08.01.2010
Finanzgericht München: Urteil vom 19.02.2003 – 9 K 1015/01
Es liegt keine tarifbegünstigte Teilpraxisveräußerung vor, wenn zwar die bisherigen Praxisräume und die Zulassung als Vertragsarzt der kassenärztlichen Vereinigung mit deren Zustimmung entgeltlich veräußert werden, jedoch die Privatpatientenpraxis, zwar in einem anderen Stockwerk desselben Gebäudes, damit aber im selben örtlichen Wirkungskreis wie bisher, fortgeführt wird.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In der Streitsache
wegen Einkommensteuer 1998
hat der 9. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht … des Richters am Finanzgericht … und des Richters am Finanzgericht … sowie der ehrenamtlichen Richter … und … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Februar 2003
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger durch den Verkauf seiner Arztpraxis den Tatbestand einer tarifbegünstigten Veräußerung eines Teilbetriebes i. S. von § 18 Abs. 3 i.V.m. § 34 Einkommensteuergesetz (EStG) erfüllt hat.
Der Kläger ist Facharzt für Orthopädie. Er betrieb in M., … eine Arztpraxis für Orthopädie. Der Kläger hatte bis 27. April 1998 eine Zulassung zum Vertragsarzt der kassenärztlichen Vereinigung (KV) und war demgemäß zur Behandlung von Kassenpatienten berechtigt. Als Kassenarzt war er zusätzlich zum Heilverfahren bei Berufsunfällen zugelassen. Daneben ist der Kläger im Bereich der Flugmedizin spezialisiert und hat aufgrund einer Prüfung durch die Ärztekammer das Recht zur Untersuchung und Behandlung von fliegendem Personal. Im Bereich Flugmedizin behandelte der Kläger ausschließlich Privatpatienten.
Am 24. März 1998 schloss der Kläger mit Herrn Dr. W. (W) einen Vertrag, mit dem der Kläger die in München ausgeübte Praxis veräußerte (§ 1 Abs. 2). Die Praxisübergabe sollte am 1. April 1998 bzw. nach Maßgabe der KV-Zustimmung erfolgen (§ 1 Abs. 4). Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Praxisübergabevertrag Bezug genommen.
Auf Antrag des Klägers ist seine Zulassung als Vertragsarzt mit Beschluss des Zulassungsausschusses vom 27. April 1998 unter der Bedingung beendet worden, dass die Praxis des Klägers innerhalb von drei Monaten nach Zulassung des Praxisnachfolgers W von diesem fortgeführt wird. Ebenfalls am 27. April 1998 fasste der Zulassungsausschuss den Beschluss, W als Vertragsarzt zur Fortführung der Praxis des Klägers zuzulassen. W war bereits ab Januar 1998 in der Praxis des Klägers als Praxisassistent und Praxisvertreter tätig. Ab 1. April 1998 wurde die Praxis faktisch allein von W, der bis zu seiner Zulassung als Kassenarzt als Praxisvertreter für den Kläger tätig war, geführt. Nach seiner Zulassung als Vertragsarzt führte W die Praxis im eigenen Namen fort. Die Privatpatienten des Klägers behandelte W nicht. Der Kläger hat in demselben Gebäude, in dem sich seine Praxis im 1. Obergeschoss befand, im 5. Obergeschoss ab 1. September 1997 Räume zur Benutzung als Wohnung mit Arztpraxis angemietet und diese mit Zimmereinrichtungen und eigener technischer Ausrüstung ausgestattet. Ab 1. April 1998 sind die Privatpatienten des Klägers ausschließlich in der neuen Arztpraxis im 5. Obergeschoss medizinisch behandelt worden. In der Privatpatientenpraxis des Klägers arbeiteten ab 1. April 1998 drei Arbeitnehmerinnen, die ab diesem Zeitpunkt in der Praxis im 1. Obergeschoss nicht mehr tätig waren. Das übrige Personal des Klägers wurde von W übernommen.
Das beklagte Finanzamt (das Finanzamt –FA–) behandelte im Einkommensteuerbescheid 1998 vom 28. Januar 2000 in der Fassung des Bescheides vom 4. Mai 2000 den vom Kläger erzielten Gewinn aus der Veräußerung seiner Praxis in Höhe von 615.514 DM als laufenden Gewinn und lehnte eine tarifbegünstigte Besteuerung nach §§ 18 Abs. 3, 16 Abs. 2 bis 4 EStG i.V.m. § 34 Abs. 1 EStG ab, da der Kläger noch eine Arztpraxis für Privatpatienten in nicht geringem Umfang weiter betreibe. Der dagegen eingelegte Einspruch, mit dem geltend gemacht wurde, bei der veräußerten Praxis habe es sich um eine i. S. von § 18 Abs. 3 EStG eigenständige Teilpraxis gehandelt, blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2001).
Dagegen richtet sich die Klage. Nach Auffassung der Kläger seien die Kassenarztpraxis und die Privatpatientenpraxis schon vor der Veräußerung organisatorisch getrennt worden und als selbständige Arztpraxen geführt worden. Zwar stelle die Behandlung von Kassenpatienten und von Privatpatienten aus medizinischer Sicht eine gleichartige Tätigkeit dar. Dies schließe nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die Veräußerung der Kassenarztpraxis als selbständige Teilpraxis aber nicht aus. Selbständige Teilpraxen lägen in diesem Fall vielmehr dann vor, wenn die Praxen im Rahmen organisatorisch selbständiger Büros mit jeweils eigenständigem Personal betrieben würden. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt, denn der Kläger habe die ursprünglich einheitliche Praxis noch vor der Veräußerung sachlich und organisatorisch getrennt, was sich u. a. aus der Anmietung eigener Praxisräume im 5. Obergeschoss mit eigener Einrichtung, der Trennung der Patientenkarteien etc. ergebe. Spätestens ab 1. April 1998 habe es im Haus Franz-Josef-Str. 35 zwei Arztpraxen des Klägers gegeben, nämlich die von ihm allein mit eigenem Personal geführte Privatpatientenpraxis im 5. Obergeschoss und die kassenärztliche Praxis im 1. Obergeschoss. Gegenstand der Veräußerung sei nur die Kassenarztpraxis gewesen. Privatpatienten des Klägers habe W nicht übernommen. Der Kläger habe mit der Veräußerung der Kassenarztpraxis – trotz Weiterführung der Privatpatientenpraxis – auch seine freiberufliche Tätigkeit in dem dazugehörigen örtlich abgegrenzten Wirkungsbereich aufgegeben. Denn die Kassenpatienten bildeten einen eigenen Patientenkreis, der nur von demjenigen bedient werden könne, der die Zulassung als Vertragsarzt innehabe. Mit Verzicht des Klägers auf seine Zulassung als Vertragsarzt und Übertragung der Zulassung auf seinen Nachfolger sei der Kläger von der Behandlung von Kassenpatienten rechtlich und tatsächlich ausgeschlossen worden. Daher habe er mit der Übertragung der Kassenarztpraxis auf seinen Nachfolger diesen bisherigen Wirkungskreis völlig aufgegeben. Dass er weiterhin für Privatpatienten zur Verfügung gestanden habe, ändere daran nichts, da eine Behandlung von Privatpatienten einen anderen Wirkungskreis darstelle. Überschneidungen im Patientenstamm der Kassenarztpraxis und der Privatarztpraxis habe es kaum gegeben. Zwar stehe es einem Kassenpatienten frei, sich als Privatpatient auf eigene Kosten behandeln zu lassen. In der Praxis spielten diese Fälle jedoch keine Rolle, nach Erinnerung des Klägers sei dies vielleicht dreimal vorgekommen und falle daher unter die Geringfügigkeitsgrenze von 10 %. In allen anderen Fällen habe der Kläger Kassenpatienten, die nach der Praxisübertragung noch zu ihm gekommen seien, zu W geschickt.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid 1998 vom 4. Mai 2000 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2001 dahin zu ändern, dass der Gewinn aus der Veräußerung der Kassenarztpraxis in Höhe von 615.514 DM zum ermäßigten Steuersatz nach § 18 Abs. 3 i. V. m. § 34 Abs. 1 EStG besteuert wird.
Der Beklagte beantragt
Klageabweisung.
Eine Teilpraxisveräußerung i. S. von § 18 Abs. 3 EStG liege im Streitfall nicht vor, da der Kläger nach der Veräußerung seine ärztliche Tätigkeit in München nicht eingestellt habe, sondern nach wie vor einen Teil seiner früheren Patienten weiter betreue. Er sei damit im bisherigen räumlichen Wirkungskreis des veräußerten Praxisteils verblieben. Der veräußerte Teil der Praxis des Klägers stelle keinen mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteten organisatorisch geschlossenen Teil der Gesamtpraxis dar, weil er nicht in einem von der beibehaltenen Praxis örtlich klar abgegrenzten Wirkungskreis gelegen habe. Bei sachlich einheitlicher Tätigkeit, die in einem zusammenhängenden räumlichen Wirkungskreis mit nur einer Praxis als Mittelpunkt entfaltet werde, komme eine steuerbegünstigte Praxisveräußerung nicht in Betracht.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Voraussetzungen für die Anwendung der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung liegen nicht vor.
1. Nach § 18 Abs. 3 Satz 1 EStG gehört zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit auch der Gewinn, der bei der Veräußerung des Vermögens oder eines selbständigen Teils des Vermögens oder eines Anteils am Vermögen erzielt wird, das der selbständigen Arbeit dient. In diesem Fall gilt § 16 Abs. 2 bis 4 EStG; der Veräußerungsgewinn wird – soweit er hiernach nicht steuerfrei bleibt – mit dem ermäßigten Satz des § 34 Abs. 1 EStG versteuert (§ 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG).
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteile vom 27. April 1978 IV R 102/74, Bundessteuerblatt –BStBl– II 1978, 562; vom 29. Oktober 1992 IV R 16/91, BStBl II 1993, 182) kann die Veräußerung eines selbständigen Teils des Vermögens i. S. von § 18 Abs. 3 EStG in Form einer Teilpraxisveräußerung nur dann in Betracht kommen, wenn ein freiberuflich tätiger Steuerpflichtiger mehrere selbständige, wesensmäßig verschiedene Tätigkeiten mit verschiedenen Kundenkreisen ausübt. Handelt es sich hingegen um eine einheitliche gleichartige Tätigkeit, so schließt die Eigenart der selbständigen Arbeit und die Betonung der Betätigung (im Gegensatz zum Kapitaleinsatz) im Allgemeinen die Annahme aus, dass Teile der Praxis eine so weitgehende organisatorische Selbständigkeit erlangt haben, dass sie Teilbetrieben im gewerblichen Bereich gleichgestellt werden können. Nur dann, wenn die Praxis im Rahmen organisatorisch selbständiger Büros mit besonderem Personal in voneinander entfernten örtlichen Wirkungskreisen mit getrennten Mandantenkreisen ausgeübt wird, kann eine steuerbegünstigte Teilpraxisveräußerung auch bei einem Freiberufler mit einer sachlich einheitlichen Praxis und gleichartiger Tätigkeit vorliegen. Voraussetzung in diesem Fall ist, dass die freiberufliche Tätigkeit in dem zum veräußerten Büro gehörenden örtlich abgegrenzten Wirkungskreis vollständig eingestellt wird.
2. Es kann dahingestellt bleiben, ob es für das Vorhandensein organisatorisch getrennter Praxen im Rahmen einer Teilbetriebsveräußerung ausreicht, wenn wie im Streitfall die ursprünglich einheitliche Praxis erst in zeitlichem Zusammenhang mit der Praxisveräußerung in eine Kassenarztpraxis und in eine Privatpatientenpraxis aufgespaltet wird. Auch wenn man dies bejahen würde und das Vorhandensein zweier organisatorisch getrennter Arztpraxen bereits im Zeitpunkt der Praxisveräußerung unterstellt, kann die Klage keinen Erfolg haben. Denn unstreitig stellt die Behandlung der Privatpatienten und der Kassenpatienten eine sachlich einheitliche Praxis mit gleichartiger Tätigkeit dar, so dass der Tatbestand einer steuerbegünstigten Teilbetriebsveräußerung nur vorliegen kann, wenn neben einer organisatorischen und personellen Trennung die beiden Praxisteile in voneinander entfernten örtlichen Wirkungskreisen mit getrennten Mandantenkreisen geführt worden wären und der Kläger seine freiberufliche Tätigkeit in dem zum veräußerten Praxisteil gehörenden Wirkungsbereich völlig aufgegeben hätte. Diese Voraussetzung ist deshalb nicht erfüllt, weil beide Praxisteile im selben örtlichen Wirkungskreis gelegen sind. Damit konnte die Veräußerung nur eines Praxisteils auch nicht dazu führen, dass der Kläger seine freiberufliche Tätigkeit in dem zum veräußerten Teil gehörenden örtlichen Wirkungskreis aufgegeben hätte. Auch fällt die Weiterführung der Privatpatientenpraxis unstreitig nicht unter die Geringfügigkeitsgrenze von 10 % (vgl. BFH-Beschuss vom 28. Juni 2000 IV B 35/00, BFH/NV 2001, 33).
Wenn die Kläger meinen, der Streitfall unterscheide sich von dem vom BFH im Urteil vom 6. März 1997 IV R 28/96, BFH/NV 1997, 746 entschiedenen Fall dadurch, dass der Kläger die vom BFH angenommene Einheitlichkeit von Kassen- und Privatarztpraxis durch eine Aufteilung der sächlichen und personellen Betriebsmittel in zwei Praxen durchbrochen habe, so verkennen sie, dass eine Teilbarkeit der Patientenkreise nichts daran ändert, dass sich die am selben Ort befindlichen Patienten eines Arztes ungeachtet ihres kassenrechtlichen Status nicht durch organisatorische Maßnahmen in mehrere, bereits vor einer teilweisen Veräußerung lebensfähige wirtschaftliche Einheiten aufteilen lassen (BFH-Urteil vom 29. Oktober 1992 in BStBl II 1993, 182). Zwar mag es zutreffen, dass zwischen der Behandlung von Privat- und Kassenpatienten kein Konkurrenzverhältnis besteht und Überschneidungen in den Patientenkreisen nicht in nennenswertem Umfang stattfinden. Dieser Umstand ist für die Frage der Teilbarkeit der Praxis jedoch nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr, dass die Tätigkeit als Kassenarzt und als Privatarzt auf Grundlage derselben Berufsausbildung des Klägers und mit denselben medizinischen Behandlungsmethoden ausgeübt wird. Die Behandlung von Privatpatienten stellt daher keinen anderen Wirkungskreis als die Behandlung von Kassenpatienten dar. Bei einer auf Grundlage derselben Berufsausbildung ausgeübten Tätigkeit eines Freiberuflers können auf die Unterscheidung von Kundenkreisen gegründete Teilbetriebe nur dann gebildet werden, wenn die unterschiedlichen Kundenkreise nicht nur in organisatorisch getrennten Praxen, sondern auch in voneinander getrennten örtlich abgegrenzten Wirkungsbereichen abgewickelt werden (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 18 EStG Rz. 342). Insoweit besteht ein grundlegender Unterschied zwischen einem Freiberufler und einem Gewerbetreibenden. Nach Auffassung des Senats besteht insoweit kein Anlass für eine Rechtsfortbildung, denn die für die freiberufliche Tätigkeit im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG charakteristische persönliche Arbeitsleistung des Berufsträgers (vgl. BFH-Urteil vom 21. März 1995 XI R 85/93, BStBl II 1995, 732/734 m.w.N.), einem nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wesentlichen Differenzierungsgrund nach Art. 3 Grundgesetz für die steuerliche Vorzugsstellung der freien Berufe im Vergleich zu den Gewerbetreibenden (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 25. Oktober 1977 1 BvR 15/75, BStBl II 1978, 125; vom 9. Oktober 1990 2 BvR 146/90, HFR 1991, 614) schließt es aus, die betriebliche Organisationsform und nicht die auf der Grundlage der Berufsausbildung ausgeübte Tätigkeit als den Kern der freiberuflichen Tätigkeit anzusehen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.