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  • 15.10.2009 · IWW-Abrufnummer 093414

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 18.06.2009 – VI R 31/07

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    VI R 31/07

    Gründe:

    I.

    Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten, die zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden. Der ... geborene Kläger erzielte im Streitjahr (2004) u.a. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als kaufmännischer Angestellter.

    Der Kläger absolvierte zunächst eine Ausbildung als Bürokaufmann. Seit 1986 war er im Versicherungswesen tätig. Später erlangte er den Abschluss als ausgebildeter Versicherungskaufmann und bildete sich zum Versicherungsfachwirt fort. Seit 1991 ist er im Bereich der betrieblichen Altersversorgung tätig. 2003 wurde er Fachverantwortlicher für die Einrichtung von betrieblichen Versorgungswerken, der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung und der Entwicklung alternativer Versorgungskonzepte in der Geschäftsführerversorgung bei einem Versicherungsmakler. Seit 1. August 2005 ist der Kläger ... für den Geschäftsbereich betriebliche Altersversorgung bei einem in X ansässigen Unternehmen.

    Vom 3. November 2003 bis zum 10. November 2005 nahm der Kläger an einem berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiengang an der Fachhochschule A (FH) teil. Die FH bot den Weiterbildungsstudiengang "Betriebswirt für betriebliche Altersversorgung", der zu einem berufsqualifizierenden Abschluss führt, in Kooperation mit der Y-AG an. Nach bestandener Prüfung verlieh die FH dem Kläger am 10. November 2005 den Grad "Betriebswirt für betriebliche Altersversorgung (FH)".

    Zulassungsvoraussetzung für die Prüfung war nach § 6 der "Ordnung für die Prüfung im Weiterbildungsstudiengang Betriebliche Altersversorgung an der Fachhochschule A" (Prüfungsordnung) entweder ein abgeschlossenes Hochschulstudium und eine mindestens zweijährige Berufspraxis oder die Hochschul- oder Fachhochschulreife zuzüglich einer abgeschlossenen Ausbildung in einem kaufmännischen oder verwaltenden Ausbildungsberuf und einer mindestens vierjährigen Berufspraxis oder ein Abschluss als Bank- oder Versicherungsfachwirt bzw. eines vergleichbaren Fachkaufmanns und eine mindestens sechsjährige Berufspraxis.

    Die Regelstudienzeit betrug nach § 3 der Prüfungsordnung drei Semester. Das Studium wurde in Form von Präsenzphasen und Selbststudiumsphasen durchgeführt. Auf die ersten beiden Semester erstreckte sich das Lehrangebot, wobei die Präsenzphasen zu Beginn, in der Mitte und am Ende des Semesters lagen. Im dritten Semester wurde eine Prüfungsarbeit angefertigt.

    Für das Streitjahr machte der Kläger den Abzug der Aufwendungen für den Weiterbildungsstudiengang in Höhe von 9 183 EUR geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) sah diese Ausgaben als Berufsausbildungskosten i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an und ließ diese nur in Höhe von 4 000 EUR zum Abzug zu.

    Das Finanzgericht (FG) wies die Klage unter Hinweis auf § 12 Nr. 5 EStG ab. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1431 veröffentlicht.

    Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Sie machen u.a. die Verfassungswidrigkeit des § 12 Nr. 5 EStG geltend.

    Die Kläger beantragen sinngemäß,

    das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer-Veranlagung für 2004, zuletzt geändert durch Bescheid vom 30. April 2009, dahingehend zu ändern, dass die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen in Höhe von 9 183 EUR insgesamt als Werbungskosten berücksichtigt werden.

    Das FA beantragt,

    die Revision zurückzuweisen.

    Das Bundesministerium der Finanzen ist den Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

    Am 30. April 2009 hat das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid geändert.

    II.

    Die Revision der Kläger ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Der Aufhebung des Urteils aus verfahrensrechtlichen Gründen gemäß § 127 FGO bedarf es nicht (vgl. dazu etwa Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. März 2007 VI R 29/05, BFH/NV 2007, 1076).

    Die Aufwendungen des Klägers für das Studium sind als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen. Sie sind keine Kosten der Berufsausbildung i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG.

    1.

    Die frühere Rechtsprechung des BFH unterschied zwischen den als Werbungskosten abziehbaren Kosten einer Fortbildung in einem bereits ausgeübten Beruf und den als Sonderausgaben begrenzt abziehbaren Kosten einer Ausbildung zu einem künftigen Beruf. Als Fortbildungskosten erkannte der BFH nur Ausgaben an, die ein Steuerpflichtiger tätigt, um in dem ausgeübten Beruf auf dem Laufenden zu bleiben und den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden.

    Dagegen nahm der BFH Berufsausbildungskosten bereits dann an, wenn die Aufwendungen dem Ziel dienen, Kenntnisse zu erwerben, die als Grundlage für einen künftigen Beruf notwendig sind oder welche die Grundlage dafür bilden sollen, um von einer Berufs- oder einer Erwerbstätigkeit zu einer anderen überzugehen, die also einen Berufswechsel vorbereiten sollen. Derartige Aufwendungen stünden noch nicht mit einer konkreten beruflichen Tätigkeit und hieraus fließenden Einnahmen im Zusammenhang. Ausgaben dieser Art erwüchsen grundsätzlich jedem Steuerpflichtigen; sie gehörten daher zu den Kosten der Lebensführung und seien deshalb nach § 12 Nr. 1 EStG nicht als Werbungskosten abziehbar.

    Zu den Berufsausbildungskosten gehörten stets die Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für ein Erststudium an einer Hochschule (Universität oder Fachhochschule), weil es dem Steuerpflichtigen eine andere (höherrangige) berufliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung eröffne (BFH-Urteil vom 4. Dezember 2002 VI R 120/01, BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403, m.w.N.).

    Der Senat hat, beginnend mit der Entscheidung in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403, diese Rechtsprechung aufgegeben und von der strikten Unterscheidung zwischen Aus- und Fortbildung Abstand genommen. Nach der geänderten Rechtsprechung können auch Aufwendungen für ein erstmaliges Hochschulstudium Werbungskosten i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sein. Ob das Studium eine Basis für andere Berufsfelder schafft oder einen Berufswechsel vorbereitet, ist unerheblich (vgl. etwa BFH-Urteile vom 17. Dezember 2002 VI R 137/01, BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407; vom 22. Juli 2003 VI R 50/02, BFHE 202, 563, BStBl II 2004, 889; vom 4. November 2003 VI R 96/01, BFHE 203, 500, BStBl II 2004, 891; vom 20. Juli 2006 VI R 26/05, BFHE 214, 370, BStBl II 2006, 764). Maßgeblich ist das Veranlassungsprinzip. Dieses Prinzip ist auch im Streitfall anzuwenden.

    2.

    Der Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG steht dem ebenso wenig entgegen wie das Abzugsverbot in § 12 Nr. 5 EStG.

    a)

    Nach dem Einleitungssatz des § 10 Abs. 1 i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine eigene Berufsausbildung nur dann Sonderausgaben, "wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind". Danach hat der Werbungskosten- bzw. Betriebsausgabenabzug Vorrang vor dem Abzug von Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung als Sonderausgaben, so dass § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG keine Sperrwirkung für erwerbsbedingte Aufwendungen entfalten kann (vgl. im Einzelnen BFH-Urteile vom 27. Mai 2003 VI R 33/01, BFHE 202, 314, BStBl II 204, 884; in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403; in BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407; vom 13. Februar 2003 IV R 44/01, BFHE 201, 495, BStBl II 2003, 698).

    b)

    Nach Auffassung des Senats steht aber auch § 12 Nr. 1 EStG einem Abzug von Bildungsaufwendungen im Allgemeinen und Kosten für ein Studium im Besonderen nicht entgegen (s. etwa BFH-Urteil in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403). Die aus beruflichen Gründen entstandenen Kosten sind nicht zugleich Aufwendungen für die private Lebensführung, welche die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG). Das die Aufwendungen auslösende, maßgebliche Moment entstammt in diesen Fällen der beruflichen und nicht der privaten Sphäre (s. etwa BFH-Urteile in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403; in BFHE 202, 314, BStBl II 2004, 884; zur Veranlassung von Bildung s. Pfab, Die Behandlung von Bildungsaufwendungen im deutschen Einkommensteuerrecht, Frankfurt/Main, 2008, 191 ff., 205 ff.).

    c)

    Die durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und weiterer Gesetze vom 21. Juli 2004 (BGBl. I 2004, 1753, BStBl I 2005, 343) rückwirkend in Kraft getretene (s. Art. 6 Abs. 2 des Gesetzes) Bestimmung des § 12 Nr. 5 EStG hindert die Abziehbarkeit von beruflich veranlassten Kosten für ein sog. Erststudium zumindest dann nicht, wenn diesem --wie im Streitfall-- eine abgeschlossene Berufsausbildung vorausgegangen ist.

    Nach § 12 Nr. 5 EStG dürfen Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung und für ein Erststudium weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Die Vorschrift bestimmt in typisierender Weise, dass Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung (und ein Erststudium) --von dem in Halbsatz 2 der Vorschrift genannten Fall abgesehen-- noch nicht mit einer konkreten beruflichen Tätigkeit und hieraus fließenden Einnahmen im Zusammenhang stehen.

    Nach der zitierten Rechtsprechung des Senats sind Aufwendungen für Bildungsmaßnahmen Werbungskosten i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG, wenn ein erwerbsbezogener Veranlassungszusammenhang besteht, d.h. wenn der erforderliche Veranlassungszusammenhang mit der späteren beruflichen Tätigkeit gegeben ist. Diese Rechtsprechung soll grundsätzlich auch nach der durch die Einfügung des § 12 Nr. 5 EStG beabsichtigten "Neuordnung" der Ausbildungskosten maßgebend sein (BTDrucks 15/3339, 10). Insoweit konsequent sind von der Neuregelung grundsätzlich die Steuerpflichtigen nicht betroffen, denen im Anschluss an eine erstmalige Berufsausbildung Kosten für eine weitere Berufsausbildung oder sonstige Bildungsmaßnahmen entstehen. Es soll dabei bleiben, dass jede berufliche Umschulung --d.h. auch eine berufliche Neuorientierung-- zum Abzug der hierfür geleisteten Aufwendungen als Werbungskosten führen kann. Auch soweit Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden, wird der Werbungskostenabzug zugelassen. In diesen Fällen geht das Gesetz offenkundig von einem erwerbsbezogenen Veranlassungszusammenhang aus. Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung sind hingegen im Regelfall nicht ausreichend beruflich veranlasst. Insoweit fehlt es, wie beim Besuch von allgemeinbildenden Schulen, an der konkreten Berufsbezogenheit (s. dazu BFH-Urteil vom 22. Juni 2006 VI R 5/04, BFHE 214, 250, BStBl II 2006, 717). Diese Sicht gibt die typisierende Regelung des § 12 Nr. 5 EStG wieder.

    d)

    Diese Typisierung erfasst auch Aufwendungen für ein Studium, sofern es sich dabei um eine Erstausbildung handelt. Nach Auffassung des Senats erstreckt sie sich jedoch nicht auf Steuerpflichtige, die ein Studium im späteren Berufsleben berufsbegleitend oder in sonstiger Weise als Zweitausbildung aufnehmen.

    Zwar erfasst § 12 Nr. 5 EStG im ersten Halbsatz dem Wortlaut nach unterschiedslos alle Steuerpflichtigen, die ein Erststudium absolvieren, unabhängig davon, ob sie zuvor bereits eine nichtakademische Berufsausbildung durchlaufen haben oder nicht. Dies würde jedoch in gleichheitswidriger Weise Steuerpflichtige, die nach abgeschlossener Berufsausbildung erstmalig ein Studium aufnehmen, gegenüber den Steuerpflichtigen benachteiligen, die eine zweite nichtakademische Ausbildung, ein Zweitstudium oder ein Erststudium im Rahmen eines Dienstverhältnisses absolvieren.

    Bei der hiernach gebotenen verfassungskonformen Auslegung der §§ 10 Abs. 1 Nr. 7 und 12 Nr. 5 EStG erfasst das Abzugsverbot des § 12 Nr. 5 EStG allenfalls die Fälle des Erststudiums, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt und nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet.

    3.

    Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen des FG, dass der Kläger den Weiterbildungsstudiengang aus beruflichen Gründen betrieben hat. Es besteht ein hinreichend konkreter Zusammenhang der Ausgaben mit Einnahmen aus seiner Tätigkeit als Versicherungsmakler. Der Kläger war seit Jahren in dieser Branche tätig und hatte sich dabei auf den Bereich der betrieblichen Altersversorgung spezialisiert. Die Weiterbildung zum "Betriebswirt für betriebliche Altersversorgung" diente der zusätzlichen Qualifikation in diesem Segment.

    Da der Weiterbildungslehrgang nicht "ins Blaue hinein" betrieben oder aus anderen privaten Gründen aufgenommen worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 1. Februar 2007 VI R 62/03, BFH/NV 2007, 1291, m.w.N.), sondern auf die Erzielung von Einnahmen gerichtet war, sind die damit im Zusammenhang stehenden Aufwendungen dem Grunde nach als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG abziehbar. Es kann dahinstehen, ob der dreisemestrige Weiterbildungsstudiengang "eine neue berufliche, soziale und wirtschaftliche Stellung" verschafft und damit ein (Erst-)Studium i.S. des § 12 Nr. 5 EStG ist (s. BTDrucks 15/3339, 10), wie das FG angenommen hat. Denn da es sich um eine berufsbegleitende Maßnahme handelte, kommt nach den dargestellten Grundsätzen § 12 Nr. 5 EStG ohnehin nicht zur Anwendung. Ebenso wenig sind die von den Klägern geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Wirksamkeit des § 12 Nr. 5 EStG entscheidungserheblich.

    4.

    Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Da das FG --aus seiner Sicht zu Recht-- zu den einzelnen von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen keine Feststellungen getroffen hat, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

    RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 9 Abs. 1 S. 1 EStG § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG § 12 Nr. 5