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  • 28.06.2011

    Finanzgericht Hamburg: Gerichtsbescheid vom 05.04.2011 – 6 K 191/10

    1. Eine tarifbegünstigte Praxisvergrößerung liegt nicht vor, wenn das Entgelt lediglich für den Verzicht des bisherigen Praxisinhabers auf seine Kassenzulassung gezahlt wird, ohne dass der Erwerber die Praxis fortführt.

    2. Eine steuerbegünstigte Praxisveräußerung und -aufgabe setzt voraus, dass der bisherige Praxisinhaber die freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit einstellt. Das ist nicht der Fall, wenn der veräußernde, bisher nur operativ tätige Orthopäde gleichzeitig mit der Veräußerung/Aufgabe der alten Praxis in unmittelbarer Nähe eine neue Praxis eröffnet, in der er in geringerem Umfang Operationen durchführt und die Patienten hauptsächlich klassisch orthopädisch behandelt.


    Tatbestand

    Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger zu 1. (im Folgenden: der Kläger) für die Veräußerung einer Arztpraxis eine tarifbegünstigte Besteuerung in Anspruch nehmen kann.

    Die Kläger sind Eheleute. Der Kläger ist Facharzt für Orthopädie und war bis zum ... 2005 Inhaber einer orthopädischen Praxisklinik in der X-Straße in Hamburg. Er hatte eine Zulassung zum Vertragsarzt der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und behandelte Kassen- und Privatpatienten. Seine Tätigkeit bestand ausschließlich in der Durchführung von Kniegelenksoperationen (ca. ... pro Jahr). Die Patienten wurden dem Kläger von anderen Orthopäden überwiesen und ambulant operiert. Die Praxisklinik verfügte über ... voll ausgestattete Operationsräume.

    Am ... 2005 schloss der Kläger einen Vertrag mit Herrn Dr. A (Einkommensteuerakten -EStA- Bl. 180 ff.), in dem die Übernahme der Praxis in der X-Straße durch Herrn Dr. A zum Preis von € ... und mit Wirkung zum ... 2006 vereinbart wurde. Nach § 3 dieses Vertrages ging die Patientenkartei mit sämtlichen Krankenunterlagen in das Eigentum des Erwerbers über, der sich zu ihrer Aufbewahrung verpflichtete. Das Praxisinventar wurde nicht übertragen (§ 2). Nach § 4 des Vertrages sollte sich der Erwerber um die Zustimmung des Vermieters zur Nutzung der Praxisräume bemühen und ... - der insgesamt ... - Arbeitsverhältnisse übernehmen. Gemäß § 7 des Vertrages war es dem Kläger untersagt, sich innerhalb von drei Jahren seit der Praxisübergabe in Hamburg als Vertragsarzt niederzulassen. Mit der vom Kläger geplanten Eröffnung einer orthopädischen Privatpraxis in ... erklärte der Erwerber sich einverstanden. Der Vertrag stand unter der auflösenden Bedingung, dass der Erwerber von der KV rechtskräftig nicht als Nachfolger ausgewählt würde (§ 9). Auf den weiteren Vertragsinhalt wird Bezug genommen.

    Die KV beendete die Kassenzulassung des Klägers auf dessen Antrag hin, schrieb den Kassensitz neu aus und vergab ihn an Herrn Dr. A, der der einzige Bewerber war.

    Dr. A übernahm den Mietvertrag über die Praxis in der X-Straße nicht. Zum ... 2006 trat er in eine orthopädische Gemeinschaftspraxis in der Y-Straße in Hamburg ein.

    Der Kläger eröffnete am ... 2006 die sog. „C-Praxis ...” in der Z-Straße als reine Privatpraxis, in der er die Patienten orthopädisch behandelt. Diese Praxis verfügt nicht über Operationsräume. Die Miete für die ab 2006 weitgehend leerstehenden Räume in der X-Straße zahlte der Kläger bis zum Ende des Mietvertrages am ... 2009 weiter. Bis zu diesem Zeitpunkt führte er in den nach wie vor entsprechend ausgestatteten Operationsräumen an einem Vormittag in der Woche jeweils eine bis ... Operationen durch, insgesamt ca. ... pro Jahr. Seit Beendigung des Mietverhältnisses operiert er seine Patienten in der „Praxisklinik B” in einem vergleichbaren Umfang.

    In der am 26.06.2007 beim Beklagten eingereichten Einkommensteuererklärung für 2006 erklärte der Kläger für seine Praxis einen laufenden Gewinn in Höhe von € ... und einen Veräußerungsgewinn in Höhe von € ...

    Im Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 03.01.2008 behandelte der Beklagte den Gewinn aus der Veräußerung als laufenden Gewinn (insgesamt: € ...; Einkommensteuer: € ...) und wies zur Begründung darauf hin, dass der Kläger mit der Eröffnung der neuen Praxis die gleiche freiberufliche Tätigkeit fortsetze und diese nicht in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis eingestellt habe, wie es für eine steuerbegünstigte Veräußerung erforderlich sei.

    Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 23.01.2008 (Rechtsbehelfsakten -RbA- Bl. 36 f.), in dem nur er als Einspruchsführer genannt ist, Einspruch ein. Seine frühere Tätigkeit als Kassenarzt mit der Ausrichtung auf operative Eingriffe sei nicht mehr im Geringsten vergleichbar mit der jetzt nur noch bei Privatpatienten durchgeführten klassischen Orthopädie.

    Der Beklagte wies den Einspruch mit der an beide Kläger gerichteten Einspruchsentscheidung vom 19.08.2010 als unbegründet zurück. Die begünstigte Besteuerung eines Veräußerungsgewinns nach § 18 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) setze voraus, dass die freiberufliche Tätigkeit zumindest für eine gewisse Zeit in dem bisherigen örtlich begrenzten Wirkungskreis eingestellt werde, es sei denn, die neu ausgeübte Tätigkeit sei wesensverschieden. Die Tätigkeit des Klägers in seiner „C-Praxis ...” sei jedoch nicht wesensmäßig anders als die vorherige Tätigkeit. Sie unterscheide sich lediglich in Bezug auf die Behandlungsmethode und das auch nicht vollständig, da der Kläger nach wie vor Kniegelenke operiere. Die neue Praxis des Klägers befinde sich zudem lediglich in 9,4 km Entfernung und damit in räumlicher Nähe zur Praxis des Herrn Dr. A. Schließlich sei die neue Tätigkeit in Anbetracht der Praxiseinnahmen von € ... im Folgejahr keine Nebentätigkeit.

    Hiergegen richtet sich die am 20.09.2010 erhobene Klage, die für beide Kläger erhoben worden ist (vgl. Schriftsatz der Kläger vom 03.11.2010, Finanzgerichtsakten -FGA- Bl. 24).

    Die Kläger tragen vor:

    Er, der Kläger, habe in der Praxisklinik in der X-Straße ausschließlich operativ gearbeitet und ... Operationen am Tag durchgeführt. Wegen der nachteiligen Veränderung des Abrechnungssystems mit den Krankenkassen habe er vier Jahre lang nach einem Nachfolger für die Praxis einschließlich der Kassenzulassung gesucht. Jedoch sei niemand an der Übernahme der sehr kostenintensiven Praxisklinik interessiert gewesen. Schließlich habe er Herrn Dr. A gefunden, der aber nur einen Teil des Personals und die Patientenkartei übernommen habe und nicht die komplette Praxis und das auch nur zum Preis von € ... Die Preise für den „Verkauf” von Kassensitzen seien in den letzten Jahren stark gesunken. Der vereinbarte Preis sei primär nach dem Gewinn des Vorjahres bemessen worden; Name, Ruf und Lage der Praxis, also der ideelle Wert, seien nicht vergütet worden.

    In der „C-Praxis” meldeten sich wöchentlich ca. fünf frühere Patienten, die Beschwerden hätten oder ein Röntgenbild haben wollten und die er, der Kläger, dann an Herrn Dr. A verweise. Im Streitjahr seien nur 30 frühere Patienten zur Behandlung in die neue Praxis gekommen und elf Patienten auf Empfehlung ihres Arztes.

    Die Tätigkeit als klassischer Orthopäde im Rahmen einer Privatpraxis ohne Kassenpatienten sei nicht wesensgleich mit der Leitung einer Praxisklinik für arthroskopische und operative Behandlungen von Kassen- und Privatpatienten (Beweis: Sachverständigengutachten). Dies entspreche auch der Auffassung des Praxisübernehmers Dr. A (vgl. dessen Schreiben vom 27.10.2010, Finanzgerichtsakten -FGA- Bl. 25).

    In der alten Praxis seien die Patienten im Wesentlichen durch Überweisungen zu ihm, dem Kläger, gekommen, ambulant operiert und nach einer kurzen Betreuung wieder an den jeweilig übermittelnden Arzt zurück überwiesen worden. Wenn eine Operation nicht angezeigt gewesen sei, sei die Rücküberweisung ohne behandelnden Eingriff erfolgt. Es habe daher nur eine untergeordnete Patientenbindung bestanden.

    In der „C-Praxis” hingegen würden die Patienten nach klassischer Art orthopädisch behandelt. Ein Operationsbereich existiere hier nicht. Lediglich die Patienten, die trotz konservativer Behandlung nicht beschwerdefrei würden, würden von ihm, dem Kläger, in der „Praxisklinik B” versorgt. Ein klassischer Orthopäde erforsche zunächst die Ursachen gelenkspezifischer Erkrankungen, berate den Patienten in ergonomischen, physischen und psychischen Fragen, steige in die komplexen Einzelheiten des menschlichen Organismus ein und bleibe dauerhaft an der Seite des Patienten; er werde häufig zum „Hausarzt”, der die Krankheiten und das soziale Umfeld der Patienten kenne. Notfallpatienten mit akuten Leiden suchten grundsätzlich zuerst den Orthopäden auf und nur ausnahmsweise direkt eine Praxisklinik.

    Im Übrigen sei der örtliche Wirkungskreis der „C-Praxis” nicht identisch mit der vorherigen Praxis, denn die Struktur der Patientenschaft sei verschieden. Bei einer einmaligen Gelenkoperation entstehe keine persönliche Bindung zum Arzt, bei einem frei praktizierenden Orthopäden hingegen schon.

    Die Kläger beantragen sinngemäß, den Einkommensteuerbescheid vom 03.01.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.08.2010 dahingehend zu ändern, dass der Gewinn aus der freiberuflichen Tätigkeit des Klägers in Höhe von € ... als Veräußerungsgewinn ermäßigt besteuert und die Einkommensteuer auf € ... herabgesetzt wird.

    Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte nimmt zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung Bezug und trägt ergänzend vor, dass das von den Klägern gezeichnete Bild eines niedergelassenen Orthopäden, der quasi ein „Hausarzt” sei, nicht der Realität entspreche. Ferner führe der Kläger nach wie vor Operationen durch, wenn auch nicht in seinen eigenen Praxisräumen. Dem Internet-Portal ... sei zu entnehmen, dass der Kläger als Leiter der „C-Praxis” Hamburg mit rund ... operativen und konservativen Behandlungen im Jahr zu den führenden Kniespezialisten in Deutschland avanciert sei.

    Ob sich die Struktur der Arzt-Patienten-Beziehung geändert habe, sei für die Frage des örtlichen Wirkungskreises irrelevant. Entscheidend sei, dass der Kläger seine bisherige Tätigkeit nicht eingestellt, sondern zeitgleich mit der Veräußerung der Praxis in der X-Straße eine neue Praxis in der Z-Straße eröffnet habe.

    Die Bestätigung des Herrn Dr. A sei eine Gefälligkeitsbescheinigung unter Kollegen. Herrn Dr. A sei es allein darauf angekommen, dass der Kläger sich nicht als Orthopäde mit Kassenzulassung niederlasse, wie es in § 7 des Übernahmevertrages geregelt worden sei.

    Auf das Protokoll des Erörterungstermins vom 04.03.2011 (FGA Bl. 43 ff.) wird Bezug genommen.

    Dem Gericht haben Band IV der Einkommensteuerakten, Band II der Bilanz- und Bilanzberichtsakten und Band I der Rechtsbehelfsakten (St.-Nr. .../.../...) vorgelegen.

    Gründe

    Der Senat entscheidet gemäß § 90a Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Gerichtsbescheid.

    Die Klage ist zum Teil unzulässig und im Übrigen unbegründet.

    I.

    Die Klage ist unzulässig, soweit sie durch die Klägerin zu 2. (im Folgenden: Klägerin) erhoben worden ist.

    Nach § 44 Abs. 1 FGO ist die Klage nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist. Voraussetzung ist nicht nur, dass das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren erfolglos geblieben ist, sondern ebenfalls, dass zuvor ein außergerichtlicher Rechtsbehelf eingelegt wurde (BFH-Urteil vom 28.02.1990 I R 165/85, BFH/NV 1991, 75). Zusammenveranlagungsbescheide sind zusammengefasste Bescheide (§ 155 Abs. 3 Abgabenordnung -AO-), die jeder Betroffene für sich anfechten muss. Die Einlegung des Einspruchs wird nicht dadurch ersetzt, dass das Finanzamt dem Betreffenden gegenüber eine Einspruchsentscheidung in der Sache erlassen hat (BFH-Urteil vom 28.02.1990 I R 165/85, BFH/NV 1991, 75). Im Streitfall erging die Einspruchsentscheidung zwar auch gegenüber der Klägerin, jedoch hatte sie keinen außergerichtlichen Rechtsbehelf gegen den angegriffenen Steuerbescheid eingelegt. Im Einspruchsschreiben wurde lediglich der Kläger als Einspruchsführer genannt.

    II.

    Die Klage des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

    Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat den Gewinn aus der „Praxisveräußerung” zu Recht als laufenden Gewinn und nicht als steuerbegünstigten Veräußerungsgewinn behandelt.

    Dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG unterliegen nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 Veräußerungsgewinne i. S. des § 18 Abs. 3 EStG. Danach gehört zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit auch der Gewinn, der bei der Veräußerung des Vermögens erzielt wird, das der selbständigen Arbeit dient. Nach § 18 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 16 Abs. 3 EStG gilt auch die Aufgabe der selbständigen Arbeit als Veräußerung in diesem Sinne.

    Die Veräußerung einer Praxis setzt voraus, dass alle wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen der freiberuflichen Tätigkeit auf den Erwerber übertragen werden; die Veräußerung einzelner Wirtschaftsgüter einer freiberuflichen Praxis genügt nicht (BFH-Beschluss vom 17.02.2003 XI B 193/02, BFH/NV 2003, 773). Übertragen werden müssen auch und insbesondere die immateriellen Wirtschaftsgüter wie die Beziehungen des Praxisinhabers zu seinen bisherigen Mandanten und das durch den Praxisnamen bestimmte Wirkungsfeld, das die maßgebende Grundlage für die Möglichkeit darstellt, neue Mandanten zu erlangen (BFH-Beschluss vom 29.05.2008 VIII B 166/07, BFH/NV 2008, 1478; BFH). Die Übertragung aller wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen der freiberuflichen Tätigkeit auf den Erwerber ist in der Regel nur dann gewährleistet, wenn die freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit aufgegeben wird. Denn die Überleitung des Mandanten-/ Patientenstammes ist nicht gesichert, wenn der Veräußerer in Konkurrenz zu dem übertragenen Unternehmen steht, insbesondere dadurch, dass er sein bisheriges, durch Mandanten/Patienten und Praxisnamen bedingtes Wirkungsfeld als maßgebliche Grundlage zukünftiger freiberuflicher Tätigkeit nutzt (BFH-Urteil vom 23.01.1997 IV R 36/95, BFHE 182, 533, BStBl II 1997, 498) und die Einstellung der bisherigen freiberuflichen Tätigkeit auch nach außen hin nicht einmal für eine gewisse Zeitspanne in Erscheinung tritt (BFH-Urteil vom 14.03.1975 IV R 78/71, BFHE 116, 8, BStBl II 1975, 661). Nur so ist eine Abgrenzung des begünstigten Veräußerungsgewinns vom nicht begünstigten laufenden Gewinn gewährleistet (BFH-Urteil vom 10.06.1999 IV R 11/99, BFH/NV 1999, 1594). Auch die Steuerbegünstigung für eine Praxisaufgabe setzt die Beendigung der bisherigen Tätigkeit voraus (BFH-Urteil vom 10.06.1999 IV R 11/99, BFH/NV 1999, 1594).

    1. Im Streitfall ist ein steuerbegünstigter Veräußerungsgewinn schon deshalb nicht entstanden, weil der Kläger die wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen seiner freiberuflichen Tätigkeit nicht auf den Erwerber übertragen hat.

    Die zwischen dem Kläger und Herrn Dr. A getroffene Vereinbarung sieht einen solchen Übergang nicht vor. „Verkauft” wurde, wie der Kläger im Erörterungstermin ausgeführt hat, die Kassenzulassung als Grundlage für den Aufbau einer neuen Praxis. Da der Kassensitz durch die KV vergeben wird, konnte der Kläger ihn, auch wenn er eine wesentliche Grundlage der selbständigen Arbeit bildete, nicht auf den Erwerber übertragen. Der Kaufpreis wurde letztlich als Entgelt für die Aufgabe der Kassenzulassung durch den Kläger bezahlt als Voraussetzung dafür, dass dem Erwerber eine neue Zulassung erteilt wird. Dementsprechend wurde der Kaufpreis nach dem Vortrag des Klägers primär nach dem bisherigen Gewinn bemessen und nicht nach dem ideellen Wert der Praxis.

    Inventar oder sonstige materielle Wirtschaftsgüter wurden nicht übertragen. Herr Dr. A wollte die Praxisklinik wegen der damit verbundenen hohen finanziellen Belastung gerade nicht übernehmen. Es war daher von vornherein nicht geplant, dass Herr Dr. A die Praxisklinik des Klägers in den bisherigen Räumen fortsetzen sollte. Herr Dr. A wollte stattdessen in die Gemeinschaftspraxis in D eintreten und hat den Kassensitz zum frühestmöglichen Zeitpunkt, nämlich drei Monate nach „Übernahme” der Praxis, dorthin verlegt. Dass die übrigen immateriellen Wirtschaftsgüter der Praxis, namentlich die Beziehungen des Praxisinhabers zu seinen bisherigen Mandanten und das durch den Praxisnamen bestimmte Wirkungsfeld, nicht auf den Erwerber übertragen wurden, ergibt sich auch daraus, dass für potentielle Patienten die „Praxisübernahme” in keiner Weise erkennbar war. Die Praxisräume wurden durch den Kläger weiterhin genutzt, der Erwerber war dort nie tätig. Der Erwerber hat seine Tätigkeit unter seinem eigenen Namen ohne jegliche Verbindung zu dem Namen des Klägers in einer Entfernung von immerhin neun Kilometern zu diesen Praxisräumen im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis neu aufgenommen.

    Dass der Erwerber die Patientenkartei übernommen hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Wie der Kläger selbst vorträgt, entsteht durch die bloße Durchführung einer Operation auf Überweisung des jeweils behandelnden Orthopäden keine dauerhafte Patientenbeziehung, zumal die meisten Patienten nicht mehr als einmal operiert werden. Dementsprechend hat der Kläger erläutert, dass sich die in der alten Praxis von ihm operierten Patienten nur dann nochmals an ihn wendeten und von ihm an Herrn Dr. A verwiesen würden, wenn sie Beschwerden hätten oder ein Röntgenbild benötigten, nicht aber für neue Operationen. Die Patientenkartei bildet damit keine Grundlage für die Erwirtschaftung relevanter neuer Umsätze.

    2. Darüber hinaus hat der Kläger die freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis nicht wenigstens für eine gewisse Zeit eingestellt. Die Annahme einer Praxisaufgabe kommt daher ebenfalls nicht in Betracht.

    Die Frage, ob die freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit eingestellt wird, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen, insbesondere nach der räumlichen Entfernung der neuen Praxis zur bisherigen Tätigkeitsstätte, der zeitlichen Dauer der Einstellung, der Vergleichbarkeit der Betätigung sowie der Art und Struktur der Mandate (BFH-Beschlüsse vom 07.11.2006 XI B 177/05, BFH/NV 2007, 431; vom 01.12.2005 IV B 69/04, BFH/NV 2006, 298).

    a. Der Kläger hat im unmittelbaren zeitlichen Anschluss an die „Veräußerung” der Praxis in der X-Straße eine neue freiberufliche Tätigkeit in einer geringen räumlichen Entfernung von nur zwei Kilometern aufgenommen.

    b. Die neue Betätigung ist, auch nach Art und Struktur der Patientenbeziehungen, mit der vorherigen Tätigkeit vergleichbar.

    aa. Der Freiberufler muss nicht jedwede Tätigkeit einstellen, sondern nur die Tätigkeit, die sich nach der Praxisveräußerung im Rahmen des durch die ursprüngliche Tätigkeit bestimmten Wirkungsfeldes hält. Er kann also nach der Praxisveräußerung - ohne dadurch die Annahme eines steuerbegünstigten Veräußerungsgewinns zu gefährden - im bisherigen räumlichen Wirkungsbereich eine gänzlich andere Tätigkeit ausüben, die mit der ursprünglichen nichts mehr gemein hat und eine ganz andere Klientel anspricht. Wesensmäßig verschieden sind Tätigkeiten vor allem dann, wenn sie üblicherweise nicht von einer Person ausgeübt werden können, weil sie eine unterschiedliche Berufsausbildung und in der Regel einen unterschiedlichen Werdegang erfordern (BFH-Urteil vom 27.04.1978 IV R 102/74, BFHE 125, 249, BStBl II 1978, 562) oder weil sie sich nach den Kunden und nach der Art der Aufgaben unterscheiden (BFH-Urteil vom 04.11.2004 IV R 17/03, BFHE 208, 173, BStBl II 2005, 208, für Betriebsarzt und Allgemeinarzt angenommen).

    Wesensverschiedene Tätigkeiten sind beispielsweise nicht anzunehmen bei einer allgemeinmedizinischen Praxis und einer Praxis für Naturheilkunde (Urteil des FG Saarland vom 30.03.2006 1 K 401/02, EFG 2006, 887), bei Allgemeinmedizin nach schulmedizinischen Methoden einerseits und unter Anwendung der Psychotherapie und der traditionellen chinesischen Medizin andererseits (Urteil des FG Münster vom 29.08.2001 8 K 6534/98 E, EFG 2002, 327), bei der Tätigkeit als Zahnarzt und als Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg (BFH-Urteil vom 23.01.1997 IV R 36/95, BFHE 182, 533, BStBl II 1997, 498) sowie bei einer Großtier- und Kleintierbehandlung durch einen Tierarzt (BFH-Urteil vom 29.10.1992 IV R 16/91, BFHE 169, 352). Die medizinischen Behandlungen von Privat- und Kassenpatienten sind ebenso wenig verschiedene, sondern gleichartige Tätigkeiten und unterscheiden sich lediglich hinsichtlich des Abrechnungsverfahrens (BFH-Urteil vom 06.03.1997, IV R 28/96, BFH/NV 1997, 746; Urteil des FG München vom 19.02.2003 9 K 1015/01, EFG 2003, 1012).

    bb. Im Streitfall sind die Tätigkeit des Klägers in der vorherigen Praxis in der X-Straße und die jetzige Tätigkeit in der „C-Praxis” nicht wesensmäßig verschieden. Da der Sachverhalt insoweit unstreitig und auch für Nicht-Mediziner verständlich ist, bedarf es keiner Einholung eines Sachverständigengutachtens, wie vom Kläger beantragt.

    Der Kläger wurde vorher wie nachher aufgrund derselben Ausbildung, nämlich zum Facharzt für Orthopädie, tätig. Dass er früher Kassen- und Privatpatienten behandelte und jetzt nur noch Privatpatienten, begründet, wie dargelegt, ebenfalls keinen wesentlichen Unterschied. Soweit der Kläger darauf abstellt, dass sich die Art der Behandlung durch einen punktuell eingreifenden Operateur einerseits und einen konservativ und umfassend beratenden und behandelnden Orthopäden andererseits unterschieden, so ist dieser Unterschied vor dem Hintergrund der einheitlichen Berufsausbildung und des identischen Patientenkreises nicht von solchem Gewicht, dass er die Vergleichbarkeit der Tätigkeiten ausschlösse. Er entspricht in etwa dem Unterschied zwischen einer zahnärztlichen Tätigkeit und der eines Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen, die, wie dargelegt, nicht als wesensverschieden anzusehen ist. Das gilt umso mehr, als der Kläger nach wie vor ausschließlich Kniegelenksbeschwerden behandelt. Vor allem aber hat er seine vorherige (Operations-) Tätigkeit nicht aufgegeben, sondern führt sie fort, wenn auch in geringerem Umfang.

    Im Ergebnis hat der Kläger lediglich die Abrechnungsmethode gegenüber den Patienten auf Selbstzahlung eingeschränkt und den Schwerpunkt seiner Behandlungsmethoden auf die konservative Therapie verlagert und somit seine freiberufliche Tätigkeit im unmittelbaren zeitlichen Anschluss und in unmittelbarer Nähe fortgeführt. 36 c. Im Übrigen trat die vermeintliche Einstellung der bisherigen Tätigkeit des Klägers auch nach außen hin nicht in Erscheinung, weil er in den bisherigen Praxisräumen, wenn auch in deutlich geringerem Umfang, weiterhin tätig wurde, was anhand des Praxisschildes für Außenstehende erkennbar war. Auch der Umstand, dass sich seine vorherigen Patienten in der „C-Praxis” melden und an Herrn Dr. A verwiesen werden müssen, zeigt, dass die im bisherigen örtlichen Wirkungskreis eröffnete „C-Praxis” von Außenstehenden als Fortführung der bisherigen Praxis angesehen wird.

    III.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Gründe, die Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, liegen nicht vor.

    VorschriftenEStG § 16 Abs. 3, EStG § 18 Abs. 3, EStG § 34 Abs. 1, EStG § 34 Abs. 2 Nr. 1