24.02.2016 · IWW-Abrufnummer 183973
Bundesfinanzhof: Urteil vom 03.12.2015 – V R 61/14
1. Die Steuerermäßigung für ausübende Künstler ( § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG ) hängt nicht davon ab, ob von den Zuschauern oder Zuhörern eine "Eintrittsberechtigung" verlangt wird.
2. Ein Trauer- oder Hochzeitsredner ist "ausübender Künstler", wenn seine Leistungen eine schöpferische Gestaltungshöhe erreichen.
Tenor:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 1. April 2014 2 K 1042/12 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Nürnberg zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Gründe
I.
1
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat evangelische Theologie studiert und hält Hochzeits-, Geburtstags-, Trennungs- und Trauerreden. Im Anschluss daran erhalten die Auftraggeber ein ausformuliertes Redemanuskript. In seinen Umsatzsteuererklärungen 2006 bis 2010 erklärte er die Vortragsumsätze mit dem ermäßigten Steuersatz, während der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) zuletzt mit Änderungsbescheiden vom 29. August 2011 für die Veranlagungszeiträume 2006 bis 2009 und vom 23. März 2012 für 2010 die Umsätze mit dem Regelsteuersatz erfasste.
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Die Klage vor dem Finanzgericht (FG) blieb erfolglos. Die Umsätze unterfielen nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 1343 veröffentlichten Urteil nicht der Steuerermäßigung des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c des Umsatzsteuergesetzes (UStG) , weil es sich bei der Übertragung des Urheberrechts an der schriftlichen Redefassung nur um einen begleitenden, unselbständigen Bestandteil zur Rede als Hauptbestandteil handele. Das Halten der Rede sei auch nicht nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG begünstigt, weil es nicht um die Eintrittsberechtigung für Theater, Konzerte und Museen sowie um Theatervorführungen und Konzerten vergleichbare Darbietungen ausübender Künstler gehe.
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision und rügt die Verletzung von § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG . Eine künstlerische Leistung liege vor. Er halte individuell zugeschnittene Reden und fungiere gleichzeitig als "Event Pfarrer" und "Zeremonienmeister" in der Darbietung eines Gesamtkunstwerkes. Bei Trauerreden würdige er das Leben des Verstorbenen anhand seines Werdeganges und berichte bei Hochzeitsreden über die Umstände des Kennenlernens. Er versuche, die Individualität des Verstorbenen darzustellen, nehme bei der Trauerfeier auch Lichteffekte und Musikeinspielungen vor.
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des FG Nürnberg und die Umsatzsteuerjahresbescheide 2006 bis 2009 vom 29. August 2011 bzw. 23. März 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2012 aufzuheben und den Umsatzsteuerjahresbescheid 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2012 aufzuheben und die Umsatzsteuer 2010 auf einen Betrag von 363,33 € zu mindern.
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Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Sinn und Zweck der Ermäßigungsvorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG sei es, die Teilnahme der Allgemeinheit an kulturellen Veranstaltungen zu begünstigen. Die Teilnehmer einer Trauer- oder Hochzeitsfeier entrichteten jedoch entgegen § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG kein Entgelt für eine Eintrittsberechtigung. Der Kläger erbringe auch keine Leistung als ausübender Künstler, die "Theatervorführungen und Konzerten vergleichbar" wäre. Es fehle an einer künstlerischen Gestaltungshöhe. Der Trauerredner ersetze lediglich die überkommene Tätigkeit eines Pfarrers bei Verstorbenen, die keiner Glaubensgemeinschaft angehörten, die als Pflege des Brauchtums keiner künstlerischen Tätigkeit eines Musikers oder Schauspielers vergleichbar sei. Der Teilnehmer einer Trauerfeier nehme nicht teil, um einem Kunstgenuss beizuwohnen, sondern um dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Das FA sei nicht in der Lage, jede einzelne Hochzeits- oder Trauerrede nach ihrer Gestaltungshöhe zu bewerten und könne den Trauerredner nur typisierend einordnen. Der inländische Gesetzgeber sei auch befugt gewesen, die Steuerbegünstigung auf kulturelle Veranstaltungen zu beschränken, die sich —anders als bei Trauer- und Hochzeitsfeiern— nicht an die Allgemeinheit richteten.
II.
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Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG ( § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO--). Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil das FG § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG verletzt. Diese Vorschrift setzt kein Kulturangebot an die Öffentlichkeit voraus. Die damit —entscheidungserhebliche— Frage, ob der Kläger eine künstlerische Tätigkeit ausgeübt hat oder nicht, hat das FG jedoch offengelassen. Der Senat kann auch mangels weiterer Tatsachenfeststellungen zum Inhalt der Reden nicht selbst entscheiden.
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1. Der ermäßigte Steuersatz ergibt sich nicht bereits aus § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG , da die Übertragung des Urheberrechtes bei der Überlassung des Redemanuskriptes nicht den Hauptzweck der Tätigkeit des Klägers bildet, sondern das Halten der Rede (vgl. dazu schon das Urteil des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 21. Oktober 2009 V R 8/08 , BFH/NV 2010, 476, Rz 21).
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2. Entgegen der Rechtsansicht des FA scheitert die Anwendung des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG auch nicht an einer fehlenden "Eintrittsberechtigung" der Teilnehmer von Hochzeits- oder Trauerfeiern. Nach dieser Vorschrift gilt der ermäßigte Steuersatz für
"die Eintrittsberechtigung für Theater, Konzerte und Museen, sowie die den Theatervorführungen und Konzerten vergleichbaren Darbietungen ausübender Künstler".
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Die vorstehend anwendbare Gesetzesfassung vom 9. Dezember 2004 (BGBl I 2004, 3310) löste die frühere Fassung ab, nach der begünstigt waren "die Leistungen der Theater, Orchester, Kammermusikensembles, Chöre und Museen sowie die Veranstaltung von Theatervorführungen und Konzerten durch andere Unternehmer", um "die gesetzgeberischen Konsequenzen aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Kommission/ Deutschland vom 23. Oktober 2003 C-109/02 , EU:C:2003:586) zur Steuerermäßigung bei Solisten" zu ziehen (BTDrucks 15/3677, S. 27). Danach hatte der EuGH einen Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz darin gesehen, dass die Bundesrepublik Deutschland die Steuerermäßigung für Solisten nur bei direkt gegenüber dem Publikum erbrachten Konzerten anwendete, nicht aber, wenn die künstlerische Leistung gegenüber einem Veranstalter erbracht wurde, denn hierzu sei nicht der Anhang H Nr. 7 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern einschlägig ("Eintrittsberechtigung für Veranstaltungen für Theater, Zirkus, Jahrmärkte, Vergnügungsparks, Konzerte, Museen, Tierparks, Kinos und Ausstellungen sowie ähnliche kulturelle Ereignisse und Einrichtungen"), sondern die Nr. 8 ("Werke bzw. Darbietungen von Schriftstellern, Komponisten und ausübenden Künstlern ...").
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Auch Art. 98 Anhang III der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) unterscheidet unverändert zwischen der Ermäßigung der Umsatzsteuer in Nr. 7 für die "Eintrittsberechtigung" für Veranstaltungen, Theater, Zirkus" etc. und in Nr. 9 für "Dienstleistungen von Schriftstellern, Komponisten und ausübenden Künstlern ...", ohne die Steuerbefreiung eines Künstlers im Gegensatz zu Nr. 7 von einer "Eintrittsberechtigung" abhängig zu machen. In richtlinienkonformer Auslegung ist § 12 Abs. 2 Nr. 7 UStG deshalb so zu lesen, dass sich das Tatbestandsmerkmal "Eintrittsberechtigung" nur auf den ersten Halbsatz ("Theater, Konzerte und Museen"), nicht aber auf den zweiten Halbsatz ("Darbietungen ausübender Künstler") bezieht.
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Hieraus folgt für den Streitfall, dass die Steuerermäßigung des Klägers, wenn es sich bei seiner Tätigkeit um die eines "ausübenden Künstlers" handelt, nicht an der fehlenden Eintrittsberechtigung bei Hochzeits- und Trauerreden scheitert. Aus der Rechtsprechung des EuGH folgt zudem, dass es für die steuerbegünstigte Leistung eines ausübenden Künstlers nach dem Neutralitätsgrundsatz genügt, wenn er sein Entgelt nicht von den Zuhörern oder Zuschauern, sondern von einem Veranstalter (hier: vom Hochzeitspaar oder den Angehörigen) erhält.
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3. Das FG hat die Steuerermäßigung des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG zu Unrecht mit der Begründung abgelehnt, Hochzeits- und Trauerreden richteten sich nicht als Kulturangebot an die Allgemeinheit, sondern an einen geschlossenen Personenkreis. Denn ein Ausschluss von Privatveranstaltungen (z.B. Künstler tritt bei einer Betriebs- oder Gedenkfeier im Auftrag des Veranstalters vor abgeschlossenem Personenkreis auf) lässt sich weder dem Gesetz noch Art. 98 Anhang III MwStSystRL ("Dienstleistungen ausübender Künstler") entnehmen. Es wäre auch nicht sachgerecht, würde eine künstlerische Leistung bei einer geschlossenen Hochzeitsfeier nicht begünstigt, während bei einem vergleichbaren Vortrag auf einer Trauerfeier in faktischer Öffentlichkeit, bei der der Zutritt von Nachbarn und anderen Bekannten nicht ausgeschlossen ist und z.B. bei der Trauerfeier einer bekannten Persönlichkeit eine Vielzahl von Teilnehmern erreichen kann, nach der Anzahl der nicht geladenen, aber teilnehmenden Gäste unterschieden werden müsste. Art. 98 Anhang III Nr. 9 MwStSystRL begünstigt die Tätigkeit eines "ausübenden Künstlers" vielmehr auch bei einer geschlossenen Veranstaltung.
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4. Die Steuerermäßigung der Tätigkeit des Klägers als Hochzeits- oder Trauerredner hängt somit allein davon ab, ob sie als Tätigkeit eines "ausübenden Künstlers" anzusehen ist. Diese Frage hat das FG —von seinem Standpunkt aus konsequent— zu Unrecht offengelassen und lediglich Zweifel an einer künstlerischen Tätigkeit geäußert. Der Senat kann sie nicht selbst entscheiden, weil hierzu eingehende Tatsachenfeststellungen zur Art und Weise der Tätigkeit des Klägers fehlen.
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5. Bei seiner Entscheidung wird das FG zu berücksichtigen haben, dass es sich bei den Tatbeständen des § 12 Abs. 2 UStG um Ausnahmeregelungen handelt zum allgemeinen Grundsatz, dass jede entgeltliche Dienstleistung dem Regelsteuersatz unterliegt und daher eng auszulegen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ( Urteile vom 24. Februar 1971 1 BvR 435/68 , BVerfGE 30, 173, 188; vom 17. Juli 1984 1 BvR 816/82 , BVerfGE 67, 213) liegt das Wesen einer künstlerischen Tätigkeit in der freien schöpferischen Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Die künstlerische Leistung werde geprägt von einer eigenschöpferischen Leistung des Künstlers, in der seine besondere Gestaltungskraft zum Ausdruck komme. Gegen eine künstlerische Tätigkeit würde daher bei einer Redetätigkeit sprechen, wenn sie sich im Wesentlichen auf eine schablonenartige Wiederholung anhand eines Redegerüstes beschränkt (vgl. BFH-Urteil vom 9. Februar 1982 VIII R 48/80, juris; vom 29. Juli 1981 I R 183/79 , BFHE 134, 135, BStBl II 1982, 22, [BFH 29.07.1981 - I R 183/79] jeweils zur freiberuflichen künstlerischen Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes ).
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO .