30.08.2007 · IWW-Abrufnummer 072796
Bundesfinanzhof: Urteil vom 26.07.2007 – VI R 64/06
Die Übernahme der Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung einer angestellten Rechtsanwältin durch den Arbeitgeber führt zu Arbeitslohn, weil diese gemäß § 51 BRAO zum Abschluss der Versicherung verpflichtet ist und deshalb ein überwiegend eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers ausscheidet.
Gründe:
I.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Die Klägerin bezieht als angestellte Rechtsanwältin Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Zur Abdeckung von Vermögensschäden schloss sie eine Haftpflichtversicherung für Rechtsanwälte ab. Die Versicherungssumme pro Versicherungsfall beläuft sich auf 2 000 000 DM. Vertragsbestandteil sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermögensschäden-Haftpflichtversicherung von Rechtsanwälten und Patentanwälten (ABG-A). Die Versicherungsbeiträge, die sich in den Streitjahren 1998 bis 2000 auf je 2 970 DM beliefen, trug der Arbeitgeber der Klägerin, ohne sie der Lohnsteuer zu unterwerfen.
Die Klägerin erklärte in den Streitjahren bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit Einnahmen in Höhe von 70 892 DM (1998), 73 232 DM (1999) und 76 612 DM (2000). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) behandelte die vom Arbeitgeber getragenen Versicherungsbeiträge als zusätzlichen Arbeitslohn und erhöhte die Einnahmen entsprechend. Andererseits ließ das FA anstelle des Arbeitnehmer-Pauschbetrags Werbungskosten in Höhe der Versicherungsbeiträge zum Abzug zu.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 771 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide 1998 bis 2000 dahingehend abzuändern, dass die Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung nicht als Arbeitslohn erfasst werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist von zutreffenden rechtlichen Erwägungen ausgegangen. Seine tatsächliche Würdigung ist möglich; sie verstößt nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze.
1. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören u.a. Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden, zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit. Dem Tatbestandsmerkmal "für" ist nach ständiger Rechtsprechung zu entnehmen, dass ein dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewendeter Vorteil Entlohnungscharakter für das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft haben muss, um als Arbeitslohn angesehen zu werden. Dagegen sind solche Vorteile kein Arbeitslohn, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen. Ein Vorteil wird dann aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse gewährt, wenn im Rahmen einer Gesamtwürdigung aus den Begleitumständen zu schließen ist, dass der jeweils verfolgte betriebliche Zweck im Vordergrund steht. In diesem Fall des "ganz überwiegend" eigenbetrieblichen Interesses kann ein damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen, vernachlässigt werden. Die danach erforderliche Gesamtwürdigung hat insbesondere Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und seine besondere Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck zu berücksichtigen. Tritt das Interesse des Arbeitnehmers gegenüber dem des Arbeitgebers in den Hintergrund, kann eine Lohnzuwendung zu verneinen sein. Ist aber --neben dem eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers-- ein nicht unerhebliches Interesse des Arbeitnehmers gegeben, so liegt die Vorteilsgewährung nicht im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers und führt zur Lohnzuwendung (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. April 2006 VI R 60/02, BFHE 212, 574, BStBl II 2006, 691, m.w.N.).
2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG eine Gesamtwürdigung vorgenommen. Es ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Übernahme der Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung der Klägerin durch den Arbeitgeber auch im eigenen Interesse der Klägerin erfolgte und deshalb Arbeitslohn anzunehmen sei. Die Gesamtwürdigung, die revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar ist (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 10. Februar 2005 VI B 113/04, BFHE 209, 211, BStBl II 2005, 488; vom 10. November 2005 VI B 75/05, BFH/NV 2006, 530; Urteil vom 12. April 2007 VI R 77/04, nicht veröffentlicht; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 118 Rz 30; Seer in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 118 FGO Rz 87, m.w.N.), ist möglich; sie lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
Wie das FG zu Recht ausgeführt hat, ist der Anwalt gemäß § 51 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) gesetzlich verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht wird mit der Nichtzulassung zum Beruf (§ 12 Abs. 2 BRAO) oder der Entfernung aus diesem sanktioniert (§ 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO). Der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung ist damit unabdingbar für die Ausübung des Berufs eines (angestellten) Rechtsanwalts. Kommt er der gesetzlichen Verpflichtung nach, handelt er in typischer Weise im eigenen Interesse. Soweit der Arbeitgeber eines angestellten Rechtsanwalts im Hinblick auf die Haftungsrisiken aller weiteren Sozien ein Interesse an einer die Mindestsumme von (in den Streitjahren) 500 000 DM (vgl. § 51 Abs. 4 BRAO) übersteigenden Versicherungssumme hat, wie die Kläger geltend machen, hat dies nicht zur Folge, dass das Interesse des einzelnen Arbeitnehmers am Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung als unerheblich zu qualifizieren wäre. Im Übrigen weist die Vorentscheidung zu Recht darauf hin, dass wegen dieses erweiterten Haftungsrisikos im Fall einer Sozietät eine höhere Versicherungssumme im Interesse jedes einzelnen Sozius liegt.