08.11.2024 · IWW-Abrufnummer 244646
Finanzgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 17.09.2024 – 4 K 34/24
Die Stundung der Kaufpreisforderung aus der Veräußerung eines zum Privatvermögen gehörenden Grundstücks im Wege einer Ratenzahlungsabrede ist als Einräumung eines Darlehens zu qualifizieren, welches zu Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG führen kann. Dies gilt auch dann, wenn die Vertragsparteien eine Verzinsung ausdrücklich ausgeschlossen haben (Anschluss an die ständige Rechtsprechung des BFH z.B. BFH, Urteil vom 14.07.2020 VIII R 3/17, BStBl. II 2020, 813).
Zur Berechnung des Kapitalertrags sind die Kaufpreisraten gemäß § 12 Abs. 3 BewG in einen Zins- und einen Tilgungsanteil aufzuteilen, wobei im Streitfall offenbleiben kann, ob der gesetzliche Zinssatz gemäß § 12 Abs. 3 Satz 2 BewG in Höhe von 5,5% in den Jahren 2021 und 2022 noch als verfassungsgemäß qualifiziert werden kann.
Wird der Zins- bzw. Kaufpreisvorteil aus der Ratenzahlungsabrede z.B. im Rahmen eines Angehörigenvertrages ausdrücklich verschenkt und ist die Schenkung als freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 ErbStG zu qualifizieren, dann tritt die Ertragsbesteuerung des Zinsanteils rechtssystematisch zurück (Abweichung von FG Köln, Urteil vom 27.10.2022 7 K 2233/20, EFG 2023, 682).
In dem Rechtsstreit
Tenor:
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Gläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger sind Ehegatten und werden in den Streitjahren gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Sie waren über mehr als 10 Jahre Eigentümer eines mit einem Wohnhaus nebst Carport und Schuppen bebauten Grundstücks. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 23.04.2021 veräußerten sie dieses Grundstück an ihre Tochter. Unter § 5 des Vertrages "Gegenleistung" vereinbarten die Vertragsparteien Folgendes:
"Die Parteien geben den Wert der Immobilie mit (...) € an. Der Übernehmer verpflichtet sich, (...) € an den Überlasser zu zahlen. Der Betrag wird zunächst gestundet. Der Übernehmer zahlt dem Überlasser diesen Betrag in monatlichen Raten á 900,00 € ab [...]. Eine Verzinsung ist nicht vereinbart. Die in diesem Verzicht liegende Kaufpreisreduzierung wird dem Übernehmer geschenkt. Ergänzend vereinbaren die Parteien, dass die monatliche Rate im gegenseitigen Einvernehmen alle 5 Jahre um bis zu 5% erhöht werden kann, bei entsprechender Verkürzung der Laufzeit. Sollte einer der Überlasser versterben, ist der Vertrag mit seinen Erben fortzusetzen. Stirbt der Übernehmer, sind dessen Erben zur Sondertilgung berechtigt, aber nicht verpflichtet."
Aufgrund einer Kontrollmitteilung des Finanzamts A vom 19.06.2023 über einen in der Ratenzahlungsvereinbarung liegenden Zinsanteil erließ das beklagte Finanzamt (FA) am 24.08.2023 einen gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid für 2021. In den Erläuterungen zur Festsetzung führte es aus, dass der für 2021 in den Kaufpreisraten enthaltene Zinsanteil in Höhe von (...) € gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Einkommensteuergesetz (EStG) jeweils hälftig bei den Einkünften der Kläger aus Kapitalvermögen erfasst worden sei. Die Einkommensteuer 2021 wurde auf (...) € festgesetzt.
Hiergegen erhoben die Kläger am 22.09.2023 Einspruch: Die Immobilie sei über 10 Jahre in ihrem Eigentum gewesen, so dass der vereinbarte Kaufpreis steuerfrei sei. Eine Verzinsung sei ausdrücklich nicht bzw. mit einem Zinssatz von Null vereinbart. Die fiktiv zugrunde gelegte Verzinsung überschreite den für die Schenkungssteuer geltenden Freibetrag in Höhe von 800.000 € nicht, so dass auch keine Schenkungssteuer anfalle. Mit Schreiben vom 27.09.2023 wies das FA die Kläger auf verschiedene BFH-Urteile hin, wonach in Ratenzahlungsvereinbarungen stets ein nach Maßgabe des § 12 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes (BewG) zu berechnender Zinsanteil liege, welcher steuerlich auch bei zivilrechtlich ausgeschlossener Verzinsung bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu erfassen sei.
Am 18.10.2023 erging aus hier nicht relevanten Gründen ein geänderter Einkommensteuerbescheid für 2021. Die Einkommensteuer wurde auf (...) € festgesetzt. Am gleichen Tage erließ das FA auch den Einkommensteuerbescheid für 2022. Darin berücksichtigte es mit Blick auf die Ratenzahlungsvereinbarung Zinseinkünfte für 2022 in Höhe von insgesamt (...) €, die es jeweils hälftig auf die Kläger aufteilte. Die Einkommensteuer für 2022 wurde auf (...) € festgesetzt.
Mit Schreiben vom 26.10.2023 erhob der Prozessbevollmächtigte der Kläger Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für 2022 und vorsorglich erneut Einspruch gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid für 2021: Die zitierte Rechtsprechung sei für den vorliegenden Sachverhalt nicht einschlägig. Den Vertragsparteien sei sehr wohl bekannt gewesen, dass die Ratenzahlungsvereinbarung einen Zinsvorteil zugunsten der Käuferin beinhaltet habe. Mit Blick auf den Zinsvorteil wäre zwar eigentlich ein höherer Gesamtkaufpreis zu beurkunden gewesen. Dieser sei dann aber nicht gesondert ausgewiesen worden, weil es sich insoweit um eine schenkweise Zuwendung an die Tochter gehandelt habe. Unter § 5 der Vertragsurkunde sei ausdrücklich klargestellt worden, dass die in dem Verzicht auf eine Verzinsung der Raten liegende Kaufpreisreduzierung dem Übernehmer geschenkt werde. Für eine Umqualifizierung dieser Kaufpreisreduzierung in einen steuerpflichtigen Zinsertrag lasse die notarielle Vereinbarung keinen Raum. Darüber hinaus gelte für Kapitalerträge gemäß §§ 2 Abs. 2 Nr. 1, 11 EStG das Zuflussprinzip. Den Klägern seien jedoch in den Streitjahren keine Zinsen zugeflossen.
Der Beklagte wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 11.03.2024 zurück. Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gehörten Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder geleistet worden sei. Dies gelte unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage. Dass der Verzicht auf eine Verzinsung nach dem erklärten Willen der Vertragsparteien eine Schenkung darstellen solle, sei deshalb unerheblich. Der BFH gehe in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Ratenzahlungen nach den Vorgaben des § 12 Abs. 3 BewG in einen Tilgungs- und Zinsanteil zu zerlegen seien und der Zinsanteil als Ertrag aus einer sonstigen Kapitalforderung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu erfassen sei (vgl. zuletzt BFH, Urteil vom 14.07.2020 VIII R 3/17, BStBl II 2020, 813 mit weiteren Nachweisen).
Mit der am 18.03.2024 erhobenen Klage machen die Kläger im Wesentlichen geltend:
Die tatsächliche und rechtliche Würdigung des FA sei unzutreffend. Das FA habe den familienrechtlichen Bezug des Kaufvertrages nicht angemessen gewürdigt. Den Klägern sei es um Unterhalt und einen angemessenen Ausgleich zwischen ihren beiden Kindern gegangen. Die Tochter der Kläger habe zunächst versucht, eine Fremdfinanzierung für die Immobilie zu erlangen. Dies sei ihr jedoch nicht gelungen, weil sie seinerzeit ledig und schwanger gewesen und deshalb als nicht kreditwürdig angesehen worden sei. Die Kläger hätten deshalb Hilfe leisten wollen. Dabei sei es Ihnen auch darum gegangen, der Tochter einen Ausgleich für bisher dem Sohn gewährten Unterhalt zu erbringen. Dieser habe nämlich das veräußerte Haus bis zu seinem ersten Ausbildungsende am 30.06.2021 bewohnt und dadurch Sachunterhalt erhalten. Die Veräußerung des Hauses an die Tochter habe dem Ziel gedient, Erbstreitereien zwischen den Kindern zu vermeiden. Die monatlichen Ratenzahlungen der Tochter würden am Ende in den Nachlass fallen, so dass das Vermögen der Eltern im Ergebnis gerecht verteilt worden wäre. Entgegen der Auffassung des FA sei auch nicht jegliche Abrede über eine zinslose Ratenzahlung (zugleich) der Ertragssteuer unterwerfen. Der BFH verlange als Mindestvoraussetzung, dass eine wirtschaftliche Begründung für einen solchen Zinsanteil existiere. Diese sei im Streitfall aber nicht gegeben.
Die Kläger beantragen,
den geänderten Bescheid für 2021 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 18.10.2023 und den Bescheid für 2022 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 18.10.2023, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.03.2024, dahin zu ändern dass der aus dem Grundstücksverkauf der Kläger an ihre Tochter in Ansatz gebrachte Zinsertrag in Höhe von (...) € für 2021 und in Höhe von (...) € für 2022 entfällt und die angefochtene Einkommenssteuer entsprechend niedriger festgesetzt wird.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Erwägungen der Einspruchsentscheidung seien durch das Klagevorbringen nicht entkräftet. Die von den Klägern geschilderte familiäre Motivlage sei für die rechtliche Beurteilung unerheblich. Das Bundesverfassungsgericht habe mit Beschluss vom 7.06.1993, Az. 2 BvR 335/93 - juris - deutlich gemacht, dass die Besteuerung einer unverzinslich gestundeten Kaufpreisforderung nicht durch Absprachen zwischen den Vertragsparteien ausgeschlossen werden könne. Die Vertragsparteien könnten zwar einen Sachverhalt vertraglich gestalten, nicht aber die steuerrechtlichen Folgen bestimmen, die das Steuergesetz an die vorgegebene Gestaltung knüpfe. Ein Vorrang oder eine Maßgeblichkeit der zivilrechtlichen Würdigung der von den Parteien gewählten Sachverhaltsgestaltung für die Auslegung der betreffenden steuerrechtlichen Vorschrift bestehe schon deshalb nicht, weil Zivilrecht und Steuerrecht nebengeordnete, gleichrangige Rechtsgebiete seien, die denselben Sachverhalt aus einer anderen Perspektive und unter anderen Wertungsgesichtspunkten beurteilten. Es sei deshalb nicht von Bedeutung, aus welchen Gründen die Verzinsung der Raten vertraglich ausgeschlossen worden sei. Sofern die Kläger meinten, dass als Mindestvoraussetzung eine wirtschaftliche Begründung für einen Zinsanteil gegeben sein müsse, sei dem entgegenzuhalten, dass sich die Begründung für eine Verzinsung der Kaufpreisraten bereits aus dem geschlossenen Grundstückskaufvertrag sowie aus der ständigen Rechtsprechung des BFH ergebe. So habe kürzlich auch das Finanzgericht Köln mit Urteil vom 27. Oktober 2022, 7 K 2233/20, EFG 2023, 682 in einem ähnlich gelagerten Fall die Besteuerung von unverzinslichen Raten für rechtmäßig erachtet.
Entscheidungsgründe
Die angefochtenen Steuerbescheide verletzen die Kläger in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der in der Ratenzahlungsabrede rechnerisch gemäß den Vorgaben des § 12 Abs. 3 BewG enthaltene Zinsanteil ist unter den vorliegenden Umständen nicht als Ertrag aus einer Kapitalforderung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu qualifizieren. Die Differenz zwischen dem Nominalkaufpreis und dem abgezinsten Barkaufpreis haben die Kläger ihrer Tochter ausdrücklich geschenkt. Die hierin bzw. in dem entsprechenden Kapitalnutzungsvorteil liegende freigebige Zuwendung ist deshalb als Schenkung unter Lebenden im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 Erbschaftsteuer- und Schenkungssteuergesetz (ErbStG) zu qualifizieren und deshalb rechtssystematisch für die Einkommensteuer irrelevant.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
Nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage. Kapitalforderungen sind alle auf einen Geldbetrag gerichteten Forderungen des Privatvermögens (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 EStG), wobei der Rechtsgrund, auf dem sie beruhen, gleichgültig ist (BFH-Urteil vom 31.10.1989 VIII R 210/83, BFHE 160, 11, BStBl II 1990, 532).
Die Einnahmen aus Kapitalvermögen können dabei auch aus zinsfrei gestundeten, erst zu einem späteren Zeitpunkt fällig werdenden Kaufpreisraten bestehen. Sind diese auf eine Geldleistung gerichteten Forderungen ratenweise, zu bestimmten später liegenden Zeitpunkten zu erfüllen, so enthalten die Raten neben dem hier nicht relevanten Tilgungsanteil auch ein Entgelt für die Überlassung von Kapital zur Nutzung. Denn die Gestattung langfristiger Ratenzahlung zur Tilgung einer Schuld stellt eine Kreditgewährung durch den Gläubiger dar (vgl. BFH-Urteile vom 29.10.1974 VIII R 131/70, BFHE 114, 79, BStBl II 1975, 173; vom 21.10.1980 VIII R 190/78, BFHE 132, 38, BStBl II 1981, 160; vom 26.06.1996 VIII R 67/95, BFH/NV 1997, 175 und vom 08.01.1998 VIII B 76/96, BFH/NV 1998, 963). In Fällen längerfristig gestundeter Zahlungsansprüche ist davon auszugehen, dass der Schuldner bei sofortiger Bezahlung einen geringeren Betrag entrichtet hätte, so dass die erst später zu zahlende Summe einen Zinsanteil enthält (BFH-Urteile vom 26.11.1992 X R 187/87, BFHE 170, 98, BStBl II 1993, 298; vom 07.07.1983 IV R 47/80, BFHE 139, 154, BStBl II 1983, 753).
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Kaufpreisraten in einen Tilgungs- und einen Zinsanteil mit einem Zinssatz von 5,5 % aufzuteilen. Dies gilt auch dann, wenn die Vertragsparteien keine Zinsen vereinbart oder eine Verzinsung - wie im Streitfall - sogar ausdrücklich ausgeschlossen haben (BFH-Urteil vom 25.06.1974 VIII R 163/71, BFHE 114, 463, BStBl II 1975, 431). Ihre Grundlage findet diese Rechtsprechung in § 12 Abs. 3 BewG, wonach unverzinsliche Forderungen, deren Laufzeit mehr als ein Jahr betragen und die zu einem bestimmten Zeitpunkt fällig sind, abzuzinsen, d.h. in einen Kapital- und einen Zinsanteil aufzuteilen sind. Mangels einer speziellen Bewertungsvorschrift im EStG ist § 12 Abs. 3 BewG gemäß § 1 Abs. 2 BewG auch für die Bewertung privater Forderungen im Einkommensteuerrecht maßgebend (BFH-Urteil vom 26.06.1996 VIII R 67/95, BFH/NV 1997, 175). Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Laufzeit der Ratenzahlung mehr als ein Jahr beträgt und der Fälligkeitszeitpunkt bestimmbar festgelegt wurde (Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 18.09.2002 II 329/01, juris).
Nach diesen Grundsätzen hat das FA rechnerisch zutreffend einen Zinsanteil in Höhe von (...) € für 2021 (8 Monatsraten) und in Höhe von (...) € (12 Monatsraten) für 2022 berechnet. Die in der Anlage zur Einspruchsentscheidung niedergelegte Berechnung lässt keine Rechtsfehler erkennen und ist auch von der Klägerseite nicht beanstandet. Diese Zinsanteile sind jedoch unter den vorliegenden Bedingungen nicht als Einkünfte der Kläger aus Kapitalvermögen zu qualifizieren.
Dabei kann dahinstehen, ob der oben angeführten Rechtsprechung des BFH auch dann vollumfänglich zu folgen ist, wenn in dem zur Beurteilung stehenden Vertrag ausdrücklich festgelegt ist, dass der in der Ratenzahlungsabrede liegende Vorteil bzw. Zinsanteil verschenkt werden soll. Dies erscheint nach Auffassung des Senats zweifelhaft, weil gesetzliche Bewertungsfiktionen den Einkünftetatbestand nicht ersetzen oder fingieren können. Zwar ist der Tatbestand der Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG sehr weit gefasst. Es gehören dazu Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens zugesagt oder ein Nutzungsentgelt zugesagt oder geleistet worden ist. Dies gilt nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 EStG unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage. Dieser im Interesse der Vermeidung von Umgehungskonstruktionen weit definierte Besteuerungstatbestand findet seine Grenze allerdings dort, wo nach dem realisierten Sachverhalt weder ein Ertrag erzielt worden ist noch überhaupt von einer Kapitalanlage die Rede sein kann.
Das ist hier zur Überzeugung des Senats der Fall. In dem zur Beurteilung stehenden notariellen Überlassungsvertrag haben die Vertragsparteien ausdrücklich festgehalten, dass die in dem Verzicht auf eine Verzinsung des Kaufpreises liegende "Kaufpreisreduzierung" dem Übernehmer "geschenkt" wird. Diese eindeutig und mit Blick auf das Angehörigenverhältnis und die geschilderte Motivlage auch in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise vereinbarte Schenkung hebt sich schon begrifflich von einer durch § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG vorausgesetzten Kapitalanlage oder einem Ertrag aus einer Kapitalforderung ab. Dies gilt auch mit Blick auf die Regelung gemäß § 12 Abs. 3 BewG. Denn hierbei handelt es sich lediglich um eine Bewertungsvorschrift, die für sich genommen noch keinen Besteuerungstatbestand begründet. Eine andere Beurteilung ist hier auch nicht aufgrund der Vorgabe des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 EStG gerechtfertigt. Danach kommt es zwar für eine Einordnung eines Entgelts für die Nutzung von Kapital als Kapitalertrag nicht auf die gewählte Bezeichnung oder zivilrechtliche Ausgestaltung an. Dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass es überhaupt um eine Kapitalanlage oder einen Ertrag aus einer Kapitalüberlassung geht. Hiervon abzugrenzen ist die freigebige Zuwendung oder Schenkung. Diese ist grundsätzlich nur schenkungssteuerlich relevant.
Der Senat folgt insoweit der in dem Aufsatz von Stahl, Die Abzinsung bei zinslosen Kapitalforderungen im Privatvermögen in Einkommen- und Schenkungssteuer, DStR 2018, 2605 ff. niedergelegten Rechtsauffassung. Danach besteht im Falle freigebiger Zuwendungen von Zinsvorteilen ein rechtssystematischer Anwendungsvorrang der Schenkungssteuer, welcher eine parallele Erwerbsbesteuerung des zugewandten Vorteils sperrt.
Der vorliegende Sachverhalt unterfällt auch inhaltlich der Schenkungsteuer. In der unentgeltlichen Überlassung einer Kapitalsumme auf Zeit kann eine Schenkung i.S. des ErbStG liegen (BFH-Urteil vom 31. März 2010 II R 22/09, BFHE 229, 374, BStBl II 2010, 806, m.w.N.). Gegenstand der Schenkung bzw. freigebigen Zuwendung ist nicht ein konkreter Ertrag, der dem Zuwendenden entgeht, sondern die dem Verzicht auf die eigene Nutzungsmöglichkeit seitens des Zuwendenden korrespondierende Gewährung der Nutzungsmöglichkeit durch den Zuwendungsempfänger (BFH-Urteil vom 12. Juli 1979 II R 26/78, BFHE 128, 266, BStBl II 1979, 631). Dabei ist für die Einordnung als freigebige Zuwendung i.S. des § 7 Abs. 1 ErbStG unerheblich, dass die Überlassung von Kapital als solches zivilrechtlich als unentgeltliches Darlehen zu qualifizieren wäre (vgl. BFH-Urteil vom 30. März 1994 II R 105/93, BFH/NV 1995, 70).
Vorliegend sind die Voraussetzungen einer freigebigen Zuwendung erfüllt. Denn die Kläger haben ihrer Tochter eine Kapitalforderung im Wege einer Ratenzahlungsabrede gestundet. Sie haben sich damit der Nutzungsmöglichkeit dieses Kapitals für die Zeit der Stundung begeben. Für eine irgendwie geartete Gegenleistung der Tochter bestehen keine Anhaltspunkte. Die Vertragsparteien haben in Bezug auf die Vorteile der Tochter aus der Ratenzahlungsstundung ausdrücklich eine Schenkung vereinbart. Dies erscheint auch vom Motiv her nachvollziehbar, weil die Tochter sich nach dem unwidersprochenen Vortrag der Kläger nicht in der Lage sah, den Kaufpreis über eine Bank fremd zu finanzieren und ihr im Verhältnis zum Bruder ein Ausgleich für an ihn erbrachte Unterhaltsleistungen gewährt werden sollte.
Besteht aber - wie hier - ein Konkurrenzverhältnis zwischen einem ertragsteuerlichen Einkünftetatbestand und einer freigebigen Zuwendung, dann tritt die Ertragsbesteuerung rechtssystematisch zurück. Der BFH hat hierzu in dem Aussetzungsverfahren VIII B 70/09 durch Beschluss vom 12.09.2011 unter der juris Rz. 19 wörtlich ausgeführt:
"Grundsätzlich ist es tatbestandlich ausgeschlossen, mit derselben Handlung sowohl eine freigebige Zuwendung zu verwirklichen (§ 7 ErbStG) als auch wirtschaftlich am Markt teilzunehmen (§ 2 EStG; Zugmaier in Herrmann/Heuer/Raupach, § 2 EStG Rz 33). Vorliegend unterfällt jedoch ein und derselbe Lebenssachverhalt tatbestandlich sowohl der Einkommen- als auch der Schenkungsteuer. In diesem Fall hat bei summarischer Prüfung die Ertragsbesteuerung zurückzutreten. Es fehlt bei der Antragstellerin zu 2. an einer Handlung, die auf das Erzielen von Einnahmen am Markt gerichtet ist. Wenn jemand einer anderen Person etwas schenken möchte, ist seine Handlung gerade keine Erwerbshandlung, denn sie ist nicht auf Einkünfteerzielung am Markt, also auf einen Hinzuerwerb von Einkommen, ausgelegt (Kirchhof, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 2 Rz A 117). Fehlt es jedoch an der notwendigen Erwerbshandlung, kommt eine Erfassung von Erträgen als Einkünfte im Sinne des EStG grundsätzlich nicht in Betracht".
Dieser Beurteilung tritt der erkennende Senat auch für das hier zur Entscheidung stehende Hauptsacheverfahren bei, so dass der Klage stattzugeben ist. Eine andere Beurteilung ist auch nicht mit Blick auf den vom FA angesprochenen Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7.06.1993 2 BvR 335/93 - juris - gerechtfertigt. Das Bundesverfassungsgericht hat darin die auf § 12 Abs. 3 BewG und § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gestützte Rechtsprechung, wonach der gestundete Anteil einer Kaufpreisforderung in einen Barwert und einen Zinsanteil umzurechnen sei, zwar aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten heraus nicht beanstandet. Es hat jedoch weder eine eigene Gesetzesauslegung noch eine eigene Sachverhaltsprüfung vorgenommen und erst recht keine Abgrenzung zwischen einem ertragsteuerlichen und einem schenkungssteuerlichen Sachverhalt vorgenommen. Dies ist zuvörderst Aufgabe der Fachgerichte. Nach allem kommt es auf die nachrangig zu klärende Frage, ob der gesetzliche Zinssatz gemäß § 12 Abs. 3 Satz 2 BewG in Höhe von 5,5% auch für die Jahre 2021 und 2022 noch mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz vereinbart ist (vgl. dazu das anhängige Revisionsverfahren BFH VIII R 6/23), nicht an.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 135 Abs. 1, 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.