03.01.2012 · IWW-Abrufnummer 114253
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen: Urteil vom 28.09.2011 – 17 A 1258/10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberverwaltungsgericht NRW
17 A 1258/10
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 18.970,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist nicht begründet. Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Das Vorbringen des Klägers ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu wecken. Der Kläger wendet sich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, bei den Beiträgen zum Versorgungswerk (für den Zeitraum nach der Insolvenzeröffnung) handele es sich um Verbindlichkeiten, die mit der Fortführung der Arztpraxis im Zusammenhang stünden, so dass die Forderungen aus den Beitragsbescheiden der Versorgungswerke als vorrangig zu befriedigende sonstige Masseverbindlichkeiten im Sinne der §§ 55 Abs. 1 Nr. 1, 53 InsO einzustufen seien. Die Ausnahme des § 36 Abs. 1 InsO in Verbindung mit § 850i ZPO könne nur eingreifen, wenn entweder der Insolvenzverwalter oder der Insolvenzschuldner eine Entscheidung des Gerichts zu dieser Frage nach § 36 Abs. 4 InsO in Verbindung mit § 850i ZPO eingeholt hätten, woran es hier fehle.
Die in der Zulassungsbegründung vertretene Auffassung, die Beiträge zum berufsständischen Versorgungswerk stellten keine Masseverbindlichkeiten dar, so dass richtiger Adressat der belastenden Veranlagungsbescheide nicht der Kläger, sondern der Insolvenzschuldner sei, trifft in diesem Fall der (laut Klageschrift) vom Kläger unter Mitwirkung des Insolvenzschuldners fortgeführten Arztpraxis nicht zu. Wird wie hier im Interesse der Masse der Betrieb fortgeführt mit der Folge, dass die daraus erzielten Einkünfte zur Insolvenzmasse gelangen, stellen die durch diese Fortführung entstehenden Verbindlichkeiten sonstige Masseverbindlichkeiten im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO dar.
Vgl. etwa: Andres, in: Nerlich/Römermann, InsO, Stand: Januar 2011, § 35 Rn. 97.
Dazu zählen die im Rahmen der Praxisfortführung veranlagten Pflichtbeiträge des Insolvenzschuldners zur Ärzteversorgung.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. Juni 2009 – 5 A 3363/07 –, juris Rn. 5; BayVGH, Beschluss vom 28. November 2005 – 9 ZB 04.3254 –, NVwZ-RR 2006, 550 f. = juris Rn. 17; VG Hannover, Urteil vom 20. Januar 2010 – 5 A 2615/08 –, ZInsO 2010, 917 ff. = juris Rn. 22 ff.; VG Minden, Urteil vom 19. Oktober 2007 – 7 K 2679/06 –, juris Rn. 19; VG Koblenz, Urteil vom 26. Februar 2007 – 3 K 933/06.KO –, MedR 2007, 613 f. = juris Rn. 13.
Es fehlt zur Begründung einer Masseverbindlichkeit nicht an der Voraussetzung, dass die entsprechenden Einkünfte zur Masse gelangen. Der Auffassung des Klägers, Beiträge zum berufsständischen Versorgungswerk seien per se unpfändbar, sie unterlägen nicht dem Insolvenzbeschlag und seien damit nicht massezugehörig, ist nicht zu folgen. Zwar gehören nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur Insolvenzmasse. Nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO ist aber u.a. § 850i ZPO entsprechend anwendbar. Dieser erfasst nicht wiederkehrend zahlbare Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste. Werden diese gepfändet, so hat das Gericht gemäß § 850i Abs. 1 Satz 1 ZPO in der bei Erlass der angefochtenen Veranlagungsbescheide maßgeblich gewesenen Fassung dem Schuldner auf Antrag so viel zu belassen, als er während eines angemessenen Zeitraums für seinen notwendigen Unterhalt und den weiterer in § 850i ZPO genannter Personen bedarf. Einkünfte, die ein selbständig tätiger Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erzielt, gehören nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in vollem Umfang, ohne einen Abzug für beruflich bedingte Ausgaben, zur Insolvenzmasse. Der Schuldner kann nur gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO in Verbindung mit § 850i ZPO beantragen, dass ihm von seinen durch Vergütungsansprüchen gegenüber Dritten erzielten Einkünften ein pfandfreier Betrag belassen wird.
Vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Mai 2011 – IX ZB 94/09 –, ZInsO 2011, 1412 f. = juris Rn. 4 (zu Einkünften eines Zahnarztes), vom 5. April 2006 – IX ZB 169/04 –, ZVI 2007, 78 f. = juris Rn. 3 (zu Einkünften eines Internisten) und vom 20. März 2003 – IX ZB 388/02 –, NJW 2003, 2167 ff. = juris Rn. 25 f. (zu Einkünften einer Diplom-Psychologin).
Die hier vom Insolvenzschuldner durch die erlaubte Fortführung seiner Arztpraxis erzielten Einkünfte einschließlich der zur Begleichung der Pflichtbeiträge zur Ärzteversorgung erforderlichen Anteile sind nach dieser Rechtsprechung Teil der Insolvenzmasse, sofern – wie hier – keine anderslautende Entscheidung auf Antrag nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO in Verbindung mit § 850i ZPO vorliegt.
Die Meinung des Klägers, einer solchen Entscheidung bedürfe es nicht, findet im Wortlaut des Gesetzes keine Stütze. Der Vollstreckungsschutz tritt im Rahmen des § 850i ZPO abweichend von der Regel ausdrücklich nur auf Grund eines Antrags ein.
Vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 69. Auflage 2011, § 850i ZPO Rn. 5; Stöber, in: Zöller, ZPO, 28. Auflage 2010, § 850i ZPO Rn. 2; Becker, in: Musielak, ZPO, 8. Auflage 2011, § 850i ZPO Rn. 5.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist das Einkommen des freiberuflich Tätigen damit nicht "per se" unpfändbar, soweit es seinem Unterhalt oder der Zahlung der Beiträge zur Ärzteversorgung dient. Es bedarf grundsätzlich, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, einer Entscheidung des zuständigen Gerichts zu dieser Frage.
Der Einwand des Klägers, es bedürfe einer solchen Entscheidung nicht, weil es keinen Streit zwischen ihm und dem Insolvenzschuldner über die Massezugehörigkeit gebe, ein entsprechender Antrag zu einer unnötigen Belastung der Insolvenzgerichte führe und die hypothetische Entscheidung des Insolvenzgerichts allein klarstellend sei, greift nicht durch. Denn es ist nicht ersichtlich, dass dem Insolvenzschuldner ohne Entscheidung des Insolvenzgerichts zur Zahlung der Beiträge für den hier in Rede stehenden Veranlagungszeitraum Einkünfte belassen worden sind. Dies macht auch der Kläger nicht geltend. Im Gegenteil verweist er darauf, dass eine Freigabe nicht in Betracht komme, weil die Bescheide bereits gegen ihn ergangen seien. Für die Frage, gegen wen der Bescheid zu richten ist, kommt es aber im Rahmen der vom Kläger erhobenen Anfechtungsklage maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide an. Liegt zu diesem Zeitpunkt eine Entscheidung des Gerichts nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO in Verbindung mit § 850i ZPO darüber vor, dass dem Insolvenzschuldner Einkünfte zwecks Zahlung der Beiträge an das Versorgungswerk zu belassen sind, oder sind ihm diese – ohne eine solche Entscheidung – bereits vom Insolvenzverwalter belassen worden, ist der Beitragsbescheid an den Insolvenzschuldner zu richten. Andernfalls bleibt es dabei, dass es sich unter den genannten Voraussetzungen um Masseverbindlichkeiten im Sinne der §§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 53 InsO handelt, so dass der Insolvenzverwalter richtiger Adressat des Beitragsbescheids ist.
Vor diesem Hintergrund ist das Vorbringen, ein Antrag des Insolvenzschuldners nach § 850i ZPO würde schon am mangelnden Rechtsschutzbedürfnis scheitern, weil der Schuldner nicht zusätzlich belastet sei, solange die Beklagte ihre Beitragsbescheide an den Insolvenzverwalter richte, für die Frage, ob die angefochtenen Beitragsbescheide rechtswidrig sind, ohne Belang. Es kommt allein darauf an, ob es sich zu dem maßgeblichen Zeitpunkt bei den veranlagten Beiträgen um Masseverbindlichkeiten handelt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs,
Beschluss vom 24. Juli 2008 – VII ZB 34/08 –, NJW-RR 2009, 410 f.,
auf die sich der Kläger beruft. Dieser Entscheidung ist nicht zu entnehmen, dass "die Beiträge eines Selbständigen zu einem berufsständischen Versorgungswerk (ohne weiteres) zu den unpfändbaren Einkünften gehören" und damit nicht massezugehörig sind und somit auch keine Masseverbindlichkeiten begründen können. Vielmehr ist diese Entscheidung, die zu der Frage der Massezugehörigkeit überhaupt nicht Stellung nimmt, im Zusammenhang mit § 850i ZPO ergangen. Der Schuldner hatte Pfändungsschutz u.a. im Hinblick auf von ihm zu zahlende Beiträge zum Versorgungswerk der Architektenkammer beantragt und der Bundesgerichtshof führt in der Entscheidung aus, dass der Rechtsgedanke des § 850e Nr. 1 ZPO auch bei der Pfändung der unter § 850i ZPO fallenden Vergütungen heranzuziehen sei. Der Entscheidung ist aber nichts dazu zu entnehmen, dass der Pfändungsschutz hinsichtlich dieser Beiträge bei Einkünften freiberuflich Tätiger ohne gerichtliche Entscheidung nach § 850i ZPO eintritt.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils folgen entgegen der Ansicht des Klägers zudem nicht daraus, dass das Verwaltungsgericht "bei seiner Entscheidung und der Auslegung der Vorschriften des § 36 InsO und der §§ 850 ff. ZPO, den in der Praxis der Insolvenzverwaltung häufig auftretenden Fall, dass der Insolvenzschuldner seine Einnahmen aus der ärztlichen Tätigkeit gegenüber dem Insolvenzverwalter verschweigt und der Insolvenzmasse entzieht, nicht berücksichtigt hat". Insofern fehlt es schon an einer substantiierten Darlegung, welche Relevanz ein solcher Generalverdacht, der auch den redlichen Schuldner treffen würde, für die Auslegung der genannten Vorschriften haben sollte. Der Vortrag, der Insolvenzverwalter wäre im Falle der Bestätigung der Beitragspflicht zur Ärzteversorgung als Masseverbindlichkeit gezwungen, die Beiträge aus der Insolvenzmasse dennoch zu zahlen, sofern keine Masseunzulänglichkeit vorliege, genügt insofern nicht. Damit ist nicht dargetan, dass es geboten wäre, den Fall des unredlichen Schuldners als Maßstab zu nehmen, an dem sich die Auslegung der genannten Vorschriften im Interesse des Gläubigerschutzes zu orientieren hat. Vielmehr ist es grundsätzlich Aufgabe des Insolvenzverwalters, durch die ihm nach der Insolvenzordnung zur Verfügung stehenden Maßnahmen im Interesse der Gläubiger dafür Sorge zu tragen, dass die Einkünfte aus der Fortführung der Praxis zur Insolvenzmasse gelangen.
Soweit der Kläger kritisiert, das Verwaltungsgericht wäre gehalten gewesen, eine Auslegung der Vorschrift vorzunehmen, die den anerkannten Kriterien für die Auslegung von Rechtsnormen (Wortlaut, Systematik, Historie und Sinn und Zweck) entspreche, zeigt er nicht auf, dass und weshalb sich unter Anwendung dieser Grundsätze eine andere Auslegung der relevanten Vorschriften ergibt als die des Verwaltungsgerichts.
2. Die Rechtssache weist vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Die Auslegung des § 36 InsO in Verbindung mit § 850i ZPO lässt sich ohne weiteres anhand der oben dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einschließlich der vom Kläger zitierten Entscheidung vornehmen. Dass der vom Kläger aus dieser Entscheidung gefolgerte Rückschluss nicht nachvollzogen wird, begründet für sich genommen keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache. Diese sind auch nicht durch den Vortrag dargelegt, zur Beurteilung des Falles seien die Vorschriften der Zivilprozessordnung zum Pfändungsschutz, die Vorschriften der Insolvenzordnung zum Themenkreis Masseverbindlichkeiten und schließlich die Vorschriften der Satzung der Beklagten in Einklang zu bringen. Es fehlt insofern an einer substantiierten Darlegung dazu, inwiefern dies mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sein sollte.
3. Schließlich weist die Rechtssache nicht die vom Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) auf. Der Frage,
"ob nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 24. Juli 2008 (VII ZB 35/08) die Beiträge zu einem berufsständischen Versorgungswerk (hier die Beiträge zum Versorgungswerk der Beklagten) als Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 InsO anzusehen sind oder ob die Einnahmen aus der ärztlichen Tätigkeit in dem Umfang, in dem sie für die Beiträge zum Versorgungswerk der Beklagten verwendet werden, unpfändbar sind und damit nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegen und letztlich damit auch keine Masseverbindlichkeiten begründen können",
fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit in einem Berufungsverfahren, weil sie unter Berücksichtigung der zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ohne weiteres im oben genannten Sinne (siehe 1.) zu beantworten ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und – hinsichtlich der Streitwertfestsetzung – nach §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG unanfechtbar.