23.02.2006 · IWW-Abrufnummer 060603
Bundesfinanzhof: Beschluss vom 25.01.2006 – IV R 14/04
1. Rücklagen i.S. des § 6b Abs. 3 EStG für Gewinne aus der Veräußerung von Sonderbetriebsvermögen sind in der durch die Mitunternehmerschaft aufzustellenden Sonderbilanz zu passivieren. Das gilt auch bei ausgeschiedenen Gesellschaftern.
2. Das Wahlrecht zur Bildung der Rücklage nach § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG ist von dem Mitunternehmer persönlich auszuüben. Grundsätzlich wird vermutet, dass die Sonderbilanz mit dem Mitunternehmer abgestimmt ist. Diese Vermutung gilt nicht bei einem ausgeschiedenen Gesellschafter.
3. Hat ein Mitunternehmer die Vermutung seines Mitwirkens an der Aufstellung der Sonderbilanz erschüttert oder greift die Vermutung gar nicht ein, ist die von der Mitunternehmerschaft aufgestellte Sonderbilanz keine Bilanz, die das Änderungsverbot des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG i.d.F. des StBereinG 1999 auslöst.
Gründe:
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war bis zu seinem Ausscheiden wegen ernsthafter Meinungsverschiedenheiten Kommanditist der beigeladenen B-KG.
Im Rahmen des Auseinandersetzungsvertrages vom 3. Juni 1998 übertrug er den zu seinem Sonderbetriebsvermögen gehörenden Miteigentumsanteil an dem Grundstück L-Str. auf die Komplementäre der B-KG.
Am 28. Juni 1999 reichte die B-KG die Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr (1998) sowie die Bilanz auf den 31. Dezember 1998 ein. Sie erklärte dabei u.a. einen Veräußerungsgewinn des Klägers in Höhe von 858 066 DM. Weder in der Bilanz der B-KG noch in einer Sonderbilanz für den Kläger war eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage gemäß § 6b Abs. 3 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr gültigen Fassung gebildet worden.
Mit Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 1998 vom 6. Juli 1999 stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Besteuerungsgrundlagen erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) fest, gab diesen Bescheid allerdings lediglich dem empfangsbevollmächtigten Komplementär der B-KG bekannt.
Am 8. Oktober 1999 übersandte der Kläger dem FA eine durch seinen steuerlichen Berater erstellte Sonderbilanz, in der er eine Rücklage gemäß § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG in Höhe von 807 929 DM passivierte und den Abzug von Rechts- und Beratungskosten in Höhe von 35 000 DM als Sonderbetriebsausgaben begehrte.
Mit Datum vom 26. Oktober 1999 gab das FA auch dem Kläger den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 1998 bekannt.
Mit dem hiergegen eingelegten Einspruch begehrte der Kläger neben den bereits geltend gemachten Sonderbetriebsausgaben nunmehr eine Minderung des Gewinns durch Bildung einer Rücklage gemäß § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG in Höhe von 713 014 DM, da nur insoweit der Gewinn auf die Veräußerung des Grundstücks L-Str. entfalle.
Unter dem 31. März 2000 änderte das FA den Bescheid vom 26. Oktober 1999 gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 und erkannte die geltend gemachten Sonderbetriebsausgaben in der beantragten Höhe an.
Im Übrigen hatten Einspruch und die gegen die Einspruchsentscheidung erhobene Klage keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 819 veröffentlichten Gründen ab, da die Voraussetzungen einer Bilanzänderung i.S. des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes (StBereinG) 1999 vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2601) --EStG n.F.-- nicht vorlägen.
Mit seiner dagegen gerichteten Revision hat der Kläger die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Die nach Aufstellung der Bilanz der Gesellschaft durch einen ausgeschiedenen Gesellschafter abgegebene Erklärung, wegen eines Veräußerungsgewinns eine Rücklage nach § 6b EStG zu bilden, stelle keine Bilanzänderung i.S. des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG n.F. dar.
Der Kläger beantragte zunächst sinngemäß,
das Urteil des FG Münster vom 17. Dezember 2003 1 K 7673/00 F sowie die Einspruchsentscheidung vom 20. November 2000 aufzuheben und den Feststellungsbescheid für 1998 des FA vom 31. März 2000 insoweit abzuändern, als bei seiner Gewinnfeststellung die Bildung einer Rücklage gemä ß § 6b EStG in Höhe von 713 014 DM berücksichtigt wird.
Das FA beantragte demgegenüber,
die Revision zurückzuweisen.
Der Senat hob mit Gerichtsbescheid vom 18. August 2005 das Urteil des FG auf und verwies die Sache an dieses zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück. Dagegen hat das FA rechtzeitig Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 90a Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und den Kläger anschließend durch Erlass eines geänderten Gewinnfeststellungsbescheids klaglos gestellt.
Nachdem der Kläger und das FA daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, beantragt der Kläger nunmehr,
dem FA die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
1. a) Der Rechtsstreit ist infolge der übereinstimmenden Erledigungserklärungen des Klägers und des FA in der Hauptsache erledigt. Einer Erledigungserklärung der Beigeladenen als sonstige Beteiligte bedarf es nicht (s. etwa Brandis in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 60 FGO Tz. 105, mit weiteren Hinweisen). Die Erledigung in der Hauptsache kann auch dann erklärt werden, wenn nach Ergehen eines Gerichtsbescheides Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt worden ist (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Dezember 2002 I R 87/00, BFH/NV 2003, 785, m.w.N.; vom 13. Mai 2004 IX R 8/02, BFH/NV 2004, 1290; vom 28. Juni 2005 I R 35/03, BFH/NV 2005, 1847; Christiansen, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2003, 264, 264 f.; derselbe, DStR 2005, 1488, 1488 f.; a.A. Renz, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1986, 166, 166 f., wonach ein Antrag auf mündliche Verhandlung für die Regelung des Vorbescheides dann unzulässig sei, wenn der Antragsteller die ablehnende Entscheidung des Gerichts tatsächlich annimmt).
b) Da die Erklärungen des Klägers und des FA erst im Revisionsverfahren abgegeben wurden, ist das angefochtene Urteil einschließlich der darin enthaltenen Kostenentscheidung gegenstandslos geworden. Der Senat hat folglich nur noch über die Kosten des gesamten Verfahrens gemäß §§ 143 Abs. 1 i.V.m. 138 FGO zu entscheiden (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2004, 1290, und vom 26. August 2002 IX R 75/01, BFH/NV 2003, 15, m.w.N.). Es kann dahinstehen, ob § 138 Abs. 2 Satz 1, 2. Fall FGO vor § 138 Abs. 1 FGO anzuwenden ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12. Mai 1992 VII R 42/91, BFH/NV 1992, 854, und vom 22. Februar 2001 VIII R 78/98, BFH/NV 2001, 936, unter II.2. der Gründe, m.w.N.; Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 138 FGO Tz. 62). Denn selbst bei Annahme eines Vorranges des § 138 Abs. 1 FGO sind unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen gemäß dieser Vorschrift die Kosten des gesamten Verfahrens dem FA aufzuerlegen. Dabei ist im Rahmen des § 138 Abs. 1 FGO zu prüfen, wie der Rechtsstreit mutmaßlich ausgegangen wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Dezember 1986 IV R 251/83, BFH/NV 1988, 182; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 138 Rz. 27).
2. Die Revision des Klägers wäre begründet gewesen. Sie hätte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO) geführt.
Das FG hatte die Bildung einer den steuerlichen Gewinn des Klägers mindernde Rücklage i.S. des § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG zu Unrecht aufgrund der Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG n.F. versagt.
a) Erzielt ein Mitunternehmer durch die Veräußerung eines zu seinem Sonderbetriebsvermögen gehörenden Anlageguts i.S. des § 6b EStG einen Gewinn, kann er im Wirtschaftsjahr der Veräußerung nach § 6b Abs. 3 EStG eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage in Anspruch nehmen. Die Rücklage ist dann in der Sonderbilanz zu bilden, die von der Mitunternehmerschaft aufgestellt werden muss. Dies gilt auch, wenn der Mitunternehmer bis zum Bilanzstichtag aus der Gesellschaft ausgeschieden ist. Der Senat hält an der diesbezüglichen Rechtsprechung fest (s. insoweit Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Februar 1991 GrS 7/89, BFHE 163, 1, 13 f., BStBl II 1991, 691, 699, m.w.N.; Senatsurteile vom 25. April 1985 IV R 83/83, BFHE 144, 25, BStBl II 1986, 350, unter 4. der Gründe, und vom 7. März 1996 IV R 34/95, BFHE 180, 305, BStBl II 1996, 568; grundlegend BFH-Urteil vom 23. Oktober 1990 VIII R 142/85, BFHE 162, 99, BStBl II 1991, 401; aus jüngerer Zeit Senatsurteil vom 25. März 2004 IV R 49/02, BFH/NV 2004, 1247, unter 2.b der Gründe).
b) Das Wahlrecht zur Bildung der Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG in Bezug auf den Gewinn aus der Veräußerung von Sonderbetriebsvermögen kann nur von dem Mitunternehmer persönlich ausgeübt werden.
Die Zuordnung zum Sonderbetriebsvermögen kann --ungeachtet der Pflicht zur Aufstellung der Sonderbilanz durch die Mitunternehmerschaft-- nichts daran ändern, dass die Rechtszuständigkeit für ein Wirtschaftsgut des Sonderbetriebsvermögens von derjenigen des Gesellschaftsvermögens abweicht. Dementsprechend hat der BFH mit Urteil vom 7. Juli 1992 VIII R 2/87 (BFHE 168, 322, BStBl II 1993, 328) entschieden, dass die Bildung gewillkürten Sonderbetriebsvermögens einen Willkürakt des Mitunternehmers und nicht etwa der Mitunternehmerschaft erfordert. Nicht anders kann es sich mit Bilanzierungswahlrechten für ein Wirtschaftsgut des Sonderbetriebsvermögens verhalten, insbesondere dann, wenn es sich um die Inanspruchnahme einer personenbezogenen Steuervergünstigung wie nach § 6b EStG handelt. Nur der Mitunternehmer selbst kann ein solches Wahlrecht ausüben, denn nur ihn allein treffen die Besteuerungsfolgen (im Ergebnis ebenso Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., 1993, 443).
c) Grunds ätzlich ist zu vermuten, dass die von der Mitunternehmerschaft aufgestellte Sonderbilanz mit dem betreffenden Mitunternehmer abgestimmt ist. Diese Vermutung erstreckt sich auch auf die Ausübung von allein dem Mitunternehmer zustehenden Bilanzierungswahlrechten. Sie ist allerdings durch den Mitunternehmer widerlegbar.
Eine derartige Vermutung gilt ausnahmsweise jedoch nicht, wenn der betreffende Mitunternehmer bei Aufstellung der Bilanz bereits aus der Gesellschaft ausgeschieden ist. In gleicher Weise entfällt die Vermutung, wenn der Finanzbehörde bekannt ist, dass zwischen dem Mitunternehmer und der Mitunternehmerschaft ernstliche Meinungsverschiedenheiten bestehen. Der Senat hält in diesem Zusammenhang die Wertungen des § 183 Abs. 2 AO 1977 für entsprechend anwendbar.
Hat der Mitunternehmer die Vermutung seines Mitwirkens erschüttert oder greift --wie im Streitfall-- die Vermutung nicht ein, kann die von der Mitunternehmerschaft aufgestellte Sonderbilanz nicht eine Bilanz sein, die das Änderungsverbot des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG n.F. auslöst.
d) Im Streitfall steht das Änderungsverbot des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG n.F. der Bildung einer Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG danach nicht entgegen. Das Wahlrecht zur Bildung der Rücklage wurde erstmals mit Schreiben des Klägers an das FA vom 7. Oktober 1999 in Anspruch genommen. Es gilt nicht durch die von der B-KG aufgestellte Sonderbilanz als ausgeübt. Denn wegen des Ausscheidens des Klägers aus der B-KG kann nicht vermutet werden, dass die Sonderbilanz mit ihm abgestimmt war. Das FG hat auch keine anderweitigen Feststellungen getroffen, die darauf schließen lassen, dass die Aufstellung der Sonderbilanz durch die B-KG mit Billigung des Klägers erfolgte.
3. Die Sache war für den Senat nicht entscheidungsreif, weil das FG --von seinem Standpunkt aus zu Recht-- keine Feststellungen zur Höhe der Rücklage getroffen hatte. Das angefochtene Urteil des FG wäre daher --wie im Gerichtsbescheid des Senats auch geschehen-- aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen gewesen. Gleichwohl sind die Kosten dem FA gemäß § 138 Abs. 1 FGO in voller Höhe aufzuerlegen, da der Rechtsstreit offensichtlich zugunsten des Klägers zu entscheiden gewesen wäre. Denn wie die Abhilfe des FA zeigt, bestanden an der Höhe der vom Kläger zunächst beantragten Rücklage keine Zweifel.
Dieselbe Kostenfolge ergibt sich im Übrigen auch aus § 138 Abs. 2 Satz 1, 2. Fall FGO, da das FA den Kläger durch den Erlass des Änderungsbescheides klaglos gestellt hat.
4. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht gemäß § 143 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 139 Abs. 4 FGO erstattungsfähig, da sie keinen eigenen Sachantrag gestellt hat (vgl. BFH-Urteile vom 23. Januar 1985 II R 2/83, BFHE 143, 119, BStBl II 1985, 368, und vom 15. Oktober 1997 I R 10/92, BFHE 184, 212, BStBl II 1998, 63).