15.05.2013
Finanzgericht Münster: Urteil vom 20.02.2013 – 7 K 2814/11 E
Die in § 10 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 2 EStG normierte Minderung des Sonderausgabenabzugs für Zuschüsse des Arbeitgebers zur privaten
Krankenversicherung, die nicht auf die Basisversorgung entfallen, ist verfassungsgemäß und erfolgt zu Recht.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 7. Senat in der Besetzung: Vizepräsident des Finanzgerichts … Richterin am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht
… ehrenamtlicher Richter … ehrenamtlicher Richter … ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 20.02.2013 für Recht erkannt:
Tatbestand
Streitig ist die Minderung des Sonderausgabenabzugs für die private Krankenversicherung eines Arbeitnehmers um die Arbeitgeberzuschüsse,
soweit diese anteilig nicht auf die Basisversorgung entfallen.
Der Kläger erzielte im Kalenderjahr 2010 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 60.041,00 EUR. Er war privat
krankenversichert und erhielt von seinem Arbeitgeber einen nach § 3 Nr. 62 Einkommensteuergesetz (EStG) steuerbefreiten Zuschuss
(Arbeitgeberanteil) in Höhe von 3.138,34 EUR zur Kranken- und Pflegeversicherung. Bei der Berechnung der abzugsfähigen Vorsorgeaufwendungen
berücksichtigte der Beklagte diesen Betrag in vollem Umfang als Kürzungsbeitrag. Der dagegen eingelegte Einspruch wurde als
unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage.
Der Kläger ist der Auffassung, dass die Vorschrift des § 10 Abs. 2 Nr. 1, 2. Halbsatz EStG gegen das subjektive Nettoprinzip
verstoße und zu einer Ungleichbehandlung gegenüber Arbeitnehmern führe, die freiwillig gesetzlich krankenversichert seien.
Seit der Änderung des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG durch das „Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung” würden die Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträge unbeschränkt als Sonderausgaben abgezogen werden, soweit sie auf Beitragsanteile entfielen, die
nach Art, Umfang und der Höhe den Leistungen nach dem 3. Kapital des SGB V vergleichbar seien, also der Basisversorgung dienten.
Die Beitragsanteile für darüber hinausgehende Leistungen (Wahlleistungen) seien gem. § 10 Abs. 1 Nr. 3 a EStG auf den Höchstbetrag
von 1.900,00 EUR bzw. 3.800,00 EUR bei Ehegatten gem. § 10 Abs. 4 EStG beschränkt. Die Beiträge für Wahlleistungen wirkten
sich steuerlich nur aus, wenn die Beiträge für die Basisversorgung unter dem jeweiligen Höchstbetrag lägen.
Im Rahmen des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG seien somit sämtliche Beitragsanteile, die ein freiwillig gesetzlich bzw. privat Kranken-
und Pflegeversicherter abzüglich der Beitragsanteile für einen Krankengeldanspruch für seine Basisversorgung aufwende, unbeschränkt
als Sonderausgaben abziehbar. Sonderausgaben seien aber gem. § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht abziehbar, soweit sie in
unmittelbarem Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stünden. Der Arbeitgeber eines Arbeitnehmers mit Arbeitslohn über der
Jahresentgeltgrenze sei gem. § 257 SGB V verpflichtet, einen Zuschuss zu den Krankenversicherungsbeiträgen zu leisten. Ein
freiwillig gesetzlich Krankenversicherter erhalte von seinem Arbeitgeber gem. § 257 Abs. 1 SGB V einen Zuschuss in Höhe des
Betrags, den der Arbeitgeber als Arbeitgeberanteil zu bezahlen hätte, wenn der Arbeitnehmer gesetzlich pflichtkrankenversichert
wäre.
Ein privat Krankenversicherter hingegen erhalte gem. § 257 Abs. 2 Satz 2 SGB V grundsätzlich ebenfalls einen Zuschuss in Höhe
des Betrages, den der Arbeitgeber als Arbeitgeberanteil zu bezahlen hätte, wenn der Arbeitnehmer gesetzlich pflichtkrankenversichert
wäre. Der Zuschuss sei aber gem. § 257 Abs. 2 Satz 3 SGB V auf die Hälfte des Betrages beschränkt, den der privat Krankenversicherte
tatsächlich zu leisten habe. Für die Pflegeversicherung gelte gem. § 61 Abs. 1 bzw. Abs. 2 SGB VI eine entsprechende Regelung.
Diese Arbeitgeberzuschüsse stellten als Zukunftssicherungsleistungen gem. § 3 Nr. 62 EStG steuerfreie Einnahmen dar. Ein Zusammenhang
mit steuerfreien Einnahmen sei gegeben, der Sonderausgabenabzug sei daher gem. § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG zu begrenzen.
Die Beschränkung der Höhe des Arbeitgeberzuschusses für privat krankenversicherte Arbeitnehmer auf die Hälfte des tatsächlich
bezahlten Krankenversicherungsbeitrags führe im Streitfall dazu, dass der Arbeitgeber einen Zuschuss auf Beitragsanteile zu
gewähren habe, die über die Leistungen der Basisversorgung hinausgingen. Der tatsächlich zu bezahlende Krankenversicherungsbeitrag
des Klägers sei niedriger als der Beitrag, der in die gesetzliche Krankenversicherung zu zahlen wäre. Der Gleichheitsgrundsatz
des Grundgesetzes verlange, dass sämtliche Arbeitnehmer unabhängig von ihrem Versorgungsniveau gleichzubehandeln seien. Demnach
müssten auch für die Anwendung des § 10 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Nr. 1 EStG die gleichen Grundsätze gelten. Dieses gesetzgeberische
Ziel werde aber durch
§ 10 Abs. 2 Nr. 1 2. Halbsatz EStG gerade nicht erfüllt. Durch die typisierende Zuordnung sämtlicher Zuschüsse zur Kranken-
und Pflegeversicherung trete eine Ungleichbehandlung bei privat Krankenversicherten ein, da deren unbeschränkt abziehbaren
Vorsorgeaufwendungen verhältnismäßig mehr gemindert würden als bei einem freiwillig gesetzlich Versicherten. Die Unterschiede
zwischen den beiden Beitrags- und Leistungssystemen (gesetzlich krankenversichert/privat krankenversichert) rechtfertigten
aber nicht jede einkommensteuerrechtliche Ungleichbehandlung. Wegen der zahlreichen unterschiedlichen Variablen in beiden
Versorgungssystemen, nach welchem Vor- und Nachteile auf die Vielzahl der Versicherten verteilt würden, könne aber vom Gesetzgeber
kein exaktes Nachzeichnen der unterschiedlichen Wirkung verlangt werden. Der Gesetzgeber dürfe die unterschiedlichen Minderungen
der subjektiven Leistungsfähigkeit durch die Beiträge der Arbeitnehmer nicht willkürlich ignorieren (Hinweis auf Bundesverfassungsgericht
Beschluss vom 13.02.2008 – 2 Bvl 1/06, BVGE 120, 125 Ziffer 7 1998). Bei Anwendung des § 10 Abs. 2 Nr. 1 2. Halbsatz EStG
finde aber genau eben eine solche willkürliche Ungleichbehandlung statt. Es müsse daher beim privat Krankenversicherten eine
Aufteilung der Arbeitgeberzuschüsse zur Krankenversicherung auf Beiträge, die für die Basisversorgung und auf Beiträge die
für Wahlleistungen aufgewandt würden, vorgenommen werden. Der Arbeitgeberzuschuss mindere daher die Vorsorgeaufwendungen des
§ 10 Abs. 1 Nr. 3
und Nr. 3 a EStG, nicht alleine die unbeschränkt als Sonderausgaben abziehbaren Vorsorgeaufwendungen. Da aber auch bei einer
Aufteilung der Arbeitgeberzuschüsse die Gleichbehandlung mit einem freiwillig gesetzlich Krankenversicherten beachtet werden
müsse, sei es erforderlich, eine Obergrenze zu bedenken: Wende der Privatversicherte für seine Basisversorgung betragsmäßig
soviel auf, wie der freiwillig gesetzlich Versicherte, sei auch bei einem privat Krankenversicherten eine Zuordnung des Arbeitgeberzuschusses
auf die Beiträge für die Basisversorgung gerechtfertigt. Es ergebe sich somit eine progressive Zuordnung des Arbeitgeberzuschusses
zu den unbeschränkt als Sonderausgaben abziehbaren Vorsorgeaufwendungen. Eine sachgerechte Zuordnung habe durch eine fiktive
Berechnung des Arbeitgeberzuschusses – alleine bezogen auf die Versicherungsbeiträge für die private Krankenversicherung –
zu erfolgen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Klägervorbringens wird auf seine ausführliche Klagebegründung vom 29.08.2011 nebst Anlage
Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 10.06.2011 sowie unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 22.07.2011
die Summe der abzugsfähigen Sonderausgaben um 164,00 EUR zu erhöhen und das zu versteuernde Einkommen anstatt mit 51.679,00
EUR nur mit 51.515,00 EUR anzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er nimmt Bezug auf die Gründe seiner Einspruchsentscheidung und weist ergänzend wegen der Begründung zum „Bürgerentlastungsgesetz
Krankenversicherung” auf die Bundestagsdrucksache (BT 16/13429, Seite 44) hin. Danach sei eine Aufteilung des steuerfreien
Zuschusses für eine private Basiskranken- und Pflegepflichtversicherung auf einen auf die Basisabsicherung und einen auf Wahlleistungen
entfallenden Teil nicht möglich.
Der Senat entscheidet gem. § 94 a Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Beklagte hat die streitigen Arbeitgeberbeiträge zu Recht in vollem Umfang bei der Berechnung der abzugsfähigen Krankenversicherungsbeiträge
mindernd berücksichtigt. Die gesetzliche Regelung ist zweckmäßig und nicht verfassungswidrig. Die Grenzen der Typisierungskompetenz
sind vom Gesetzgeber eingehalten worden.
Wegen der Einzelheiten – insbesondere zur Begründung der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift – wird zur Vermeidung von Wiederholungen
auf die Urteile des Finanzgerichts Hamburg vom 21.09.2012, 3 K 144/11 (rechtskräftig), veröffentlicht in EFG 2013, 26 ff.,
Entscheidung Nr. 8 sowie Finanzgericht Nürnberg vom 16.01.2013 3 K 974/11, Juris, Bezug genommen, denen der Senat folgt.
Darüber hinaus weist der Senat noch auf Folgendes hin:
Die vom Kläger begehrte Aufteilung der Arbeitgeberzuschüsse und die Berechnung des sich daraus zusätzlich ergebenden Sonderausgabenabzugs
wäre gegenüber der bestehenden gesetzlichen Regelung aufwändig und fehleranfällig. Sie würde bei dem Kläger das zu versteuernde
Einkommen um 164 EUR mindern. Die festzusetzende Einkommensteuer würde sich damit nur unwesentlich verringern. Dies ist auch
folgerichtig und zu erwarten, denn wegen Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze haben privat Versicherte typischerweise
ein höheres Einkommen, so dass die durch die Vereinfachung bewirkte Änderung des steuerpflichtigen Einkommens im Verhältnis
dazu relativ gering bleiben wird.
Die Fälle privatversicherter Arbeitnehmer und die sich aus § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2. Halbsatz EStG für diese Fälle ergebende
Beschränkung des Abzugs von Vorsorgeaufwendungen unterscheiden sich daher nach Art und Dimension grundlegend von dem Fall,
der der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und dessen Ausspruch der Verfassungswidrigkeit zugrunde gelegen hat; dort
ging es um ein Ehepaar mit sechs Kindern, der Ehemann war selbständig, die Ehefrau nicht berufstätig, das Paar musste für
sich und seine Kinder 36.032 DM (18.422 EUR) Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung aufwenden, von den insgesamt
geltend gemachten rund 66.000 DM (rund 33.700 EUR) Vorsorgeaufwendungen konnte das Paar nur 19.830 DM (10.139 EUR) abziehen.
Für diesen Fall hatte das Bundesverfassungsgericht die Grenzen der Typisierungskompetenz des Gesetzgebers als überschritten
angesehen (substantielle Einbußen beim Existenzminimum). Im vorliegenden Fall jedoch sind diese Grenzen bei Anwendung der
vom Gesetzgeber favorisierten pauschalen Lösung nach Auffassung des Senats aus den o.g. Gründen noch eingehalten (vgl. dazu
ebenso Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach EStG § 10 Rz. 305: durch Vereinfachungsgesichtspunkte gerechtfertigt; ohne Bedenken
auch Risthaus DStZ 2009, 669, 667).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen. Nach Auffassung des Senats
ist die Rechtslage eindeutig.