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  • 13.12.2012

    Finanzgericht Sachsen-Anhalt: Urteil vom 28.03.2012 – 2 K 336/12

    1. Eine Gemeinschaftspraxis für Anästhesie in der Rechtsform einer GbR, die eine mobile Anästhesiepraxis betreibt und nicht über eigene Praxisräume verfügt, ist auch dann leitend und eigenverantwortlich i. S. v. § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG und damit freiberuflich tätig, wenn sie zwar eine angestellte Anästhesistin beschäftigt, die jedoch nur für einfach gelagerte Anästhesien eingeteilt wird, wogegen ausschließlich die an der GbR beteiligten Ärzte alle schwierigen Fälle, sämtliche Aufklärungsgespräche sowie Voruntersuchungen selbst durchführen, die Behandlungsmethode (auch für die von der angestellten Ärzten behandelten Patienten) festlegen und die Anästhesieunterlagen mit dem Logo der Praxis übergeben (entgegen Urteil des FG des Landes Sachsen-Anhalt v. 24.8.2006, 1 K 982/03).

    2. Hinsichtlich der Eigenverantwortlichkeit besteht kein Unterschied zwischen einer angestellten Anästhesistin und einem angestellten Rechtsanwalt, der bei der Wahrnehmung eines Gerichtstermins ebenfalls eigenverantwortlich handeln muss, ohne dass dies – auch bei einer größeren Rechtsanwaltskanzlei – zu Einkünften aus Gewerbebetrieb führen würde, obwohl auch die Fehlentscheidung eines angestellten Rechtsanwalts schwerwiegende Folgen für den Mandanten nach sich ziehen kann.


    IM NAMEN DES VOLKES

    URTEIL

    In dem Rechtsstreit

    hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt – 2. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 28. März 2012 durch den Vizepräsidenten des Finanzgerichts … als Vorsitzender, den Richter am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht …, die ehrenamtliche Richterin Frau … und den ehrenamtlichen Richter Herr …

    für Recht erkannt:

    Die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2004 vom 28. Juli 2006 bzw. für 2005 vom 21. Februar 2007 und der zu diesen Bescheiden ergangene Einspruchsbescheid vom 20. Oktober 2008 – geändert durch die Bescheide vom 22. Mai 2009 – werden dahingehend geändert, dass anstatt der Einkünfte aus Gewerbebetrieb solche aus nichtselbständiger Arbeit festgestellt werden.

    Die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für 2004 vom 28. Juli 2006 bzw. für 2005 vom 21. Februar 2007 und der zu diesen Bescheiden ergangene Einspruchsbescheid vom 20. Oktober 2008 – geändert durch die Bescheide vom 22. Mai 2009 – werden ersatzlos aufgehoben.

    Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

    Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Streitig ist, ob die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Arbeit infolge der Anstellung und Beschäftigung einer angestellten Anästhesistin in solche aus Gewerbebetrieb umzuqualifizieren sind mit der Folge, dass gegenüber der Klägerin zudem ein Gewerbesteuermessbetrag festzusetzen ist.

    Die betreibt eine Gemeinschaftspraxis für Anästhesie in der Rechtsform der GbR. Dabei handelt es sich um einen mobilen Anästhesiebetrieb, d.h., die Klägerin verfügt selbst über keine Praxisräume. Vielmehr üben die Gesellschafter der Klägerin ihre Tätigkeit in den Praxen der die Klägerin beauftragenden Operateure aus. Nach dem Vortrag der Klägerin wird wöchentlich im Voraus festgelegt, welcher Arzt bei welchem Operateur tätig werden soll. Die Gesellschafter haben eine Reihe standardisierter Behandlungsmethoden entwickelt. Nach einer von einem Partner durchgeführten Voruntersuchung schlug dieser eine Behandlungsmethode vor. Die eigentliche Anästhesie führte dann ein anderer Arzt durch.

    Die Klägerin beschäftigte seit dem 1. Januar 2003 eine angestellte Ärztin. Diese sollte nach einer Probezeit als Partnerin aufgenommen werden. Da es einige Jahre später zu Differenzen hinsichtlich der Höhe der Abstandszahlung kam, wurde das Arbeitsverhältnis beendet. Die angestellte Ärztin wurde nur bei den eigentlichen Anästhesien eingesetzt. Voruntersuchungen gehörten nach dem Vortrag der Klägerin nicht zu ihrem Aufgabenbereich. Soweit die Klägerin die Anästhesie in problematischen Fällen nicht ablehnte, blieb die Anästhesie in derartigen problematischen Fällen einem der Partner vorbehalten. Für die angestellte Ärztin verblieb die Durchführung von einfach gelagerten Anästhesien. Wegen des erläuternden Vortrages der Gesellschafterin der Klägerin, Frau Dr. H, in der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung.

    Der Beklagte (das Finanzamt – FA –) führte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durch. Der Prüfer kam zu dem Ergebnis, dass die Einkünfte der Klägerin aufgrund der Beschäftigung der angestellten Ärztin als gewerblich einzustufen seien. Die Gesellschafter der Klägerin seien zwar leitend tätig, die angestellte Ärztin sei aber nach der „Berufsordnung für Ärzte” zur eigenverantwortlichen und weisungsfreien Arbeit verpflichtet. Während einer Operation sei sie „auf sich allein gestellt”. Anders als bei einem angestellten Zahnarzt, wo der Praxisinhaber im Nebenzimmer jederzeit erreichbar sei, müsse die angestellte Anästhesistin bei Komplikationen während der Operation selbst entscheiden.

    Das FA übernahm die Feststellung und erließ entsprechende Feststellungs- und Gewerbesteuermessbescheide.

    Zur Begründung der hiergegen eingelegten Einsprüche trug die Klägerin vor, die Voruntersuchung eines Patienten werde immer durch einen Gesellschafter der Klägerin vorgenommen. Dieser sei für die Anästhesiemethode verantwortlich. Nach Abschluss des gesetzlich vorgeschriebenen Aufklärungsgesprächs überreiche dieser dem Patienten eine Mappe mit dem Logo der Klägerin. Diese Tätigkeit sei die entscheidende Leistung. Sollte wider Erwarten während einer Anästhesie ein Notfall eintreten, sei einer der Gesellschafter der Klägerin jederzeit telefonisch erreichbar. Bei auftretenden Komplikationen hätte die angestellte Ärztin daher jederzeit einen Gesellschafter der Klägerin um Rat fragen können.

    Das FA wies den Einspruch zurück. Zur Begründung führte es aus, im Notfall könne ein telefonischer Kontakt nicht hergestellt werden, da in einem derartigen Fall das sofortige eigenverantwortliche Handeln der angestellten Ärztin unabdingbar sei. Allein deshalb sei die Freiberuflichkeit der Klägerin zu verneinen. Das FA beruft sich zudem auf das Urteil des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt (FG) vom 24. August 2006 1 K 982/03 EFG 2006, 1916. Dort habe das FG bei einem mobilen Anästhesie-Dienst ebenfalls entschieden, dass es an der Eigenverantwortlichkeit des Praxisinhabers fehle, wenn eine angestellte Ärztin Anästhesien durchführt, ohne hierbei vom Praxisinhaber überwacht zu werden.

    Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage trägt die Klägerin unter Hinweis auf das Urteil des FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 24. August 2006 1 K 30035/02 EFG 2006, 1916 ergänzend vor, dass von einer eigenverantwortlichen Tätigkeit auch dann noch auszugehen sei, wenn der angestellte Arzt zwar eigenverantwortlich tätig werde, dies sich aber aus der Sicht des Patienten als Tätigkeit des Praxisinhabers darstelle.

    Die Klägerin beantragt,

    die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte 2004 und 2005 vom 28. Juli 2006 bzw. vom 21. Februar 2007 und den Einspruchsbescheid vom 20. Oktober 2008 – geändert durch die Bescheide vom 22. Mai 2009 – dahingehend zu ändern, dass anstatt Einkünften aus Gewerbebetrieb Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit festgestellt werden sowie

    die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 2004 und 2005 vom 28. Juli 2006 bzw. vom 21. Februar 2007 und den Einspruchsbescheid vom 20. Oktober 2008 ersatzlos aufzuheben.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Zur Begründung nimmt das FA Bezug auf seinen Einspruchsbescheid.

    Entscheidungsgründe

    Der Senat legt den Antrag der Klägerin wegen der Aufhebung der Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für 2004 bzw. 2005 dahingehend aus, dass sich dieser auch auf die während des Klageverfahrens ergangenen Änderungsbescheide vom 22. Mai 2009 bezieht. Dies erscheint sachgerecht, weil die Änderungsbescheide zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden sind (§ 68 Finanzgerichtsordnung – FGO –), die Klägerin hierauf mit Telefax vom 16. Juni 2009 hingewiesen hat und die ebenfalls am 22. Mai 2009 ergangenen geänderten Feststellungsbescheide bei der Antragsstellung berücksichtigt hat. Schließlich kann umfassender und sachgerechter Rechtsschutz nur durch die vom Gericht vorgenommene Auslegung des Antrages der Klägerin gewährt werden.

    Die so verstandene Klage ist begründet; die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 FGO).

    Nach Auffassung des Senats erzielt die Klägerin keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb, denn die Tätigkeit der Klägerin führt zu Einkünften aus selbständiger Arbeit, obwohl sie eine Ärztin nichtselbständig beschäftigt.

    Einkünfte aus Gewerbebetrieb liegen vor bei einer selbständigen, nachhaltigen Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, es sei denn, die Betätigung ist als Ausübung eines freien Berufs anzusehen, § 15 Abs. 2 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG). Zu den Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit gehört die selbständige Berufstätigkeit der Ärzte, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG. Die freiberufliche Tätigkeit wird nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich der Angehörige eines freien Berufs der Mithilfe einer fachlich vorgebildeten Arbeitskraft bedient, unter der Voraussetzung, dass er aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird.

    Entgegen der Auffassung des FA führt der Umstand, dass die Klägerin eine Anästhesistin angestellt hat, nicht zur Beendigung der leitenden und eigenverantwortlichen Tätigkeit der Klägerin bzw. ihrer Gesellschafter. Nach den für den Senat schlüssigen Ausführungen der Gesellschafterin Frau Dr. Hess in der mündlichen Verhandlung werden die Aufklärungsgespräche, die mitunter länger dauern, als die eigentliche Anästhesie, nur durch die Gesellschafter der Klägerin geführt. Dabei werden alle für eine ambulante Anästhesie ungeeigneten Fälle ausgesondert. Am Ende des Aufklärungsgesprächs erhalten die Patienten Unterlagen, die mit dem Logo der Praxis bedruckt sind. Nach Auffassung des Senats erbringen damit die Gesellschafter der Klägerin nicht nur die wesentliche Leistung der Klägerin. Durch das Aufklärungsgespräch mit einem Gesellschafter der Klägerin und der Übergabe der Unterlagen ist nach Auffassung des Senats aus der Sicht des Patienten die Klägerin und nicht der eigentliche Anästhesist der Leistungserbringer. Hinzu kommt, dass schwierige Fälle ausschließlich von den Gesellschaftern der Klägerin durchgeführt werden. Für die angestellte Ärztin verbleiben danach eher einfach gelagerte Anästhesien, zu denen sie von den Gesellschaftern der Klägerin eingeteilt wird. Damit behalten die Partner die wesentliche Leitung des Betriebes in ihren Händen, denn die Gesellschafter der Klägerin haben in dem von ihnen ausgearbeiteten Leitfaden zur Durchführung eine Anästhesie im Einzelnen festgelegt, welche Behandlungsschritte wann und wie durchzuführen sind. Der Beklagte hat auch nicht vorgetragen, dass sich die Angestellte an den Vorgaben nicht gehalten hätte.

    Entgegen der Auffassung des FA erbringt die Klägerin ihre Leistung auch dann eigenverantwortlich, wenn die angestellte Ärztin die Anästhesie durchführt. Die Eigenverantwortlichkeit ergibt sich aus Sicht des Senats aus dem Umstand, dass die Klägerin der angestellten Ärztin vorgibt, welche der von ihr entwickelten Behandlungsmethoden angewendet werden soll. Eine solche Weisung widerspricht nicht der Berufsordnung der Ärztekammer Sachsen-Anhalt. Danach hat der Arzt nur dann die Anweisung eines Arztes nicht zu beachten, wenn er deren Befolgung nicht verantworten kann (§ 2 Abs. 1 der Berufsordnung der Ärztekammer Sachsen-Anhalt). Die Auffassung des FA würde darüber hinaus dazu führen, dass ein Gesellschafter der Klägerin die angestellte Ärztin ständig begleiten müsste, um sie zu kontrollieren und zu überwachen. Dies wäre nicht nur wirtschaftlich sinnlos, weil die Gesellschafter der Klägerin in diesem Fall die Arbeit der angestellten Ärztin selbst übernehmen könnten. Es widerspricht auch § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG. Selbst wenn trotz der von der Klägerin geschilderten Verfahrensabläufe während einer Anästhesie der vom FA konstruierte Notfall eintretenden sollte und die angestellte Ärztin eigenverantwortlich über weitere Behandlungsmaßnahmen entscheiden müsste, würde dies zu keinem anderen Ergebnis führen. Zwar hat das FA in der mündlichen Verhandlung anklingen lassen, dass die Tätigkeit eines angestellten Anästhesisten schon deshalb eigenverantwortlich sei, weil eine fehlerhafte Behandlung fatale Folgen haben könnte für Leib und Leben des Patienten. Die Gesellschafterin der Klägerin, Frau Dr. Hess, hat in der mündlichen Verhandlung eindrucksvoll und für den Senat nachvollziehbar ausgeführt, dass ein aus Sicht des Beklagten eingetretener Notfall aus Sicht eines Anästhesisten eine alltägliche Situation darstellt, für die dem Arzt eine Vielzahl von Medikamenten zur Verfügung stehen.

    Nach Auffassung des Senats besteht hinsichtlich der Eigenverantwortlichkeit auch kein Unterschied zwischen der angestellten Anästhesistin und einem angestellten Rechtsanwalt. Dieser muss bei der Wahrnehmung eines Gerichtstermins ebenfalls eigenverantwortlich handeln, ohne dass dies – auch bei einer größeren Rechtsanwaltskanzlei – zu Einkünften aus Gewerbebetrieb führen würde, obwohl auch die Fehlentscheidung eines angestellten Rechtsanwalts schwerwiegende Folgen für den Mandanten nach sich ziehen kann.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

    Aus Sicht des Beklagten weicht der Senat mit seiner Entscheidung von der Entscheidung des 1. Senats des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 24. August 2006 1 K 982/03 EFG 2006, 1916 ab. Der Senat hat deshalb die Revision im Hinblick auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.

    VorschriftenEStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2, EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3, EStG § 15 Abs. 2, GewStG § 2 Abs. 1