03.02.2011 · IWW-Abrufnummer 110394
Sozialgericht Dortmund: Urteil vom 12.01.2006 – S 10 RJ 307/03
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Sozialgericht Dortmund
S 10 RJ 307/03
Tenor: Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten. Die Klägerin trägt die Gerichtskosten. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten. Der Streitwert wird auf 34.854,74 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für den Beigeladenen zu 1) in Höhe von 0,00 EUR.
Die Klägerin betreibt eine Klinik.
Der Beigeladene zu 1) ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und übt seit dem Jahre 1998 eine Tätigkeit als Arzt bei der Klägerin aus und erhält hierfür monatliche Honorarzahlungen auf Stundenbasis. Ein schriftlicher Vertrag liegt nicht vor. Steuerabzugsbeträge werden nicht einbehalten, da von der Klägerin eine freiberufliche Tätigkeit angenommen wird.
Der Beigeladene zu 1) behandelt Patienten, die ihm von der Klägerin zugewiesen werden. Es werden von ihm im Wesentlichen Aufnahme- und Entlassungsuntersuchungen von Patienten der Klägerin in deren Räumen durchgeführt.
Das Finanzamt C stellte mit Bescheid vom 25.08.2000 anlässlich einer durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung fest, dass der Beigeladene zu 1) als Arbeitnehmer zu betrachten sei und es sich bei den Zahlungen an ihn um steuerpflichtigen Arbeitslohn handele.
Das Arbeitsgericht Arnsberg stellte auf Antrag des Betriebsrates der Klinik in seinem Beschluss vom 21.09.2000 (Az.: 3 BV 3/99 O) ebenfalls eine Arbeitnehmereigenschaft des Beigeladenen zu 1) fest.
Anlässlich einer durchgeführten Betriebsprüfung seitens der Beklagten bei der Klägerin stellte diese fest, dass für die streitige Zeit keine Gesamtsozialversicherungsbeiträge gezahlt worden waren. Im Rahmen einer Schlussbesprechung am 21.03.2002 kündigte der Prüfbeauftragte einen entsprechenden Nachforderungsbescheid an und gab der Klägerin Gelegenheit sich hierzu zu äußern.
Mit Bescheid vom 22.03.2002 stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin insgesamt eine Beitragsforderung in Höhe von 0,00 EUR fest. Hierbei bezog sich die Nachforderung außer auf den Beigeladenen zu 1) noch auf eine Schreibkraft sowie einen Masseur und medizinischen Bademeister. Bei der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) handele es sich um ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Der Beigeladene zu 1) unterliege in der Zeit vom 01.11.1998 bis 28.02.2002 der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Aus der Anlage zur Berechnung der Beiträge ergab sich, dass Beiträge in Höhe von 0,00 EUR entstanden und nach den Einnahmen der Tätigkeit bemessen worden sind.
Die Feststellung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses werde durch die Beurteilung des Finanzamtes C sowie des Arbeitsgerichtes Arnsberg gestützt. Die Beklagte führte im Wesentlichen zur Begründung aus, dass der Beigeladene zu 1) Patienten behandele, die ihm von der Klägerin zugewiesen werden. Er sei in zeitlicher und örtlicher Hinsicht in die Organisation der Klinik eingebunden und unterliege einem Weisungsrecht des Arbeitgebers. Die von dem Beigeladenen zu 1) zu leistenden Stunden würden in einem Dienstplan jeweils für den kommenden Monat festgelegt. Im Rahmen seiner Tätigkeit habe der Beigeladene zu 1) auch Bereitschaftsdienste zu leisten.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, dass kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gegeben sei. Weder die Feststellungen der Finanzverwaltung noch der Arbeitsgerichtsbarkeit seien präjudiziell für die hier zu beurteilenden sozialversicherungsrechtlichen Fragen. Der Beigeladene zu 1) erfülle seine ärztlichen Aufgaben eigenständig und eigenverantwortlich. Er sei nicht in die kontinuierliche Patientenversorgung eingebunden. Es würden von ihm lediglich Aufnahme- und Entlassungsuntersuchungen durchgeführt. Nur in Einzelfällen versehe der Beigeladene zu 1) den nächtlichen Berufbereitschaftsdienst. Darüber hinausgehende ärztliche Funktionen erfülle er nicht. Hinsichtlich der Arbeitszeitgestaltung sei der Beigeladene zu 1) frei. Er koordiniere seine möglichen Arbeitszeiten in Absprache mit dem Chefarzt oder der Oberärztin der Klinik. Eine Weisungsgebundenheit hinsichtlich der Arbeitszeit bestünde nicht. Des Weiteren arbeite der Beigeladene zu 1) ebenfalls als Honorarkraft für den Sozial-Psychiatrischen Dienst des Hochsauerlandkreises sowie regelmäßig als Vertretung in einer Nervenarztpraxis.
Der Beigeladene zu 1) hat auf Anfragen seitens der Beklagten zu dem Sachverhalt schriftlich Stellung bezogen und ausgeführt, dass er nicht in den allgemeinen Arbeitsablauf und die Organisation der Klinik integriert sei und keine Funktionen bekleide. Ebensowenig führe er für einen praktizierenden Klinikarzt charakteristische Patientenbetreuung (u.a. Visiten, Einzelgespräche, Gruppenarbeit, Verlaufsbeurteilung, Abschlussbriefe) durch. Er brauche an den für alle Klinikärzte und Therapeuten der Einrichtung obligatorischen Supervisionen und Teambesprechungen nicht teilnehmen. Ferner bestünde keinerlei Verpflichtung zur Ableistung von Bereitschaftsdiensten. Vielmehr nehme er in kollegialer Weise den in der Klinik beschäftigten Kollegen je einen Wochentagsdienst ab. Seine Anwesenheit in der Klinik beschränke sich in der Regel auf drei Nachmittage in der Woche, die von ihm 10-30 Tage im Voraus dem Chefarzt angeboten würden. In der Arbeitszeitgestaltung an diesen Tagen sei er frei. Auch in seiner Freizeit- und Urlaubsgestaltung sei er ungebunden. Urlaubs- und auch Weihnachtsgeld beziehe er nicht. Alle für einen Freiberufler nötigen Versicherungsbeiträge einschließlich der ärztlichen Berufshaftpflicht trage er allein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.2003 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Klägerin sei als Arbeitgeberin des Beigeladenen zu 1) verpflichtet, die nachgeforderten Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Der Beigeladene zu 1) unterliege der Versicherungspflicht. Er sei gegen Arbeitsentgelt beschäftigt gewesen. Er sei weisungsgebunden und in die Arbeitsorganisation des Klinikbetriebes eingegliedert. Der Eintritt der Versicherungspflicht sei zu Recht auf den 01.11.1998 festgelegt worden. Die Klinikverwaltung sei grob fahrlässig von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen. Es sei ebenfalls grob fahrlässig gewesen, dass die Klinikverwaltung zu Beginn der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) im Jahre 1998 unter Verletzung ihrer Arbeitgeberpflicht keine Meldung an die zuständige Einzugsstelle herbeigeführt habe. Darüber hinaus rechtfertige es den Vorwurf der fortgesetzten groben Fahrlässigkeit, wenn nicht sogar des Vorsatzes, dass die Klinikverwaltung nicht einmal nach dem Beschluss des Arbeitsgerichtes Arnsberg vom 21.09.1999 über die Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) und nach den Feststellungen des Finanzamtes C im Prüfungsbericht vom 23.08.2000 zu seiner abhängigen Beschäftigung die gebotene Sorgfalt beachtet und die Arbeitgeberpflichten in der Sozialversicherung nachgeholt hat.
Mit der am 30.12.2003 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und verweist im Wesentlichen auf ihren Vortrag im Vorverfahren.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 22.03.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2003 sowie den Bescheid vom 08.06.2005 teilweise aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Beschluss vom 21.06.2004 hat die Kammervorsitzende die streitige Beitragsforderung der Beklagten hinsichtlich der Schreibkraft abgetrennt. Der Rechtsstreit wurde unter dem Az.: S 10 RJ 145/04 weitergeführt. Das Begehren im Hinblick auf die Beitragsforderung für den Masseur und medizinischen Bademeister wurde nicht weiter verfolgt.
Die Kammervorsitzende hat in einem Erörterungstermin am 01.03.2005 den Beigeladenen zu 1) zu den Umständen seiner Tätigkeit bei der Klägerin befragt. Der Beigeladene zu 1) hat ergänzend zu seinen schriftlichen Ausführungen im Vorverfahren erklärt, dass er seine Arbeitskraft dem Chefarzt oder der Oberärztin der Klinik anbiete. Er untersuche in der Regel zwei bis drei Patienten. Die Klinik richte sich danach, welche Zeiten er anbiete. Schriftlich sei festgelegt, an welchen Tagen er könne. Er untersuche die Patienten, fertige Anamneseerhebungen und diktiere diese jeweils. Damit sei für ihn der Vorgang abgeschlossen. Die Patienten sehe er nicht mehr, ggf. nur zufällig. Wenn andere Dinge vorgingen wie zum Beispiel ein Gerichtstermin, so habe er Dienste abgelehnt. In der Regel habe er bereits im Vorhinein Bereitschaftsdienste abgelehnt. Er habe diese aber gelegentlich auf kollegialer Basis durchgeführt. Diese erfolgten ca. dreimal im Monat. Er habe jedem Kollegen jeweils einen Dienst abgenommen. Er sei jedoch nicht dazu verpflichtet worden. Als Vertreter in einer Nervenpraxis sei er in den Jahren 1997 bis 1998 tätig gewesen. Beide Praxen hätten sich in I befunden. An die Namen der Praxen könne er sich nicht mehr erinnern. Die Vertretung sei sporadisch erfolgt. In welchem Umfang vertreten worden sei, könne er sich nicht mehr erinnern. Sein Unternehmensrisiko sehe er darin, dass er alles trage: die Versicherung, die Haftpflicht und den Krankheitsausfall. Seit 1998 sei er lediglich einmal fünf Tage krank gewesen. Er habe keinen Ersatz gestellt. Er zahle keine Miete für die Räume in der Klinik und sei auch nicht an den Heizkosten beteiligt. Das Diktiergerät gehöre ihm. Er habe der Klägerin zunächst Rechnungen gestellt. Später sei dann das "Stempeln" eingeführt worden. Er habe sich daran freiwillig beteiligt. Im Endeffekt sei dies günstiger für ihn, weil auch nach Minuten abgerechnet wurde. Sein Honorar ergebe sich automatisch aus dem maschinellen Auszug. Er habe verschiedene Standbeine. Unter anderem sei er auch als Sachverständiger bei Gericht tätig. Zur Zeit sei er weiterhin für die Klägerin tätig. Ihm sei von ihr angeboten worden, dass er in ein Angestelltenverhältnis übergehe. Bezüglich der weiteren Ausführungen wird auf das Terminsprotokoll vom 01.03.2005 (Blatt 53 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen. Im Anschluss an den Termin hat die Beklagte festgestellt, dass nicht wie bisher angenommen, die AOK Westfalen-Lippe zuletzt für den Beigeladenen zu 1) zuständig war. Der Beigeladene zu 1) war zuletzt im November 1998 bei der Barmer Ersatzkasse pflichtversichert war. Das Gericht hat daraufhin diese notwendig beigeladen. Sie ist die Beigeladene zu 2) in diesem Verfahren.
Die Klägerin hat vorgetragen, dass der Beigeladene zu 1) hauptberuflich selbständig tätig gewesen sei.
Mit Bescheid vom 08.06.2005 hat die Beklagte den Bescheid vom 22.03.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2003 insoweit abgeändert, als sie die Zeit der Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) in dem streitigen Zeitraum der Beigeladenen zu 2) zugeordnet. Des Weiteren hat sie für die Zeit der Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) in dem streitigen Zeitraum die zur Rentenversicherung zu zahlenden Beiträge auf 0,00 EUR festgesetzt.
In der mündlichen Verhandlung ist der Beigeladene zu 1) nochmals angehört worden. Er hat insbesondere ausgesagt, dass laut Klinikverwaltung das Weihnachts- und Urlaubsgeld in dem Honorar enthalten gewesen sei. Des Weiteren hat er entgegen dem Vortrag der Kl ägerin und seiner bisherigen Aussage erklärt, dass er nie eigene Rechnungen geschrieben, sondern lediglich handschriftliche Zettel verfasst habe, die er dann dem Verwaltungsleiter vorgelegt habe. Auf Fragen der Beklagten hat die Klägerin erklärt, dass der Beigeladene zu 1) unter der Personalnummer X bei dem Abrechnungsverfahren geführt wurde. Bezüglich der weiteren Ausführungen wird auf das Terminsprotokoll vom 12.01.2006 (Blatt 123 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf den der beigezogenen Akte des Arbeitsgerichtes Arnsberg (Az.: 3 BV 3/99 O) verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert. Die angefochtenen Bescheide erweisen sich als rechtmäßig.
Nach § 28 p Abs. 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und sonstigen Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen mindestens alle vier Jahre. Die Prüfung umfasst auch die Lohnunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt wurden. Die Träger der Rentenversicherung erfassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.
Der Beigeladene zu 1) war in der Zeit vom 01.11.1998 bis 28.02.2002 in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie in der Arbeitslosenversicherung beitragspflichtig. Er stand bei der Klägerin in einem Beschäftigungsverhältnis im sozialversicherungsrechtlichen Sinne.
Gegen Arbeitsentgelt Beschäftigte sind versicherungspflichtig in der Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, in der Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI, in der Rentenversicherung nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI und in der Arbeitslosenversicherung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der ab dem 01.01.1998 geltenden Fassung.
Beschäftigung ist nach der Legaldefinition des § 7 Abs. 1 SGB IV in der bis zum 31.12.1997 geltenden Fassung vom 23.12.1976, der für alle Zweige der Sozialversicherung gilt, die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ab dem 01.01.1999 geltenden Fassung vom 21.12.2000 sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Die persönliche Abhängigkeit bedeutet dabei die Eingliederung in den Betrieb und die Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers, insbesondere in Bezug auf Zeit, Dauer und Ort der Arbeitsführung. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft, ein eigenes Unternehmerrisiko und die Möglichkeit, frei über die Arbeitszeit und Ort zu verfügen, gekennzeichnet (vgl. BSG, in: SozR 3-2004 § 7 Nr. 19 m.w.N.). Die Abgrenzung zwischen selbständiger und unselbständiger Tätigkeit ist aufgrund einer Würdigung der Gesamtumstände vorzunehmen. Ob jemand abhängig beschäftigt ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die vertraglichen Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben letztere den Ausschlag [vgl. BSG, in: BSGE 87, 53 (55); 85, 214 (216) – jeweils m. w. N.]
Bei Anwendung der aufgezeichneten Grundsätze ergibt sich, dass der Beigeladene zu 1) im gesamten streitigen Zeitraum für die Klägerin als abhängig Beschäftigter tätig geworden ist. Die Merkmale für eine selbständige Tätigkeit überwiegen vorliegend.
Allein der Wille, die Tätigkeit als selbständige zu führen, kann den Charakter der abhängigen Beschäftigung nicht verändern. In der wirtschaftlichen Realität gibt es eine Vielzahl von Tätigkeiten, die sowohl Elemente der abhängigen als auch der selbständigen Tätigkeit aufweisen. Ebenso gibt es Tätigkeiten, für die einige der aufgestellten Kriterien ungeeignet sind, zum Beispiel wenn die Qualität der Arbeit einer abhängig beschäftigten Führungskraft eine inhaltliche Weisung ausschließt. Deshalb müssen die Gesamtumstände unter Berücksichtigung der Art der Arbeit und unter Beachtung der Verkehrsanschauung gewürdigt werden.
Für eine selbständige Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) bzw. ein gleichberechtigtes Unternehmerverhältnis gegenüber der Klägerin spricht, dass der Beigeladene zu 1) ärztliche Aufgaben eigenständig und eigenverantwortlich erfüllt. Er ist nicht in die kontinuierliche Patientenversorgung eingebunden (lediglich Aufnahme und Entlassungsuntersuchungen). Er bekleidet keine Funktion und muss an Teambesprechungen und Supervisionen nicht teilnehmen. Es besteht keine Pflicht zur Ableistung von Bereitschaftsdiensten. Andererseits leistet er tatsächlich solche. Laut seiner Aussage aus kollegialen Gründen. In seiner Freizeit- und Urlaubsgestaltung ist er ungebunden. Er bezieht kein Urlaubs- oder Weihnachtsgeld. Andererseits hat der Beigeladene zu 1) in der mündlichen Verhandlung ausgesagt, dass in der Honorarvereinbarung laut Aussage der Klinikleitung das Urlaubs- und Weihnachtsgeld enthalten sei. Hinsichtlich seiner Arbeitszeitgestaltung ist er grundsätzlich frei; koordiniert aber diese mit Chefarzt und Oberärztin der Klinik. Er ist ebenfalls als Honorarkraft für den Sozial-Psychiatrischen Dienst des Hochsauerlandkreises und als Sachverständiger bei Gericht sowie in Nervenarztpraxen tätig. Letzteres ist jedoch nicht nachgewiesen, da der Beigeladene zu 1) sich nicht mehr an die Namen der Praxen und den Umfang seiner Tätigkeit erinnern kann. Laut Aussage des Beigeladenen zu 1) kann er sonstigen beruflichen Tätigkeiten den Vorrang gegenüber der Tätigkeit in der Klinik einräumen. Gleichzeitig hat er aber in seiner ersten Anhörung ausgeführt, dass wenn die Klinik sich nicht auf ihn verlassen könnte, das Verhältnis schon lange beendet wäre.
Ferner ist fraglich, ob allein die Anschaffung eines Diktiergerätes ein Indiz für eine selbständige Tätigkeit ist. Denn es ist nur ein Teil der üblich notwendigen Auslagen (ähnlich wie Arzthelferinnen, die ihren Kittel auch selbst bezahlen müssen). Für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit spricht jedoch, dass der Beigeladene zu 1) die Versicherungen selbst trägt. Der Vortrag der Klägerin und auch zunächst des Beigeladenen zu 1) (vgl. Protokoll des Erörterungstermines), dass der Beigeladene zu 1) auf eigene Rechnung und im eigenen Namen für die Klägerin tätig geworden ist, hat sich in der mündlichen Verhandlung als falsch erwiesen, denn der Beigeladene zu 1) hat glaubhaft ausgeführt, dass er handschriftliche Zettel verfasst habe, in denen er die geleisteten Stunden niedergelegt und diese dann dem Verwaltungsleiter der Klinik vorgelegt habe.
Für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis spricht hingegen und dies war für die Kammer letztendlich maßgebend, dass die Patienten dem Beigeladenen zu 1) von der Klägerin zugewiesen werden. Er kann sich diese nicht aussuchen und kann auch nicht mehr Patienten untersuchen, um ggf. seinen Umsatz steigern zu können. Der Beigeladene zu 1) ist auch insoweit örtlich und zeitlich in Organisation der Klinik eingebunden, als dass er regelmäßig zwei bis drei Nachmittage pro Woche bei der Klägerin arbeitet.
Er hat auch nie – wie zunächst von Klägerinnenseite vorgetragen – Rechnungen geschrieben. Durch die Einführung des sog. "Stempels" besaß der Beigeladene zu 1) sogar eine Personalnummer und sein Honorar ergab sich aus dem maschinellen Auszug. Er zahlte keine Miete für Räume oder Materialien. Er hatte keinen Kapitalaufwand. Die Räume der Klägerin waren integraler und funktioneller Bestandteil für die Ausübung seiner Tätigkeit. Einrichtungs- und laufende Kosten fielen ausschließlich der Klägerin zur Last.
Auch im Hinblick auf die Außenwirkung gegenüber Klinikpatienten gab es keine deutliche Trennung von der Klägerin zum Beispiel durch eine eigene Eingangstür. Maßgebend für die Kammer war insbesondere auch die Tatsache, dass der Beigeladene zu 1) keinem Risiko ausgesetzt war, dass er seine Arbeitskraft vergeblich einsetzt. Denn – falls Patienten nicht kamen – las er Fachzeitungen oder studierte Krankenakten und erhielt seine Stunden trotzdem vergütet.
Der Eintritt der Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) erst mit Bekanntgabe des angefochtenen Bescheides der Beklagten gemäß § 7 b SGB IV kommt nicht in Betracht. Die Vorschrift wurde erst mit Wirkung zum 01.01.1999 in das SGB VI eingefügt. Sinn und Zweck der Norm ist es, Beteiligte, die zwar irrtümlich, aber gutgläubig davon ausgegangen sind, dass der Auftraggeber tätig geworden ist, vor Beitragsnachforderungen zu schützen. Tatbestandsvoraussetzung ist u. a., dass weder der Beschäftigte noch der Arbeitgeber vorsätzlich noch grob fahrlässig von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen sind.
Bei Erlass des angefochtenen Bescheides, mit dem die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) festgestellt worden ist, war die Klägerin jedoch bereits bösgläubig im Sinne von § 7 b Nr. 3 SGB IV. Sie hat ihre Sorgfaltspflichten in hohem Maße verletzt. Die Bösgläubigkeit bestand auch bereits bei Einführung der Vorschrift des § 7 b SGB IV. Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass die Klägerin als Arbeitgeberin zahlreicher Arbeitnehmer wusste, dass der Arbeitgeber der Einzugsstelle für jeden Beschäftigten zum Beispiel bei Beginn der Beschäftigung eine Meldung zu erstatten hat (§ 28 a Abs. 1 Nr. 1 SGB IV) und dass nicht der Arbeitgeber, sondern die Einzugsstelle über die Versicherungspflicht entscheidet (§ 28 h Abs. 2 SGB IV). Darüber hinaus rechtfertigt sich der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit darin, dass die Klinikverwaltung noch nicht einmal nach den Feststellungen des Finanzamtes C die gebotene Sorgfalt nunmehr ausgeübt und die Arbeitgeberpflichten in der Sozialversicherung nachgeholt hat.
Bezüglich der Berechnung der Beiträge sind keine Fehler ersichtlich und werden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.
Die Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung der Gesamtssozialversicherungsbeiträge ergibt sich aus § 28 e Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Als Arbeitgeberin ist sie Schuldnerin der Beiträge. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 der Verwaltungsgerichtsordnung. Sie trägt dem Unterliegen der Klägerin Rechnung. Da sich die Beigeladenen 1) bis 4) nicht durch die Stellung eines Antrages am Kostenrisiko beteiligt haben, ist es gerechtfertigt, der Klägerin nicht die den Beigeladenen entstandenen außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen. Der Beklagten hingegen, die einen Klageabweisungsantrag gestellt hat, sind außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Der Streitwert entspricht der im vorliegenden Verfahren beurteilten Beitragsnachforderung.