04.04.2003 · IWW-Abrufnummer 030771
Bundesfinanzhof: Urteil vom 05.12.2002 – IV R 7/01
Eine ärztliche Notfallpraxis ist kein häusliches Arbeitszimmer i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG, selbst wenn sie mit Wohnräumen des Arztes räumlich verbunden ist. Als Notfallpraxis sind dabei Räume zu verstehen, die erkennbar besonders für die Behandlung von Patienten eingerichtet und für jene leicht zugänglich sind.
Gründe:
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden als Eheleute im Streitjahr (1997) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie sind Allgemeinmediziner und betreiben eine Gemeinschaftspraxis in der A-Straße in B. Sie selbst bewohnen ein Einfamilienhaus in der C-Straße in B. Im Keller ihres Wohnhauses befinden sich u.a. ein Behandlungsraum für Patienten, der eine Fläche von 10,8 qm aufweist, sowie eine sog. Patiententoilette mit einer Fläche von 1,9 qm. Die Kläger nutzen diese Räume nach ihren Angaben während der Bereitschaftsdienste als Notfallpraxis.
Für das Streitjahr ermittelten die Kläger ihren Gewinn im Zusammenhang mit der Notfallpraxis nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und machten 6,27 % der Gebäudeaufwendungen, darunter auch die degressive Gebäude-Absetzung für Abnutzung (AfA) als Betriebsausgaben geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) war hingegen der Auffassung, die Aufwendungen fielen unter das absolute Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG, und kürzte die insoweit in Höhe von 6 421 DM geltend gemachten Betriebsausgaben vollständig.
Nach erfolglosem Einspruch wies das Finanzgericht (FG) die Klage mit der Begründung ab, nach dem Willen des Gesetzgebers fielen alle in die Wohnung integrierten beruflich genutzten Räume unter die Abzugsbeschränkung für Arbeitszimmer gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG. Es sei ohne Bedeutung, dass die Kläger typische ärztliche Tätigkeiten in dem Raum ausübten und die Ausstattung keine Hinweise auf eine private Nutzung gebe. Das Urteil ist in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst (DStRE) 2001, 902 veröffentlicht.
Mit der Revision rügen die Kläger eine fehlerhafte Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Die Notfallpraxis der Kläger ist kein Arbeitszimmer i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG. Mit welchem Betrag die betreffenden Aufwendungen den Gewinn der Kläger mindern dürfen, hängt allerdings davon ab, inwieweit die Räume auch zu außerbetrieblichen Zwecken genutzt wurden. Hierzu hat das FG --von seinem Standpunkt aus zu Recht-- noch keine Feststellungen getroffen.
1. a) Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG dürfen Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer den Gewinn nicht mindern. Dies gilt nicht, wenn die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 % der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit beträgt oder wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesen Fällen wird nach Satz 3 der Vorschrift in der für das Streitjahr 1997 geltenden Fassung die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 2 400 DM begrenzt. Die Begrenzung entfällt ganz, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet.
b) Der Begriff des häuslichen Arbeitszimmers ist im Gesetz nicht definiert. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber an den von der Rechtsprechung vor Einführung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG durch das Jahressteuergesetz (JStG) 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250) geschaffenen Begriff anknüpfen wollte (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. September 2002 VI R 70/01, BStBl II 2003, 139, und vom 16. Oktober 2002 XI R 89/00, jeweils m.w.N., zur Veröffentlichung vorgesehen). Danach wurden Räume, die ihrer Ausstattung und Funktion nach nicht einem Büro entsprachen, nicht als Arbeitszimmer bezeichnet, wie etwa eine Werkstatt (BFH-Urteile vom 22. Juni 1961 IV 277/59, Der Betrieb --DB-- 1961, 1375, und vom 19. August 1998 XI R 90/96, BFH/NV 1999, 41), ein Lagerraum (BFH-Urteile in DB 1961, 1375, und vom 19. September 1990 X R 110/88, BFHE 162, 82, BStBl II 1991, 208), die Praxisräume einer Sprachpädagogin (BFH-Urteil vom 21. März 1995 XI R 93/94, BFH/NV 1995, 875) und auch die Notfallpraxis eines Arztes (BFH-Urteil vom 30. August 1994 IX R 126/92, BFH/NV 1995, 764).
Der erkennende Senat sieht danach auch unter Geltung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG eine ärztliche Notfallpraxis nicht als häusliches Arbeitszimmer im Sinne dieser Vorschrift an, selbst wenn sie mit Wohnräumen des Arztes räumlich verbunden ist. Als Notfallpraxis sind dabei Räume zu verstehen, die erkennbar besonders für die Behandlung von Patienten eingerichtet und für jene leicht zugänglich sind. Solche Räumlichkeiten unterscheiden sich im Hinblick auf ihre Ausstattung und ihre Widmung für den Publikumsverkehr von einem häuslichen Arbeitszimmer, für das der Gesetzgeber wegen der äußerlich nur schwer oder gar nicht erkennbaren Trennung der betrieblichen/beruflichen und privaten Sphäre eine Abzugsbeschränkung schaffen wollte (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 7. Dezember 1999 2 BvR 301/98, BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162; BFH-Urteil vom 23. September 1999 VI R 74/98, BFHE 189, 438, BStBl II 2000, 7). Die ärztliche Notfallpraxis, in der naturgemäß Publikumsverkehr stattfindet, wird deshalb in den Gesetzesmaterialien --entgegen den Ausführungen in BFHE 189, 438, BStBl II 2000, 7-- nicht als Beispiel für eine schwierige Abgrenzung zwischen privatem und betrieblichem Bereich genannt (vgl. BTDrucks 13/1686, S. 16; s. auch Richtigstellung im BFH-Urteil in BStBl II 2003, 139).
c) Ob ein mit Wohnräumen des Arztes in räumlichem Zusammenhang stehender Raum als Notfallpraxis im vorstehenden Sinne anzusehen ist, muss im Einzelfall festgestellt werden. Dazu kann sich die Finanzbehörde und im Prozess das FG als Tatsachengericht aller verfahrensrechtlich zulässigen Beweismittel bedienen. Die Feststellungslast trägt der Steuerpflichtige, denn es handelt sich im Hinblick auf den begehrten unbeschränkten Abzug der durch die Nutzung als Notfallpraxis veranlassten Betriebsausgaben um eine steuermindernde Tatsache.
2. Wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine Notfallpraxis erfüllt sind, sind die durch die betriebliche Nutzung veranlassten Aufwendungen grundsätzlich unbeschränkt als Betriebsausgabe abziehbar. Voraussetzung dafür ist aber nach allgemeinen Grundsätzen außerdem, dass die betreffenden Räumlichkeiten nahezu ausschließlich betrieblich genutzt werden. Denn es gilt das von der Rechtsprechung aus § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG abgeleitete Aufteilungs- und Abzugsverbot für Aufwendungen, die nicht nur unerheblich privat mitveranlasst sind und bei denen sich private und betriebliche Veranlassung nicht leicht und zweifelsfrei trennen lassen (BFH-Beschlüsse vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17, und vom 27. November 1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213). Von Finanzbehörde und Tatsachengericht sind auch hierzu die erforderlichen Feststellungen zu treffen. Zeiten der Nichtnutzung dürfen dabei nicht der außerbetrieblichen Nutzung zugerechnet werden, denn das Bereithalten des Behandlungsraums für eine Notfallversorgung ist betrieblich veranlasst. Dementsprechend kommt --anders als bei Leerstandszeiten von Ferienwohnungen, die ständig zur Vermietung an Gäste bereitgehalten werden (vgl. BFH-Urteil vom 6. November 2001 IX R 97/00, BFHE 197, 151, BStBl II 2002, 726)-- auch keine anteilige Zurechnung solcher Zeiten zur außerbetrieblichen Nutzung in Betracht. Die Feststellungslast für eine mehr als unerhebliche außerbetriebliche Nutzung trägt insoweit die Finanzbehörde.
3. Im Streitfall hat das FG festgestellt, dass der Raum im Untergeschoss des Wohnhauses der Kläger als Notfallpraxis eingerichtet war. Er war auch durch einen besonderen Eingang für Patienten leicht zugänglich. Damit fehlt es an den Voraussetzungen eines häuslichen Arbeitszimmers i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG und das dort normierte Abzugsverbot greift nicht ein. Inwieweit die sog. Patiententoilette Bestandteil der Notfallpraxis war, lässt sich dem FG-Urteil nicht entnehmen. Der erforderliche enge Zusammenhang könnte jedenfalls nur dann bestehen, wenn die Toilette unmittelbar vom Behandlungsraum aus zugänglich war.
Aufgrund seiner abweichenden Auffassung hatte das FG zudem keine Veranlassung, Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob und ggf. in welchem Umfang die zur Notfallpraxis gehörenden Räumlichkeiten auch zu außerbetrieblichen Zwecken genutzt worden sind. Das FG erhält Gelegenheit, die erforderlichen Feststellungen zu dieser nach der Rechtsauffassung des erkennenden Senats entscheidungserheblichen Frage nachzuholen.