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  • 20.06.2013

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 13.12.2011 – 15 K 4458/08 U

    1. Zu den Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gehören auch Leistungen, die zum Zweck der Vorbeugung erbracht werden,
    sowie Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht
    werden. Nach Auffassung des Senats hat der Stpfl. mit den gegenüber Krankenhäusern und Alten-/Pflegeheimen erbrachten Leistungen
    Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin durch arztähnliche Leistungen erbracht. Die Tätigkeit eines Fachkrankenpflegers
    für Krankenhaushygiene ist eine ähnliche heilberufliche Tätigkeit i.S.d. § 4 Nr. 14 UStG.


    2. Für die Steuerfreiheit kommt es nicht auf die Person des Leistungsempfängers an, da sich die personenbezogene Voraussetzung
    der Steuerfreiheit auf den Leistenden bezieht, der Träger eines ärztlichen oder arztähnlichen Berufs sein muss.


    Im Namen des Volkes


    URTEIL

    In dem Rechtsstreit


    hat der 15. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht
    … ehrenamtlicher Richter … ehrenamtliche Richterin … ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 13.12.2011 für Recht erkannt:


    Tatbestand:

    Streitig ist, ob die gegenüber Krankenhäusern und Alten/Pflegeheimen erbrachten Umsätze des Klägers aus der Tätigkeit als
    Hygienefachkraft nach § 4 Nr. 14 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerfrei sind.


    Der Kläger ist Fachkrankenpfleger für Krankenhaushygiene. Er war zunächst als Hygienefachkraft in einem Krankenhaus unselbständig
    tätig. Seit dem 01.01.1995 ist er als Hygienefachkraft selbständig tätig. Der Kläger führt insbesondere für Krankenhäuser
    und Altenheime u.a. folgende Tätigkeiten aus: Erarbeitung von Hygienekonzepten, Erstellung von Hygieneplänen, Infektionsstatistiken
    und Mitwirkung bei der Einhaltung der Regeln der Krankenhaushygiene, Mitwirkung bei der Erkennung von Krankenhausinfektionen,
    allgemeine und bereichsspezifische Beratung, Schulung, Beratung, Fortbildung und fachliche Anleitung von Pflegekräften, Ärzten
    und sonstigem Personal, Hausbegehungen, Telefonische Auskünfte, Dokumentation/Berichtswesen (Mängelliste), Festlegung der
    Vorgehensweise bei einer Isolierung von Patienten.


    Mit Schreiben vom 1.10.1996 bestätigte der Beklagte dem Kläger, dass dieser als selbständig tätiger Hygienefachpfleger eine
    umsatzsteuerfreie Tätigkeit i.S.d. § 4 Nr. 14 UStG ausübe.


    Im Jahr 2006 führte der Beklagte bei dem Kläger eine Umsatzsteuer(USt)-Sonderprüfung (Sp) durch, wegen deren Einzelheiten
    auf den Bericht vom 12.06.2006 verwiesen wird. Unter Tz. 16 führte die Prüferin u.a. Folgendes aus:


    „Aufgrund der vorgelegten Ausgangsrechnungen und der Verträge mit Krankenhäusern übt der Kläger keine heilberufliche Tätigkeit
    im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG aus. Er führt mikrobiologische Untersuchungen (Sterilität) in Piercingstudios oder Küchen durch,
    bietet Altenheimen seine Leistungen an, in dem er Hygienepläne erstellt, Arbeitsabläufe analysiert, Schulungen für das Personal
    durchführt. Aufgrund vorgelegter Verträge ist ersichtlich, dass der Kläger für Krankenhäuser die Betreuung bezüglich der Krankenhaushygiene
    übernimmt. Hierzu gehört u.a. die beobachtende, beratende und analysierende Tätigkeit im Krankenhaus, die Mitwirkung bei der
    Einhaltung der Regeln der Krankenhaushygiene, Unterrichtung der Ärzte und des Pflegepersonals über Verdachtsfälle, Erstellung
    von Studien sowie die Schulung und Fortbildung des Personals. Bei einer Gesamtbetrachtung der beschriebenen Aufgaben ergibt
    sich, das der Kläger keine Behandlungen oder Versorgungen von Patienten vornimmt, sondern dass im Wesentlichen eine beratende,
    organisatorische und überwachende Tätigkeit gegenüber dem Träger einer Krankeneinrichtung oder anderen Unternehmern geschuldet
    und erbracht wird. Eine Steuerbefreiung scheidet deshalb nach Abschnitt 91 a der Umsatzsteuerrichtlinien aus.”


    Unter Tz. 17 widerrief der Beklagte zum 01.07.2006 die Auskunft vom 01.10.1996.

    Am 30.03.2008 gab der Kläger die USt-Voranmeldung für März 2008 ab. Darin erklärte er Umsätze i.H.v. 18.499,04 EUR, die sämtlich
    gegenüber Krankenhäusern und Altenheimen erbrachte Leistungen betrafen, als steuerfrei gemäß § 4 Nr. 14 UStG. Hierfür hatte
    der Kläger keine Rechnungen mit gesondert ausgewiesener USt erteilt. Des weiteren erklärte er steuerpflichtige Umsätze i.H.v.
    7.710,93 EUR zuzüglich 1.465,08 EUR USt.


    Mit Bescheid über die USt-Vorauszahlung für den Monat März 2008 vom 30.05.2008 unterwarf der Beklagte die vom Kläger als steuerfreie
    Umsätze erklärten Umsätze der USt, wobei er allerdings von Umsätzen i.H.v. 18.499,04 EUR zuzüglich 3.514,81 EUR ausging.


    Hiergegen wandte sich der Kläger mit Einspruch vom 12.06.2008. Zur Begründung führte er aus, dass er als Hygienefachkraft
    selbständig tätig sei. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteil vom 06.08.2006 XI R 64/05 entschieden, dass die Tätigkeiten
    einer Hygienefachkraft und die Tätigkeit eines Krankengymnasten einander ähnlich seien. In diesem Urteil sei es um die rechtliche
    Einordnung eines Hygiene-Fachkrankenpflegers gegangen. Der BFH habe hierzu festgesellt, dass ein Hygiene-Fachkrankenpfleger
    daran mitwirke, in Krankenhäusern die Hygiene durch Maßnahmen zur Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von Krankenhausinfektionen
    zu verbessern. Die Tätigkeit sei darauf gerichtet, den Heilerfolg sicherzustellen und damit für die Patienten ebenso bedeutsam
    wie die Tätigkeit eines Krankenpflegers. Auch aus der Weiterbildungs- und Prüfungsverordnung für Hygienefachkräfte ergebe
    sich, dass die Tätigkeiten darauf ausgerichtet seien, den Heilerfolg sicherzustellen.


    Mit Einspruchsentscheidung vom 27.10.2008 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er
    im Wesentlichen aus, dass keine unmittelbare Leistung an oder mit den Patienten vorliege. Vielmehr werde die Leistung an den
    Auftraggeber, z.B. Krankenhäuser und Altenheime erbracht und komme daher den Patienten nur mittelbar zu Gute. Der BFH versage
    die Steuerfreiheit für Supervisionsleistungen und Präventionsleistungen. Diese Grundsätze träfen auch für den vorliegenden
    Fall zu. Eine konkrete Heilbehandlung sei nicht Hauptziel der Tätigkeit des Klägers.


    Der Kläger hat am 28.11.2008 die vorliegende Klage erhoben.

    Am 18.03.2010 hat der Kläger die USt-Jahreserklärung für 2008 abgegeben. Darin hat er umsatzsteuerfreie Umsätze nach § 4 Nr.
    14 UStG i.H.v. 18.499,04 Euro erklärt. Mit USt-Bescheid 2008 vom 22.04.2010 hat der Beklagte die USt abweichend hiervon festgesetzt
    und die nach § 4 Nr. 14 UStG als steuerfrei erklärten Umsätze i.H.v. 18.499,04 EUR als umsatzsteuerpflichtige Umsätze berücksichtigt.
    Er ging hierbei von einer Bemessungsgrundlage von 18.499,04 EUR zuzüglich USt i.H.v. 3.514,81 EUR aus.


    Zur Begründung führt der Kläger im Wesentlichen Folgendes aus: Das Urteil des BFH zu Supervisionsleistungen sei auf den vorliegenden
    Fall nicht anwendbar. Das Robert Koch-Institut (RKI) sei die zuständige Bundesbehörde für die Früherkennung von Infektionsgefahren
    für den Menschen und die Koordinierung der in diesem Zusammenhang erforderlichen Maßnahmen. Ein Fachgebiet innerhalb des Instituts
    bilde die angewandte Infektions- und Krankenhaushygiene, der die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention
    zugeordnet sei. In Deutschland würden jährlich ca. 16 Millionen Menschen stationär behandelt. Diese Behandlungen seien mit
    einem je nach ihrer Art unterschiedlichen Infektionsrisiko verbunden. Im Zusammenhang mit Infektionen entstünden neben persönlichem
    Leid und zusätzlicher medizinischer Belhandlung erhebliche soziale Folgen und wirtschaftliche Kosten z.B. durch Verlängerung
    des Krankenhausaufenthalts. Das Infektionsrisiko bei der Betreuung alter und pflegebedürftiger Menschen werde maßgeblich von
    der Abwehrsituation und den erforderlichen pflegerischen, medizinischen und hygienischen Maßnahmen bestimmt. Die Bekämpfung
    übertragbarer Krankheiten im Rahmen der Heilbehandlung oder Pflege von Menschen durch Einrichtung einer Hygieneorganisation
    sei in § 36 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) u.a. für Krankenhäuser sowie Einrichtungen nach § 1 Abs. 1 des Heimgesetzes
    Pflicht geworden. Die Hygienefachkraft gewährleiste durch ihre Arbeit die Minimierung bzw. Aufdeckung von Infektionsrisiken/Infektionen
    im Rahmen der Diagnose, Pflege und Therapie von Krankheiten bzw. Gesundheitsstörungen bei einem Patienten. Die Einhaltung
    hygienetechnischer Maßnahmen sei untrennbar mit der Therapie selbst verbunden, sie sei Teil der Diagnose-, Therapie und Pflegehandlungen.
    Deutlich werde dies anhand der vom RKI entwickelten Richtlinien für Krankenhaushygiene und Infektionspräventionen in Heimen,
    die einen umfangreichen Maßnahmenkatalog im Rahmen der Behandlung/Betreuung von Patienten/Bewohnern enthielten. Die Sicherstellung
    der Hygienevorschriften beispielsweise durch regelmäßige Kontrolle bei Diagnose und Therapiehandlungen (Hausbegehung) komme
    unmittelbar dem Patienten zu Gute. Hauptleistung sei die Revision bzw. die Untersuchung des hygienebezogenen Ist-Zustands
    der Diagnose- und Therapieabläufe und damit Teil der klinischen Betreuung des Patienten. Es sei keine Leistung für die Klinik
    oder das Heim, sondern eine im Prozess der Diagnose/Therapie bzw. Betreuung fachlich unverzichtbare Leistung am und für den
    Patienten bzw. Bewohner. Dafür spreche auch die Tatsache, dass in § 6 KHHygV NRW die Anzahl der zu beschäftigenden Hygienefachkräfte
    nach einem Bettenschlüssel, d.h. patientenbezogen zu erfolgen habe. Ein Heim dürfe gem. § 11 Abs. 1 Nr. 9 Heimgesetz nur betrieben
    werden, wenn ein ausreichender Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner vor Infektionen gewährleistet sei und sichergestellt
    sei, dass von den Beschäftigten die für ihren Aufgabenbereich einschlägigen Anforderungen der Hygiene eingehalten würden.
    Der BFH habe in seiner Entscheidung vom 7.07.2005 V R 23/04 ausgeführt, dass Tätigkeiten nicht unter die Befreiung fielen,
    die nicht Teil eines konkreten, individuellen der Diagnose, Behandlung, Vorbeugung und Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen
    dienenden Leistungskonzepts seien. Seine Tätigkeiten würden aber gerade die vom BFH aufgestellten Kriterien erfüllen.


    Der Kläger beantragt sinngemäß,

    den Umsatzsteuerbescheid 2008 des Beklagten vom 22.04.2010 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um 3.514,81 EUR herabgesetzt
    wird.


    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er verweist zur Begründung auf die EE und trägt ergänzend vor, dass der Kläger mit seiner beruflichen Qualifikation grundsätzlich
    in der Lage sei, umsatzsteuerfreie Leistungen zu erbringen. Für die Beurteilung der Steuerbefreiung seien aber die tatsächlich
    erbrachten Leistungen maßgebend.


    Die Berichterstatterin hat am 7.10.2011 einen Erörterungstermin durchgeführt, wegen dessen Einzelheiten auf das darüber gefertigte
    Protokoll verwiesen wird.


    Die Beteiligten haben am 7.10.2011 auf mündliche Verhandlung verzichtet.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die vom Beklagten übersandten
    Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.


    Entscheidungsgründe:

    Das Gericht entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

    Die Klage ist zulässig und begründet. Der Umsatzsteuerbescheid 2008 des Beklagten vom 22.04.2010 ist rechtswidrig und verletzt
    den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO). Die vom Kläger gegenüber Krankenhäusern sowie Alten- und Pflegeheimen erbrachten
    streitigen Leistungen sind nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG umsatzsteuerfrei.


    Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 der in den Streitjahren geltenden Fassung des UStG sind „die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt,
    Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast), Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit und aus der Tätigkeit
    als klinischer Chemiker” steuerfrei. Diese Vorschrift beruht auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des
    Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie
    77/388/EWG), nunmehr Art. 132 Abs. I c) der Mehrwertsteuersystemrichtlinie, wonach „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin,
    die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht
    werden”, steuerfrei sind. § 4 Nr. 14 UStG ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH entsprechend Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst.
    c der Richtlinie 77/388/EWG auszulegen. Daher setzt die Steuerfreiheit voraus, dass der Unternehmer eine Heilbehandlung im
    Bereich der Humanmedizin durch ärztliche oder arztähnliche Leistungen erbringt und die dafür erforderliche Qualifikation besitzt
    (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 30.04.2009 V R 6/07, BFHE 225, 248, BStBl II 2009, 679, unter II.1.).


    Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin dienen der Diagnose, Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten
    oder Gesundheitsstörungen. Sie müssen einen therapeutischen Zweck haben. Zu den Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin
    gehören auch Leistungen, die zum Zweck der Vorbeugung erbracht werden, wie vorbeugende Untersuchungen und ärztliche Maßnahmen
    an Personen, die an keiner Krankheit oder Gesundheitsstörung leiden, sowie Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung
    oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden. Keine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin sind
    „ärztliche Leistungen”, „Maßnahmen” oder „medizinische Eingriffe”, die zu anderen Zwecken erfolgen (BFH-Urteil vom 30.04.2009
    VR 6/07, BFHE 225, 248, BStBl II 2009, 679, unter II.1.a, m.w.N. zur Rechtsprechung des EuGH).


    Nach Auffassung des Senats hat der Kläger mit den gegenüber Krankenhäusern und Alten/Pflegeheimen erbrachten Leistungen Heilbehandlungen
    im Bereich der Humanmedizin durch arztähnliche Leistungen erbracht.


    Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des BFH, der mit Urteil vom 18.08.2011 V R 27/10, BFH/NV 2011, 2214 entschieden
    hat, dass infektionshygienische Leistungen eines Arztes, die dieser für andere Ärzte und Krankenhäuser erbringt, damit diese
    ihre Heilbehandlungsleistungen ordnungsgemäß unter Beachtung der für sie nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von
    Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG) bestehenden Verpflichtungen erbringen, als Heilbehandlungsleistung nach § 4 Nr.
    14 UStG steuerfrei sind.


    Der Kläger ist zwar kein Arzt, sondern Fachkrankenpfleger für Krankenhaushygiene. Nach der Rechtsprechung des BFH, der der
    Senat folgt, ist die Tätigkeit eines Krankenpflegers/Fachkrankenpflegers für Krankenhaushygiene aber eine ähnliche heilberufliche
    Tätigkeit im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG (BFH-Urteil vom 28.06.2000 V R 72/99, BFHE 191, 463, BStBl II 200, 554 sowie zu § 18
    EStGBFH-Urteil vom 06.09.2006 XI R 64/05, BFHE 215,119, BStBl II 2007, 177).


    Nach Auffassung des Senats ist das o.g. Urteil des BFH vom 18.08.2011 V R 27/10 zudem nicht nur auf die vom Kläger gegenüber
    Krankenhäusern erbrachten Leistungen, sondern auch auf die gegenüber Alten- und Pflegeheimen erbrachten Leistungen anzuwenden.


    Der V. Senat des BFH hat in den Gründen Folgendes ausgeführt:

    „Zu den nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfreien Heilbehandlungsleistungen eines Arztes gehören auch infektionshygienische Leistungen,
    die sicherstellen sollen, dass Ärzte und Krankenhäuser die für sie bestehenden Verpflichtungen nach dem IfSG im jeweiligen
    Einzelfall erfüllen.


    aa) Das IfSG bezweckt nach § 1 Abs. 1, „… übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen
    und ihre Weiterverbreitung zu verhindern”. Ärzte und Krankenhäuser haben hieran entsprechend dem jeweiligen Stand der medizinischen
    und epidemiologischen Wissenschaft und Technik mitzuwirken.


    Infektion ist nach § 2 Nr. 2 IfSG „die Aufnahme eines Krankheitserregers und seine nachfolgende Entwicklung oder Vermehrung
    im menschlichen Organismus” und als no-sokomiale Infektion gemäß § 2 Nr. 8 IfSG „eine Infektion mit lokalen oder systemischen
    Infektionszeichen als Reaktion auf das Vorhandensein von Erregern oder ihrer Toxine, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer
    stationären oder einer ambulanten medizinischen Maßnahme steht, soweit die Infektion nicht bereits vorher bestand”.


    Krankenhäuser, Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, Einrichtungen für ambulantes Operieren, Dialyseeinrichtungen,
    Tageskliniken, Entbindungseinrichtungen haben nach § 36 Abs. 1 IfSG in Hygieneplänen innerbetriebliche Verfahrensweisen zur
    Infektionshygiene festzulegen und unterliegen der infektionshygienischen Überwachung durch das Gesundheitsamt. Zahnarztpraxen
    sowie Arztpraxen und Praxen sonstiger Heilberufe, in denen invasive Eingriffe vorgenommen werden, sowie sonstige Einrichtungen
    und Gewerbe, bei denen durch Tätigkeiten am Menschen durch Blut Krankheitserreger übertragen werden können, können nach §
    36 Abs. 2 IfSG durch das Gesundheitsamt infektionshygienisch überwacht werden.


    bb) Zu den „ärztlichen Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen
    Gesundheit erbracht werden” (EuGH-Urteile vom 20. November 2003 C-212/01, Unterpertinger, Slg. 2003, I-13859 Rdnrn. 42 f.;
    vom 20. November 2003 C-307/01, Peter D'Ambrumenil, Slg. 2003, I-13989 Rdnrn. 60 f.; vom 10. Juni 2010 C-262/08, CopyGene,
    Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2010, 526 Rdnr. 30) gehören auch ärztliche Leistungen, die sich unmittelbar auf die Art und Weise
    der ärztlichen Tätigkeit in einer Arztpraxis, einem Krankenhaus oder einer anderen Einrichtung ärztlicher Heilbehandlung beziehen
    und deren ordnungsgemäße Erbringung in infektionshygienischer Hinsicht sicherstellen sollen.


    Das FG beruft sich für seine Auffassung zu Unrecht auf die Entscheidungen des Senats zum Erfordernis, wonach die Tätigkeit
    im Rahmen eines hinreichend „konkreten, individuellen, der Diagnose, Behandlung, Vorbeugung und Heilung von Krankheiten oder
    Gesundheitsstörungen dienenden Leistungskonzeptes” erfolgen muss (BFH-Urteile vom 10. März 2005 V R 54/04, BFHE 210, 151,
    BStBl II 2005, 669, unter II.3., und vom 7. Juli 2005 V R 23/04, BFHE 211, 69, BStBl II 2005, 904, unter II.1.c). Dieses Kriterium
    dient der Abgrenzung zu Leistungen, die keinen unmittelbaren Krankheitsbezug haben, weil sie lediglich „den allgemeinen Gesundheitszustand
    verbessern und insbesondere einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen erbringen”
    sollen. Dementsprechend hat der EuGH mit Urteil vom 18. November 2010 C-156/09, Verigen (UR 2011, 215 Rdnrn. 26 ff.) entschieden,
    dass „das Herauslösen von Gelenkknorpelzellen aus dem einem Menschen entnommenen Knorpelmaterial und ihre anschließende Vermehrung
    zur Reimplantation aus therapeutischen Zwecken” als „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin” i.S. des Art. 13 Teil A
    Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG anzusehen ist, da diese Dienstleistungen „ein unerlässlicher, fester und untrennbarer
    Bestandteil” eines „Gesamtverfahrens” sind, „dessen einzelne Abschnitte sinnvollerweise nicht isoliert voneinander durchgeführt
    werden können”, wobei es für die Steuerfreiheit ohne Bedeutung ist, „ob die vermehrten Zellen dem Patienten, dem sie entnommen
    wurden, wieder implantiert werden oder einem Dritten”. Danach kommt es für die Steuerfreiheit nicht zwingend auf das vom FA
    geforderte Vertrauensverhältnis an, das im Übrigen auch nicht bei Heilbehandlungsleistung zur Bekämpfung von Epidemien besteht.
    Im Streitfall dient die ärztliche Tätigkeit des Klägers der unmittelbaren Sicherstellung der erforderlichen infektionshygienischen
    Voraussetzungen für die stationären oder ambulanten medizinischen Behandlungen, zu deren Einhaltung Ärzte und Krankenhäuser
    im Rahmen der jeweiligen Behandlung im Einzelfall verpflichtet sind.


    Die Auffassung des FG führt zu einer mit der EuGH-Rechtsprechung nicht zu vereinbarenden Einschränkung der Steuerfreiheit.
    Denn danach ist das für die Steuerfreiheit maßgebliche Erfordernis der therapeutischen Zweckbestimmtheit nicht „in einem besonders
    engen Sinne zu verstehen” (EuGH-Urteile vom 11. Januar 2001 C-76/99, Kommission/Frankreich, Slg. 2001, I-249 Rdnr. 23, und
    Unterpertinger in Slg. 2003, I-13859 Rdnr. 40; Peter D'Ambrumenil in Slg. 2003, I-13989 Rdnr. 58; vom 8. Juni 2006 C-106/05,
    L.u.P., Slg. 2006, I-5123 Rdnr. 29; CopyGene in UR 2010, 526 Rdnr. 29; Verigen in UR 2011, 215 Rdnr. 24), sondern vielmehr
    unter Berücksichtigung des Zwecks der Steuerbefreiung auszulegen, der darin besteht, die Kosten ärztlicher Heilbehandlungen
    zu senken (EuGH-Urteile Kommission/Frankreich in Slg. 2001, I-249 Rdnr. 23; L.u.P. in Slg. 2006, I-5123 Rdnr. 29; Verigen
    in UR 2011, 215 Rdnr. 27). Dies rechtfertigt die Einbeziehung von Leistungen, die ein Arzt mit unmittelbarem Bezug zu einer
    Heilbehandlungstätigkeit erbringt, damit andere Ärzte und Krankenhäuser bei der Ausübung ihrer Heilbehandlungstätigkeit die
    hierfür bestehenden medizinisch unerlässlichen und gesetzlich vorgeschriebenen infektionshygienischen Anforderungen im Einzelfall
    erfüllen. Darüber hinaus werden hierdurch die Kosten der Heilbehandlung gesenkt.


    2. Die weiteren Einwendungen des FA gegen die Steuerfreiheit greifen nicht durch.

    a) Der Steuerfreiheit der durch den Kläger erbrachten Leistungen steht nicht entgegen, dass er seine Leistungen gegenüber
    einer Laborpraxis und gegenüber Ärzten und Krankenhäusern, nicht aber „unmittelbar gegenüber Patienten” erbrachte.


    Ein Arzt kann – wie z.B. ein Laborarzt – auch gegenüber anderen Ärzten steuerfreie Heilbehandlungsleistungen erbringen (EuGH-Urteil
    L.u.P. in Slg. 2006, I-5123 Rdnrn. 37 f.; BFH-Urteile vom 25. November 2004 V R 44/02, BFHE 208, 80, BStBl II 2005, 190, unter
    II.1.; vom 1. Februar 2007 V R 64/05, BFH/NV 2007, 1203, unter II.1.a; vom 15. März 2007 V R 55/03, BFHE 217, 48, BStBl II
    2008, 31, unter II.1.b, und vom 2. September 2010 V R 47/09, BFHE 231, 326, BStBl II 2011, 195, unter II.4.a). Für die Steuerfreiheit
    kommt es nicht auf die Person des Leistungsempfängers an, da sich die personenbezogene Voraussetzung der Steuerfreiheit auf
    den Leistenden bezieht, der Träger eines ärztlichen oder arztähnlichen Berufs sein muss (BFH-Urteile vom 12. Oktober 2004
    V R 54/03, BFHE 207, 558, BStBl II 2005, 106, unter 4.; in BFHE 210, 151, BStBl II 2005, 669, unter II.1.; in BFHE 211, 69,
    BStBl II 2005, 904, unter II.1.a, und in BFHE 231, 326, BStBl II 2011, 195, unter II.4.a).


    b) Der Steuerfreiheit steht auch nicht entgegen, dass der Kläger beratend tätig war. Eine durch einen Arzt erbrachte Heilbehandlungsleistung
    liegt auch dann vor, wenn ein Arzt einen Patienten in gesundheitlichen Fragen berät, ohne dass es darauf ankommt, dass dieser
    den ärztlichen „Rat” befolgt.”


    In Anbetracht dessen, dass die Zahl von Personen mit chronischen Krankheiten, Abwehrschwäche und Behinderungen mit den Folgen
    von Multimorbidität und Pflegebedürftigkeit zunimmt und zudem betreuungsbedürftige Personen immer früher aus Einrichtungen
    der Akutversorgung in Nachsorgeeinrichtungen, Heime oder nach Hause entlassen werden (Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene
    und Infektionsprävention beim RKI, Bundesgesundheitsblatt 2005, 1061) sind nach Ansicht des Senats gerade auch die gegenüber
    Alten- und Pflegeheimen erbrachten Umsätze aus der Tätigkeit eines Hygieneberaters als steuerfreie Leistungen i.S.d. § 4 Nr.
    14 UStG anzusehen. Auch die Alten- und Pflegeheime haben nach § 36 Abs. 1 Nr. 2 IfSG in der seit dem 4.08.2011 geltenden Fassung
    in Hygieneplänen innerbetriebliche Verfahrensweisen zur Infektionshygiene festzulegen und unterliegen der infektionshygienischen
    Überwachung durch das Gesundheitsamt. Ein Alten/Pflegeheim darf nach § 11 Abs. 1 Nr. 9 Heimgesetz zudem nur dann betrieben
    werden, wenn der Träger und die Leitung einen ausreichenden Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner vor Infektionen gewährleisten
    kann und sicherstellen kann, dass von den Beschäftigen die für ihren Aufgabenbereich einschlägigen Anforderungen der Hygiene
    eingehalten werden.


    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

    Mit Blick auf die o.g. Entscheidung des BFH vom 18.08.2011 V R 27/10 lagen Gründe für die Zulassung der Revision nach § 115
    Abs. 2 FGO nach Auffassung des Senats nicht mehr vor.

    VorschriftenUStG § 4 Nr 14 Satz 1