17.08.2016 · IWW-Abrufnummer 188054
Bundesfinanzhof: Urteil vom 27.04.2016 – X R 16/15
Tenor:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 12. November 2014 3 K 3/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Gründe
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I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hatte einen Textil-Einzelhandel geführt. Mitte 2010 erklärte sie die Betriebsaufgabe. Zum 31. Dezember 2007 hatte sie Investitionsabzugsbeträge in Höhe von 12.000 € nach § 7g Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 (UntStRefG) vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, 1912) gebildet. Mit der Einkommensteuererklärung 2010 reichte sie eine berichtigte Erklärung für 2007 ein, in der sie den Investitionsabzugsbetrag nach § 7g Abs. 3 EStG i.d.F. des UntStRefG rückgängig machte. Die Gewinnerhöhung von 12.000 € erklärte sie als begünstigten Veräußerungsgewinn nach § 16 Abs. 4 EStG. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) machte den Investitionsabzugsbetrag durch geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 rückgängig und lehnte die Anwendung des § 16 Abs. 4 EStG ab. Mit der Klage machte die Klägerin in erster Linie die Anwendung des § 16 Abs. 4 EStG für das Jahr 2007 geltend. Ihren ursprünglichen Hilfsantrag für das Jahr 2010 verfolgt sie in zweiter Instanz nicht mehr.
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Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Die Hinzurechnung des Investitionsabzugsbetrags habe zu Recht im Jahre 2007 stattgefunden. Da die Gewinnerhöhung nicht in das Jahr der Betriebsaufgabe falle, könne sie nicht steuerbegünstigt sein.
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Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin vor, es sei anerkannt, dass ein Betriebsaufgabegewinn in mehrere Veranlagungszeiträume fallen könne. Zu § 7g EStG i.d.F. vor Inkrafttreten des UntStRefG (EStG a.F.) habe der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass die gewinnerhöhende Auflösung der Ansparrücklage im Rahmen einer Betriebsaufgabe Teil des begünstigten Aufgabegewinns sei. Der Auffassung, dass dies für § 7g EStG i.d.F. des UntStRefG nicht mehr gelte, fehle die Begründung. Trotz der in § 7g EStG i.d.F. des UntStRefG enthaltenen Rückwirkung handele es sich bei der Auflösung des Investitionsabzugsbetrags um eine Folge der Betriebsaufgabe. Ohne Betriebsaufgabe hätte sie den Investitionsabzugsbetrag erst Ende 2010 auflösen müssen oder sogar bis Ende 2010 noch investieren können. § 16 Abs. 4 EStG sei nicht auf den Veranlagungszeitraum beschränkt, in dem die Aufgabe stattgefunden habe.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das FG-Urteil aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheides und des Gewerbesteuermessbescheides vom 28. Juni 2012, beide in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 6. Dezember 2012, die Einkommensteuer auf 4.562 € und den Gewerbesteuermessbetrag auf 73 € festzusetzen.
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Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Die Rechtsprechung zu § 7g EStG a.F. sei nicht übertragbar. Da der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG vom Aufgabegewinn abzuziehen und dieser in dem Veranlagungszeitraum zu ermitteln sei, in dem die Betriebsaufgabe stattfinde, könne der Freibetrag nur im Jahre 2010 gewährt werden.
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II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Der aus der Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrags resultierende Gewinn des Jahres 2007 ist laufender Gewinn, so dass der Klägerin ein Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG nicht zusteht.
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1. Nach § 16 Abs. 4 EStG wird unter bestimmten persönlichen, im Streitfall nie umstritten gewesenen Voraussetzungen ein Veräußerungsgewinn auf Antrag zur Einkommensteuer nur herangezogen, soweit er 45.000 € übersteigt. Der Veräußerungsgewinn aus einer Veräußerung eines ganzen Gewerbebetriebs oder Teilbetriebs i.S. des § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den Wert des Betriebsvermögens übersteigt (§ 16 Abs. 2 Satz 1 EStG). Der Wert des Betriebsvermögens oder des Anteils ist für den Zeitpunkt der Veräußerung nach § 4 Abs. 1 EStG oder nach § 5 EStG zu ermitteln (§ 16 Abs. 2 Satz 2 EStG). Nach § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG gilt als Veräußerung auch die Aufgabe des Gewerbebetriebs. Bei Ermittlung des Aufgabegewinns treten an die Stelle des nach § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG anzusetzenden Veräußerungspreises nach § 16 Abs. 3 Satz 6 EStG der Veräußerungspreis für die einzelnen dem Betrieb gewidmeten und im Rahmen der Aufgabe veräußerten Wirtschaftsgüter, nach § 16 Abs. 3 Satz 7 EStG der gemeine Wert der nicht veräußerten Wirtschaftsgüter sowie die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Aufgabe erzielten sonstigen Erträge (vgl. Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach —HHR—, § 16 EStG Rz 580; Schmidt/Wacker, EStG, 35. Aufl., § 16 Rz 290).
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2. Der durch die Rückgängigmachung eines Investitionsabzugsbetrags nach § 7g EStG i.d.F. des UntStRefG entstehende Gewinn ist nicht Teil des Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinns, insbesondere kein sonstiger im Zusammenhang mit der Aufgabe erzielter Ertrag.
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a) Hatte der Steuerpflichtige eine Ansparabschreibung nach § 7g Abs. 3 EStG a.F. für die künftige Anschaffung oder Herstellung eines Wirtschaftsgutes gebildet, bis zur Betriebsveräußerung das Wirtschaftsgut aber nicht angeschafft oder hergestellt, so war die Ansparabschreibung aufzulösen. Die Auflösung erfolgte ex nunc und erhöhte als sonstiger Ertrag im zuletzt genannten Sinne den Veräußerungsgewinn (BFH-Urteile vom 10. November 2004 XI R 69/03, BFHE 208, 190, BStBl II 2005, 596, unter II.2.b, im Falle einer Einbringung; vom 20. Dezember 2006 X R 31/03, BFHE 216, 288, BStBl II 2007, 862, unter II.3.). Für Aufgabegewinne konnte nichts anderes gelten. Aufgelöste Ansparabschreibungen nahmen daher an der Begünstigung des § 16 Abs. 4 EStG teil.
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b) An die Stelle der vormaligen Auflösung der Ansparabschreibung ex nunc tritt nach § 7g Abs. 3 EStG i.d.F. des UntStRefG die Rückgängigmachung des Abzugs ex tunc, nämlich in dem Wirtschaftsjahr, in dem der Investitionsabzugsbetrag ursprünglich gebildet worden ist. Dieser Korrekturmechanismus schließt die Zuordnung der dadurch bewirkten Gewinnerhöhung zum begünstigten Aufgabegewinn aus (i.E. ebenso HHR/Meyer, § 7g EStG Rz 5 "Verhältnis zu §§ 16, 34", HHR/Geissler, § 16 EStG Rz 24 a.E.), auch wenn ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der Betriebsaufgabe und der gerade durch die Betriebsaufgabe bedingten Rückgängigmachung nicht zu bestreiten ist.
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aa) Die Rückgängigmachung eines zu Lasten des laufenden Gewinns vorgenommenen Abzugs kann sich nur zu Gunsten dieses laufenden Gewinns auswirken. Die Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrags hat schon begrifflich zur Folge, dass die Gewinnermittlung des betreffenden Jahres wieder auf dem Zustand vor dem Abzug beruht, und stellt so die vor dem Abzug bestehenden Verhältnisse wieder her. Insofern ist die Gewinnerhöhung durch Rückgängigmachung in Wahrheit eine Aufhebung der ursprünglichen Gewinnminderung. Wäre sie Teil eines begünstigten Veräußerungs- oder Aufgabegewinns, hätte der zwischenzeitlich vorgenommene Abzug einen Teil des ursprünglich laufenden Gewinns in einen begünstigten Gewinn umgewandelt. Eine derartige Umwidmung wäre gerade keine Rückgängigmachung mehr.
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bb) Vielmehr können Ereignisse, die zwar von dem Zeitpunkt der Betriebsaufgabe ausgehen, steuerrechtlich jedoch auf frühere Zeitpunkte oder Zeiträume zurückwirken, den Aufgabegewinn nicht beeinflussen. Das gilt unabhängig davon, ob diese Rückwirkung verfahrensrechtlich auf § 7g Abs. 3 Satz 2, 3 EStG i.d.F. des UntStRefG oder auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu stützen ist. Die steuerliche Rückwirkung ist eine Frage des materiellen Rechts (BFH-Urteil vom 11. Juli 2013 IV R 9/12, BFHE 242, 14, BStBl II 2014, 609, unter III.2.b cc (1)). Ereignisse mit steuerlicher Rückwirkung zeitigen ihre steuerliche Wirkung nicht in dem Veranlagungszeitraum, in dem sie sich ereignen, sondern in dem Veranlagungszeitraum, für den sie steuerlich von Bedeutung sind. Folgerichtig und damit korrespondierend sind dann aber nicht nur spätere Ereignisse, die Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Veräußerung oder Aufgabe haben, in die Ermittlung des Veräußerungs- oder Aufgabegewinns einzubeziehen, sondern umgekehrt auch Ereignisse, die zwar im Zusammenhang mit der Veräußerung oder Aufgabe stehen, aber Rückwirkung auf frühere Zeitpunkte haben, aus der Ermittlung des Veräußerungs- oder Aufgabegewinns auszuklammern. Eine Betriebsaufgabe kann grundsätzlich auch den laufenden Gewinn beeinflussen (vgl. Schmidt/Wacker, a.a.O., § 16 Rz 345).
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Dies entspricht der Behandlung rückwirkender Ereignisse nach Betriebsveräußerung und –aufgabe. Bei der Veräußerung eines Gewerbebetriebs wirken spätere Veränderungen des Veräußerungspreises nach Maßgabe von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurück und beeinflussen so rückwirkend den Veräußerungsgewinn, und zwar unabhängig davon, welche Gründe für die Minderung oder Erhöhung des Erlöses maßgebend waren (grundlegend Beschlüsse des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993 GrS 1/92, BFHE 172, 80, BStBl II 1993, 894, unter C.II.2.; GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C.II.1.d, 2.b, 4.). Diese Rückwirkung gilt für die Betriebsaufgabe und den Aufgabegewinn entsprechend (vgl. BFH-Urteile vom 12. Oktober 2005 VIII R 66/03, BFHE 211, 458, BStBl II 2006, 307, unter II.2.c; vom 10. Februar 1994 IV R 37/92, BFHE 174, 140, BStBl II 1994, 564, unter 4.b; vom 31. August 2006 IV R 53/04, BFHE 214, 550, BStBl II 2006, 906, unter B.II.2.b).
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Wenn für die Möglichkeit, den Veräußerungsgewinn rückwirkend zu ändern, die Gründe der Änderung nicht maßgeblich sind, ist es außerdem konsequent, dass für die steuerlichen Folgen aus der Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrags, namentlich die Qualifikation als laufender Gewinn, die Gründe der Änderung ebenfalls nicht maßgebend sind. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Rückgängigmachung auf einer Betriebsveräußerung oder –aufgabe oder auf sonstigen Gründen beruht.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
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4. Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten nach § 121 Satz 1 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.