10.11.2015 · IWW-Abrufnummer 145744
Finanzgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 15.06.2015 – 4 K 19/15
1.
Die Inhaberin eines privaten Lernstudios kann sich für den an Vorschul- und Grundschulkinder erteilten Englischunterricht unmittelbar auf die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL berufen.
2.
Die Steuerbefreiung wird durch einen Franchisevertrag nicht ausgeschlossen, wenn die Unterrichtsinhalte von der Franchisenehmerin selbständig und eigenverantwortlich festgelegt werden.
3.
Die für die Steuerbefreiung des Englischunterrichts erforderliche Mindestqualifikation im pädagogischen Bereich kann sich bei Fehlen einer entsprechenden Ausbildung auch durch die vorherige langjährige Tätigkeit als Englischlehrerin ergeben.
Finanzgericht Schleswig-Holstein
Urt. v. 15.06.2015
Az.: 4 K 19/15
In dem Rechtsstreit
wegen Umsatzsteuer 2008 - 2012
hat der 4. Senat des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts am 15. Juni 2015
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 23. September 2014 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 4. Februar 2015 verpflichtet, die Festsetzung der Umsatzsteuer für 2008 bis 2012 dahin abzuändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer auf jeweils 0 € herabgesetzt wird.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Steuerbefreiung der von der Klägerin in den Streitjahren 2008 bis 2012 erbrachten Umsätze als selbständige Englischlehrerin.
Die Klägerin betreibt seit 2003 als Franchisenehmerin das Lernstudio "..." (E) in A. Sie vermittelt Kindern im Alter von vier bis zwölf Jahren Kenntnisse der englischen Sprache. Hierzu erteilte sie in den Streitjahren Gruppenunterricht in verschiedenen Kindertagesstätten in A und Umgebung sowie an einer Grundschule in A. Die Englischkurse waren im Hinblick auf ihren Inhalt entsprechend dem Wissensstand und Reifegrad der Kinder in die Stufen "Starter", "Advanced", "Champions" und "Club" gegliedert. Die Lerninhalte wurden schrittweise eingeführt. Als Material für den Unterricht setzte die Klägerin Schulbücher von Schulbuchverlagen und Materialien des Franchisegebers ein. Ziel des Englischunterrichts war es, den Kindern einen nahtlosen Übergang zum Sprachunterricht an weiterführenden Schulen zu ermöglichen. Für weitere Einzelheiten wird auf das von der Klägerin eingereichte Konzept "E" verwiesen. Neben dem Gruppenunterricht in den Kindertagesstätten und der Grundschule erteilte die Klägerin in den Streitjahren auch Nachhilfe in Englisch.
Die Teilnahme der Kinder an den Englischkursen der Klägerin in den Kindertagesstätten und der Grundschule war freiwillig und konnte jeweils monatlich beendet werden. Das Entgelt für die Kurse betrug monatlich 25 € und wurde von den Eltern der Kinder, in Einzelfällen auch anteilig über den Schulverein bzw. vollständig über den Bildungsfonds der Stadt A entrichtet. Ab September 2011 bzw. Dezember 2012 erfolgte die Abrechnung in Einzelfällen auch in Höhe von 10 € monatlich anteilig über sogenannte Bildungsgutscheine des Jobcenters A und der Stadt A auf der Grundlage von mit der Klägerin abgeschlossener Kooperationsvereinbarungen.
Die Klägerin erzielte in den Streitjahren folgende Bruttoumsätze:
2008 38.275 €
2009 35.298 €
2010 37.098 €
2011 33.484 €
2012 31,581 €
In den nicht zustimmungsbedürftigen Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre behandelte die Klägerin die Umsätze aus dem Lernstudio als steuerpflichtig. Für das Streitjahr 2008 ging die Umsatzsteuererklärung am 4. Januar 2010 und für das Streitjahr 2009 am 3. Januar 2011 beim Beklagten ein. Die Umsatzsteuererklärungen führten zu einer Festsetzung der Umsatzsteuer für 2008 in Höhe von 5.210,08 €, für 2009 in Höhe von 4.623,52 €, für 2010 in Höhe von 4,985,58 €, für 2011 in Höhe von 4.529,83 € und für 2012 in Höhe von 4.376,63 €.
Mit Schreiben vom 12. Mai 2014 beantragte die Klägerin die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre, da die Klägerin Schulunterreicht als Privatlehrerin erteilt habe, der nach Art. 132 Abs. 1 Buchs. j der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) steuerfrei sei. Der Beklagte lehnte den Änderungsantrag mit Bescheid vom 23. September 2014 ab, da es für die Steuerfreiheit der von der Klägerin erbrachten Umsätze an der nach § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. bb des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) erforderlichen Bescheinigung des zuständigen Bildungsministeriums fehle. Die Verwaltung sei an die Vorschriften des bestehenden Umsatzsteuerrechts gebunden.
Den hiergegen eingelegten Einspruch der Klägerin vom 15. Oktober 2010 wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 4. Februar 2014 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass die Umsätze der Klägerin nicht nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG steuerfrei seien. Die Klägerin könne sich nicht unmittelbar auf die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchs. j MwStSystRL für den von Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht berufen. Denn es sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Sache des innerstaatlichen Rechts des Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden könne. Eine entsprechende Verwaltungsanweisung liege nicht vor.
Hiergegen richtet sich die am 6. März 2015 beim Finanzgericht eingegangene Klage, mit der die Klägerin an ihrem Änderungsbegehren festhält. Die Klägerin könne sich unmittelbar auf die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL berufen, der gegenüber den abweichenden Vorschriften des nationalen Umsatzsteuerrechts Anwendungsvorrang zukomme. Eine Anerkennungsbescheinigung einer zuständigen Landesbehörde sei insoweit nicht erforderlich. Die Klägerin sei als Privatlehrerein i. S. d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL anzusehen. Sie erbringe ihre Unterrichtsleistungen in eigener Verantwortung und auf eigene Rechnung. Die Klägerin sei zudem ausreichend qualifiziert, da sie über umfangreiche Fremdsprachenkenntnisse verfüge und diese im Rahmen ihrer langjährigen Tätigkeit ständig weiter ausgebaut habe. Aufgrund der langjährigen Erfahrung im pädagogischen Bereich sei sie ein kompetenter Ansprechpartner für die Kindertagesstätten und die Eltern und werde auch bei der Erstellung von Schuleingangsprofilen zu Rate gezogen. Die Klägerin erbringe ihre Unterrichtsleistung ohne Angestellte.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 23. September 2014 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 4. Februar 2015 zu verpflichten, die Festsetzung der Umsatzsteuer für 2008 bis 2012 dahin abzuändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer auf jeweils 0 € herabgesetzt wird, und
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist der Beklagte auf die Einspruchsentscheidung vom 4. Februar 2014. Ergänzend trägt der Beklagte vor, dass es sich bei dem Streitgegenstand um eine reine Rechtsfrage handele und eine Steuerbefreiung der Umsätze der Klägerin nach § 4 Nr. 21 Buchst. a und b UStG nicht in Betracht komme. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei es Sache des innerstaatlichen Rechts des Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann. Eine entsprechende Verwaltungsanweisung liege nicht vor.
Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 2. Juni 2015 ist die Klägerin informatorisch befragt worden (vgl. Protokoll). Zu ihrer Qualifikation hat die Klägerin vorgetragen, dass sie eine Ausbildung als staatlich geprüfte Wirtschaftsassistentin Fremdsprachen für Englisch und Schwedisch absolviert und im Jahre 1994 an einer dreimonatigen Fortbildung in Wirtschaftsenglisch teilgenommen habe (vgl. Teilnahmebescheinigung der Grone-Schule A GmbH vom 21. Dezember 1994). In ihrer beruflichen Tätigkeit als Produktmanagerin bei der X GmbH und der Y GmbH von 1995 bis 2002 habe sie auch den internationalen Bereich betreut und Korrespondenz in englischer Sprache geführt (vgl. Zeugnis der X GmbH vom 30. Juni 2002). Vor Abschluss des Franchisevertrags für "E" habe sie erfolgreich einen Eignungstest im Hinblick auf ihre Englischkenntnisse absolviert; sie nehme zudem regelmäßig an Fortbildungsveranstaltungen der Franchisezentrale teil (vgl. Zertifikat der Geschäftsführerin der Franchisezentrale vom 1. Juni 2015). Vor Aufnahme ihrer Tätigkeit als selbstständige Englischlehrerin habe sie in der Franchisezentrale sowie in Kindertagesstätten hospitiert. In der inhaltlichen Gestaltung des Englischunterrichts sei sie völlig frei. Die Leistung der Franchisezentrale beschränke sich auf die Überlassung des Namens, die Gestaltung des Internetsauftritts und das Angebot von Unterrichtsmaterial; hierzu bestünden Kooperationsvereinbarungen mit Schulbuchverlagen wie Cornelsen. Für die Inhalte der einzelnen Unterrichtsstunden habe sie aus Schulbüchern und anderen Lehrwerken einen eigenen Lehrplan entwickelt. Zum Entwicklungsstand der einzelnen Kinder habe sie regelmäßig im Sommer und im Winter Elternbriefe geschrieben; die Kinder hätten jeweils zum Schuljahreswechsel Urkunden über ihre erbrachten Leistungen erhalten. Aufgrund ihrer pädagogischen Erfahrungen aus dem Englischunterricht mit den Kindern in den Kindertagesstätten habe sie bei der Erstellung der Schuleingangsprofile der einzelnen Kinder mitgewirkt. Der Englischunterricht sei unmittelbar vor Ort in den betreffenden Kindertagesstätten in A und Umgebung und in den Streitjahren 2008 bis 2011 in der Grundschule ... erteilt worden. Bei dem Englischunterricht an der Grundschule habe es sich um ein zusätzliches, freiwilliges und für die Eltern kostenpflichtiges Angebot gehandelt. Das Angebot der Stadt A, regulären Englischunterricht in einer 3. und 4. Klasse einer Grundschule zu unterrichten, habe sie wegen der zu geringeren Vergütung abgelehnt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Ablehnung des Beklagten, die Festsetzung der Umsatzsteuer für die Streitjahre dahin zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf 0 € herabgesetzt wird, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Die Umsätze der Klägerin aus dem Betrieb des Lernstudios sind in vollem Umfang gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL steuerfrei.
1. Nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG sind die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemein bildender oder berufsbildender Einrichtungen steuerfrei, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten.
a) Unionsrechtliche Grundlage für die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG ist Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL. Nach dieser Vorschrift befreien die Mitgliedstaaten u. a. Schul- und Hochschulunterricht durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannten vergleichbarer Zielsetzung von der Steuer. Daneben befreien die Mitgliedstaaten nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL von Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht von der Steuer. Auf die Steuerbefreiungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL kann sich der Steuerpflichtige unmittelbar berufen (Urteile des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 27. September 2007 V R 75/03, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2008, 323; vom 24. Januar 2008 V R 3/05, BStBl II 2012, 267).
b) Schul- und Hochschulunterricht i. S. d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL ist nicht auf Unterricht beschränkt, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern schließt andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studierenden zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben (Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union -EuGH- vom 14. Juni 2007 C-445/05 "Haderer", Slg. 2007, I-4841 Rz. 26; vom 28. Januar 2010 C-473/08 "Eulitz", Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes -Slg.- 2010, I-907 Rz. 27; BFH-Urteile vom 27. September 2007 V R 75/03, BStBl II 2008, 323; vom 5. Juni 2014 V R 19/13, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV- 2014, 1687). Entscheidend hierfür ist, ob vergleichbare Leistungen in Schulen erbracht werden; hierbei kommt es auf die Art der erbrachten Leistungen und ihre generelle Eignung als Schul- oder Hochschulunterricht an (BFH-Urteil vom 24. Januar 2008 V R 3/05, BStBl II 2012, 267).
Schul- und Hochschulunterreicht wird von Privatlehrern erteilt, wenn die Lehrer für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handeln (EuGH-Urteil vom 14. Juni 2007 C-445/05 "Haderer", Slg. 2007, I-4841 Rz. 38; BFH-Urteil vom 24. Januar 2008 V R 3/05, BStBl II 2012, 267). Die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Unterricht mehreren Personen gleichzeitig erteilt wird (EuGH-Urteil vom 14. Juni 2007 C-445/05 "Haderer", Slg. 2007, I-4841 Rz. 31; BFH-Urteil vom 20. März 2014 V R 3/13, BFH/NV 2014, 1175). Eine Unterrichtserteilung durch Privatlehrer ist anzunehmen, wenn zwischen dem konkreten Inhalt des Unterrichts und den Qualifikationen des Unterrichtenden ein Zusammenhang besteht (EuGH-Urteil vom 14. Juni 2007 C-445/05 "Haderer", Slg. 2007, I-4841 Rz. 31). Der Unterrichtende muss lediglich bestimmte Mindestqualifikationen vorweisen; hierfür ist es nicht erforderlich, dass er ein Hochschulstudium absolviert oder die Befähigung zum Lehramt erworben hat (Finanzgericht -FG- Hamburg, Urteil vom 16. Juni 2011 6 K 165/10, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2012, 560; Niedersächsisches FG, Urteil vom 19. Dezember 2011 5 K 370/11, EFG 2012, 882; FG München, Beschluss vom 6. Dezember 2012 14 V 3038/12, [...]).
2. Nach diesen Grundsätzen hat es der Beklagte zu Unrecht abgelehnt, die Umsätze der Klägerin aus dem Betrieb des Lernstudios als steuerfrei zu behandeln und die Festsetzung der Umsatzsteuer für die Streitjahre entsprechend dem Änderungsantrag der Klägerin gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) auf 0 € herabzusetzen.
a) Die Umsätze der Klägerin aus dem Betrieb des Lernstudios sind - zwischen den Beteiligten unstreitig - nicht gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG steuerfrei, da die Klägerin nicht über eine nach dieser Vorschrift erforderliche Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde verfügt. Die Klägerin kann sich jedoch für die Steuerbefreiung ihrer Umsätze unmittelbar auf die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL berufen.
aa) Die Klägerin hat sowohl mit ihrem Englischunterricht in Gruppen in den Kindertagesstätten und in der Grundschule als auch mit der Erteilung von Nachhilfe in Englisch an einzelne Schüler Schulunterricht i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL erteilt. Bei dem von der Klägerin erteilten Englischunterricht handelt es sich um ein "klassisches" Schulfach (vgl. zum Musikunterricht FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. März 2013 7 V 7361/12, EFG 2013, 1074). Gegenstand des Unterrichts ist die Vermittlung von Kenntnissen der englischen Sprache, die entsprechend dem Wissensstand und Reifegrad der unterrichteten Kinder in verschiedenen Stufen erfolgt. Für das Vorliegen von Schulunterricht spricht auch, dass die Klägerin für die Inhalte der einzelnen Unterrichtsstunden aus Schulbüchern und anderen Lehrwerken einen eigenen Lehrplan entwickelt hat. Der Annahme von Schulunterricht steht im Streitfall nicht entgegen, dass der Unterricht auch Vorschulkindern im Alter ab vier Jahren erteilt worden ist, da der Unterricht insoweit ebenfalls auf die Vermittlung von Grundkenntnissen der englischen Sprache ausgerichtet war und nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung innehatte (vgl. zum Kleinkinderschwimmen BFH-Urteil vom 5. Juni 2014 V R 19/13, BFH/NV 2014, 1687).
bb) Im Hinblick auf die Erteilung des Englischunterrichts ist die Klägerin als Privatlehrerin i. S. d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL anzusehen. Die Klägerin handelte in den Streitjahren für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung, da sie die Unterrichtsleistung selbst und außerhalb eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses zum jeweiligen Träger der Kindertagesstätte bzw. der Grundschule unmittelbar gegenüber den Kindern erbracht hat. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin das Lernstudio als Franchisenehmerin betrieben hat (vgl. Niedersächsisches FG, Urteil vom 19. Dezember 2011 5 K 370/11, EFG 2012, 882; FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. März 2013 7 V 7361/12, EFG 2013, 1074). Denn die Klägerin hat die Inhalte ihres Unterrichts anhand des von ihr selbst entwickelten Lehrplans selbständig und eigenverantwortlich festgelegt; die Stellung als Franchisenehmerin beschränkte sich nach dem Vorbringen der Klägerin im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 2. Juni 2015 auf die Nutzung des eingeführten Markennamens für das Lernstudio, die Gestaltung des Internetsauftritts und das Angebot von Unterrichtsmaterial durch die Franchisezentrale.
Die Klägerin verfügt nach Überzeugung des Gerichts auch über die erforderliche Qualifikation für die Tätigkeit als Privatlehrerin. Sie hat ihre Kenntnisse der englischen Sprache durch die Ausbildung als staatlich geprüfte Wirtschaftsassistentin und eine dreimonatige Fortbildung in Wirtschaftsenglisch erworben und durch die langjährige berufliche Tätigkeit im internationalen Bereich mit Korrespondenz in englischer Sprache vertieft. Vor Aufnahme ihrer Unterrichtstätigkeit hat die Klägerin zudem erfolgreich einen Eignungstest im Hinblick auf ihre Englischkenntnisse absolviert. Die pädagogischen Kenntnisse und Fähigkeiten hat sich die Klägerin mangels entsprechender Ausbildung durch ihre langjährige Tätigkeit sei 2003 angeeignet und durch Fortbildungsveranstaltungen der Franchisezentrale erweitert, so dass sie insoweit jedenfalls in den Streitjahren über die erforderliche Mindestqualifikation verfügte. Für das Vorliegen ausreichender pädagogischer Kenntnisse und Fähigkeiten spricht zudem die Mitwirkung der Klägerin bei der Erstellung der Schuleingangsprofile der von ihr unterrichteten Vorschulkinder. Ein weiteres gewichtiges Indiz hierfür bildet schließlich das Angebot der Stadt A an die Klägerin, regulären Englischunterricht in einer 3. und 4. Klasse einer Grundschule zu unterrichten.
Das Gericht hat keinen Zweifel am glaubhaften Vorbringen der Klägerin zu ihrer Qualifikation als Privatlehrerin im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 2. Juni 2015. Der Beklagte hat sich demgegenüber nach dem Eindruck des Gerichts weder im Besteuerungsverfahren noch im Klageverfahren - trotz mehrfachen Hinweises der Bevollmächtigten der Klägerin - ernsthaft mit den Voraussetzungen der Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL auseinandergesetzt und - entgegen der gesetzlichen Verpflichtung zur Amtsermittlung aus § 88 AO - keine entsprechenden Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt, die zu abweichenden Feststellungen geführt hätten. Durch die amtliche Veröffentlichung der BFH-Urteile vom 27. September 2007 V R 75/03 (BStBl II 2008, 323) und vom 24. Januar 2008 V R 3/05 (BStBl II 2012, 267) bestand Anlass zu einer derartigen Auseinandersetzung mit der Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL, da der Beklagte hierdurch - entgegen seinem wiederholten formelhaften Vorbringen in der Einspruchsentscheidung und der Klageerwiderung - verwaltungsintern angewiesen war, die darin enthaltenen Rechtsgrundsätze bei der Beurteilung der von der Klägerin geltend gemachten Steuerbefreiung der Unterrichtsleistungen zugrunde zu legen. Auf das Fehlen einer (weiteren) Verwaltungsanweisung des Finanzministeriums des Landes Schleswig-Holstein zur Anwendung der Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL kam es damit nicht an; dies gilt unabhängig davon, dass dem Beklagten eine solche - nicht veröffentlichte - Anweisung der Oberfinanzdirektion Niedersachsen vom 19. August 2014 vorlag.
cc) Die Steuerfreiheit erstreckt sich auf sämtliche Umsätze der Klägerin. Die Festsetzung der Umsatzsteuer für die Streitjahre ist aufgrund der Steuerfreiheit der von der Klägerin erzielten Umsätze aus dem Lernstudio antragsgemäß auf jeweils 0 € herabzusetzen, da die angefallenen Vorsteuern gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG nicht abzugsfähig sind.
b) Die Festsetzung der Umsatzsteuer für die Streitjahre kann auch verfahrensrechtlich nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO abgeändert werden. Nach dieser Vorschrift kann die Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden, solange der Vorbehalt der Nachprüfung wirksam ist. Der Vorbehalt der Nachprüfung entfällt nach § 164 Abs. 4 Satz 1 AO mit Ablauf der Festsetzungsfrist. Der Steuerpflichtige kann die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO jederzeit beantragen; die Finanzbehörde ist in diesem Fall zur Änderung einer rechtswidrigen Steuerfestsetzung verpflichtet (BFH-Urteil vom 11. November 2008 IX R 53/07, BFH/NV 2009, 364).
Die Festsetzung der Umsatzsteuer für die Streitjahre beruhte auf den nicht zustimmungspflichtigen Umsatzsteuererklärungen der Klägerin, die als Steueranmeldungen nach § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen. Im Hinblick auf die Umsatzsteuer für die Streitjahre ist - zwischen den Beteiligten unstreitig - die Festsetzungsfrist nicht abgelaufen, so dass der Vorbehalt der Nachprüfung weiterhin wirksam und eine Änderung der streitigen Steuerfestsetzungen nicht durch den Eintritt der Festsetzungsverjährung nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ausgeschlossen ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren war im Hinblick auf die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig zu erklären. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 FGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Revisionsgründe des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen. Der Rechtssache kommt insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung zu, da die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung der Umsätze aus der Erteilung von Schul- und Hochschulunterricht durch Privatlehrer durch die Rechtsprechung des EuGH und des BFH höchstrichterlich geklärt sind. Eine abweichende Auffassung der Finanzverwaltung ist angesichts der amtlichen Veröffentlichung der BFH-Urteile vom 27. September 2007 V R 75/03 (BStBl II 2008, 323) und vom 24. Januar 2008 V R 3/05 (BStBl II 2012, 267) nicht erkennbar.