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  • 11.09.2024 · IWW-Abrufnummer 243738

    Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 12.06.2024 – 1 K 141/22

    Nach der vom Senat zugrunde gelegten Rechtsprechung des BFH ist die antragsgebundene Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG, die der Steuerpflichtige nur einmal im Leben in Anspruch nehmen kann, auch dann verbraucht, wenn das Finanzamt die Vergünstigung zu Unrecht gewährt hat.
    2.

    Dies gilt selbst dann, wenn dies ohne Antrag des Steuerpflichtigen geschieht oder ein Betrag begünstigt besteuert wird, bei dem es sich tatsächlich nicht um einen Veräußerungsgewinn im Sinne des § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG handelt.
    3.

    Entscheidend ist, dass die Vergünstigung in dem früheren Jahr nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Will sich der Steuerpflichtige die Möglichkeit einer späteren Inanspruchnahme vorbehalten, muss er die Steuerfestsetzung anfechten, in der ihm die Vergünstigung zu Unrecht gewährt worden ist.
    4.

    Der Steuerpflichtige braucht sich die rechtswidrige Gewährung der Vergünstigung in einem Vorjahr nach den Grundsätzen von Treu und Glauben jedoch dann nicht entgegenhalten zu lassen, wenn für ihn angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und des Fehlens eines Hinweises im Bescheid nicht erkennbar gewesen ist, dass das Finanzamt die Vergünstigung ohne den erforderlichen Antrag gewährt hat.
    5.

    Der Senat erwägt, ob bei Änderung eines Steuerbescheides gemäß § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO zur Umsetzung eines Grundlagenbescheides der Bescheidadressat sich bei der Überprüfung des Bescheides darauf beschränken kann, ob die im Grundlagenbescheid enthaltenen Feststellungen richtig umgesetzt sind, weil außer der Übernahme der Feststellungen im Grundlagenbescheid keine sonstigen Änderungen oder Maßnahmen zu erwarten sind.
    6.

    Dies kommt jedoch im Ergebnis dann nicht in Betracht, wenn es um die Umsetzung eines Feststellungsbescheides geht, der einen Veräußerungsgewinn im Sinne der §§ 16, 34 EStG ausweist, da dann auf jeden Fall auch die Überprüfung der richtigen Steuerberechnung im Hinblick auf die besondere Tarifvorschrift des § 34 EStG für außerordentliche Einkünfte wie Veräußerungsgewinne veranlasst ist.
    7.

    Nicht zu entscheiden war, ob sich die Situation anders darstellt, wenn der umzusetzende Feststellungsbescheid andere Einkünfte wie z.B. laufende Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betrifft, bei denen eine Steuerberechnung nach § 34 EStG nicht zu erwarten ist.


    Tatbestand

    Streitig ist, ob ein im Streitjahr 2019 erzielter Gewinn aus der Veräußerung einer Beteiligung im Sinne von § 16 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermäßigt zu besteuern ist gemäß § 34 Abs. 3 EStG trotz Anwendung des ermäßigten Steuersatzes im Jahr 2014.

    Der ... geborene und am ... 2021 während des Einspruchsverfahrens verstorbene A war der Ehemann der Klägerin zu 1) und wurde mit dieser zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Kläger sind die Erben des A.

    A war 2014 zu 1 % an der B KG beteiligt. Die Veräußerung von vier Beteiligungen der KG führte nach einer Betriebsprüfung für 2014 zu einem anteiligen Veräußerungsgewinn des A i.H.v. ... €. Aufgrund der Betriebsprüfung und eines geänderten Bescheides über die gesonderte und einheitliche Feststellung vom 22. Juni 2018 bezüglich der KG erging ein gemäß § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geänderter Einkommensteuerbescheid vom 29. Juni 2018 für 2014, in dem der Veräußerungsgewinn von ... € bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens berücksichtigt wurde. Bei der Steuerberechnung wurde neben dem Splittingtarif für ein zu versteuerndes Einkommen von ... € ohne vorherigen Antrag der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG auf den Betrag von ... € angewandt. In den Erläuterungen zur Festsetzung fand sich hierzu kein Hinweis. Dort hieß es lediglich, dass dieser Bescheid den Bescheid vom 4. November 2016 ändere und die Abweichung von den erklärten Angaben sich aus dem Feststellungsbescheid vom 22. Juni 2018 ergebe. Der Einkommensteuerbescheid vom 29. Juni 2018, der gegenüber dem vorherigen Bescheid vom 4. November 2016 zu einer um ... € höheren Festsetzung der Einkommensteuer auf ... € führte, wurde bestandskräftig. Gemäß dem vom Beklagten vorgelegten Eingabebogen zum Bescheid vom 29. Juni 2018 (...) war der Betrag von ... € zweimal eingetragen worden, nämlich einmal unter Kennziffer 45.30 (Veräußerungsgewinn ohne FB nach § 16 Abs. 4 EStG) und zusätzlich unter Kennziffer 45.38 (Gewinn § 34 Abs. 3 EStG, in Kennziffer 45.30 enthalten). Ein hierzu erzeugter Dokumentationshinweis (...) verlangte die Überprüfung verschiedener Gesichtspunkte im Zusammenhang mit Betriebsveräußerungen.

    Im Jahr 2019 veräußerte A seine mitunternehmerische Beteiligung an der C GmbH und Co KG und erklärte einen Veräußerungsgewinn von ... €. Hierfür nahm er im Rahmen der am 22. Oktober 2020 eingereichten Steuererklärung für 2019 die Steuerbegünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG in Anspruch.

    Mit Schreiben vom 23. Oktober 2020 beantragten A und die Klägerin zu 1) die Festsetzung einer nachträglichen Steuervorauszahlung für 2019 wegen eines steuerpflichtigen Veräußerungsgewinns i.H.v. ... € unter Berücksichtigung der ermäßigten Besteuerung gemäß § 34 Abs. 3 EStG. Der Beklagte setzte die Vorauszahlungen entsprechend mit Bescheid vom 26. Oktober 2020 ohne jegliche Anmerkung fest.

    Mit Schreiben vom 3. Dezember 2020 forderte der Beklagte Unterlagen zu Handwerkerleistungen und zum Nachweis über den Grad der Behinderung des A an und erklärte, wie folgt von der Erklärung abzuweichen:

        "Für den Veräußerungsgewinn im Sinne des § 16 EStG i.H.v. ... € wurde eine Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG beantragt. Gemäß § 34 Abs. 3 S. 4 EStG kann die Steuerermäßigung nur einmal im Leben in Anspruch genommen werden. Da die Steuerermäßigung bereits 2014 in Anspruch genommen wurde, ist eine erneute Inanspruchnahme nicht zulässig."

    Weitere Hinweise zum Hintergrund der Inanspruchnahme der Steuerermäßigung 2014 enthielt das Schreiben nicht. Die angeforderten Unterlagen wurden Anfang 2021 eingereicht. Der Beklagte setzte die Einkommensteuer für 2019 mit Bescheid vom 10. Februar 2021 unter Einbeziehung des Veräußerungsgewinns i.H.v. ... € ohne Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG fest. A und die Klägerin zu 1) legten hiergegen am Montag, dem 15. März 2021 rechtzeitig Einspruch ein. Mit Schreiben vom 19. März 2021 führte der Beklagte aus, dass für den Veräußerungsgewinn i.H.v. ... € die Steuerermäßigung gemäß § 34 Abs. 3 EStG nicht in Anspruch genommen werden könne. Diese Steuerermäßigung sei bereits im Jahr 2014 infolge eines Eingabefehlers gewährt worden, der nach § 129 AO oder § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO hätte korrigiert werden können, wenn ein entsprechender Antrag vor Ablauf der Festsetzungsfrist (31. Dezember 2020) gestellt worden wäre. Eine Ausnahme davon nach dem Grundsatz von Treu und Glauben sei hier nicht möglich. Die Einkommensteuererklärung für 2014 hatten A und die Klägerin zu 1) am 20. Februar 2016 eingereicht. Im Verlauf des Einspruchsverfahrens wurde der Einkommensteuerbescheid für 2019 mit Bescheid vom 17. Januar 2022 gemäß § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO aufgrund eines Feststellungsbescheides vom 9. Juli 2021 geändert und nunmehr ein Veräußerungsgewinn des A i.H.v. ... € angesetzt, wobei weiterhin § 34 Abs. 3 EStG nicht angewandt wurde. Mit Einspruchsentscheidung vom 17. Juni 2022 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück unter ausführlicher Darstellung des Sachverhaltes und der rechtlichen Würdigung des Beklagten, wobei als Inhaltsadressaten der verstorbene A und die Klägerin zu 1) aufgeführt waren. Eine erneute Einspruchsentscheidung vom 29. Juli 2022 erging mit gleichem Inhalt, aber unter Nennung der Erben und jetzigen Kläger anstelle des verstorbenen A als Inhaltsadressaten.

    Die Kläger haben am 20. Juli 2022 Klage gegen die Festsetzung der Einkommensteuer für 2019 erhoben.

    Die Kläger begehren die Festsetzung der Einkommensteuer für 2019 unter Berücksichtigung der Steuerbegünstigung gemäß § 34 Abs. 3 EStG. Sie sind der Auffassung, die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG sei nicht durch deren Gewährung für 2014 verbraucht worden. Die Ermäßigung für 2014 sei zu Unrecht ohne Antrag des Steuerpflichtigen gewährt worden. Die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben führe hier dazu, dass die Vergünstigung für 2014 der Vergünstigung für 2019 nicht entgegenstehe. 2014 habe die Anwendung der Vergünstigung auf den Veräußerungsgewinn von ... € nur eine geringe steuerliche Auswirkung von ... € gehabt, während sich bei Anwendung im Jahr 2019 auf den dort angefallenen Veräußerungsgewinn von über ... € eine erhebliche Auswirkung ergebe. Erläuterungen seien in dem Steuerbescheid für 2014 im Hinblick auf die Anwendung der Vergünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG nicht enthalten gewesen. Zudem hätte das Finanzamt den Bescheid für 2014 ändern müssen. Dies wäre gemäß § 129 AO oder § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO noch bis Ende 2020 möglich gewesen. Die Änderung wäre auch gemäß § 129 S. 2 AO geboten gewesen. Entgegen der nach dem Erörterungstermin vom 6. Dezember 2023 geäußerten geänderten Auffassung des Beklagten liege eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne von § 129 AO vor. Zudem hätte das Finanzamt auch den Antrag auf Gewährung der Steuervergünstigung in 2019 als Antrag auf Änderung für 2014 verstehen müssen, sodass eine Änderung für 2014 noch möglich gewesen wäre. Darüber hinaus habe sich der Beklagte in besonderem Maße widersprüchlich und treuwidrig verhalten, auch durch die vorbehaltlose Stattgabe der Festsetzung einer nachträglichen Steuervorauszahlung für 2019 unter Berücksichtigung von § 34 Abs. 3 EStG. Erstmals sei ein Hinweis auf den Verbrauch der Vergünstigung mit Schreiben des Beklagten vom 3. Dezember 2020 erfolgt, ohne allerdings auf die konkreten Umstände für den vermeintlich eingetretenen Verbrauch einzugehen. Insbesondere sei nicht wie in dem späteren Schreiben des Beklagten vom 19. März 2021 auf den Eingabefehler hingewiesen worden, sondern nur auf den vermeintlichen Verbrauch.

    Die Kläger beantragen,

    den Einkommensteuerbescheid für 2019 vom 10. Februar 2021, geändert am 17. Januar 2022, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Juli 2022 dahingehend zu ändern, dass auf den von A erzielten Veräußerungsgewinn von ... € die Steuerermäßigung gemäß § 34 Abs. 3 EStG angewandt wird.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte ist der Auffassung, die Anwendung der Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG bei der Festsetzung der Einkommensteuer für 2019 sei zu Recht abgelehnt worden. Die Steuervergünstigung sei bereits ohne Antrag des Steuerpflichtigen für 2014 im Bescheid vom 29. Juni 2018 infolge eines Eingabefehlers des Finanzamtes berücksichtigt worden für den damaligen Veräußerungsgewinn von ... €. Der Beklagte hat sich zunächst dahingehend geäußert, eine Korrektur für 2014 sei gemäß § 129 AO oder § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist am 31. Dezember 2020 möglich gewesen. Nunmehr, nach dem Erörterungstermin vom 6. Dezember 2023, ist der Beklagte der Auffassung, eine Berichtigung sei nicht gemäß § 129 AO möglich gewesen, weil es sich bei der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 34 Abs. 3 EStG im Bescheid vom 29. Juni 2018 nicht um eine offenbare Unrichtigkeit handele. Vielmehr sei nicht auszuschließen, dass die zweifache Eintragung des Veräußerungsgewinns von ... € als Veräußerungsgewinn und als Gewinn § 34 Abs. 3 EStG auf einer fehlerhaften Sachverhaltsermittlung, Tatsachenwürdigung oder Gesetzesanwendung beruhe. Es sei für A kein Änderungsantrag vor Ablauf der Festsetzungsfrist gestellt und auch keine Änderung von Amts wegen vorgenommen worden. Die für 2014 vorgenommene Steuerermäßigung stehe daher der Anwendung dieses besonderen Steuersatzes für 2019 entgegen. Die Annahme eines Verbrauchs der Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG verstoße nicht gegen die Grundsätze von Treu und Glauben. Im Einzelnen wird hierzu auf die Einspruchsentscheidungen Bezug genommen.

    ...

    ...
    Entscheidungsgründe

    Die zulässige Klage ist unbegründet.

    Der Beklagte hat zu Recht den im Streitjahr von A erzielten Veräußerungsgewinn nicht gemäß § 34 Abs. 3 i.V.m. § 16 EStG ermäßigt besteuert. Die Kläger sind hierdurch nicht in ihren Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 S. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

    I.

    Verfahrensgegenstand ist der Einkommensteuerbescheid vom 10. Februar 2021, geändert am 17. Januar 2022, in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 29. Juli 2022. Die nach Erhebung der Klage anstelle der vorherigen Einspruchsentscheidung vom 17. Juni 2022 ergangene Einspruchsentscheidung vom 29. Juli 2022, mit der bei ansonsten gleichem Inhalt die Inhaltsadressaten der Einspruchsentscheidung korrigiert worden sind, ist entsprechend § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden.

    II.

    Außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG, zu denen unter anderem Veräußerungsgewinne im Sinne des § 16 EStG gehören, sind gemäß § 34 Abs. 1 EStG mit einem besonderen Steuersatz zu besteuern. Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG enthalten, so kann auf Antrag gemäß § 34 Abs. 3 EStG abweichend von Abs. 1 die auf den Teil dieser außerordentlichen Einkünfte, der den Betrag von insgesamt 5 Millionen € nicht übersteigt, entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz bemessen werden, wenn der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet hat oder wenn er im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig ist; der ermäßigte Steuersatz beträgt 56 % des dort näher definierten persönlichen durchschnittlichen Steuersatzes, mindestens jedoch 14 %. Diesen ermäßigten Steuersatz kann der Steuerpflichtige nur einmal im Leben in Anspruch nehmen (§ 34 Abs. 3 S. 4 EStG).

    Nach der Rechtsprechung des BFH (siehe insbesondere mit zahlreichen weiteren Nachweisen BFH Urteil vom 28.09.2021, VIII R 2/19, BFHE 274, 443, BStBl II 2022, 169, juris), der das Schrifttum weitgehend folgt und der auch der erkennende Senat folgt, ist die antragsgebundene Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG, die der Steuerpflichtige nur einmal im Leben in Anspruch nehmen kann, auch dann verbraucht, wenn das Finanzamt die Vergünstigung zu Unrecht gewährt hat. Dies gilt selbst dann, wenn dies ohne Antrag des Steuerpflichtigen geschieht und ein Betrag begünstigt besteuert wird, bei dem es sich tatsächlich nicht um einen Veräußerungsgewinn im Sinne des § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG handelt. Entscheidend ist allein, dass sich die Vergünstigung auf die frühere Steuerfestsetzung ausgewirkt hat und sie dort nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Will sich der Steuerpflichtige die Möglichkeit vorbehalten, die Vergünstigung in einem späteren Jahr in Anspruch zu nehmen, muss er die Steuerfestsetzung anfechten, in der ihm die Vergünstigung zu Unrecht gewährt worden ist (BFH Urteil vom 28.09.2021, VIII R 2/19, BFHE 274, 443, BStBl II 2022, 169, juris, Rn 16, 18). Mit diesem Verständnis eines Verbrauchs der Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG auch ohne den eigentlich erforderlichen Antrag des Steuerpflichtigen wird verhindert, dass der Steuerpflichtige mehrfach in den Genuss der Vergünstigung dieser Steuerermäßigung kommt (BFH Urteil vom 28.09.2021, VIII R 2/19, BFHE 274, 443, BStBl II 2022, 169, juris, Rn 23).

    Maßgeblich ist jedoch, dass der Steuerpflichtige den ihn begünstigenden Irrtum des Finanzamtes erkennt und billigt (BFH Urteil vom 28.09.2021, VIII R 2/19, BFHE 274, 443, BStBl II 2022,169, juris, Rn 18). Nach dem in der genannten Entscheidung zitierten Urteil des BFH vom 15.05.2002, X R 97/98, BFH/NV 2002, 1428, dort unter II. 2.b zur vergleichbaren Situation beim Objektverbrauch nach § 10e Abs. 4 EStG, ist es erforderlich, dass es für den Steuerpflichtigen erkennbar war, dass das Finanzamt entsprechend vorgegangen ist, etwa aufgrund von Erläuterungen zum Einkommensteuerbescheid oder weil die Vorgehensweise anderweitig offensichtlich war. Der Steuerpflichtige braucht sich daher die rechtswidrige Gewährung der Vergünstigung in einem Vorjahr nach den Grundsätzen von Treu und Glauben dann nicht entgegenhalten zu lassen, wenn für ihn angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und des Fehlens eines Hinweises im Bescheid nicht erkennbar gewesen ist, dass das Finanzamt die Vergünstigung ohne den erforderlichen Antrag gewährt hat (BFH Urteil vom 28.09.2021, VIII R 2/19, BFHE 274, 443, BStBl II 2022, 169, juris, Rn 17 mit weiteren Nachweisen).

    III.

    1. Im Streitfall hat A sowohl im Jahr 2014 als auch im Jahr 2019 Gewinne aus der Veräußerung von Mitunternehmeranteilen im Sinne von § 16 Abs. 1 EStG erzielt, sodass außerordentliche Einkünfte im Sinne von § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG vorliegen, für die entweder der besondere Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG oder der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG anzuwenden ist. Für den Veräußerungsgewinn im Jahr 2014 ergibt sich dies bereits aus dem Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2014 vom 22. Juni 2018 für die B KG, in dem A ein anteiliger Veräußerungsgewinn im Sinne der §§ 16, 34 EStG i.H.v. ... € zugewiesen worden ist. Im Jahr 2019 hat A seine mitunternehmerische Beteiligung an der C GmbH und Co KG veräußert und damit ebenfalls einen Veräußerungsgewinn im Sinne der §§ 16, 34 EStG erzielt. Das für die Anwendung von § 34 Abs. 3 EStG erforderliche Lebensalter von 55 Jahren hat der ... geborene A bereits ... erreicht.

    2. Die Steuervergünstigung gemäß § 34 Abs. 3 EStG ist für A bereits im Jahr 2014 gewährt worden und kann für dieses Jahr nicht mehr rückgängig gemacht werden.

    a) Der Beklagte hat bereits mit dem Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 29. Juni 2018 den ermäßigten Steuersatz gemäß § 34 Abs. 3 EStG berücksichtigt. Dabei ist es unerheblich, dass kein gemäß § 34 Abs. 3 S. 1 EStG erforderlicher Antrag des A gestellt worden ist.

    b) Die Einkommensteuerfestsetzung für 2014 kann nicht mehr geändert werden.

    aa) Nach Einreichung der Einkommensteuererklärung für 2014 am 20. Februar 2016 ist wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung am 31. Dezember 2020 eine Änderung der Steuerfestsetzung gemäß § 169 Abs. 1 S. 1 AO nicht mehr zulässig. Maßgeblich ist die vierjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO für Steuern. Gemäß § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist, wenn - wie hier für die Einkommensteuer - eine Steuererklärung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 2014 begann hier daher mit Ablauf des Jahres 2016 und endete dementsprechend mit Ablauf des Jahres 2020.

    bb) Der Festsetzungsverjährung am 31. Dezember 2020 steht keine Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 3 AO entgegen. Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens ein Antrag auf Steuerfestsetzung oder auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung oder ihre Berichtigung nach § 129 AO gestellt, so läuft die Steuerfestsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden worden ist. Ein Antrag auf Änderung der Steuerfestsetzung für 2014 ohne Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 34 Abs. 3 EStG ist jedoch bis zum 31. Dezember 2020 nicht gestellt worden. Der am 22. Oktober 2020 eingereichten Einkommensteuererklärung für 2019 lässt sich lediglich entnehmen, dass für A ein Antrag auf den ermäßigten Steuersatz des § 34 Abs. 3 EStG bezüglich des in 2019 erzielten Veräußerungsgewinns gestellt worden ist. Gleiches gilt für den Antrag vom 23. Oktober 2020 auf Festsetzung einer nachträglichen Steuervorauszahlung für 2019. Ein Antrag auf Änderung der Steuerfestsetzung für 2014 dahingehend, dass für dieses Jahr der ermäßigte Steuersatz des § 34 Abs. 3 EStG nicht angewendet werden soll, ist in der Antragstellung für 2019 auch nicht ansatzweise enthalten. Der Umstand, dass eine solche Antragstellung zur Vermeidung eines Verbrauchs der Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG durch die Gewährung der Steuervergünstigung ohne Antrag in 2014 sinnvoll gewesen wäre, um für 2019 die Steuervergünstigung in Anspruch nehmen zu können, reicht nicht aus, um in der Einkommensteuererklärung für 2019 oder dem Antrag auf Festsetzung einer nachträglichen Vorauszahlung einen entsprechenden Antrag zu sehen.

    3. Es ist nicht zugunsten der Kläger davon auszugehen, dass sie sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben die rechtsirrige Gewährung der Vergünstigung für 2014 angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und wegen des Fehlens eines Hinweises des Finanzamtes nicht entgegenhalten müssen.

    a) Maßgeblich ist dabei auf den Inhalt des Einkommensteuerbescheides für 2014 vom 29. Juni 2018 abzustellen. Denn ausweislich der oben genannten Rechtsprechung des BFH muss sich der Steuerpflichtige die rechtswidrige Gewährung der Vergünstigung in einem Vorjahr nach den Grundsätzen von Treu und Glauben dann nicht entgegenhalten lassen, wenn für ihn angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und des Fehlens eines Hinweises im Bescheid nicht erkennbar gewesen ist, dass das Finanzamt die Vergünstigung ohne den erforderlichen Antrag gewährt hat.

    b) Zwar ist die steuerliche Auswirkung der Anwendung von § 34 Abs. 3 EStG anstelle von § 34 Abs. 1 EStG auf den Veräußerungsgewinn von ... € gering. Bei einem zu versteuernden Einkommen von ... € hat die Berücksichtigung von § 34 Abs. 3 EStG zu einer Festsetzung der Einkommensteuer auf ... € und damit einer Höherfestsetzung gegenüber dem vorherigen Bescheid um ... € geführt. Demgegenüber hätte sich ausweislich der von den Klägern erstellten Proberechnung Anlage K 14 bei der Anwendung von § 34 Abs. 1 EStG eine Einkommensteuer von ... € und damit eine um ... € höhere Festsetzung ergeben. Damit ergibt sich eine steuerliche Auswirkung der Anwendung von § 34 Abs. 3 EStG i.H.v. ... € bei der Einkommensteuer, die weniger als 1 % der festgesetzten Einkommensteuer ausmacht.

    c) Die Berücksichtigung der Vergünstigung gemäß § 34 Abs. 3 EStG ohne den erforderlichen Antrag war aus dem Bescheid vom 29. Juni 2018 für die Steuerpflichtigen jedoch erkennbar.

    Der genannte Bescheid erging geändert gemäß § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO und damit zur Umsetzung eines Grundlagenbescheides. Er enthielt in den Erläuterungen keinen Hinweis auf die Anwendung von § 34 Abs. 3 EStG, sondern lediglich die Mitteilung, dass der Bescheid den Bescheid vom 4. November 2016 ändere und sich die Abweichung von den erklärten Angaben aus dem Feststellungsbescheid vom 22. Juni 2018 ergebe. Bei den Besteuerungsgrundlagen übernahm der Bescheid den im Feststellungsbescheid vom 22. Juni 2018 ausgewiesenen Veräußerungsgewinn des A bei dessen Einkünften aus Gewerbebetrieb aus Beteiligungen. Bei der Berechnung der Steuer wurde die Anwendung des Splittingtarifs auf ... € und die Anwendung von § 34 Abs. 3 EStG auf ... € ausgewiesen.

    Dies reicht aus, um für A und die Klägerin zu 1) erkennbar zu machen, dass § 34 Abs. 3 EStG angewandt worden ist, sodass Anlass bestanden hätte, sich gegen die ohne Antrag erfolgte Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG mit einem Einspruch oder Änderungsantrag zu wenden, um sich die Möglichkeit einer späteren Gewährung des ermäßigten Steuersatzes zu erhalten. Auch wenn erwogen wird, dass bei Änderung eines Steuerbescheides gemäß § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO zur Umsetzung eines Grundlagenbescheides der Bescheidadressat außer der Übernahme der Feststellungen im Grundlagenbescheid keine sonstigen Änderungen oder Maßnahmen zu erwarten hat und sich bei der Überprüfung des Bescheides darauf beschränken kann, ob die im Grundlagenbescheid enthaltenen Feststellungen richtig umgesetzt sind, folgt daraus für den Streitfall nicht, dass der Bescheid hier nur darauf hätte überprüft werden müssen, ob zutreffend ein Veräußerungsgewinn des A i.H.v. ... € in die Besteuerungsgrundlagen einbezogen worden ist. Vielmehr bedarf es bei einem Feststellungsbescheid, der einen Veräußerungsgewinn im Sinne der §§ 16, 34 EStG ausweist, auf jeden Fall auch der Überprüfung der richtigen Steuerberechnung im Hinblick auf die besondere Tarifvorschrift des § 34 EStG für außerordentliche Einkünfte wie Veräußerungsgewinne im Sinne des § 16 EStG. Es bestand daher für die Steuerpflichtigen auf jeden Fall Anlass auch zur Prüfung der Steuerberechnung, sodass sie auch ohne zusätzlichen Hinweis in den Erläuterungen zur Festsetzung die Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG erkennen konnten. Ob sich die Frage der Erkennbarkeit anders darstellen würde, wenn ein Feststellungsbescheid mit Feststellung anderer Einkünfte, für die keine besondere Steuerberechnung vorgesehen ist - z.B. laufende Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung - umzusetzen ist, war hier nicht zu entscheiden.

    d) Unerheblich sind für die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben außerhalb des Bescheides vom 29. Juli 2018 liegende Gesichtspunkte. Es kommt daher nicht auf das spätere Verhalten der Steuerpflichtigen an wie darauf, dass A und die Klägerin zu 1) nicht vor Ablauf der Festsetzungsfrist zur Einkommensteuer 2014 einen Änderungsantrag gestellt haben. Dementsprechend kommt es auch nicht darauf an, ob ein Änderungsantrag zu einer Änderung des bestandskräftigen Bescheides wegen offenbarer Unrichtigkeit gemäß § 129 AO oder gemäß § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a AO hätte führen können oder gar müssen, sodass ein Verbrauch der Steuervergünstigung gemäß § 34 Abs. 3 EStG in 2014 von vornherein der Anwendung der Steuervergünstigung in 2019 nicht entgegengestanden hätte. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte gemäß § 129 S. 2 AO von Amts wegen zu einer Korrektur des Bescheides vom 29. Juni 2018 gehalten gewesen wäre. Es kann auch dahingestellt bleiben, ob eine rechtzeitige Information seitens des Beklagten vor Ablauf der Festsetzungsfrist darüber, wie es zu dem im Schreiben vom 3. Dezember 2020 mitgeteilten Verbrauch der Steuerermäßigung in 2014 gekommen ist, nicht zumindest streitvermeidend hätte wirken können. Solche Gesichtspunkte können allenfalls bei der Frage einer etwaigen abweichenden Festsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO von Bedeutung sein, die jedoch Gegenstand des Klageverfahrens 1 K 193/22 und nicht des vorliegenden Verfahrens ist.

    IV.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

    Vorschriften§ 34 Abs. 3 EStG