12.04.2017 · IWW-Abrufnummer 193254
Bundesfinanzhof: Beschluss vom 07.02.2017 – X B 79/16
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 24. Mai 2016 1 K 1238/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gründe
1
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb in den Streitjahren einen Handels– und Dienstleistungsbetrieb für Kaffeeautomaten und Zubehör. Seinen Gewinn ermittelte er mittels Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre maßgeblichen Fassung.
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Der Kläger nutzte ein Software-Programm, das für jede Rechnung automatisch eine fortlaufende Nummer vergab. Die Bankverbindung konnte programmtechnisch frei gewählt werden. Der Kläger unterhielt neben seinem betrieblichen Konto bei der Sparkasse 1 ein weiteres Konto bei der Sparkasse 2, in der Buchhaltung als "Nebenkassenkonto" bezeichnet. Betriebliche Eingänge auf dem "Nebenkassenkonto" übertrug der Kläger in ein Kassenbuch. Die Rechnungen wurden überwiegend durch Banküberweisung beglichen. Soweit überhaupt Barzahlungen im Betrieb anfielen, führte er diese nicht in einem (anderen) Kassenbuch auf.
3
Im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung der Streitjahre stellte die Prüferin des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—) fest, dass eine Rechnung über 1.508 € brutto und zwei Rechnungen über insgesamt 4.608,68 € nicht verbucht worden seien. Außerdem lägen für acht Rechnungsnummern im Streitjahr 2005, für fünf Rechnungsnummern im Streitjahr 2006 und für zehn Rechnungsnummern im Streitjahr 2007 keine Ausgangsrechnungen vor. Der tatsächliche Stand des "Nebenkassenkontos" zum jeweiligen Gewinnermittlungsstichtag sei vom Stand laut Buchführung abgewichen.
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Neben den nicht gebuchten Rechnungen erhöhte das FA die Gewinne um einen (Un–)Sicherheitszuschlag in Höhe von 5 % der Nettoerlöse. Diese Beträge senkte es im Einspruchsverfahren auf 2,5 %. Nach Ansicht des FA waren die Hinzuschätzungen in Höhe von damit insgesamt 21.410 € schlüssig, wirtschaftlich vernünftig und möglich. Sie entsprächen bei den 23 fehlenden Rechnungen durchschnittlichen Einnahmen von jeweils etwa 1.000 €.
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Die Klage hat das Finanzgericht (FG) als unbegründet abgewiesen. Die Hinzuschätzungen von je 2,5 % der Umsätze in den Streitjahren seien nicht zu beanstanden. In der Zusammenschau der festgestellten Mängel ergäben sich hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die erzielten Betriebseinnahmen in den Gewinnermittlungen des Klägers nicht vollständig erfasst worden seien. Hierfür spreche auch die Angabe unterschiedlicher Kontoverbindungen in der Rechnung Nr. 51329 über 1.508 €, bei der sich die abgesandte Rechnung von ihrer Abschrift in der Buchführung des Klägers unterscheide. Die Identität zwischen Urschrift und Kopie und damit die korrekte Erfassung von Rechnungen in der Buchführung sei folglich nicht gesichert gewesen. Auch seien die wenigen Bareinnahmen nicht erfasst worden. Diesen Unsicherheiten in Bezug auf die vollständige Verbuchung der erzielten Einnahmen werde der pauschale Zuschlag gerecht. Er sei maßvoll, wirtschaftlich vernünftig und auch möglich. Zwar liege er, wenn man sich an den fehlenden Rechnungsnummern orientiere, ein wenig über dem durchschnittlichen Rechnungsbetrag der Streitjahre. Doch seien die vorgefundenen nicht gebuchten Beträge zwischen 1.450 € und 3.158 € erheblich höher gewesen.
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Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.
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Das FA tritt der Beschwerde entgegen.
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II. Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
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Sofern Zulassungsgründe überhaupt in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genügenden Form dargelegt werden, liegen sie nicht vor.
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1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.
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a) Macht ein Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend, so hat er zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen. Dafür ist erforderlich, dass er die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hinreichend konkretisiert; nicht ausreichend ist eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Des Weiteren muss die Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen darlegen, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. Dazu muss ausgeführt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchem Grunde die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 24. Juni 2014 X B 216/13, BFH/NV 2014, 1888).
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b) Der Kläger ist der Ansicht, es sei zu klären, ob ein zwingender Schätzungsauftrag für die Finanzbehörde vorliege, wenn entgegen der Pflichtangabe nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) Lücken in der zahlenmäßigen Abfolge vorlägen.
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aa) Insoweit wirft der Kläger keine abstrakte Fragestellung auf. Seine Frage betrifft erkennbar lediglich seinen Einzelfall und ist auch nicht im Rahmen des § 162 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) verallgemeinerungsfähig.
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§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO schreibt einen Schätzungsauftrag (u.a.) vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen bestehen. Ob solche tatsächlichen Anhaltspunkte vorliegen, ist eine Frage des Einzelfalls. Auch die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob die Lücken in der Rechnungsnummernabfolge zur Schätzung verpflichten, hängt von der tatsächlichen Situation und damit vom jeweiligen Einzelfall ab. Dies zeigt exemplarisch der Streitfall. Das FG hat seine Schätzungsbefugnis damit begründet, dem Kläger sei es nicht gelungen, eine hinreichend plausible mit Nachweisen unterlegte Erklärung dafür zu geben, warum in einem Zeitraum von drei Jahren Rechnungsnummern in nicht zu vernachlässigender Zahl keine Ausgangsrechnungen zuzuordnen waren und dabei die Besonderheiten des Streitfalls (Rechnung Nr. 51329, Nichterfassung der Bareinnahmen) gewürdigt.
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bb) Daneben kann den (weiteren) Ausführungen des Klägers nicht entnommen werden, dass, in welchem Umfang und aus welchen Gründen die von ihm aufgeworfene Rechtsfrage umstritten ist und worin die Bedeutung einer Entscheidung zu dieser Rechtsfrage durch den Bundesfinanzhof (BFH) für die Fortentwicklung des Rechts zu sehen ist.
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cc) Nichts anderes ergibt sich aus den beiden vom Kläger genannten finanzgerichtlichen Entscheidungen. Sie betreffen keine vergleichbaren Sachverhalte.
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(1) Soweit der Kläger auf den Beschluss des FG Hamburg vom 30. April 2012 5 V 18/12abstellt, macht er selbst schon diese Sachverhaltsunterschiede deutlich. So fehlt es im dort entschiedenen Fall zusätzlich zu den festgestellten Lücken in der Rechnungsnummernabfolge an der Abgabe von Steuererklärungen. Es konnte auch nicht ausgeschlossen werden, dass die gesamte Buchführung und nicht nur das Kassenbuch nachträglich erstellt worden waren. Also kam es nicht (nur) auf die fehlende Nummerierung der Rechnungen an.
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(2) Auch der dem Urteil des FG Köln vom 2. Juli 2010 11 K 3676/06 zugrundeliegende Sachverhalt zwang das dortige Finanzamt bereits aufgrund der Unvollständigkeit der Aufzeichnungen zur Schätzung. Der dortige Steuerpflichtige hatte erst im Klageverfahren Steuererklärungen eingereicht. Buchführungsunterlagen legte er nicht vor.
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(3) Ob Lücken bei der fortlaufenden Nummerierung der Rechnungen nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 UStG zur Schätzung führen müssen, ist also einzelfallbezogen zu beantworten und obliegt der Entscheidung der Tatsacheninstanz. Die Revision kann deshalb nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden.
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c) Das Gleiche gilt in Bezug auf die Höhe eines (Un–)Sicherheitszuschlags. Dieser ist anhand der jeweiligen tatsächlichen Umstände wirtschaftlich vernünftig zu wählen, wenn das FG aufgrund einzelner Feststellungen von sachlichen Fehlern in den Unterlagen des Klägers ausgeht. Einer abstrakten Aussage ist eine solche Fragestellung nicht zugänglich.
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2. Soweit sich der Kläger gegen die Höhe des (Un–)Sicherheitszuschlags wie auch die Art und Weise der Plausibilitätsprüfung des FG wendet, richtet sich sein Vorbringen gegen die Richtigkeit der Schätzung.
22
a) Eine solche Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalls durch das FG im Rahmen einer Schätzung ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt insbesondere für Einwendungen gegen die Richtigkeit von Steuerschätzungen (Verstöße gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze sowie materielle Rechtsfehler, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 21. Januar 2009 X B 125/08, BFH/NV 2009, 951).
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b) Ein zur Zulassung der Revision berechtigender erheblicher Rechtsfehler aufgrund objektiver Willkür kann allenfalls in Fällen bejaht werden, in denen das Schätzungsergebnis des FG wirtschaftlich unmöglich und damit schlechthin unvertretbar ist. Ein Verstoß gegen Denkgesetze führt bei Schätzungen erst zur Zulassung der Revision wegen willkürlich falscher Rechtsanwendung, wenn sich das Ergebnis als offensichtlich realitätsfremd darstellt (Senatsbeschluss in BFH/NV 2009, 951).
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Dies ist vorliegend nicht der Fall. Denn es erscheint zumindest vertretbar, wenn das FG aufgrund der Vielzahl von Lücken bei den Rechnungsnummern in Kombination mit den drei nicht verbuchten Rechnungen die Vollständigkeit der Erfassung der Einnahmen nicht mehr als gewährleistet ansieht. Eine solche Situation ist charakteristisch für den (Un–)Sicherheitszuschlag als Form einer griffweisen Schätzung (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 15. April 2015 VIII R 49/12, juris,Rz 19).
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c) Diese Form der Schätzung steht auch nicht im Widerspruch zur Senatsentscheidung vom 25. März 2015 X R 20/13 (BFHE 249, 390, BStBl II 2015, 743). Zwar hat der Senat in diesem Urteil in Relation zum Zeitreihenvergleich auf den grundsätzlichen Vorrang der die individuellen Verhältnisse des jeweiligen Steuerpflichtigen berücksichtigenden Schätzungsmethoden hingewiesen, zu denen neben der Vermögenszuwachs– oder Geldverkehrsrechnung auch die Aufschlags– und Ausbeutekalkulation gehört. Der Senat hat aber auch den Grundsatz, dass das FA in der Wahl seiner Schätzungsmethoden frei ist, ausdrücklich bestätigt (so auch schon Senatsbeschluss vom 13. September 2016 X B 146/15, BFH/NV 2016, 1747, unter II.2.a, m.w.N.).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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4. Von einer weiteren Darstellung und einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.