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  • 28.07.2015 · IWW-Abrufnummer 145001

    Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 27.05.2014 – 11 K 2364/13 F

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Tenor:

    Der Bescheid zur einheitlichen und gesonderten Feststellung 2008 vom 18. Juni 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Juni 2013 wird dahingehend geändert, dass die festgestellten Einkünfte um 66.667 € gemindert und der Klägerin als Sonderbetriebsausgaben zugerechnet werden. Die Berechnung der so geänderten Einkünfte wird dem Beklagten übertragen.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

    Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

    Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.


    Tatbestand

    Die Parteien streiten darum, ob die Klägerin einen abschreibungsfähigen Praxiswert oder eine nicht abschreibungsfähige kassenärztliche Zulassung erworben hat.

    Die Klägerin fasste im Frühjahr 2007 den Entschluss, ihre bisherige Anstellung als Fachärztin für Orthopädie in einem Krankenhaus in A aufzugeben. Der Kassenbezirk A war zu dieser Zeit gesperrt. Daher nahm sie Kontakt zu zwei zum Verkauf stehenden orthopädischen Facharztpraxen auf.

    Eine dieser Praxen wurde seit 1988 von B in Räumlichkeiten …. in C geführt. Im Sommer arbeitete die Klägerin von Zeit zu Zeit in dessen Praxis, um die Patienten kennen zu lernen. Am 17. August 2007 schlossen die Klägerin und B einen Praxisübernahmevertrag ab. Die Patienten wurden von B und der Klägerin über den anstehenden Praxisverkauf mündlich informiert.

    Die Klägerin sollte die Praxis laut Vertrag mit Wirkung zum 1. Januar 2008 übernehmen und im eigenen Namen auf eigene Rechnung fortführen. Zu diesem Zweck war auch die Übernahme des Praxisinventars vereinbart. Insbesondere sollte die Patientenkartei mit sämtlichen Krankenunterlagen in das Eigentum der Klägerin übergehen, wenn eine Einverständniserklärung des Patienten vorlag. Die Klägerin trat in verschiedene praxisbezogene Verträge des Veräußerers ein (z.B. Softwareüberlassungs- und Pflegevertrag, Praxisinventarversicherung, Gesellschaftsvertrag der Knochendichtemessung Gbr. etc.). Die bestehenden Verträge zu dem Physiotherapeuten und zur Miete der Praxisräume sollte B zum Jahresende 2007 kündigen. Auch fünf bestehende Arbeitsverhältnisse sollten auf die Klägerin übergehen.

    Der Kaufpreis betrug 270.000 €. Nach einem Bewertungsgutachten sollte dieser sich aus 70.000 € für das Inventar und 200.000 € für den ideellen Praxiswert zusammensetzen. In dem Gutachten wurde der ideelle Praxiswert mit Hilfe von vier verschiedenen Bewertungsverfahren auf 190.000 € - 210.000 € geschätzt (Ertragswertverfahren, gemischtes Umsatz- und Gewinnverfahren, sowie Bewertung nach Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Vereinigung D; vgl. Blatt 143f. der Gerichtsakte - GA -). Der gesamte Kaufvertrag wurde vereinbarungsgemäß wirksam, nachdem die Klägerin die kassenärztliche Zulassung von B übernehmen konnte.

    Das von der Klägerin erworbene Praxisinventar war teilweise erneuerungsbedürftig. So hätte die Röntgenanlage für ca. 35.000 € erneuert werden müssen (vgl. das Angebot der Fa. E vom 12. Dezember 2007, Bl. 24 GA). Überdies entsprachen die Praxisräume in C aufgrund des dort verlegten Teppichbodens nicht mehr den neueren Hygienebestimmungen zur Vornahme operativer Eingriffe. Dies hätte einen weiteren Renovierungsbedarf in Höhe von ca. 25.000 € erfordert.

    Im Spätsommer 2007 kam es zu Gesprächen zwischen der Klägerin und den beiden anderen Gesellschaftern der Beigeladenen. Deren chirurgische Gemeinschaftspraxis verfügte über eine ordnungsgemäße Röntgenanlage und erfüllte auch alle entsprechenden Hygieneanforderungen.

    Am 29. Oktober 2007 kam es zu einem ersten Vertragsentwurf über den Zusammenschluss der Arztpraxen zur Gründung der Beigeladenen. Danach sollte die Klägerin mit dem ehemaligen Vermieter von B einen neuen aber befristeten Mietvertrag abschließen. Zu einer ersten Unterzeichnung eines Partnerschaftsgesellschaftsvertrages kam es am 21. November 2007. Sitz der Berufsausübungsgemeinschaft sollte die F in A sein. Allerdings sollte die Partnerschaft als überörtliche Gemeinschaftspraxis auch in C betrieben werden.

    Am 4. Dezember 2007 stellte die Klägerin jedoch beim Zulassungsausschuss den Antrag, ihren Praxissitz in die Räumlichkeiten F zu verlegen. Der endgültige Partnerschaftsgesellschaftsvertrag wurde am 17. Dezember 2007 unterzeichnet. Es war nunmehr vorgesehen, dass die gemeinschaftliche Praxis allein in F betrieben werden sollte (vgl. § 1 Ziff. 6 des Vertrages vom 17. Dezember, Blatt 189 GA). In den alten Praxisräumen in A wurde ein entsprechendes Hinweisschild angebracht, um die Patienten über den bevorstehenden Umzug der Praxis zu informieren. Auch eine Zeitungsannonce über den bevorstehenden Praxisübergang und –umzug wurde geschaltet (vgl. Blatt 28 GA). Überdies wurden bei dem an der alten Praxisadresse ansässigen Apotheker Visitenkarten der Klägerin zur Verteilung an Patienten hinterlegt.

    Laut dem Partnerschaftsgesellschaftsvertrag vom 17. Dezember 2007 sollte die Klägerin der Beigeladenen die von B erworbenen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter der Einzelpraxis als Sonderbetriebsvermögen kostenlos zur Nutzung zur Verfügung stellen. Nur zukünftig anzuschaffendes Inventar sollte Eigentum der Beigeladenen werden.

    Der Zulassungsausschuss stimmte der Praxisverlegung der Klägerin in die Räumlichkeiten F durch Beschluss vom 18. Dezember 2007 zu, so dass die Klägerin ihre Tätigkeit in den Streitjahren unter der neuen Adresse aufnehmen konnte (vgl. Bl. 107 GA).

    Die vier vollzeitbeschäftigten Mitarbeiterinnen aus der Praxis von B wurden bei der Beigeladenen angestellt, lediglich eine geringfügig Beschäftigte wurde nicht übernommen. Eine der übernommenen Mitarbeiterinnen wurde nach vier Monaten fristlos gekündigt, eine weitere schied nach einem Jahr auf eigenen Wunsch aus. Die Auszubildende des B beendete ihre Berufsausbildung bei der Beigeladenen und ist heute noch dort beschäftigt. Insgesamt konnten in den neuen Praxisräumen bereits im Folgequartal ca. 180 Kassenpatienten aus der alten Praxis weiter behandelt werden. Noch brauchbares Praxisinventar wurde in die neue Praxis überführt.

    Die Klägerin schrieb den von B erworbenen Praxiswert auf drei Jahre ab und machte dies entsprechend in der Feststellungserklärung vom 23. Juni 2009 für das Jahr 2008 geltend. Der Beklagte folgte der Feststellungserklärung und erließ am 2. September 2009 einen entsprechenden Bescheid über die gesonderte und eine einheitliche Feststellung. Die Betriebsprüfung erkannte die Abschreibung auf den Praxiswert nicht an, da es sich nach ihrer Auffassung lediglich um den Kauf einer nicht abschreibungsfähigen kassenärztlichen Zulassung handelte (vgl. den Betriebsprüfungsbericht vom 18. April 2012 Ziff. 2.3). Dementsprechend erging am 18. Juni 2012 ein geänderter Bescheid zur einheitlichen und gesonderten Feststellung. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 24. Juni 2012 Einspruch ein. Den Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 10. Juni 2013 als unbegründet zurück.

    Die Klägerin hat mit Schreiben vom 8. Juli 2013, eingegangen an demselben Tage, Klage erhoben.

    Die Klägerin behauptet, von vornherein einen selbständigen Praxisbetrieb als Orthopädin geplant zu haben. Der Praxiskauf sei nicht von einem Zusammenschluss oder einer Kooperation mit der Beigeladenen abhängig gewesen. Deshalb sei es zu dem Kontakt mit B gekommen. Man habe sich dann im Sommer 2007 auf eine Praxisübernahme geeinigt. Erst im Zusammenhang mit bzw. nach dem Abschluss des Praxisübernahmevertrages vom 17. August 2007 habe die Klägerin festgestellt, dass eine Fortführung der Praxis in den Räumlichkeiten F nur mit erheblichen Zusatzaufwendungen möglich gewesen wäre. Aufgrund dieser Zusatzinvestitionen habe sie parallel zu möglichen Investitionen überlegt, den Standort der Praxis zu verlegen. Darum habe sie im Spätsommer 2007 Gespräche mit den Gesellschaftern der Beigeladenen geführt. Diese hätten ihr eine fachübergreifende Kooperation angeboten.

    Die Klägerin trägt weiter vor, damit einen derivativen Praxiswert erworben zu haben. Dieser sei gemäß § 5 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu aktivieren und auf seine Nutzungsdauer abzuschreiben. Dieser Praxiswert ergebe sich im vorliegenden Fall aus der Differenz zwischen dem Gesamtkaufpreis und den Werten für die sonstigen selbstständigen Wirtschaftsgüter. Als selbstständige Wirtschaftsgüter seien im vorliegenden Fall die übernommenen materiellen Wirtschaftsgüter mit 70.000 € berücksichtigt worden, so dass für den Praxiswert 200.000 € verblieben. Darüber hinausgehende selbstständige Wirtschaftsgüter seien nicht erkennbar.

    Auch in der Rechtsprechung werde im Grundsatz davon ausgegangen, dass der Vertragsarztsitz unselbstständiger Teil eines einheitlichen Praxiswertes sei. Nur in Sonderfällen könne davon ausgegangen werden, dass eine Zahlung ausschließlich für die Vertragsarztzulassung geleistet werde (BFH Urteil vom 9. August 2011 Az. VIII R 13/08, Bundessteuerblatt II - BStBl. II - 2011, 875). Soweit der Beklagte von einer Abweichung zum Regelfall ausgehen wolle, trage er die Feststellungslast. Entsprechende Nachweise lägen nicht vor. Der Beklagte beschränke sich darauf, die Gründe für die Praxisübernahme in Zweifel zu ziehen und die subjektive betriebswirtschaftliche Entscheidung der Klägerin infrage zu stellen.

    Unabhängig von der Feststellungslast sprächen insbesondere folgende Punkte für eine einheitliche Praxisübernahme:

    Die Klägerin habe für die Praxis von B einen Kaufpreis gezahlt, der den Verkehrswert abbilde. Allein 26% des Kaufpreises entfielen auf materielle Wirtschaftsgüter, die – soweit brauchbar – auch mit an den neuen Standort übernommen worden seien.

    Der für den immateriellen Anteil gezahlte Kaufpreis beinhalte die wesentlichen für die Fortführung erforderlichen Einzelbestandteile (Patientenstamm, Mitarbeiter, Facharztgenehmigung). Es sei nicht erkennbar, wieso im vorliegenden Fall allein ein Interesse an der Erlangung der Kassenzulassung bestanden haben soll. Anders als in dem vom niedersächsischen Finanzgericht am 28. September 2004 (Urteil Az. 13 K 412/01, Deutsches Steuerrecht-Entscheidungsdienst - DStRE - 2005, 427) entschiedenen Fall sei auch eine eingerichtete und laufende Praxis übertragen worden. Ferner habe das Finanzgericht Niedersachsen nur zur Übertragung eines fachgleichen Sitzes entschieden, während hier die Kooperation zweier verschiedener Facharztpraxen zu beurteilen sei.

    Die Verlegung des Praxissitzes sei im vorliegenden Fall kein Indiz für eine Nichtfortführung der übernommenen Praxis. Zum einen habe nicht bereits beim Kauf die Absicht bestanden, den Praxissitz zu verlegen. Überlegt worden sei vielmehr die Fortführung der Praxis am alten Standort in überörtlicher Gemeinschaft mit weiteren ärztlichen Kollegen. Die Entscheidung für die Aufgabe des alten Praxisstandorts sei erst nach weiteren Überlegungen betriebswirtschaftlicher Art im Dezember 2007 gefällt worden, da nur an dem neuen Standort die Bedingungen für eine Fortführung der Praxis von B gegeben gewesen seien. Zudem habe die Klägerin darauf achten müssen, möglichst viele Patienten an den neuen Standort zu übernehmen, da sie keine fachgleiche Praxis mit den neuen Partnern betrieben habe und sie daher auf die Wahrung des eigenen Patientenstammes bedacht sein müsse.

    Die Klägerin beantragt,

    den Bescheid zur einheitlichen und gesonderten Feststellung 2008 vom 18. Juni 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Juni 2013 dahingehend zu ändern, dass die festgestellten Einkünfte um 66.667 € gemindert werden und ihr als Sonderbetriebsausgaben zugerechnet werden;

    die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte bestreitet, dass die Klägerin die Praxis von B im Ganzen übernehmen wollte. Nach Auskunft der Betriebsprüfung sei es vielmehr so gewesen, dass die Beigeladene mit der Klägerin in Kontakt getreten sei, um ihr eine Beteiligung an der Praxisgemeinschaft vorzuschlagen, bevor mit B irgendwelche Verhandlungen aufgenommen wurden. Die Gesellschafter der Beigeladenen hätten nach Ausscheiden eines Vorgängers der Klägerin dringend eine Nachfolgerin gesucht, da sich deren Gemeinschaftspraxis nur so rechnete (vgl. Bl. 113 GA). Nach deren Auffassung habe sich die Klägerin nur mit ihnen zur gemeinsamen Berufsausübung verbunden, um ihre spätere Selbständigkeit (ab Sommer 2011) vorzubereiten.

    Bei dem Erwerb der orthopädischen Praxis habe die Erlangung der kassenärztlichen Zulassung im Vordergrund gestanden. Im Gegensatz zu dem Urteil des BFH vom 9. August 2011 (Az. VIII R 13/08, BStBl. II 2011, 875) umfasse die Frage der Beschaffung der kassenärztlichen Zulassung einen wesentlichen Teil des Praxisübernahmevertrages (vgl. § 9 des Praxisübernahmevertrages vom 17. August 2007). Die Erlangung dieser Zulassung sei mit dem Vertrag ausdrücklich sichergestellt worden. Die Tatsache, dass für diese Beschaffung explizit kein Preis vereinbart sei, ändere nichts an dieser Beurteilung. Der Erwerb einer Zulassung sei wegen der bestehenden Zulassungssperre für den Kassenbezirk A die einzige Möglichkeit gewesen, hier tätig zu werden.

    Neben den Vereinbarungen zur Beschaffung der kassenärztlichen Zulassung ergäben sich aus dem Praxisübernahmevertrag aber auch weitere Anzeichen dafür, dass die Klägerin von vornherein nicht beabsichtigt habe, die Praxis von B fortzuführen. Dies spiegele sich insbesondere in der Kündigung des Mietvertrages und des Vertrages mit dem Physiotherapeuten wieder. Der Praxisübernahmevertrag habe nur wirksam werden sollen, wenn die Klägerin die kassenärztliche Zulassung übernehmen konnte. Ferner sei die Patientenkartei nur bei vorliegendem Einverständnis des einzelnen Patienten übertragen worden.

    Auch aufgrund der Entfernung von ca. 6,5 km zwischen den alten und neuen Praxisräumen könne man nicht davon ausgehen, dass die Klägerin tatsächlich damit gerechnet habe, dass ein Großteil des Patientenstammes tatsächlich an den neuen Standort wechseln würde. Aus der Begründung des Beschlusses des Zulassungsausschusses für Ärzte vom 18. Dezember 2007 (Bl. 107 GA) zur Verlegung des Vertragsarztsitzes gehe hervor, dass die Patientenversorgung durch andere Orthopäden im näheren Umkreis der alten Praxis gewährleistet gewesen sei.

    Zwei der vier Angestellten von B seien in der neuen Praxis nicht weiter beschäftigt worden. Die bereits während der Betriebsprüfung angeforderten Unterlagen zur Unterrichtung des Personals über den Arbeitgeberwechsel seien nicht vorgelegt worden.

    Es erscheine unwahrscheinlich, dass in der Zeit zwischen der Besichtigung der zu übernehmenden Praxis im Frühjahr 2007 und dem Beginn der Verhandlung mit den Gesellschaftern der Beigeladenen im Sommer 2007 ein derart hoher Verschleiß der Geräte eingetreten sei, dass die Klägerin eine Erneuerung des übernommenen Praxisinventars für nötig erachtet hätte. Das Angebot für ein neues Röntgengerät datiere aus dem Dezember 2007. Zu diesem Zeitpunkt habe längst festgestanden, dass die Klägerin die alte Praxis nicht weiterführen werde.

    Zudem besagten die Daten der jeweiligen Vertragsabschlüsse, dass von vornherein die Gründung der Beigeladenen geplant gewesen sei. Ein erster Entwurf des Partnerschaftsvertrages datiere vom 29. Oktober 2007. Der Praxisübernahmevertrag der Klägerin sei bereits am 17. August 2007 unterzeichnet worden. Es sei nicht glaubhaft, dass die Klägerin sich bereits innerhalb von zweieinhalb Monaten nach Übernahme der alten Praxisräume dazu entschlossen habe, ihre Praxisräume zu verlegen. Für die Entschlussfassung, in eine Gemeinschaftspraxis einzutreten und für die Suche nach einer geeigneten Möglichkeit und die Vertragsverhandlungen dieser Dimension erscheine ein Zeitraum von zweieinhalb Monaten nicht ausreichend.

    Dem Hinweis der Klägerin, es sei grundsätzlich eine überörtliche Partnerschaft mit zwei Praxisteilen in C und in F vereinbart gewesen, stehe der erste Entwurf eines Vertrages für eine gemeinsame Praxis vom 29. Oktober 2007 entgegen. Danach hätte die Klägerin sich um einen befristeten Mietvertrag für die alten Praxisräume bis zur bestandskräftigen Genehmigung durch den Zulassungsausschuss bemühen müssen. Ein solcher Mietvertrag sei von der Klägerin nicht abgeschlossen worden.

    Nach der Rechtsprechung des BFH sei davon auszugehen, dass der Inhalt eines Praxisübernahmevertrages ganz überwiegend dem Kassensitz zuzuschreiben sei, wenn der Kaufpreis ganz überwiegend für den Kassensitz und nicht für eine fortzuführende Praxis gezahlt werde. Für die Klägerin habe ganz überwiegend die Erlangung der kassenärztlichen Zulassung bei der Praxisübernahme im Vordergrund gestanden. In einem derartigen Fall habe das niedersächsische Finanzgericht am 28. September 2004 (Urteil Az.: 13 K 4128/01, DStRE 2005, 427) entschieden, dass der wirtschaftliche Vorteil aus einer Vertragsarztzulassung ein nicht abnutzbares immaterielles Wirtschaftsgut sei.

    Das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 26. Januar 2012 (Az. 6 K 4538/07, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2012, 1128) sei nicht einschlägig, dort habe durch die monatelange Mitarbeit nach Praxisübernahme die Patienbindung im Vordergrund gestanden. Dies sei hier nicht der Fall.

    Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt. Zu weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, den beigezogenen Verwaltungsvorgang sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27. Mai 2014 Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    I. Die Klage ist begründet.

    Der Bescheid zur einheitlichen und gesonderten Feststellung vom 18. Juni 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Juni 2013 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

    Der Beklagte hat die von der Klägerin geltend gemachte Absetzung für Abnutzung zu Unrecht nicht anerkannt. Bei Ermittlung der Einkünfte der Klägerin aus selbstständiger Arbeit als Ärztin ist für das Streitjahr in deren Sonderbetriebsvermögen gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2, Abs. 4 S. 2 i.V.m. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) eine Absetzung für Abnutzung in Höhe von 66.667 € gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 EStG für einen von B erworbenen Praxiswert zu berücksichtigen.

    Die Klägerin verfügt in ihrem Sonderbetriebsvermögen über diesen gem. § 5 Abs. 2 EStG zu aktivierenden und abnutzungsfähigen Praxiswert. Der Praxisübernahmevertrag vom 17. August 2007 hatte den entgeltlichen Erwerb eines Praxiswertes zum Gegenstand. Es wurde keine nichtabnutzungsfähige kassenärztliche Zulassung unabhängig von den übrigen Bestandteilen des Praxiswertes veräußert.

    1. Die Klägerin hat den Praxiswert zunächst von B erworben. Bei einem Praxiswert handelt es sich – wie bei einem Geschäfts- oder Firmenwert im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 3 EStG – um ein selbständiges abnutzungsfähiges Wirtschaftsgut. Er ist Ausdruck der Gewinnchancen eines Unternehmens, soweit sie nicht in einzelnen Wirtschaftsgütern verkörpert sind (BFH Urteil vom 9. August 2011 Az. VIII R 13/08, BStBl. II 2011, 875).

    a) Selbstständige Wirtschaftsgüter bedürfen einer Abgrenzung gegenüber deren unselbstständigen Bestandteilen, den wertbildenden Faktoren, wie z.B. geschäftswertsbildenden Rechtsreflexen oder Nutzungsvorteilen eines Wirtschaftsgutes. Der Praxiswert besteht aus dem erworbenen Chancenpaket und setzt sich aus verschiedenen wertbildenden Einzelbestandteilen zusammen (z.B. Patientenstamm, Standort, Umsatz, Facharztgruppe, etc.). Die Vertragsarztzulassung ist regelmäßig ein unselbstständiger Bestandteil des Praxiswertes (vgl. BFH Urteil vom 9. August 2011 aaO).

    b) Die Vertragsarztzulassung kann aber durch einen gesonderten Veräußerungsvorgang zu einem selbstständigen immateriellen Wirtschaftsgut konkretisiert werden. Nach dem Wortlaut des Praxisübernahmevertrags vom 17. August 2007 war kein isolierter Erwerb der Kassenarztzulassung beabsichtigt, da dieser auf den Verkauf der Praxis von B im Ganzen abstellt. Entscheidend ist aber, ob nach dem wirtschaftlichen Gehalt des Vertrages tatsächlich nur der Erwerb der Kassenarztzulassung gewollt war.

    Eine solche Absicht lässt sich annehmen, wenn die Klägerin an B eine Zahlung im Zusammenhang mit der Erlangung der Vertragsarztzulassung geleistet hat, ohne jedoch dessen übrige Praxis zu übernehmen, weil sie den Vertragsarztsitz an einen anderen Ort verlegen wollte (BFH Urteil vom 9. August 2011 aaO, Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 28. September Az. 13 K 412/01, DStRE 2005, 427). Ein solcher Ausnahmefall kommt allerdings nicht in Betracht, wenn sich die Zahlung der Klägerin an B am Verkehrswert von dessen Praxis orientierte. Dann wird die Kassenarztzulassung nicht Gegenstand eines eigenständigen Veräußerungsvorgangs. Bei einem solchen Sachverhalt ist die Kassenzulassung untrennbar mit dem Praxiswert verbunden (BFH Urteil vom 9. August 2011, aaO).

    aa) Die Kassenarztzulassung wurde nicht unabhängig von den übrigen Bestandteilen des Praxiswertes verkauft. Mit dem Praxisübernahmevertrag wurde die Praxis im Ganzen veräußert, da sich die Zahlung der Klägerin an B am Verkehrswert von dessen Praxis orientierte. Die Kassenarztzulassung ist daher nicht vom Praxiswert trennbar (vgl. BFH Urteil vom 9. August 2011 aaO). Nach dem von der Klägerin und B in Auftrag gegebenen Gutachten wurde der Verkehrswert der Praxis als Mittelwert anhand vier verschiedener Bewertungsmethoden errechnet. Einwendungen gegen diese Berechnung sind weder erkennbar noch vom Beklagten erhoben. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass mit dem Gutachten tatsächlich der Wert der Kassenarztzulassung als Grundlage des Kaufpreises bestimmt wurde.

    bb) Die Klägerin hat sich auch nicht darauf beschränkt, lediglich die Kassenarztzulassung zu erwerben, um den Kassenarztsitz zu verlegen. Sie hat daneben auch andere wesentliche im Praxiswert enthaltene Einzelbestandteile erworben und fortgeführt.

    Dies betrifft vor allem den Patientenstamm. In den neuen Praxisräumen konnten ca. 180 Kassenpatienten aus der alten Praxis weiterbehandelt werden. Die Klägerin hat im Sommer 2007 in der Praxis von B mitgearbeitet, um die Patienten kennen zu lernen. Dies wäre nicht notwendig gewesen, wenn die Klägerin nicht auch beabsichtigt hätte, den Patientenstamm an sich zu binden. Anders als vom Beklagten vorgetragen kommt es nicht darauf an, ob die Zusammenarbeit mit B zur Überführung der Patienten vor oder nach der Praxisübernahme stattfindet. Die (größtmögliche) Übernahme des Patientenstamms war auch deshalb wichtig, da die Klägerin als Orthopädin zukünftig mit zwei Chirurgen eine fachübergreifende Kooperation anstrebte. Ferner hat die Klägerin - vom Beklagten unwidersprochen - vorgetragen, dass die Patienten von ihr und B über den anstehenden Praxisverkauf mündlich informiert wurden. Zusätzlich gab es ein entsprechendes Hinweisschild. Entsprechende Visitenkarten wurden beim benachbarten Apotheker ausgelegt. Die Klägerin hat auch eine Zeitungsannonce zur bevorstehenden Praxisübernahme geschaltet.

    Auch die bestehenden Arbeitsverhältnisse und die damit verbundene Arbeitsorganisation wurden im Wesentlichen fortgeführt. Die vier vollzeitbeschäftigten Mitarbeiterinnen aus der Praxis von B sowie dessen Auszubildende wurden in die neue Praxis übernommen. Lediglich eine geringfügig Beschäftigte wurde nicht weiter beschäftigt. Die spätere Auflösung übernommener Arbeitsverhältnisse ist nicht untypisch und rechtfertigt keine andere Würdigung.

    Überdies ist die Klägerin in einige Verträge eingetreten, die B für seine Praxis abgeschlossen hatte (Softwareüberlassungs- und Pflegevertrag sowie Praxisinventarversicherung, Knochendichtemessung Gbr. etc.). Sie hat ferner das Inventar von B genutzt, soweit es noch brauchbar war.

    cc) Auch die übrigen Umstände des Einzelfalls vermögen unter Berücksichtigung der Feststellungslast keinen isolierten Erwerb der kassenärztlichen Zulassung zu begründen. Da der isolierte Erwerb eines Kassenarztsitzes in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs einen Ausnahmefall darstellt, trägt der Beklagte hierfür die Feststellungslast (so auch Finanzgericht Köln Urteil vom 26. Januar 2012 Az. 6 K 4538/07, EFG 2012, 1128).

    Dem Beklagten ist zuzugeben, dass auch der Standort einen unter mehreren Bestandteilen des Praxiswertes darstellt. Allein die Verlegung des Kassenarztsitzes in die neuen Praxisräume stellt den Erwerb des Praxiswertes aber nicht in Frage. Aufgrund der oben stehenden Übernahme weiterer praxiswertbildender Faktoren und dem Erwerb zum Verkehrswert der gesamten Praxis geht der Senat davon aus, dass der Praxiswert im Ganzen erworben wurde.

    Die Entfernung von ca. 6,5 km zwischen den alten und neuen Praxisräumen mag die Übernahme des Patientenstammes erschwert haben. Allerdings wurden tatsächlich Patienten aus der Praxis von B von der Klägerin weiter behandelt. Überdies ist die Entfernung bei einer orthopädischen Facharztpraxis kein so gewichtiger Faktor wie bei einem Allgemeinmediziner.

    Selbst wenn von vornherein ein gemeinsamer Praxisbetrieb mit den Gesellschaftern der Beigeladenen geplant gewesen sein sollte, bedeutet dies nicht, dass die Klägerin hierfür ausschließlich eine Kassenarztzulassung erwerben wollte. Ob ein Praxiswert oder lediglich die Kassenzulassung erworben wurde, hängt ausschließlich vom wirtschaftlichen Gehalt der zeitlich vorgelagerten Veräußerung zwischen B und der Klägerin und den dort zur Wertfindung herangezogenen Bewertungsgrundlagen ab. Diese Bewertungsgrundlagen – wie oben ausgeführt – lassen keine Rückschlüsse darauf zu, dass nur die kassenärztliche Zulassung übertragen werden sollte.

    Es ist auch unerheblich, dass der Praxisübernahmevertrag nur bei erfolgreicher Übertragung der Kassenarztzulassung wirksam werden sollte. Die erfolgreiche Übertragung der Kassenarztzulassung ist bei jeder Praxisübertragung die Basis, um überhaupt die Praxis im Ganzen mit all ihren Gewinnchancen zu übertragen.

    Auch die bestehende Zulassungssperre führt nicht zur Annahme, dass die Klägerin ausschließlich eine kassenärztliche Zulassung erwerben wollte. Dies schließt nicht aus, dass die Klägerin eine Praxis mitsamt Zulassung erwerben wollte.

    Es ist entgegen der Ansicht des Beklagten unerheblich, dass die Patientenkartei nur bei vorliegendem Einverständnis der Patienten übertragen werden sollte. Der Erwerb war nur mit einem solchen Einverständnis möglich. Die Übereignung wäre gem. § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) wegen des Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz nichtig gewesen. Ohne Einverständniserklärung der Patienten hätte B bei einem Verkauf der Patientenkartei gegen seine Schweigepflicht aus § 203 des Strafgesetzbuches (StGB) verstoßen. § 203 StGB ist ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB (vgl. Ellenberger in Palandt BGB § 134 BGB Rn. 16, 22a).

    Auch die Tatsache, dass der Klägerin bereits aufgrund ihrer Mitarbeit in der Praxis von B im Sommer 2007 erkennbar sein konnte, dass die zum Verkauf stehende Praxis nur durch erhebliche zusätzliche Investitionen am alten Standort fortführbar gewesen wäre, bedeutet nicht, dass sie nicht wesentliche Teile der bestehenden Praxis weiter führen wollte.

    Die Kündigung des Physiotherapeuten erscheint für die gekaufte Praxis als Gesamtheit von untergeordneter Bedeutung.

    2. Die Klägerin hat den erworbenen Praxiswert gem. § 6 Abs. 5 S. 2 Var. 1 EStG in ihr Sonderbetriebsvermögen überführt. Die Vorschrift ist auch auf Betriebsvermögen von Freiberuflern i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG anwendbar (Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 6 EStG Rn. 1120).

    Eine § 6 Abs. 5 S. 2 Var. 1 EStG ausschließende Einbringung gem. § 24 Abs. 1 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG) kommt nicht in Betracht, da die Klägerin ausschließlich Wirtschaftsgüter in ihr Sonderbetriebsvermögen bei der Beigeladenen überführt (allg. Meinung vgl. Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz Umwandlungsgesetz (UmwG), Umwandlungssteuergesetz (UmwStG), § 24 UmwStG Rn. 114). Es handelt sich hier nicht um einen Tauschvorgang, auf den § 24 Abs. 1 UmwStG anwendbar wäre. Die Klägerin erhielt die ihr gewährten Gesellschaftsrechte an der Beigeladenen nicht im Gegenzug für die Übertragung der erworbenen Praxis in deren Gesamthandsvermögen. Ihre Gegenleistung bestand vielmehr darin, die erworbenen Wirtschaftsgüter im Sonderbetriebsvermögen zur Nutzung durch die Beigeladene zur Verfügung zu stellen (vgl. Finanzgericht Düsseldorf Urteil vom 30. April 2003 Az. 16 K 2934/01, EFG 2003, 1180).

    Da es sich bei der Überführung in das Sonderbetriebsvermögen gem. § 6 Abs. 5 S. 2 Var. 1 EStG um einen unentgeltlichen Vorgang handelt, lässt sich für die Frage, ob auch hier der Praxiswert überführt wurde nicht auf die an B gezahlte Gegenleistung abstellen. Entscheidend ist, dass die den Praxiswert bildenden Faktoren im Wesentlichen in das Sonderbetriebsvermögen der Klägerin überführt wurden (s.o. unter 1.b)bb). Die Klägerin hat alle praxiswertbildenden Faktoren ins Sonderbetriebsvermögen überführt, die sie nach den Umständen des Einzelfalles in den neuen Praxisräumen fortführen konnte.

    Die Berechnung der geänderten festgestellten Einkünfte wird dem Beklagten gem. § 100 Abs. 2 S. 2 FGO übertragen.

    II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Erklärung zur Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren ergeht gem. § 139 Abs. 3 S. 3 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

    Die Revision wird nicht zugelassen. Es liegen keine Zulassungsgründe gem. § 115 Abs. 2 FGO vor. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) noch ist die Revision zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Die dem Fall zugrunde liegende Rechtsfrage zur Abgrenzung von Praxiswert und kassenärztlicher Zulassung ist durch den Bundesfinanzhof geklärt (BFH Urteil vom 9. August 2011, aaO). Das Urteil des Senates beschränkt sich darauf, die vom Bundesfinanzhof vorgegebenen Rechtsgrundsätze anzuwenden.