20.03.2008 · IWW-Abrufnummer 080945
Bundesfinanzhof: Urteil vom 24.01.2008 – V R 54/06
§ 4 Nr. 16 Buchst. e UStG 1999 ist weder verfassungsrechtlich noch gemeinschaftsrechtlich zu beanstanden, soweit diese Vorschrift für die Steuerfreiheit der dort genannten Umsätze voraussetzt, dass im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind.
Gründe:
I.
Streitig ist die Steuerfreiheit von Umsätzen eines ambulanten Pflegedienstes.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt einen privaten ambulanten Pflegedienst, den er bei der Stadt mit Gewerbeanmeldung vom 7. August 2000 zum 22. Juli 2000 angemeldet hatte.
Mit Wirkung vom 1. Oktober 2001 schlossen der Kläger und die Landesverbände der für ihn zuständigen Pflegekassen des Bundeslandes X gemäß § 132a Abs. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V), § 72 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) einen Versorgungsvertrag ab, der den Kläger zur direkten Abrechnung seiner ambulanten Pflegeleistungen --nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung-- auf Grundlage der Vergütungsregelung nach § 89 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) mit der zuständigen Pflegekasse berechtigte.
Ab 1. Oktober 2001 reichte der Kläger für die folgenden Voranmeldungszeiträume bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) Umsatzsteuer-Voranmeldungen ein, die keine steuerpflichtigen Umsätze mehr auswiesen, weil der Kläger der Auffassung war, seine Umsätze seien ab diesem Zeitpunkt gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. e des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) umsatzsteuerfrei.
Mit Gewerbeabmeldung vom 19. August 2002 zeigte der Kläger die Betriebsaufgabe zum 30. September 2001 bei der Stadt an. Er behauptet, zugleich einen neuen Betrieb für Pflegeleistungen unter der bisherigen Firma angemeldet zu haben, und ist der Auffassung, seit dem 1. Oktober 2001 sei sein Pflegedienst nicht mehr als Gewerbebetrieb, sondern als freiberufliche Tätigkeit zu werten.
Das FA versagte im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung im Umsatzsteuerbescheid für 2002 vom 15. Oktober 2004 die vom Kläger geltend gemachte Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG für das Jahr 2002 (Streitjahr). Der Prüfer war zu der Auffassung gelangt, die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG, wonach im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sein müssen, seien nicht erfüllt, da die Unternehmereigenschaft des Klägers das ganze Vorjahr (2001) über vorgelegen habe. Feststellungen dazu, ob und ggf. in welchem Umfang die Pflegekosten ab dem 1. Oktober 2001 und im Streitjahr 2002 von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe getragen worden sind, enthält der Prüfungsbericht nicht.
Das FG wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid für 2002 ab. Es führte zur Begründung u.a. aus, die Auffassung des Klägers treffe nicht zu, sein ambulanter Pflegebetrieb sei ab dem Zeitpunkt, zu dem er zur direkten Abrechnung mit den Trägern der Sozialversicherung befugt sei, von seinem vorherigen ambulanten Pflegebetrieb zu trennen. Die An- und Abmeldung des Gewerbebetriebs bei der Gemeinde zum 30. September 2001 beeinflusse die Eigenschaft seiner fortdauernden Unternehmertätigkeit nicht.
Ferner verstoße die Forderung in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG, die sog. 40 %-Grenze müsse bereits im vorangegangenen Kalenderjahr eingehalten sein, nicht gegen Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG).
Auch eine Ungleichbehandlung des Klägers mit anderen Unternehmern sei nicht ersichtlich. Sofern man den Kläger mit anderen Unternehmern vergleiche, die --wie dieser-- erst ab einem gewissen Zeitpunkt einen Vertrag mit den Trägern der Sozialversicherung über die Berechtigung zur direkten Abrechnung abgeschlossen und bereits vorher Pflegeleistungen erbracht hätten, fehle es bereits an einer Ungleichbehandlung, da die in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG normierte 40 %-Grenze auch für diese Unternehmen gelte. An einer Ungleichbehandlung mit Unternehmern, die ihr Unternehmen neu eröffneten, fehle es bereits deshalb, weil die Neueröffnung des Unternehmens ein sachlich gerechtfertigtes Unterscheidungskriterium darstelle. Denn diese Unternehmer hätten vor Beginn der T ätigkeit keine Pflegeleistungen erbracht, die nicht von den Trägern der Sozialversicherung getragen worden seien. Die "ganze betriebswirtschaftliche Situation und Kalkulation" sei bei diesen Unternehmern daher eine andere als bei denen, die bereits "private" Pflegeleistungen erbracht hätten.
Zwar sei nach Abschn. 99a Abs. 7 Satz 2 der Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) auf die voraussichtlichen Verhältnisse des laufenden Jahres abzustellen, wenn der Unternehmer seine Tätigkeit im Laufe eines Kalenderjahres neu aufnehme. Für diese Regelung fehle es aber an einer gesetzlichen Grundlage, so dass es dem Gericht verwehrt sei, den Anwendungsbereich dieser Regelung entgegen der Intention der Finanzverwaltung dahingehend auszuweiten, dass auch für die Unternehmer eines bereits bestehenden Betriebs eine Schätzung der Verhältnisse für die Zukunft vorzunehmen sei.
Das Urteil ist in "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 2007, 226 veröffentlicht.
Mit der Revision macht der Kläger im Wesentlichen geltend, § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG verstoße in der vorliegenden Form gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Er werde mit seinem Unternehmen gegenüber anderen "neuen Unternehmen", d.h. mit Unternehmen, die im Laufe eines Jahres eröffneten und bei denen in diesem Jahr die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen würden, steuerlich nachteilig, mithin ungleich behandelt, obwohl diese Unternehmen die gleichen Leistungen der ambulanten Pflege erbrächten wie er. Für diese Ungleichbehandlung liege kein sachlicher Grund vor.
Er müsse für das Jahr 2002, wie sich aus dem angefochtenen Umsatzsteuerbescheid ergebe, ... ¤ an Umsatzsteuer zahlen, obwohl bei ihm im Jahr 2002 die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden seien. Diese Umsatzsteuer werde von den Pflegekassen und sonstigen Sozialträgern nicht zusätzlich gezahlt, sie sei in den Vergütungen gemäß § 89 SGB XI enthalten.
Von dieser Abgabenlast bleibe ein neues Unternehmen verschont, sofern bei diesem Unternehmen im Jahr 2002 die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden seien. Hierdurch komme er in eine ungünstigere Wettbewerbslage gegenüber den konkurrierenden neuen Unternehmern seiner Branche.
Im Übrigen berufe er sich unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG, die die in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG enthaltene Beschränkung nicht vorsehe.
Schließlich habe das FG gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verstoßen, weil es nicht aufgeklärt habe, ob er, der Kläger, mit seinem Unternehmen nicht nur Dienstleistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung, sondern auch der Behandlungspflege erbracht habe; dafür komme die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 UStG in Betracht. Insoweit liege auch ein Verstoß des FG gegen seine Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 FGO vor.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung vom 17. Mai 2004 den Umsatzsteuerbescheid für 2002 vom 15. Oktober 2004 dahin zu ändern, dass die direkt mit den Trägern der Sozialversicherung abgerechneten Pflegeleistungen nicht der Umsatzsteuer unterworfen werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen.
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
Das FG hat zutreffend entschieden, dass die streitigen Umsätze nicht nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG steuerfrei sind. Es ist dabei zu Recht davon ausgegangen, dass diese Vorschrift sowohl verfassungsrechtlich als auch gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden ist, soweit sie voraussetzt, dass im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind. Die vom Kläger gerügten Verfahrensfehler sind nicht gegeben.
1. Die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG liegen nicht vor.
a) Nach dieser Vorschrift sind u.a. die mit dem Betrieb der Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze steuerfrei, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind.
b) Diese Voraussetzung war in dem Kalenderjahr 2001, das dem Streitjahr 2002 voranging, nicht erfüllt.
Das hat das FG zutreffend dargelegt. Der Senat folgt insoweit der Rechtsauffassung des FG, wonach nicht lediglich auf die von dem Kläger ab dem 1. Oktober 2001 ausgeführten Umsätze abzustellen ist, sondern auf die von ihm im gesamten Jahr 2001 ausgeführten Umsätze, in dem er seinen ambulanten Pflegedienst betrieben hat.
c) Die 40 %-Grenze in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG, die sich --jedenfalls sinngemäß-- auch in § 4 Nr. 16 Buchst. b, c und d UStG findet, mit der der Gesetzgeber anstrebt, dass die betreffende Einrichtung in erheblichem Umfang zur Kostenentlastung der Sozialversicherungsträger beiträgt (vgl. Bundesverfassungsgericht --BVerfG--, Beschluss vom 31. Mai 2007 1 BvR 1316/04, BFH/NV Beilage 2007, 449, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2007, 1028, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2007, 737, unter IV.3.), ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Davon ist der Senat bislang stillschweigend ausgegangen (vgl. zu § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG: Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. November 1993 V R 64/89, BFHE 173, 242, BStBl II 1994, 212; siehe dazu auch BVerfG-Beschluss in BFH/NV Beilage 2007, 449, HFR 2007, 1028, UR 2007, 737, unter IV.3.; zu § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG: BFH-Urteil vom 5. Februar 2004 V R 2/03, BFHE 204, 496, BStBl II 2004, 669; zu § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG: BFH-Urteil vom 15. März 2007 V R 55/03, BFHE 217, 48, BStBl II 2008, 31, unter II. 3.).
Soweit der Senat in dem zuletzt genannten Urteil --und in der diesem Urteil vorausgehenden Beitrittsaufforderung an das Bundesministerium der Finanzen (BMF) vom 23. November 2006 V R 55/03 (BFH/NV 2007, 510)-- rechtliche Zweifel an der 40 %-Grenze in § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG geäußert hat, beziehen sich diese Zweifel nicht auf die 40 %-Grenze als solche, sondern darauf, ob die Voraussetzungen dieser Grenze im Streitfall erfüllbar waren (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 510, unter 2.b; BFH-Urteil in BFHE 217, 48, BStBl II 2008, 31, unter II.3).
d) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest, und zwar auch, soweit sich die 40 %-Grenze in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG auf die Verhältnisse des Vorjahres bezieht.
Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber den ihm hier verfassungsrechtlich zustehenden Gestaltungs- und Typisierungsspielraum (vgl. BVerfG-Beschluss in BFH/NV Beilage 2007, 449, HFR 2007, 1028, UR 2007, 737, unter IV.3.) nicht überschritten. Denn für diese Regelung ist ein sachlicher Grund --nämlich der Gesichtspunkt der Praktikabilität-- maßgebend, wie sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und den Gesetzesmaterialien ergibt.
aa) § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG wurde durch das Steueränderungsgesetz 1992 (StÄndG 1992) vom 25. Februar 1992 (BGBl I 1992, 297, 317) mit Wirkung vom 1. Januar 1992 in § 4 Nr. 16 UStG 1991 aufgenommen (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 204, 496, BStBl II 2004, 669, unter II.3.b aa). Durch diese Vorschrift sollte der Kreis der von § 4 Nr. 16 UStG erfassten Einrichtungen erweitert werden.
In der Gesetzesbegründung zu dieser Vorschrift (BTDrucks 12/1506, 178) findet sich kein Hinweis darauf, warum auf die Verhältnisse des vorangegangenen Kalenderjahres abgestellt wird, wohl aber in der Gesetzesbegründung zu § 4 Nr. 16 Buchst. b und c UStG in der Neufassung der Vorschrift mit Wirkung vom 1. Januar 1977 durch das Einführungsgesetz zur Abgabenordnung (EGAO 1977) vom 14. Dezember 1976 (BGBl I 1976, 3341, BStBl I 1976, 694). Dort heißt es (vgl. BTDrucks 7/5458, 13): "Die Umsatzsteuerbefreiung für Krankenhäuser und Altenheime (§ 4 Nr. 16 UStG) wurde neu gefasst. Durch die Neufassung werden die bisherigen Verweisungen auf Vorschriften der Gemeinnützigkeitsverordnung durch Verweisungen auf die entsprechenden Vorschriften der neuen Abgabenordnung ersetzt. Gleichzeitig wird der Wortlaut der Befreiungsvorschrift soweit wie möglich den entsprechenden Befreiungsvorschriften bei der Gewerbesteuer, Grundsteuer und Bewertung angepasst. Aus Vereinfachungsgründen sind künftig für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung die Verhältnisse des Vorjahres maßgebend. ..."
Dementsprechend heißt es hierzu in dem Schreiben des BMF vom 7. Januar 1977 (BStBl I 1977, 35): "Durch diese aus Vereinfachungsgründen getroffene Regelung ist sichergestellt, dass der Unternehmer bereits zu Beginn eines Kalenderjahres weiß, ob er für die Umsätze dieses Jahres die Steuerbefreiung in Anspruch nehmen kann."
bb) Dieses Abstellen auf die Verhältnisse des Vorjahres hat der Senat bereits für die ähnliche Regelung in § 19 Abs. 1 UStG als sachgerecht anerkannt (vgl. BFH-Urteil vom 19. Februar 1976 V R 23/73, BFHE 118, 483, BStBl II 1976, 400; BFH-Beschluss vom 18. Oktober 2007 V B 164/06, BFH/NV 2008, 325).
e) Zwar hält die Finanzverwaltung bei einem Unternehmer, der seine Tätigkeit im Laufe eines Kalenderjahres neu aufnimmt, für die "40 %-Grenze" nicht die Verhältnisse des Vorjahres für maßgebend, sondern die voraussichtlichen Verhältnisse des laufenden Jahres (vgl. Abschn. 99a Abs. 7 Satz 2 UStR).
Dies führt aber nicht zu der vom Kläger gerügten verfassungswidrigen Ungleichbehandlung. Denn insoweit liegen unterschiedliche Sachverhalte vor, wie das FG zu Recht näher ausgeführt hat.
2. Der Kläger beruft sich für die Steuerfreiheit seiner Umsätze ohne Erfolg auf eine unmittelbare Anwendung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG.
a) Nach dieser Bestimmung befreien die Mitgliedstaaten "die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen für Altenheime, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen".
aa) Zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) durch Urteil vom 10. September 2002 Rs. C-141/00 --Kügler-- (Slg. 2002, I-6833, UR 2002, 513) u.a. Folgendes entschieden:
"Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung, die körperlich oder wirtschaftlich hilfsbedürftigen Personen von einem ambulanten Pflegedienst erbracht werden, stellen eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g der Sechsten Richtlinie 77/388 dar. Auf die Steuerbefreiung des Artikels 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g der Sechsten Richtlinie 77/388 kann sich ein Steuerpflichtiger vor einem nationalen Gericht berufen, um sich einer nationalen Regelung zu widersetzen, die mit dieser Bestimmung unvereinbar ist. Es ist Sache des nationalen Gerichts, anhand aller maßgeblichen Umstände zu bestimmen, ob der Steuerpflichtige eine als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtung im Sinne dieser Bestimmung ist." (vgl. 3.a und b der Leitsätze dieser Entscheidung).
bb) In der Nachfolgeentscheidung zu diesem EuGH-Urteil hat der erkennende Senat im Urteil vom 22. April 2004 V R 1/98 (BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849) entschieden, die Anerkennung eines Unternehmens als eine Einrichtung mit sozialem Charakter könne auch aus der Übernahme der Kosten für seine Leistungen durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit abgeleitet werden. Maßgebend sei insoweit, dass es sich ihrer Art nach um die Leistungen handele, für die die Kosten von den Sozialversicherungsträgern übernehmbar gewesen seien (vgl. unter II.3.c der Urteilsgründe).
b) Nach dieser Rechtsprechung ist der Kläger grundsätzlich als Einrichtung mit sozialem Charakter i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG anzuerkennen, weil die Krankenkassen --jedenfalls teilweise-- ab dem 1. Oktober 2001 die Kosten für seine Leistungen übernommen haben.
c) Gleichwohl greift die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG im Streitjahr 2002 nicht ein.
Denn soweit der nationale Gesetzgeber in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG verlangt, dass die Pflegekosten im vorangegangenen Kalenderjahr in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Tr ägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind --was, wie ausgeführt, hier nicht der Fall war--, ist diese Regelung von Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst a der Richtlinie 77/388/EWG gedeckt.
aa) Danach können die Mitgliedstaaten die Gewährung der in Abs. 1 Buchst. g dieser Bestimmung vorgesehenen Befreiungen u.a. von der Bedingung abhängig machen, dass Preise angewendet werden, die von den zuständigen Behörden genehmigt sind, oder solche, die die genehmigten Preise nicht übersteigen; bei Tätigkeiten, für die eine Preisgenehmigung nicht vorgesehen ist, müssen Preise angewendet werden, die unter den Preisen liegen, die von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen für entsprechende Tätigkeiten gefordert werden.
bb) Insoweit haben nach ständiger Rechtsprechung des EuGH die nationalen Gerichte zu prüfen, ob die Mitgliedstaaten bei Beachtung der Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, insbesondere des Grundsatzes der Gleichbehandlung, der im Mehrwertsteuerbereich im Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck kommt, bei der Aufstellung solcher Bedingungen nicht etwa die Grenzen ihres Ermessens überschritten haben (vgl. EuGH-Urteil vom 8. Juni 2006 Rs. C-106/05, L. u. P. GmbH, BFH/NV Beilage 2006, 442, UR 2006, 464 Randnr. 48, m.w.N.). Eine derartige Ermessensüberschreitung liegt nicht vor.
(1) Zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG hat der EuGH bereits entschieden, die Wahrung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität verlange, dass für alle in dieser Bestimmung genannten Kategorien privatrechtlicher Einrichtungen die gleichen Bedingungen für ihre Anerkennung in Bezug auf die Erbringung vergleichbarer Leistungen gelten. Deshalb habe das vorlegende Gericht zu prüfen, ob die nationale Regelung diesem Erfordernis entspreche oder aber die Anwendung der fraglichen Bedingungen auf bestimmte Arten von Einrichtungen beschränke, während andere von ihr ausgenommen seien (vgl. EuGH-Urteil L. u. P. GmbH in BFH/NV Beilage 2006, 442, UR 2006, 464 Randnr. 50).
Der EuGH hat ferner ausgeführt, die Bundesrepublik Deutschland habe das ihr nach dieser Bestimmung zustehende Ermessen nicht dadurch überschritten, dass sie in § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG für die Anerkennung von in privatrechtlicher Form organisierten Labors im Rahmen der Anwendung dieser Befreiung verlangt, dass mindestens 40 % der medizinischen Analysen der betreffenden Labors Personen zugute kommen, die bei einem Träger der Sozialversicherung versichert sind (vgl. EuGH-Urteil L. u. P. GmbH in BFH/NV Beilage 2006, 442, UR 2006, 464 Randnr. 54).
(2) Gemessen an diesen Grundsätzen, die auch für Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG gelten, hat der nationale Gesetzgeber die Grenzen seines Ermessens nicht dadurch überschritten, dass er in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG für die Steuerfreiheit der Umsätze von Einrichtungen zur ambulanten Pflege auf die Kostenübernahme im vorangegangenen Kalenderjahr abgestellt hat. Denn --wie dargelegt-- ist für diese Regelung ein sachlicher Grund maßgebend; sie verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung bzw. der steuerlichen Neutralität.
3. Die vom Kläger gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor. Dem FG musste sich nicht aufdrängen, dass der Kläger möglicherweise auch Behandlungspflege durchführte. Vielmehr wäre es seine, des Klägers, Sache gewesen, dies vorzutragen. Von einer weiteren Begründung insoweit sieht der Senat ab.