24.05.2007 · IWW-Abrufnummer 071764
Bundesfinanzhof: Urteil vom 15.03.2007 – V R 55/03
1. Ein Arzt für Laboratoriumsmedizin erbringt mit seinen medizinischen Analysen und Laboruntersuchungen, die er im Auftrag der behandelnden Ärzte oder deren Labore/Laborgemeinschaften ausführt, "ärztliche Heilbehandlungen" i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG bzw. "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG; es ist nicht erforderlich, dass diese Leistungen unmittelbar gegenüber den Patienten erbracht werden (EuGH-Rechtsprechung).
2. Umsätze eines Arztes für Laboratoriumsmedizin aus medizinischen Analysen und Laboruntersuchungen im Auftrag der behandelnden Ärzte oder deren Labore/Laborgemeinschaften sind auch dann nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980/1991/1993 steuerfrei, wenn er sie in der Rechtsform einer GmbH erbringt und er der alleinige Gesellschafter dieser GmbH ist.
3. Soweit solche Umsätze eines Arztes für Laboratoriumsmedizin sowohl unter die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980/1991/1993 aufgrund dessen Anknüpfung an den Beruf (hier als Arzt) und dessen spezifische Umsätze als auch entsprechend Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG unter die des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980/1991/ 1993 fallen, kann sich der Steuerpflichtige auf die für ihn günstigere Regelung des nationalen Rechts (§ 4 Nr. 14 UStG 1980/1991/1993) berufen. § 4 Nr. 14 UStG 1980/1991/1993 folgt insoweit einer anderen Systematik als Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 77/388/EWG, die in erster Linie dem Ort der Leistungserbringung folgt. Der Anwendungsbereich des § 4 Nr. 14 UStG 1980/1991/1993 kann nicht im Wege der Auslegung auf den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980/1991/1993 "begrenzt" werden.
4. § 4 Nr. 16 UStG 1980/1991/1993 verstößt gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der steuerlichen Neutralität, weil nicht für alle Kategorien privatrechtlicher Einrichtungen, die in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG genannt sind, in Bezug auf die Erbringung vergleichbarer Leistungen die gleichen Bedingungen für ihre Anerkennung gelten.
5. Die 40 %-Grenze in § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980/1991/1993 bezieht sich nur auf die in § 4 Nr. 16 UStG 1980/1991/1993 genannten Umsätze selbst und nicht etwa auf den Gesamtumsatz des Unternehmers.
Gründe:
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH. Ihr alleiniger Gesellschafter ist der Arzt für Laboratoriumsmedizin Dr. S. Die Klägerin führte in den Jahren 1990 bis 1993 (Streitjahre) u.a. im Auftrag verschiedener, in den Geschäftsräumen der Klägerin ansässiger Laborgemeinschaften medizinische Analysen durch; neben den Laboruntersuchungen für Ärzte war die Klägerin auf folgenden Gebieten tätig: Bakteriologische Lebensmitteluntersuchungen; Zurverfügungstellung von Räumen, Laborgeräten und anderen Diensten an Laborgemeinschaften; organisations- und betriebswirtschaftliche Beratung der Laborpraxen des Dr. S und der Laborgemeinschaften; Fahrdienste für die Laborpraxen des Dr. S und der Laborgemeinschaften. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) entfielen ca. 60 % des Gesamtumsatzes der Klägerin auf die Laboruntersuchungen für die Laborgemeinschaften. Die Laborgemeinschaften waren Gesellschaften bürgerlichen Rechts, zu denen sich praktische Ärzte zusammengeschlossen hatten. Diese hatten die Analysen im Rahmen ihrer Heilbehandlungen angeordnet. Jedes Mitglied einer Laborgemeinschaft rechnete gegenüber seinen Patienten bzw. deren Versicherung die von der Klägerin erbrachte Leistung als eigene Leistung ab.
Bis zum 31. Oktober 1990 führten von der Klägerin beschäftigte medizinisch-technische Assistenten die Laboruntersuchungen durch. Wegen einer Änderung der Labor-Richtlinien der Kassenärztlichen Vereinigung im Jahr 1990 verließen mehrere Mitarbeiter die Klägerin und wurden von zwei Laborgemeinschaften (X und C) als Arbeitnehmer eingestellt. Für diese Mitarbeiter ergaben sich aber insoweit keine Änderungen, als nach den vertraglichen Vereinbarungen weiterhin die Klägerin die mit der Personalverwaltung zusammenhängenden Dispositionen tätigte, ihr die Auswahl neu einzustellenden Personals oblag und sich die Klägerin verpflichtete, im Falle der Auflösung der Laborgemeinschaften X und C das bei diesen beschäftigte Personal zu übernehmen. Die von den Laborgemeinschaften X und C beschäftigten Mitarbeiter waren weiterhin in die Arbeitsabläufe der Klägerin eingegliedert und führten Laboruntersuchungen auch für andere Laborgemeinschaften durch und wurden auch mit der Ausführung der von anderen Auftraggebern der Klägerin erteilten Aufträge betraut.
Nach dem Überwechseln der medizinisch-technischen Assistenten zu den Laborgemeinschaften X und C ermittelte die Klägerin ab 1. November 1990 das für ihre Leistungen an die jeweilige Laborgemeinschaft berechnete Entgelt wie folgt:
Summe der an die angeschlossenen Ärzte erbrachten Leistungen einschließlich Umsatzsteuer (Bruttoentgeltvereinbarung)
./. Lohnkosten der Laborgemeinschaften X und C
= Bruttorechnungsbetrag
./. Umsatzsteuer
= Nettorechnungsbetrag.
Dieses so ermittelte Entgelt rechnete die Klägerin gegenüber den Laborgemeinschaften wie folgt ab: "Für die im Monat .... in unserem Hause abgearbeiteten Analysen berechnen wir Ihnen Entgelt ... zuzüglich Umsatzsteuer = Rechnungsendbetrag."
Die Klägerin behandelte also die Umsätze selbst als steuerpflichtig und wies in ihren Rechnungen Umsatzsteuer gesondert aus. Durch die dargestellte Form der Entgeltermittlung schied die Klägerin aus der Entgeltberechnung die Lohnkosten aus, die bei den Laborgemeinschaften X und C für die Beschäftigung der früher von der Klägerin beschäftigten Mitarbeiter anfielen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) behandelte die Leistungen der Klägerin an die Laborgemeinschaften --wie die Klägerin-- als steuerpflichtig und erhöhte die Bemessungsgrundlage um die von den Laborgemeinschaften X und C bezahlten Personalkosten. Weil die entsprechenden Mitarbeiter nicht nur für die Laborgemeinschaften X und C tätig geworden seien, sondern allgemein für die Klägerin, stellten diese Personalkosten Entgelt dar, weil X und C diese Kosten für die Klägerin aufgewendet hätten, um deren Leistungen zu erhalten; dies komme auch in der Art der Entgeltermittlung zum Ausdruck.
Einspruch und Klage gegen die Steuerbescheide hatten keinen Erfolg.
Das FG war mit dem FA der Ansicht, die Leistungen seien nicht nach § 4 Nr. 16 Buchst. c des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980/1991/1993 steuerfrei. Zwar stelle das Unternehmen der Klägerin eine "andere Einrichtung ärztlicher Befunderhebung" dar; die Leistungen der Klägerin seien aber nicht in dem erforderlichen Ausmaße "unter ärztlicher Aufsicht" erbracht worden. Im Übrigen habe die Klägerin nicht nachgewiesen, dass jeweils im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 40 % ihrer Leistungen dem in § 4 Nr. 15 Buchst. b UStG 1980/1991/1993 genannten Personenkreis zugute gekommen sei. Dabei ging das FG davon aus, dass sich die 40 %-Grenze in § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980/1991/1993 auf den Gesamtumsatz der Klägerin beziehe und nicht etwa nur auf die in dieser Vorschrift selbst genannten, potenziell steuerfreien Umsätze. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 64 abgedruckt.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision und macht geltend, dass die entsprechenden Leistungen entgegen der Auffassung des FG unter ärztlicher Aufsicht erbracht worden seien. Außerdem macht sie Verfahrensmängel geltend, soweit das FG davon ausgeht, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass mindestens 40 % ihrer Leistungen dem in § 4 Nr. 15 Buchst. b UStG 1980/1991/1993 genannten Personenkreis zugute gekommen sei; sie habe im finanzgerichtlichen Verfahren immer noch auf den vom FA geforderten Hinweis gewartet, wie dieser Nachweis erbracht werden solle und ohne dass sie hierauf eine Antwort bekommen habe, habe das FG zu ihren Ungunsten auf Grund der Beweislastverteilung entschieden.
Nach mündlicher Verhandlung vom 25. November 2004 hatte der Senat Zweifel, ob die Behandlung der streitigen Umsätze der Klägerin nach nationalem Recht mit den Vorgaben der Sechsten Richtlinie des Rates vom 12. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) vereinbar sei und legte dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) mit Beschluss vom 25. November 2004 folgende Frage vor:
"Erlauben es Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG, die Steuerbefreiung der von praktischen Ärzten angeordneten medizinischen Laboranalysen auch dann von den dort genannten Bedingungen abhängig zu machen, wenn die Heilbehandlung der Ärzte ohnedies steuerfrei ist?"
Der Beschluss ist veröffentlicht in BFHE 208, 87, BStBl II 2005, 445.
Mit Urteil vom 8. Juni 2006 Rs. C-106/05, L. u. P. GmbH --im Folgenden: Vorabentscheidung-- (BFH/NV Beilage 4, 2006, 442, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2006, 464 mit Anm. Klenk) hat der EuGH Folgendes entschieden:
"Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG ist dahin auszulegen, dass der vorbeugenden Beobachtung und Untersuchung der Patienten dienende medizinische Analysen, die wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden von einem in privatrechtlicher Form organisierten Labor außerhalb einer Heilbehandlungseinrichtung auf Anordnung praktischer Ärzte durchgeführt werden, als ärztliche Heilbehandlungen einer anderen ordnungsgemäß anerkannten privatrechtlichen Einrichtung im Sinne dieser Bestimmung unter die dort vorgesehene Befreiung fallen können.
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, wonach die Befreiung derartiger medizinischer Analysen von Bedingungen abhängt, die nicht für die Befreiung der Heilbehandlungen der praktischen Ärzte gelten, die sie angeordnet haben, und sich von denen unterscheiden, die für die mit der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundenen Umsätze im Sinne der erstgenannten Bestimmung gelten.
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG steht einer nationalen Regelung entgegen, wonach die Befreiung der medizinischen Analysen, die von einem in privatrechtlicher Form organisierten Labor außerhalb einer Heilbehandlungseinrichtung durchgeführt werden, von der Bedingung abhängt, dass sie unter ärztlicher Aufsicht erbracht werden. Dagegen verstößt es nicht gegen diese Bestimmung, dass nach der nationalen Regelung die Befreiung dieser Analysen von der Bedingung abhängt, dass mindestens 40 % von ihnen Personen zugute kommen, die bei einem Träger der Sozialversicherung versichert sind."
In seiner Stellungnahme zu diesem EuGH-Urteil weist das FA darauf hin, dass das FG keineswegs festgestellt habe, dass alle Analysen der Klägerin auf Grund ärztlicher Anordnung durchgeführt wurden und der Nachweis über die "40-%-Grenze" von der Klägerin erbracht worden sei.
Die Klägerin nimmt wie folgt Stellung: Der EuGH habe die Prüfung der Grenzen des Ermessens des nationalen Gesetzgebers in die Verantwortung des Bundesfinanzhofs (BFH) gestellt, auch wenn er zwei konkrete Fragen selbst beantwortet habe; deshalb müsse der BFH noch Folgendes prüfen:
1. Verstößt es gegen den EG-rechtlichen Grundsatz der Neutralität und der Gleichbehandlung, wenn der nationale Gesetzgeber die 40-%-Grenze für öffentliche und private Einrichtungen auf verschiedene Bezugsgrößen anwendet? Bei Krankenhäusern seien die vergleichbaren Leistungen dann steuerfrei, wenn 40 % der jährlichen Pflegetage auf Patienten entfielen, bei denen nur Entgelte für allgemeine Krankenhausleistungen oder nach der (ehemaligen) Bundespflegesatzverordnung berechnet würden, während sich die 40-%-Grenze bei den privaten Einrichtungen darauf beziehe, dass 40 % der Leistungen Personen zugute kommen, die bei einem Träger der gesetzlichen Sozialversicherung versichert seien.
2. Verstößt es gegen die genannten Grundsätze, dass dieselben Leistungen der klinischen Chemiker, der Laborärzte und der Laborgemeinschaften ohne die 40-%-Grenze steuerfrei sind, weil diese direkt unter § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980/1991/1993 fallen?
3. Verstößt die letztgenannte Ungleichbehandlung auch gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG-- (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 26. Oktober 1976 1 BvR 191/74, BVerfGE 43, 58, UR 1977, 32)?
4. Die praktische Umsetzung der 40-%-Grenze für die privaten Einrichtungen sei in tatsächlicher Hinsicht nicht erfüllbar; tatsächlich Unerfüllbares dürfe aber nicht tatbestandliche Voraussetzung eines Gesetzes sein (Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip von Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 Satz 1 GG).
5. Letztlich lägen auch Verfahrensmängel vor, die zur Aufhebung und Zurückverweisung führen müssten: Das FG habe zunächst dem FA aufgegeben zu erläutern, wie die Klägerin den Nachweis über die 40-%-Grenze führen solle; das FA habe nicht geantwortet und ohne weitere Aufklärung habe das FG dann nach Beweislastverteilungsgrundsätzen zu Lasten der Klägerin entschieden (Überraschungsentscheidung; Verstoß gegen die Fürsorgepflicht; Verstoß gegen die Ermittlungspflicht des FG).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide 1990 bis 1993 dahin gehend zu ändern, dass die Umsätze aus den Laboruntersuchungen als steuerfrei behandelt sowie den Rechtsstreit zur Ermittlung der nicht abziehbaren Vorsteuerbeträge an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 23. November 2006 hat der Senat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) aufgefordert, dem Verfahren beizutreten (BFH/NV 2007, 510). Das BMF ist dem Verfahren beigetreten und hat schriftlich sowie in der mündlichen Verhandlung zu den aufgeworfenen Fragen Stellung genommen.
II.
Die Revision ist begründet. Das FG hat die Laborleistungen der Klägerin zu Unrecht als steuerpflichtig behandelt; deshalb ist sein Urteil aufzuheben. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil ihm die in Folge der Steuerfreiheit der Umsätze aufzuteilenden und zu kürzenden Vorsteuerbeträge nicht bekannt sind; deshalb wird die Sache zur Ermittlung dieser Tatsachen und zur erneuten Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Die Umsätze der Klägerin aus den Laboruntersuchungen für die Laborgemeinschaften sind nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980/1991/1993 steuerfrei.
a) Die Klägerin erbringt Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt (Laborarzt). Zwar ist die Klägerin keine natürliche, sondern eine juristische Person des privaten Rechts (GmbH), ihr einziger Gesellschafter ist aber der Arzt für Laboratoriumsmedizin Dr. S. In der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 10. September 2002 Rs. C-141/00, Kügler, BFH/NV 2003, Beilage 1, S. 30, UR 2002, 513), des BVerfG (Urteil vom 10. November 1999 2 BvR 2861/93, BVerfGE 101, 151, BStBl II 2000, 160) und des BFH (Urteil vom 4. März 1998 XI R 53/96, BFHE 185, 305, BStBl II 2000, 13) ist anerkannt, dass die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG bzw. nach § 4 Nr. 14 UStG 1980/1991/1993 von der Rechtsform des Steuerpflichtigen, der die dort genannten ärztlichen oder arztähnlichen Leistungen erbringt, unabhängig ist. Auf den vom FG noch maßgeblich abgestellten Aspekt, dass eine freiberufliche Tätigkeit i.S. des § 18 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorliegen müsse, kommt es nach der Rechtsprechung des EuGH nicht mehr an; Rz 30 des Urteils Kügler lautet:
"Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität verbietet es insbesondere, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze bewirken, bei der Mehrwertsteuererhebung unterschiedlich behandelt werden. Dieser Grundsatz wäre daher verletzt, wenn die Möglichkeit einer Berufung auf die Steuerbefreiung für die in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c genannten Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin von der Rechtsform abhinge, in der der Steuerpflichtige seine Tätigkeit ausübt (vgl. in diesem Sinne Urteil Gregg, Randnr. 20)."
Es reicht deshalb aus, dass der alleinige Gesellschafter der Klägerin die in § 4 Nr. 14 UStG 1980/1991/1993 erforderliche Qualifikation als Arzt aufweist.
b) Der EuGH hat im vorliegenden Verfahren entschieden, dass die Klägerin mit den medizinischen Analysen (wie im Streitfall), die der vorbeugenden Beobachtung und Untersuchung der Patienten dienen (Laboruntersuchungen für die Laborgemeinschaften), der Art nach "ärztliche Heilbehandlungen" i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b bzw. "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG erbringt (Rz 31, 39 der Vorabentscheidung).
Aus diesem Urteil ergibt sich ferner, dass die Leistungen der "ärztlichen Heilbehandlung" nicht unmittelbar gegenüber dem Patienten erbracht werden müssen, um als steuerfrei behandelt werden zu können; es reicht vielmehr aus, dass diese Leistungen gegenüber den Ärzten erbracht werden, die die Analysen angeordnet haben.
Diese Entscheidungsgrundsätze lassen die Behandlung des Rechtsstreits in einem anderen Licht erscheinen, als dies noch im Zeitpunkt des Vorlagebeschlusses vom 25. November 2004 der Fall war. Denn wenn die Klägerin --rechtsformneutral-- als Arzt i.S. des § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980/1991/1993 anzusehen ist und ihre Laboruntersuchungen für die Laborgemeinschaften als ärztliche Heilbehandlung und damit als "Tätigkeit als Arzt" auch dann zu qualifizieren sind, wenn sie nur mittelbar den Patienten zugute kommen, dann greift bereits nach nationalem Recht die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980/1991/1993 ein, ohne dass es auf die weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980/1991/1993 ankommt.
Zwar grenzt der EuGH die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG von den ärztlichen Heilbehandlungen, die von einem in privatrechtlicher Form organisiertem Labor nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG erbracht werden, nach dem Ort ab, an dem die Leistungen erbracht werden (Rz 22 und 39 des Urteils L.u.P. GmbH): Nach Buchst. c sollen Leistungen steuerfrei sein, die außerhalb von Krankenhäusern (oder ähnlichen Einrichtungen) im Rahmen eines persönlichen Vertrauensverhältnisses erbracht werden, sei es in den Praxisräumen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort, für alle anderen ärztlichen Leistungen soll Buchst. b eingreifen. Diese der Richtlinie 77/388/EWG zugrunde liegende Systematik lässt sich aber nicht im Wege der Auslegung in das nationale Umsatzsteuergesetz übertragen, soweit es diesem Ansatz des europäischen Rechts schon dem Grunde nach nicht folgt: In § 4 Nr. 14 UStG 1980/1991/1993 finden sich sowohl Ärzte als auch klinische Chemiker, deren Leistungen nicht in der Arztpraxis oder der Wohnung des Patienten erbracht werden, als auch solche, bei denen dies der Fall ist. Durch das UStG 1980 wurde die Befreiung nach § 4 Nr. 14 UStG 1980/1991/1993 auf die Klinischen Chemiker ausgedehnt, um eine Wettbewerbbenachteiligung dieser Unternehmer gegenüber den Laborärzten zu verhindern (BTDrucks 8/2827, S. 14). Das nationale Gesetz knüpft damit hinsichtlich der Steuerbefreiung (auch der Laborärzte) in erster Linie an den Beruf an und nicht an den Ort der Leistung. Die von § 4 Nr. 14 UStG 1980/1991/1993 erfassten Umsätze können nicht gegen den Gesetzeswortlaut im Wege der Auslegung in den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980/1991/1993 "umdefiniert" werden. Es bleibt vielmehr dabei, dass sich in einem derartigen Fall der Steuerpflichtige auf das für ihn günstigere nationale Recht --wie hier § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980/1991/1993-- berufen kann, solange dieses nicht entsprechend den Vorgaben der Richtlinie 77/388/EWG angepasst wird.
c) Diese Rechtsauffassung steht nicht in Widerspruch zum Senatsurteil vom 13. Juli 2006 V R 7/05 (BFH/NV 2006, 2387); im dort entschiedenen Fall wiesen weder der Kläger (Rechtsnachfolger des TÜV) noch dessen Mitglieder die berufliche Qualifikation als Arzt auf. Kann sich ein Steuerpflichtiger nach den Tatbestandsvoraussetzungen nicht auf die günstigere Regelung des § 4 Nr. 14 UStG 1980/1991/1993 berufen, kann zur Abgrenzung zwischen § 4 Nr. 14 und Nr. 16 auf die Systematik der Richtlinie 77/388/EWG abgestellt werden (richtlinienkonforme Auslegung).
d) Für die Streitjahre führt die Behandlung der Umsätze aus den Laboruntersuchungen für die Laborgemeinschaften als steuerfrei aber nur dazu, dass die Steuerfestsetzungen um die Umsatzsteuer aus den vom FA zusätzlich der Besteuerung unterworfenen Entgelten in Gestalt der von den Laborgemeinschaften X und C übernommenen Personalkosten ermäßigt wird, weil die Klägerin hinsichtlich der übrigen Laborumsätze die Umsatzsteuer offen in ihren Rechnungen ausgewiesen hat und diese daher nach § 14 Abs. 2 UStG 1980/1991/1993 schuldet; gleichzeitig sind die abziehbaren Vorsteuerbeträge nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG 1980/1991/ 1993 insoweit zu kürzen, als sie zur Ausführung der nach § 4 Nr. 14 UStG 1980/1991/1993 steuerfreien Umsätze verwendet wurden.
Die hierzu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen wird das FG noch zu treffen haben. Die nach § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG 1980/1991/1993 bzw. jetzt nach § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG mögliche Berichtigung des unrichtigen Steuerausweises wirkt sich nach § 17 Abs. 1 Satz 7 UStG erst in dem Besteuerungszeitraum aus, in dem die Rechnungen tatsächlich berichtigt werden. Für die Streitjahre wird daher trotz der Steuerfreiheit der Umsätze aus den Laboruntersuchungen eine "Verböserung" gegenüber den bisherigen Steuerfestsetzungen eintreten.
2. Die Anwendung von § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980/1991/1993 würde zu keinem anderen Ergebnis führen.
Zwar hat der EuGH im vorliegenden Verfahren entschieden, dass die Mitgliedstaaten über ein Ermessen verfügten, die Regeln zur Anerkennung der in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG genannten privatrechtlichen Einrichtungen aufzustellen, weshalb die in § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980/1991/ 1993 aufgestellte 40-%-Grenze grundsätzlich mit europäischem Recht vereinbar sei (Rz 42 und 54). Es hätten jedoch die nationalen Gerichte zu prüfen, ob die Mitgliedstaaten bei Beachtung der Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, insbesondere des Grundsatzes der Gleichbehandlung, der im Mehrwertsteuerbereich im Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck komme, bei der Aufstellung solcher Bedingungen nicht etwa die Grenzen ihres Ermessens überschritten hätten (Rz 48). In Rz 50 präzisiert der EuGH dies wie folgt:
"Insoweit ist vorab darauf hinzuweisen, dass die Wahrung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität zunächst verlangt, dass für alle in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie genannten Kategorien privatrechtlicher Einrichtungen die gleichen Bedingungen für ihre Anerkennung in Bezug auf die Erbringung vergleichbarer Leistungen gelten. Im vorliegenden Fall hat daher das vorlegende Gericht zu prüfen, ob die nationale Regelung diesem Erfordernis entspricht oder aber die Anwendung der fraglichen Bedingungen auf bestimmte Arten von Einrichtungen beschränkt, während andere von ihr ausgenommen sind."
Danach ist maßgeblich darauf abzustellen, dass für alle Kategorien privatrechtlicher Einrichtungen i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG in Bezug auf die Erbringung vergleichbarer Leistungen nach dem nationalem Recht die gleichen Bedingungen für ihre Anerkennung gelten. Dies ist aber nicht der Fall: Die Laborärzte und klinischen Chemiker, die unter Buchst. b zu subsumieren wären, werden nach deutschem Recht ohne weitere Voraussetzungen von der Umsatzsteuer befreit (§ 4 Nr. 14 UStG 1980/1991/1993), die privaten Krankenhäuser nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1980/1991/1993 nach anderen Bedingungen als die übrigen in § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980/1991/1993 genannten Einrichtungen, obwohl alle Kategorien in Bezug auf ihre Umsätze aus den Laboruntersuchungen vergleichbare Leistungen erbringen. Ein sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung derselben Leistungen verschiedener Wirtschaftsteilnehmer ist umso weniger erkennbar, als auch der Zweck der Steuerbefreiung nach nationalem Recht --die Entlastung der Sozialversicherung von der Umsatzsteuer (vgl. die Nachweise im BVerfG-Urteil in BVerfGE 101, 151, BStBl II 2000, 160, unter B. II. 1. b)-- sich nicht mit dem Zweck der Steuerbefreiung nach Gemeinschaftsrecht deckt, der in der Senkung der Kosten der Heilbehandlung schlechthin liegt (ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl. Vorabentscheidung L.u.P. GmbH, Rz 25, m.N.).
Die nationale Regelung der Steuerbefreiung vergleichbarer Leistungen zu verschiedenen Bedingungen lässt sich deshalb mit dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht vereinbaren. Als Konsequenz wäre daraus Folgendes abzuleiten: Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG sind die dort genannten Umsätze grundsätzlich von der Steuer zu befreien; die Regelungen der Buchst. b und c sind auch hinreichend konkret. Stellt der nationale Gesetzgeber Regeln auf, die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen widersprechen, können diese vom Standpunkt des Gemeinschaftsrechts keine Beachtung finden. Der Steuerpflichtige kann sich dann aber auf die Steuerbefreiungsvorschriften des Gemeinschaftsrechts berufen, ohne dass die --gemeinschaftsrechtlich unbeachtlichen-- nationalen Einschränkungen zu berücksichtigen sind. Bei unmittelbarer Berufung auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG wären daher die Umsätze der Klägerin aus den Laboruntersuchungen für die Laborgemeinschaften von der Umsatzsteuer zu befreien.
3. Im Übrigen ist das FG bei der Anwendung des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980/1991/1993 von einer zu weiten Bestimmung der rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen: Die dort genannte 40-%-Grenze bezieht sich nach der gesetzlichen Systematik und dem Gesetzeswortlaut nicht auf den Gesamtumsatz des Unternehmers, sondern nur auf die in § 4 Nr. 16 UStG 1980/1991/1993 bezeichneten Umsätze selbst.
Es wäre daher selbst bei Anwendung von § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980/1991/1993 auf die Umsätze aus den Laboruntersuchungen der Klägerin für die Laborgemeinschaften fraglich, ob die tatsächlichen Voraussetzungen hinsichtlich der 40-%-Grenze nicht doch erfüllt wären. In diesem Zusammenhang sind das FA und das BMF im Revisionsverfahren die Antwort auf die Frage schuldig geblieben, auf welche rechtlich unbedenkliche und auch nachprüfbare Weise die Klägerin in der gegebenen Konstellation den Nachweis erbringen sollte, dass mindestens 40 % ihrer Laboruntersuchungsleistungen für die Laborgemeinschaften dem in § 4 Nr. 15 Buchst. b UStG 1980/1991/1993 genannten Personenkreis zugute kommt, wenn sie selbst am Leistungsverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht beteiligt ist und der Arzt die Auskunft über den Versicherungsstatus des Patienten gegenüber dem Labor verweigern darf.
4. Der Senat hat weiterhin verfassungsrechtliche Zweifel daran, ob der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980/1991/1993 den Beschluss des BVerfG in BVerfGE 43, 58, UR 1977, 32 zutreffend umgesetzt hat (vgl. Klenk, UR 2006, 470). Da die Umsätze der Klägerin aber schon nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980/1991/1993 steuerfrei sind, ist die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980/1991/1993 nicht mehr entscheidungserheblich.