29.08.2013 · IWW-Abrufnummer 133429
Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 18.06.2013 – 5 K 5412/11
Teilt eine onkologische Gemeinschaftspraxis mit Einverständnis ihrer Tumorpatienten die Tumorfälle der Krankenkasse zum Aufbau
einer Tumorstatistik mit, sind die aus der Zuarbeit zur Datenbank erzielten Umsätze nicht gem. § 4 Nr. 14 UStG von der Umsatzsteuer
befreit.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – 5. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 18. Juni 2013 durch den Vizepräsidenten
des Finanzgerichts …, die Richterin am Finanzgericht … und den Richter am Finanzgericht … sowie die ehrenamtlichen Richter
… Frau … und Herr …
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin ist eine onkologische Gemeinschaftspraxis der Eheleute A.. Im Rahmen einer Außenprüfung stellte der Beklagte
unter anderem fest, dass Umsätze, die aus Zuarbeiten zu einer Tumordatenbank erzielt wurden, nach § 14 Nr. 4 Umsatzsteuergesetz
(UStG) zu Unrecht als steuerfreie Umsätze behandelt wurden und erhöhte dementsprechend die Netto-Umsätze im Streitjahr 2004
um 11.633,83 EUR und im Streitjahr 2005 um 11.146,46 EUR. Hierdurch wurde die so genannte Kleinunternehmer-Grenze nach § 19
UStG überschritten. Auf Textziffer 9 des Prüfungsberichts vom 09.12.2009 wird Bezug genommen. Die nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung
(AO) geänderten Umsatzsteuerbescheide wurden unter dem Datum 18.10.2011 erneut bekannt gegeben. Hiergegen hat die Klägerin
mit Zustimmung des Beklagten Sprungklage erhoben.
Die Klägerin macht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs (EuGH) geltend, die in Rede stehenden Leistungen
seien als ärztliche Leistungen umsatzsteuerfrei. Sie sei als onkologische Praxis verpflichtet gewesen, nach Zustimmung des
Patienten eine schriftliche Zusammenfassung der im Rahmen der Diagnostik, Therapie und Nachsorge erhobenen Befunde in der
Form eines standardisierten Arztbriefes bei allen Tumorpatienten an die Krankenkassen für das so genannte Tumorregister zu
übermitteln. Es handele sich um eine reine Dokumentation der ärztlichen Behandlungsergebnisse, ohne dass eine Wertung des
Arztes abgegeben werde. Im Bereich B. hätten sich die Krankenkassen darauf verständigt, dass in den Streitjahren die C. Klinik
GmbH als zentrale Anlaufstelle diese Meldungen entgegen nehme. Je Meldung erhalte sie – die Klägerin – eine fest vorgegebene
und nicht verhandelbare Fallpauschale, die viermal jährlich zur Auszahlung gelangt sei. Rechnungen seien nicht erteilt worden,
es habe lediglich Zahlungsavise durch die C. Klinik GmbH gegeben. Beispielhaft werde als Anlage 15 ein aktueller Beleg übermittelt,
der identisch mit den streitgegenständlichen Belegen sei. Zwar sei das Gesetz über eine generelle Meldepflicht für Krebserkrankungen
in Brandenburg erst am 20.04.2006 verabschiedet worden; das Land Brandenburg habe aber bereits mit Datum vom 14.05.1998 dem
Gesetz über den Staatsvertrag vom 20./24.11.1997 über die Errichtung eines gemeinsamen Krebsregisters der neuen Bundesländer
zugestimmt und seitdem die Meldepflicht entsprechend praktiziert. Im Endeffekt diene die Datenerhebung der Verbesserung der
Bekämpfung von Krebserkrankungen im Bereich der Vorsorge, der Behandlung und der Nachsorge und habe daher den nach der Rechtsprechung
erforderlichen therapeutischen Charakter.
Im Übrigen gehe auch die Kassenärztliche Vereinigung der Länder von der Umsatzsteuerfreiheit aus, wie sich aus der Anlage
16 ergebe.
Schließlich seien die Bescheide vom 18.10.2011 erneut nicht ordnungsgemäß bekannt gegeben worden, da sie sich gegen die Praxisgemeinschaft
A. richteten, was rechtlich nicht gleichzusetzen sei mit einer Gemeinschaftspraxis.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung der Bescheide vom 18.10.2011 die Umsatzsteuer 2004 um 1.604,67 EUR und die Umsatzsteuer 2005 um 1.537,44 EUR
zu vermindern.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er macht geltend, nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG (6. EG-Richtlinie) seien Leistungen nur dann
steuerfrei, wenn sie der medizinischen Betreuung von Personen durch das Diagnostizieren und Behandeln von Krankheiten oder
anderen Gesundheitsstörungen dienten. Der EuGH habe mit Urteil vom 14.09.2000 (C-384/98) jedoch einschränkend entschieden,
dass nicht sämtliche Leistungen, die im Rahmen der Ausübung ärztlicher und arztähnlicher Berufe erbracht würden, von der Umsatzsteuer
befreit seien, sondern nur die Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin. Ärztliche Maßnahmen, die einem anderen Zweck als
der Diagnose, der Behandlung und der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienten, fielen nicht unter den Begriff
der Heilbehandlung. Bei ihnen stehe kein therapeutisches Ziel im Vordergrund.
Die Zuarbeiten der Klägerin zur Erstellung von Tumordokumentationen, der Teilnahme an statistischen Erhebungen sowie Gutachten
über Todesursachen stellten weder eine medizinische Betreuung dar noch hätten sie primär ein therapeutisches Ziel.
Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung neben der Verfahrensakte ein Band Einkommensteuerakten, ein Band Umsatzsteuerakten,
ein Band Betriebsprüfungsakten, eine Heftung „Rechtsbehelfsverfahren” und ein Band Bilanzakten vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet.
Die Rüge der fehlerhaften Bezeichnung der Klägerin geht fehl. Die Bescheide sind trotz der beanstandeten Ungenauigkeit inhaltlich
hinreichend bestimmt im Sinne des § 119 AO, da klar erkennbar war und ist, dass sie sich an die Klägerin richten und diese
sich auch als Inhaltsadressatin verstanden hat.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die in Rede stehenden Leistungen sind keine umsatzsteuerfreie ärztliche Tätigkeit.
Nach § 4 Nr. 14 S. 1 UStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung sind unter anderem die Umsätze aus der Tätigkeit als
Arzt steuerfrei. Diese Vorschrift beruht auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie, wonach „Heilbehandlungen
im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und
arztähnlichen Berufe erbracht werden”, steuerfrei sind. § 4 Nr. 14 UStG ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
(BFH) richtlinienkonform auszulegen. Daher setzt die Steuerfreiheit voraus, dass der Unternehmer eine Heilbehandlung im Bereich
der Humanmedizin durch ärztliche oder arztähnliche Leistungen erbringt und die dafür erforderliche Qualifikation besitzt (vgl.
Urteil des BFH vom 18.08.2011, V R 27/10, BFH/NV 2011, 2214 – infektionshygienische Leistungen eines Arztes für andere Ärzte
und Krankenhäuser).
Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin dienen – so der BFH in dem zitierten Urteil – der Diagnose, Behandlung und der
Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen. Sie müssen einen therapeutischen Zweck haben. Zu den Heilbehandlungen gehören
auch Leistungen, die zum Zweck der Vorbeugung erbracht werden, wie vorbeugende Untersuchungen und ärztliche Maßnahmen an Personen,
die an keiner Krankheit oder Gesundheitsstörung leiden, sowie Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung
oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden. Keine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin sind
„ärztliche Leistungen”, „Maßnahmen” oder „medizinische Eingriffe”, die zu anderen Zwecken erfolgen. Unter Berücksichtigung
der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 18.11.2010, C-156/09 – Verigen –, UR 2011, 215 – Herauslösen von Gelenkknorpelzellen
und anschließende Vermehrung zur Reimplantation) komme es zudem nicht auf ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und einem
konkreten Patienten an. Der Steuerfreiheit stehe auch nicht entgegen, dass der Arzt beratend tätig wird.
Nach diesen Rechtsprechungsgrundsätzen stellen die Leistungen zur Tumordokumentation keine ärztlichen Leistungen dar. Die
Leistungen der Klägerin haben keinen (unmittelbaren) therapeutischen Zweck. Zwar hat der EuGH entschieden, dass die therapeutische
Zweckbestimmtheit einer Leistung nicht in einem besonders engen Sinne zu verstehen, sondern vielmehr unter Berücksichtigung
des Zwecks der Steuerbefreiung auszulegen ist, der darin besteht, die Kosten ärztlicher Heilbehandlung zu senken (vgl. Urteil
vom 18.11.2010, C-156/09 – Verigen – a.a.O.). Den zitierten Entscheidungen von BFH und EuGH liegen jedoch Sachverhalte zugrunde,
in denen Ärzte konkrete medizinische Leistungen bzw. medizinische Beratungen ausgeführt haben, die sich unmittelbar auf die
Heilbehandlung von anderen Ärzten und Krankenhäusern auswirkten. Dies ist hier aber gerade nicht der Fall. Die Klägerin hat
selbst herausgestellt, dass die Datenerfassung eine reine Dokumentation erfolgter Behandlungen ist und keine weitere gutachterliche
oder fachliche Tätigkeit des Arztes erfordert. Sie ist weder als Abschluss der eigentlichen Therapie zu werten noch als Vorbereitung
einer Therapie und deshalb auch nicht Bestandteil der durch die Klägerin erbrachten Heilbehandlung. Dass die in dem Tumorregister
gesammelten Dokumentationen für künftige Krebsbehandlungen dienlich sein können, führt ebenso wenig wie die Veröffentlichung
wissenschaftlicher Artikel oder eine Vortragstätigkeit (vgl. dazu Bunjes/Heidner, UStG 10. Auflage, § 4 Nr. 14 Randziffern
26-30) zur Steuerbefreiung, da es an dem notwendigen „unmittelbaren Bezug zu einer Heilbehandlungstätigkeit” fehlt (vgl. Urteil
des BFH vom 18.8.2011, V R 27/10, a.a.O.). Zudem handelt es sich bei der Dokumentation – dies verdeutlichen auch die mit Schriftsatz
der Klägerin vom 17.6.2013 übersandten Formularbögen – um eine Tätigkeit, die auf der Grundlage der ärztlichen Unterlagen
auch von einer Praxishilfe ausgeführt werden könnte, also keine entsprechende ärztliche Qualifikation erfordert. Aus den genannten
Gründen ist auch das Ziel der Steuerbefreiung, die Kosten der Heilbehandlung zu senken, bei administrativen Tätigkeiten wie
im Streitfall nicht berührt.
Zu keiner anderen Beurteilung führt schließlich der Umstand, dass die Klägerin aufgrund des vom Land Brandenburg im Vorgriff
auf die gesetzliche Regelung geführten Krebsregisters zur Dokumentation „verpflichtet” gewesen ist. Entscheidend für die Frage
der Steuerbefreiung ist allein die Art der Leistung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 155 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.