefekten (CEREC) mit Gewinnmarge könne daher keine Fehlvorstellung beim angesprochenen Verkehr ‒ Zahnärzte als Adressaten ‒ erzeugen.
Der BGH: Entscheidung und Entscheidungsgründe im Kern
Der BGH stellte zunächst klar, dass die Aussage der Firma Dentsply Sirona, durch die Abrechnung der mit ihrem System erbrachten zahntechnischen Leistungen könne ein Gewinn erzielt werden, keine irreführende geschäftliche Handlung sei, weil sie keine Vorstellung der angesprochenen Zielgruppe (Zahnärzte) hervorrufe, die mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimme. Die Behauptung, mit dem System könne ein Gewinn erzielt werden, sei nicht falsch ‒ so schon das OLG. Es sei nicht ausgeschlossen, dass der Zahnarzt durch den Einsatz des neuen Systems neue Patienten gewinnen sowie Effizienzvorteile erzielen und damit den Praxisgesamtgewinn erhöhen könne. Bei den angesprochenen Fachkreisen ‒ Zahnärzte und deren Steuerberater ‒ erweckten die beanstandeten Angaben den Eindruck, dass Zahnärzte, die mit dem System selbst zahntechnische Leistungen erbrächten, bei ihrer Kalkulation nicht nur Spielräume bei einzelnen Kostenfaktoren, etwa Abschreibungen, hätten, sondern sie auch einen Gewinnanteil abrechnen dürften. Der Eindruck sei indes nicht unzutreffend, weil § 9 Abs. 1 GOZ die Abrechnung eines angemessen kalkulierten Gewinnanteils für vom Zahnarzt in seinem Praxislabor erbrachte zahntechnische Leistungen nicht ausschließe.
Das OLG sei mit Recht davon ausgegangen, dass der Zahnarzt bei Beauftragung eines externen Dentallabors nur dessen abgerechnete Kosten ‒ einschließlich dessen Gewinnanteils ‒ in Ansatz bringen, nicht aber selbst eine zusätzliche Gewinnmarge erheben dürfe. Eine solche doppelte Belastung des Patienten mit einem kalkulatorischen Gewinnanteil sei durch § 9 Abs. 1 GOZ ausgeschlossen. Wenn Zahnärzte aber anstelle der Beauftragung eines externen Dentallabors notwendige zahntechnische Leistungen durch ein eigenes Praxislabor erbrächten, sei die Annahme des OLG zutreffend, dass der Zahnarzt in einem solchen Fall nach § 9 Abs. 1 GOZ für privatzahnärztliche Behandlungen die tatsächlich entstandenen Kosten für das praxiseigene Labor unter Einschluss eines angemessen kalkulierten Gewinnanteils des Labors als Auslagen abrechnen dürfe. Der BGH stellte insoweit wie das OLG auf den Wortlaut sowie den Sinn und Zweck von § 9 Abs. 1 GOZ ab.
So verbiete § 9 Abs. 1 GOZ dem Wortlaut nach nicht ausdrücklich, bei der Abrechnung der im Eigenlabor erbrachten zahntechnischen Leistungen einen angemessenen Gewinnanteil zu berücksichtigen. Auch der Begriff der „Kosten“ lasse sich im Regelungszusammenhang dahin gehend auslegen, dass bei Erbringung der zahntechnischen Leistungen durch ein auf eigenes wirtschaftliches Risiko betriebenes Praxislabor die insoweit anfallenden Aufwendungen nebst eines dieses wirtschaftliche Risiko angemessen abgeltenden Gewinnanteils des Labors umfassten. Denn die zahntechnischen Leistungen gehörten gemäß § 3 GOZ zu den zu vergütenden Leistungen. Daran ändere sich nichts dadurch, dass in § 9 GOZ von „Auslagen“ die Rede sei. Daraus folge nicht das Erfordernis einer durch den Zahnarzt vorgenommenen „Verauslagung“ im Sinne einer „Vorkasse“. Wie bei den „Kosten“ handele es sich um einen vergütungsrechtlichen Begriff, den der Verordnungsgeber zur systematischen Unterscheidung der jeweils unter den allgemeinen Begriff der „Vergütung“ fallenden Vergütungsarten, nämlich der Gebühren, Entschädigungen und Auslagen, verwendet habe (§ 3 GOZ).
Sinn und Zweck des § 9 Abs. 1 GOZ spreche für die Abrechenbarkeit eines angemessenen Gewinnanteils bei Inanspruchnahme eines Praxislabors. Aus dem übergeordneten Zweck der GOZ ‒ der Sicherstellung der Vergütung der Zahnärzte ‒ ergebe sich, dass dem Zahnarzt für die von ihm erbrachten zahnmedizinisch notwendigen Leistungen eine angemessene Vergütung zustehe. Da es ihm legitim freistehe, zahntechnische Leistungen entweder durch ein externes Dentallabor (zu einem von diesem einschließlich eines Gewinnanteils zu berechnenden Preis) erbringen zu lassen oder aber diese selbst auf eigenes betriebswirtschaftliches Risiko zu erbringen, sei nicht ersichtlich, warum der Zahnarzt bei der letztgenannten Option nicht die Möglichkeit haben solle, eine dieses Risiko angemessen kompensierende Gewinnmarge in seine Vergütung einzubeziehen. Ebenso wie die Vorinstanzen verwies der BGH auf die Gesetzgebungsmaterialien des Bundesrats. Danach dürfe der Zahnarzt auch für zahntechnische Leistungen, die im eigenen Praxislabor erbracht würden, die tatsächlich entstandenen Kosten unter Einschluss eines angemessenen kalkulatorischen Gewinnanteils als Auslagen berechnen (Bundesratsdrucksache 276/87, Seite 75).
Zweck von § 9 Abs. 1 GOZ sei zudem, nicht zu verhindern, dass der Zahnarzt seine Tätigkeit nicht allein durch die medizinische Behandlungsnotwendigkeit des Patienten, sondern (auch) durch ein wirtschaftliches Eigeninteresse leiten lasse. Zwar müssen Ärzte ihre Behandlungen allein nach medizinischen Gesichtspunkten und unabhängig von Zuwendungen Dritter durchführen. Entsprechende berufsrechtlichen Ge- und Verbote habe der Zahnarzt auch beim Betrieb eines eigenen zahntechnischen Labors im Sinne des § 11 MBO-Z oder bei Auslagerung und Leistungserbringung durch ein externes Labor zu beachten. Es gebe aber keine Anhaltspunkte dafür, dass § 9 Abs. 1 GOZ die Durchsetzung dieser Grundsätze bezwecke. Vielmehr stehe jegliche zahnärztliche Vergütung ‒ und damit auch die Erstattungsfähigkeit der Auslagen für zahntechnische Leistungen gemäß § 9 Abs. 1 GOZ ‒ ohnehin unter dem Vorbehalt, dass die zu vergütende Leistung nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst für eine zahnmedizinisch notwendige zahnärztliche Versorgung erforderlich sei (§ 1 Abs. 2 GOZ). Auch aus der Einordnung der Praxislabore als unselbstständige Hilfsbetriebe im Sinne von § 3 Abs. 3 Handwerksordnung, die nicht gegenüber Dritten gewerblich tätig würden und damit denknotwendig auch keine Gewinne erwirtschaften dürften, könne angesichts der unterschiedlichen Regelungsmaterien und der vom Gesetzgeber jeweils verfolgten Zwecke kein rechtlich tragfähiges Argument gegen die vergütungsrechtliche Erstattungsfähigkeit eines angemessenen kalkulatorischen Gewinnanteils als Teil der Auslagen für zahntechnische Leistungen im Sinne von § 9 Abs. 1 GOZ gewonnen werden.