05.01.2012 · IWW-Abrufnummer 120060
Bundesfinanzhof: Urteil vom 12.10.2011 – VIII R 12/08
1.Wird die Einzelpraxis eines Arztes in eine GbR eingebracht und werden deren Wirtschaftsgüter erst in einem späteren Veranlagungszeitraum als dem der Einbringung in der Eröffnungsbilanz der GbR erfasst, stellt die Erstellung und Einreichung der Eröffnungsbilanz ein Ereignis mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO für die Bemessung des Einbringungsgewinns dar.
2.Der Wert, mit dem das eingebrachte Betriebsvermögen in der Bilanz der GbR einschließlich der Ergänzungsbilanzen angesetzt wird, gilt gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 UmwStG --zwingend-- als Veräußerungspreis des Einbringenden. Das Wahlrecht i.S. des § 24 Abs. 3 Satz 1 UmwStG wird ausschließlich durch die aufnehmende Personengesellschaft ausgeübt.
3.Ein Veto- oder Mitspracherecht des Einbringenden besteht nicht (Anschluss an BFH-Urteil vom 25. April 2006 VIII R 52/04, BFHE 214, 40, BStBl II 2006, 847, m.w.N.). Eventuelle Abweichungen von einer vorherigen einvernehmlichen Festlegung der Bilanzansätze zwischen dem Einbringenden und der aufnehmenden Gesellschaft sind damit steuerrechtlich ohne Bedeutung (Anschluss an BFH-Urteil vom 26. Januar 1994 III R 39/91, BFHE 173, 338, BStBl II 1994, 458).
Gründe
I.
1
Streitig ist, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) den Einkommensteuerbescheid der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und ihres verstorbenen Ehemannes für 1998 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) mit der Begründung ändern durfte, die GbR, in die der Ehemann seine Arztpraxis eingebracht hatte, habe in ihrer Eröffnungsbilanz das eingebrachte Betriebsvermögen mit einem höheren als dem von der Klägerin und ihrem verstorbenen Ehemann erklärten Einbringungswert angesetzt.
2
Der Ehemann der Klägerin war Arzt. Er wurde bis zu seinem Tod zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin ist Gesamtrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Mannes.
3
Mit Vertrag vom 22. Oktober 1998 vereinbarte der Ehemann der Klägerin mit den Gesellschaftern der GbR, dass er unter Einbringung seiner bisherigen ärztlichen Einzelpraxis mit Wirkung zum 15. Dezember 1998 in die GbR eintrete. Die Vertragspartner bewerteten die Einzelpraxis des Ehemannes der Klägerin mit 25.000 DM für ihren immateriellen Wert und 100.000 DM für ihren materiellen Wert, insgesamt 125.000 DM. Dem Ehemann der Klägerin wurde als Gegenleistung eine Beteiligung in Höhe von 50/10 000 eingeräumt. Der Ehemann der Klägerin "verzichtete zu Gunsten" der GbR auf die ab dem 15. Dezember 1998 eingehenden und vor dem Einbringungszeitpunkt erwirtschafteten Honorare aus seiner privat- und vertragsärztlichen Tätigkeit in Höhe von 93.809,81 DM.
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Für die Zeit vom 1. Januar 1998 bis 15. Dezember 1998 ermittelte der Ehemann seinen Gewinn aus der Arztpraxis gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und für die Folgezeit im Zusammenhang mit der Einbringung der Praxis für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 1998 durch Bestandsvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG). In ihrer Steuererklärung für 1998 erklärten die Klägerin und ihr Ehemann Einkünfte aus selbständiger Arbeit des Ehemannes als Arzt in Höhe von 132.330 DM (einschließlich der Honorarforderungen in Höhe von 93.809,81 DM) und einen Veräußerungsverlust in Höhe von 17.682 DM. Die Honorarforderungen in Höhe von 93.809,81 DM erfassten sie bei ihrer Veräußerungsgewinnermittlung nicht.
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Das FA setzte die Einkommensteuer der Klägerin und ihres Ehemannes unter Ber ücksichtigung von Einkünften des Ehemannes aus freiberuflicher Tätigkeit unter Abzug des erklärten Veräußerungsverlustes (17.682 DM) von dem erklärten Gewinn (132.330 DM) fest und änderte diese Festsetzung in der Folgezeit mehrmals nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO aus Gründen, die mit dem Klageverfahren in keinem Zusammenhang stehen.
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Mit gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändertem Einkommensteuerbescheid für 1998 vom 13. Mai 2005 berücksichtigte das FA neben dem laufenden Gewinn aus freiberuflicher Tätigkeit nunmehr einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 76.127 DM. Die Änderung des Einkommensteuerbescheides beruhte auf der Mitteilung des Finanzamtes für Groß- und Konzernbetriebsprüfung A-Stadt an das FA, der Veräußerungsgewinn des verstorbenen Ehemannes der Klägerin erhöhe sich um Forderungen in Höhe von 93.809,81 DM, weil diese bei der GbR im Rahmen der Einbringung der Einzelpraxis aktiviert worden seien. Infolgedessen sei der Einkommensteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern, da im Rahmen der Prüfung der GbR im November 2004 erstmals Bilanzen vorgelegt worden seien.
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Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 910 veröffentlichten Urteil als unbegründet ab.
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Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Entgegen der Auffassung des FA stelle die erstmalige Erstellung der Bilanz durch die GbR im Zeitpunkt der Außenprüfung kein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar. Vielmehr könne lediglich eine Bilanzberichtigung oder Bilanzänderung ein solches rückwirkendes Ereignis sein. Die erstmalige Bilanzaufstellung berühre den bereits kraft Gesetzes --unabhängig von der Bilanz-- entstandenen Steueranspruch nicht.
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Darüber hinaus sei der angefochtene Bescheid auch materiell-rechtlich fehlerhaft. Der Einbringungsvertrag vom 22. Oktober 1998 sehe ausdrücklich einen Einbringungswert von 125.000 DM vor; die streitgegenständlichen Forderungen seien bei Auslegung dieses Vertrages in dem Einbringungswert enthalten, weil der verstorbene Ehemann der Klägerin auf die Forderungen ausdrücklich im Vertrag verzichtet habe.
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Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil sowie den angefochtenen Änderungsbescheid vom 13. Mai 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
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Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
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Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
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Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass die erstmalige Erfassung der Honorarforderungen in der Bilanz der GbR im Jahre 2004 ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO mit der Folge war, dass der Einkommensteuerbescheid entsprechend --unter Ansatz eines Veräußerungsgewinns statt eines vorher angesetzten Veräußerungsverlustes-- geändert werden konnte.
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1. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Die Vorschrift setzt voraus, dass das Ereignis nachträglich eintritt, weil nur in diesem Fall die Notwendigkeit besteht, die Bestandskraft zu durchbrechen. Konnte das Ereignis bei Erlass des betreffenden Bescheides bereits berücksichtigt werden, greift die Vorschrift nicht ein (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. Juli 2008 IX R 79/06, BFHE 222, 464, BStBl II 2009, 227; vom 10. Juli 2002 I R 69/00, BFH/NV 2002, 1545; vom 25. Februar 2009 IX R 95/07, BFH/NV 2009, 1393).
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a) Der Begriff "Ereignis" im Sinne dieser Vorschrift erfasst alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge einschließlich tatsächlicher Lebensvorgänge in der Zeit nach Ergehen des zu ändernden Steuerbescheides, die sich auf die Vergangenheit auswirken, so dass der nunmehr veränderte Lebenssachverhalt nach Maßgabe des materiellen Rechts der Besteuerung zu Grunde zu legen ist (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 2003 XI R 13/02, BFHE 201, 421, BStBl II 2003, 554; Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897).
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Die Erstellung und Einreichung der die Einbringung der Praxis des Ehemannes der Klägerin in die GbR erfassenden Eröffnungsbilanz zum 16. Dezember 1998 bei dem für die GbR zuständigen FA im November 2004 stellt ein solches Ereignis (mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) dar.
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aa) Die vertragliche Verpflichtung des Ehemannes, die wesentlichen Grundlagen seiner Praxis in die GbR einzubringen, war als tauschähnlicher Vorgang (Übertragung seiner Praxis gegen Einräumung einer Beteiligung an der GbR) eine Betriebsveräußerung gemäß § 16 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 26. Januar 1994 III R 39/91, BFHE 173, 338, BStBl II 1994, 458, m.w.N.). Der Wert, mit dem das eingebrachte Betriebsvermögen in der Bilanz der Personengesellschaft einschließlich der Ergänzungsbilanzen angesetzt wird, gilt gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG) --zwingend-- als Veräußerungspreis des Einbringenden. Das Wahlrecht i.S. des § 24 Abs. 3 Satz 1 UmwStG wird ausschließlich durch die aufnehmende Personengesellschaft ausgeübt. Nach der Gesetzeslage besteht weder ein Veto- noch ein Mitspracherecht des Einbringenden, obwohl der Wertansatz durch die Personengesellschaft unmittelbar seinen steuerlichen Gewinn beeinflussen kann (vgl. BFH-Urteil vom 25. April 2006 VIII R 52/04, BFHE 214, 40, BStBl II 2006, 847, m.w.N.). Eventuelle Abweichungen von einer vorherigen einvernehmlichen Festlegung der Bilanzansätze zwischen dem Einbringenden und der aufnehmenden Gesellschaft sind damit steuerrechtlich ohne Bedeutung (vgl. BFH-Urteil in BFHE 173, 338, BStBl II 1994, 458).
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bb) Auf dieser Grundlage hat der Ansatz des Wertes für die übernommene Praxis (einschließlich der abgetretenen Honorarforderungen) in der Bilanz der aufnehmenden GbR im November 2004 rückwirkend auf den Streitzeitraum den für die Einbringung der Praxis anzusetzenden Veräußerungspreis geändert. Denn anders als der Ehemann der Klägerin, der als Veräußerungspreis lediglich 125.000 DM angesetzt und damit die überlassenen Honorarforderungen in Höhe von 93.809,81 DM außer Ansatz gelassen hatte, hat die GbR sowohl den Wert der eingebrachten Praxis mit 125.000 DM wie auch die Honorarforderungen mit 93.809 DM aktiviert. Diese Wertansätze für das eingebrachte Betriebsvermögen in der Bilanz der aufnehmenden GbR gelten gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 UmwStG zwingend als Veräußerungspreis. Dieser Wertansatz in der Eröffnungsbilanz der aufnehmenden GbR ist --soweit er von dem bei der Veräußerungsgewinnermittlung des Einbringenden abweicht-- ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (vgl. Patt in Dötsch/Patt/ Pung/Möhlenbrock, Umwandlungssteuerrecht, 6. Aufl., § 24 UmwStG Rz 116; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 25. März 1998 IV B 7 -S 1978- 21/98, BStBl I 1998, 268, Tz. 24.04 i.V.m. Tz. 20.32; Frotscher in Schwarz, AO, § 175 Rz 67 zu § 20 UmwStG).
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b) Der Berücksichtigung dieses Wertansatzes in der Eröffnungsbilanz der GbR als nachträgliches Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO stehen die zuvor im Anschluss an den Einkommensteuerbescheid vom 3. Juli 2000 aus anderen Gründen ergangenen Änderungsbescheide nicht entgegen. Diese Änderungsbescheide setzten nämlich mit Blick auf die Verpflichtung des FA, Feststellungen von Grundlagenbescheiden ohne eigene Sachprüfung im Wege der Änderungsfestsetzung zu übernehmen, nicht eine weitergehende Prüfung voraus, ob darüber hinaus eine Anpassung aufgrund anderer zwischenzeitlich eingetretener nachträglicher Ereignisse erforderlich waren (so bereits BFH-Urteile vom 12. Januar 1989 IV R 8/88, BFHE 156, 4, BStBl II 1989, 438; vom 4. Juli 1989 VIII R 217/84, BFHE 157, 427, BStBl II 1989, 792; BFH-Beschlüsse vom 23. März 1994 VIII B 50/93, BFH/NV 1994, 786; vom 9. Dezember 2009 X R 4/09, BFH/NV 2010, 596).
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2. Die Höhe des Veräußerungsgewinns (76.127 DM) ist ebenfalls aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
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Gemäß § 16 Abs. 2 EStG ist Veräußerungsgewinn der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den Buchwert des Betriebsvermögens übersteigt. Wird ein Betrieb in eine Personengesellschaft eingebracht und wird der Einbringende Mitunternehmer der Gesellschaft, so gilt gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 UmwStG der Wert, mit dem das eingebrachte Betriebsvermögen in der Bilanz der Personengesellschaft einschließlich der Ergänzungsbilanzen für ihre Gesellschafter angesetzt wird, für den Einbringenden als Veräußerungspreis. Die Höhe des angesetzten Wertes des eingebrachten Betriebsvermögens bei der übernehmenden Gesellschaft wird somit als Veräußerungspreis und zugleich als Anschaffungskosten der neuen Anteile fingiert. Da der Gesetzgeber eine Fiktion gewählt hat, liegt darin die Anordnung, einen bestimmten Sachverhalt ohne weitere Prüfung zu unterstellen, auch wenn tats ächlich der Sachverhalt unklar ist oder möglicherweise entgegen der gesetzlichen Fiktion nicht vorliegt. Der Wertansatz des übernehmenden Unternehmens ist daher im Besteuerungsverfahren des Einbringenden zu übernehmen und kann grundsätzlich nicht auf seine Richtigkeit hin überprüft werden (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Dezember 2007 I R 111/05, BFHE 220, 152, BStBl II 2008, 536, m.w.N.).