31.05.2013
Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 14.03.2013 – 5 K 9/11
- Umsätze aus der Kryokonservierung von Eizellen nach erfolgreicher erster Schwangerschaft fallen unter die Befreiungsvorschrift
des § 4 Nr. 14 UStG.
- Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin müssen zwar therapeutischen Zwecken dienen, doch folgt daraus nicht zwangsläufig,
dass die therapeutische Zweckbestimmtheit einer Leistung in einem besonders engen Sinne zu verstehen ist.
Tatbestand
Streitig ist die umsatzsteuerliche Behandlung der Erlöse aus der Kryokonservierung von befruchteten Eizellen.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Die Mitglieder der GbR betreiben eine Arztpraxis für Reproduktionsmedizin,
in der die komplette Diagnostik und Therapie von Paaren mit Kinderwunsch stattfindet.
Die Praxis führt künstliche Befruchtungen durch. Dazu werden zunächst der Patientin -oftmals nach vorheriger Hormonbehandlung
- Eizellen entnommen. Diese Eizellen (regelmäßig nicht mehr als fünf) werden befruchtet und anschließend in der Praxis kryokonserviert.
Die Klägerin führt die Kryokonservierung nur für eigene Patienten mit der Diagnose „Unfruchtbarkeit” durch.
Die Kosten für die Kryokonservierung einschließlich der damit zusammenhängenden ärztlichen Leistungen werden den Patienten
bis zur erfolgreichen erstmaligen Schwangerschaft über die Abrechnungsstelle PADline in Rechnung gestellt.
Die anschließende jährliche Verlängerung der Kryokonservierung wird direkt über die Praxis (Klägerin) abgerechnet.
Im Rahmen einer Außenprüfung für die Streitjahr 2004 bis 2007 ermittelte die Prüferin folgende Erlöse (brutto) aus der jährlichen
Verlängerung der Kryokonservierung:
2004 | 11.420,78 EUR | |
2005 | 14.082,23 EUR | |
2006 | 13.454,64 EUR | |
2007 | 16.101,74 EUR |
Nach Rücksprache mit der Oberfinanzdirektion (OFD) Hannover nahm die Prüferin folgende Unterscheidung hinsichtlich der Kryokonservierung
vor (siehe Tz. 18 des BP-Berichts vom 29.03.2010):
„Soweit die Konservierung im Zusammenhang mit einer konkreten Fruchtbarkeitsbehandlung dazu dient, überzählige Eizellen aufzubewahren
und in einem späteren Zyklus einzusetzen, kann sie Teil einer steuerfreien Heilbehandlung sein. Diese Heilbehandlung endet
mit dem eingetretenen Erfolg, d.h. mit der Schwangerschaft.
Bei den Beträgen aus der erstmaligen Konservierung (Abrechnung über PADline) ist davon auszugehen, dass diese der Heilbehandlung
dienen, da zum Zeitpunkt der Aufbereitung/des Einfrierens eine Aussage über den Erfolg der Heilbehandlung nicht getroffen
werden kann und daher davon auszugehen ist, dass diese noch nicht abgeschlossen ist. Die zur Konservierung durchgeführten
vorbereitenden Maßnahmen (Analogziffern GOÄ 4655 und 4013) teilen dabei das Schicksal der Hauptleistung. Sofern die Konservierung
daher innerhalb einer Behandlung erfolgt und nicht dazu dient, eine weitere Behandlung durchzuführen („zweite Schwangerschaft”)
ist diese umsatzsteuerfrei.
Bei den oben aufgeführten Beträgen für die Verlängerung der Lagerung (Abrechnung durch die Praxis) ist davon auszugehen, dass
es sich insgesamt um eine umsatzsteuerpflichtige Leistung handelt, da sich der Zeitraum einer Heilbehandlung nicht über ein
Jahr hinauszögert.”
Der Beklagte erließ aufgrund der genannten Feststellungen der Außenprüfung geänderte Umsatzsteuerbescheide, in denen er die
Umsätze aus der Verlängerung der Lagerung den umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen zuordnete. Im Gegenzug gewährte er anteilige
Vorsteuern aus der Kryokonservierung (siehe Tz 21 i. V. m. Anlage 4 des BP-Berichts vom 29. März 2010).
Hiergegen wendet sich die Klägerin nach erfolglosem Einspruch mit ihrer Klage. Sie trägt vor, nach der europäischen Mehrwertsteuerrichtlinie
und den sie konkretisierenden Regelungen des deutschen Umsatzsteuerrechts seien ärztliche Leistungen steuerfrei, wenn sie
zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden beim Menschen erbracht würden. Auch bei
Leistungen zur vorbeugenden Gesundheitspflege gelte die Umsatzsteuerbefreiung. Danach sei alles, was der Prävention, der Diagnose,
der Heilung oder der Linderung diene, umsatzsteuerfrei.
Entscheidend sei, dass mit der Behandlung ein konkretes medizinisch-therapeutisches Ziel verfolgt werde. Bei der Kryokonservierung
im Rahmen der Reproduktionsmedizin – also dem Einfrieren und der Lagerung von Eizellen – liege ein konkretes therapeutisches
Ziel vor, da die Schwangerschaft dem Bereich der Heilbehandlung zuzuordnen sei.
Wenn der BFH (XI R 83/07 – Einlegen von empfängnisverhütenden Spiralen) die Verhinderung einer ungewollten Schwangerschaft
zum ärztlichen Kernbereich gynäkologischer Tätigkeit zähle, könne für den spiegelbildlichen Fall, nämlich der Herbeiführung
einer gewollten Schwangerschaft, nicht anderes gelten.
In diesem Zusammenhang seien auch die Regelungen im Embryonenschutzgesetz zu berücksichtigen, wonach jeglicher Umgang mit
kryokonservierten Eizellen unter dem absoluten und unbedingten Arztvorbehalt stehe.
Schließlich wendet sich die Klägerin gegen die Differenzierung hinsichtlich des Lagerzeitraums. So sei nicht nachzuvollziehen,
warum der Beklagte einen Zeitraum vor erfolgreicher Behandlung und nach erfolgreicher Behandlung unterscheide. Unscharf sei
auch, was der Beklagte unter einem „Erfolg” verstehe, nach dessen Eintritt eine Konservierung lediglich auf „Vorrat” erfolge.
Nach Auffassung der Klägerin bleibt die Aufbewahrung von Eizellen insbesondere dort eine Heilbehandlung, wo ein fortpflanzungswilliges
Paar ein zweites Kind wünsche und hierfür die Hilfe der ärztlichen Kunst aus denselben Gründen benötige wie bereits bei der
ersten Schwangerschaft.
Aus ärztlicher Sicht sei auch zu berücksichtigen, dass es sich bei Maßnahmen zur Gewinnung weiblicher Eizellen um einen Eingriff
in die körperliche Unversehrtheit der Patientin handelt, der – wie jeder andere Eingriff auch – mit Risiken verbunden sei.
Daher solle die Wiederholung eines solchen Eingriffs dort unterbleiben, wo sie unterbleiben könne, hier nämlich durch Konservierung
von Eizellen, die durch einen durchgeführten und abgeschlossenen Eingriff bereits gewonnen werden konnten.
Rechtzeitig vor Ablauf des jeweils auf ein Jahr befristeten Vertrages über die Verwahrung der Eizellen stimme sich die Klägerin
mit der Eizellen-Spenderin über die Frage einer möglichen Fortsetzung der Lagerdauer ab. Dies erfolge jeweils in standardisierter
Form (vgl. den Lagervertrag und das mit Schriftsatz der Klägerin vom 13. März 2013 vorgelegte ärztliche Anschreiben).
In der mündlichen Verhandlung nahm die Klägerin Bezug auf die Entscheidung des BFH vom 16. Dezember 2010 (VI R 43/10, BStBl
2011, 414 – Aufwendungen für heterologe künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastung) und führte aus, dass sich die
dortigen Ausführungen zu „Krankheit”, „Krankheitsfolge” und „Linderung” kongruent in das System der umsatzsteuerlichen Begrifflichkeiten
einfügen ließen.
So sei ein unerfüllter Kinderwunsch nicht Krankheit, sondern Krankheitsfolge eines regelwidrigen Körperzustands, nämlich der
organisch bedingten Sterilität mindestens einer der beiden fortpflanzungswilligen Partner. Insofern sei es unbeachtlich, ob
sich der Kinderwunsch auf ein erstes oder auf ein zweites Kind beziehe. Der krankheitsbedingt unerfüllte Kinderwunsch bleibe
stets die Krankheitsfolge der organisch bedingten Sterilität eines Partners, die wiederum begrifflich ohne zeitliche Unterbrechung
als Krankheit einzuordnen bleibe und als solche über die erfolgreiche ärztliche Herbeiführung einer ersten Schwangerschaft
ohne zeitliche Unterbrechung hinaus andauere. Die Kryokonservierung diene in diesem Zusammenhang der Linderung einer Krankheit,
da die Lagerung im Vergleich zu einer erneuten „Gewinnung” von Eizellen das mildere und damit verhältnismäßige Mittel sei.
Die Klägerin beantragt,
die geänderten Umsatzsteuerbescheide vom 14. April 2010 für die Jahre 2004 bis 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 10. Dezember 2010 dahingehend zu ändern, dass sämtliche Erlöse aus der Kryokonservierung von der Umsatzsteuer befreit
werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, die Umsätze aus der Kryokonservierung seien zutreffend nur zum Teil als umsatzsteuerfrei gemäß § 4 Nr. 14 UStG
berücksichtigt worden.
Nach dieser Vorschrift seien u. a. die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast),
Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit steuerfrei.
§ 14 Nr. 14 UStG sei richtlinienkonform auszulegen. Unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH seien Heilbehandlungen i.
S. d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL Tätigkeiten, die zum Zweck der Vorbeugung, Diagnose, Behandlung und, soweit möglich
der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen bei Menschen vorgenommen würden. Heilberufliche Tätigkeiten seien daher
nur steuerfrei, wenn bei der Tätigkeit ein therapeutisches Ziel im Vordergrund stehe.
Soweit die Kryokonservierung dem Herbeiführen einer Schwangerschaft diene, werde mit der Behandlung unstreitig ein konkretes
medizinisch-therapeutisches Ziel verfolgt.
Daraus könne aber nicht abgeleitet werden, dass die Aufbereitung und Konservierung von Eizellen nach erfolgter Behandlung
auf Vorrat eine medizinisch-therapeutische Präventivmaßnahme sei. In diesem Sinne habe auch der EuGH in dem Urteil vom 10.
Juni 2010 (C-86/09) ausgeführt, dass die Kryokonservierung von lebenden Teilen eines menschlichen Körpers (Nabelschnurblut)
als solche nicht als prophylaktische Heilbehandlung anzusehen sei.
Der Klägerin könne nicht darin gefolgt werden, dass eine Leistung, die Ärzten vorbehalten sei, immer eine steuerfreie Heilbehandlung
sei (vgl. Rechtsprechung des BFH zu Schönheitsoperationen).
Der Hinweis, dass eine Kryokonservierung auch nach erfolgreicher Behandlung (Schwangerschaft) steuerfrei sein müsse, weil
nur dadurch ein späterer nochmaliger Eingriff in die Unversehrtheit der Patientin vermieden werden könne, überzeuge nicht.
War die Kinderwunschbehandlung erfolgreich, sei vollkommen ungewiss, ob die weiteren Eizellen noch benötigt würden. Die Konservierungsleistungen
stünden daher – bis zu einer ggf. erneuten Fruchtbarkeitsbehandlung – in keinem Zusammenhang mit der Verhinderung einer Krankheit
bzw. einer therapeutischen Maßnahme.
Gründe
Die Klage ist begründet.
1. Auch die hier streitigen Umsätze aus der Kryokonservierung nach erfolgreicher erster Schwangerschaft unterfallen der Befreiungsvorschrift
des § 4 Nr. 14 UStG.
Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung des UStG sind „die Umsätze aus der Tätigkeit als
Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast), Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit”
steuerfrei.
Diese Vorschrift beruht gemeinschaftsrechtlich auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.
Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG, wonach „Heilbehandlungen
im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und
arztähnlichen Berufe erbracht werden”, steuerfrei sind.
a) Was insbesondere die Befreiung nach Art. 13 Teil A Buchst. c der Sechsten Richtlinie betrifft, geht aus der Rechtsprechung
hervor, dass der Begriff der „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin” Leistungen erfasst, die zur Diagnose, Behandlung
und, so weit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen (EuGH-Urteil vom 18. November 2010 C-156/09
- Verigen Transplantation Service International AG, UR 2011, 215, Randnr. 24 unter Bezugnahme auf das Urteil vom 10. Juni
2010 C-262/08 – Copy Gene, UR 2010, 526 Randnr. 28). Zwar müssen die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin einem therapeutischen
Zweck dienen, doch folge daraus nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zweckbestimmtheit einer Leistung in einem besonders
engen Sinne zu verstehen sei (EuGH-Urteil Copy Gene, Randnr. 29).
Dementsprechend hat der EuGH in der Rechtssache „Verigen Transplantation Service International AG” entschieden, dass das Verfahren
der Entnahme von Knorpelmaterial, um daraus Gelenkknorpelzellen herauszulösen, die vermehrt werden, um sie dem Patienten wieder
zu implantieren, insgesamt therapeutischen Zwecken diene und damit unter den Begriff der „Heilbehandlungen im Bereich der
Humanmedizin” im Sinne von Art. 13 Teil A Buchst. c der Sechsten Richtlinie falle. Eine solche Auslegung stehe im Übrigen
im Einklang mit dem Zweck dieser Bestimmung, die Kosten ärztlicher Heilbehandlungen zu senken (EuGH-Urteil vom 18. November
2010 C-156/09 - Verigen Transplantation Service International AG, UR 2011, 215, Randnr. 27 unter Bezugnahme auf das Urteil
vom 8. Juni 2006, L.u.P., C-106/05, Slg. 2006, I-5123, Randnr. 29).
b) Der Senat ist der Auffassung, dass für die von der Klägerin durchgeführte Kryokonservierung der befruchteten Eizellen im
Rahmen der von ihr durchgeführten Reproduktionsmedizin im Ergebnis nichts anderes gelten kann.
Verträge über die Kryokonservierung schließt die Klägerin nur ab, wenn bei einem der beiden fortpflanzungswilligen Partner
eine organisch bedingte Sterilität vorliegt. Die organisch bedingte Sterilität ist die Krankheit, die von der Klägerin behandelt
wird. Der unerfüllte Kinderwunsch ist die Krankheitsfolge. Diese Krankheitsfolge kann durch die erfolgreiche ärztliche Herbeiführung
einer ersten Schwangerschaft gelindert werden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die organisch bedingte Sterilität als
Krankheit ohne zeitliche Unterbrechung hinaus fortdauert.
Die über den Zeitpunkt der erstmaligen Schwangerschaft hinausgehende Lagerung der Eizellen dient der Herbeiführung einer weiteren
Schwangerschaft und damit weiterhin therapeutischen Zwecken.
Dabei ist die Kryokonservierung der bereits einmal gewonnenen Eizellen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit das
mildeste Mittel im Vergleich mit dem Aufwand und den Risiken, die mit der erneuten Entnahme von Eizellen verbunden wären.
Die Kryokonservierung dient somit der Linderung der organisch bedingten Sterilität. Ärztliches Handeln mit dem Ziel der Linderung
einer Krankheit, also mit dem Ziel, die Belastungen des Patienten durch die Krankheit so weit wie möglich abzuschwächen, stellt
eine „Heilbehandlung” im Sinne von Art. 13 Teil A Buchst. c der Sechsten Richtlinie dar.
c) Diese Wertung steht auch nicht im Widerspruch zu den Rechtssachen C-262/08 (Copy Gene) und C-86/09 (Future Health Technologies
Ltd). In den Entscheidungen des EuGH vom selben Tag (Urteile vom 10. Juni 2010, UR 2010, 526 und 540) hatte dieser über die
Lagerung der aus dem Nabelschnurblut gewonnenen kryokonservierten Stammzellen zum Zweck einer etwaigen künftigen therapeutischen
Verwendung zu entscheiden.
Dabei führte der EuGH aus, dass der ein Haupt- und Nebenleistungsverhältnis begründende hinreichend enge Zusammenhang zwischen
einer ärztlichen Heilbehandlung und einer zeitlich vorgelagerten Dienstleistung nur bei Eintritt der beiden folgenden Bedingungen
anzunehmen sei: erstens müsse eine Verwendung von Nabelschnurblutzellen zur Behandlung oder Verhütung einer bestimmten Krankheit
nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft möglich und geboten sein und zweitens müsse diese Krankheit in einem bestimmten
Fall auftreten oder aufzutreten drohen (EuGH-Urteil vom 10. Juni 2010 C-262/08 - Copy Gene, UR 2010, 526, Randnr. 48; Urteil
vom 10. Juni 2010 C-86/09 - Future Health Technologies Ltd., UR 2010, 540, Randnr. 49).
Diese Voraussetzungen sah der EuGH bei der Lagerung der kryokonservierten embryonalen Stammzellen nicht als gegeben an, weil
eine ärztliche Heilbehandlung des Neugeborenen unter Verwendung der gewonnenen Stammzellen weder stattgefunden noch begonnen
habe oder geplant sei (EuGH-Urteile CopyGene, Randnr. 50 und Future Health Technologies Ltd., Randnr. 51).
Anders ist es jedoch im vorliegenden Streitfall. Hier besteht der vom EuGH geforderte enge Zusammenhang zwischen der zeitlich
vorgelagerten Dienstleistung (Lagerung der befruchteten Eizellen) und der ärztlichen Heilbehandlung (Implantierung derselben
zum Zweck einer erneuten Schwangerschaft).
Dabei ist zunächst festzuhalten, dass selbst eine möglicherweise erhebliche Zeitspanne zwischen der Entnahme der kryokonservierten
Eizellen und deren anschließender Verwendung im Rahmen einer ärztlichen Heilbehandlung nicht dazu führt, die Steuerbefreiung
der Lagerung zu versagen (vgl. EuGH-Urteil Copy Gene, Randnr. 45).
Unabhängig davon hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass die kryokonservierten Eizellen regelmäßig
bereits innerhalb eines Zeitraums von ein bis fünf Jahren nach erfolgreicher erster Schwangerschaft verwendet werden, um eine
weitere Schwangerschaft herbeizuführen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Klägerin vor Ablauf
der jeweils einjährigen Laufzeit der Verwahrungsverträge durch Rücksprache mit den Patienten stets vergewissert, ob die kryokonservierten
Eizellen weiterhin für Schwangerschaftszwecke gelagert und verwendet werden sollen.
Entscheidend ist letztlich, dass die Verwendung der kryokonservierten Eizellen zur Herbeiführung einer (weiteren) künstlichen
Befruchtung nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft (Reproduktionstechnik) möglich und geboten ist und dadurch die mindestens
bei einem der fortpflanzungswilligen Partner vorhandene Krankheit der organischen Sterilität gelindert werden kann.
2. Die Steuerbefreiung sämtlicher Erlöse aus der Kryokonservierung hat zur Folge, dass die vom Beklagten anteilig gewährte
Vorsteuer aus den Lagerungskosten rückgängig zu machen war. Insgesamt war die Umsatzsteuer daher in den Streitjahren wie folgt
herabzusetzen:
2004 | 2005 | 2006 | 2007 | |
bislang festgesetzte USt | 20.202,43 € | 5.307,72 € | 8.153,85 € | 9.100,95 € |
Kryokonservierung (Bruttobetrag) | 11.420,78 € | 14.081,23 € | 13.454,64 € | 16.107,74 € |
Enthaltene USt 16/116 bis 2006 19/119 ab 2007 | 1.575,28 € | 1.942,24 € | 1.855,81€ | 2.571,82 € |
Vorsteuern (Tz. 21 und Anlage 4 zum BP-Bericht) | 318,69 € | 452,44 € | 522,82 € | 648,09 € |
neu festgesetzte USt | 20.202,42 € ./. 1.575,28 € + 318,69 € = 18.945,83 € | 5.307,72 € ./. 1.942,24 € + 452,44 € = 3.817,92 € | 8.153,85 € ./. 1.855,81 € + 522,82 € = 6.820,86 € | 9.100,95 € ./. 2.571,82 € + 648,09 € = 7.177,22 € |
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs.1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 1
und 3, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.