25.09.2013
Finanzgericht Münster: Urteil vom 10.07.2013 – 10 K 1769/11 E
Fahrten eines selbstständigen Steuerberaters zu seinem Hauptauftraggeber (Steuerberaterpraxis) unterliegen auch dann nicht
dem beschränkten Betriebsausgabenabzug für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte, wenn der Steuerberater die Steuerberaterpraxis
seines Hauptauftraggebers regelmäßig - im Streitjahr an 181 Tagen - aufsucht.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 10. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richterin … Ehrenamtliche
Richterin … Ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 10.07.2013 für Recht erkannt:
Tatbestand
I. Streitig ist, ob Aufwendungen des Klägers für Fahrten mit seinem überwiegend betrieblich genutzten Fahrzeug zu seinem Hauptauftraggeber
in vollem Umfang oder nur mit einer Entfernungspauschale von 0,30 Euro für jeden vollen Kilometer als Betriebsausgaben abziehbar
sind.
Der in E wohnhafte Kläger ist seit 1998 Steuerberater und hat sich mit dem Schwerpunkt internationale Rechnungslegung spezialisiert.
Er war bis Oktober 2006 bei einem Steuerberater im C angestellt und ist seitdem selbstständig tätig, ohne mit einem eigenen
Telefoneintrag oder anderen Werbemaßnahmen an die Öffentlichkeit zu treten. Im Streitjahr 2009 war sein Hauptauftraggeber,
von dem der Kläger als freier Mitarbeiter rund 61 % seiner Nettoeinnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit erzielte, die in S
ansässige Steuerberaterpraxis T & Partner (im Folgenden: Steuerberaterpraxis), für die der Kläger seit etwa 2006 tätig ist.
Die hierzu mündlich getroffene Vereinbarung sieht die Erstellung von Steuererklärungen und Jahresabschlüssen sowie vergleichbare
Leistungen für Mandanten der Steuerberaterpraxis vor, für die der Kläger zwischen 40% (z.B. für die Fertigung von Jahresabschlüssen
etc.) und 80% (z.B. für intensive Beratungsgespräche) der gegenüber den Mandanten der Steuerberaterpraxis abgerechneten Nettohonorare,
Stundensätze bzw. direkt anfallenden Sonderkosten erhält. Der Umfang der Tätigkeit des Klägers richtet sich nach dem Arbeitsanfall
der Steuerberaterpraxis. Absprachen über die Dauer und die Länge der Zusammenarbeit wurden nicht getroffen. Seine Leistungen
für die Steuerberaterpraxis hat der Kläger an deren Sitz in S zu erbringen, den er im Streitjahr an insgesamt 181 Tagen aufsuchte.
Er konnte dabei über seine Arbeitszeiten frei bestimmen und regelmäßig den gleichen Arbeitsplatz und das Equipment der Steuerberaterpraxis
nutzen.
Neben der Tätigkeit für die Steuerberaterpraxis war der Kläger für einen international tätigen Konzern und weitere Mandanten
aus dem Raum E und L tätig. Diese Mandate beruhten noch auf Bekanntschaften aus der Zeit seiner Angestelltentätigkeit sowie
nachfolgender Mund-zu-Mund-Propaganda. Die Tätigkeit für diese Mandanten übte der Kläger nach seinen Angaben in bzw. von seiner
aus 2 Zimmern und Bad bestehenden Wohnung in E aus, in der das dafür notwendige Equipment (2 Computer, 2 Monitore, 1 Laptop,
1 Drucker, 1 Reisedrucker, 1 Multifunktionsgerät, 1 Reißwolf und 1 Telefonanlage, Regale und Schränke, Ordner und Archivboxen,
Akten, Fachliteratur) vorhanden war und dessen vorderes Zimmer er (auch) beruflich nutzte.
In seiner Gewinnermittlung für 2009 berücksichtigte der Kläger als Betriebsausgaben Kosten in Höhe von netto EUR 10.801,11
für einen geleasten betrieblichen Pkw, mit dem er im Jahre 2009 insgesamt 35.604 Kilometer zurücklegte.
Als Entnahme für die private Pkw-Nutzung des Pkw setzte er einen an Hand seiner Aufzeichnungen im Fahrtenbuch ermittelten
Betrag in Höhe von insgesamt netto EUR 1.672,01 (15,48 % der Gesamtkosten für 5.513 Kilometern privat gefahrene Kilometer)
an.
Der Beklagte setzte die Einkommensteuer für 2009 zunächst erklärungsgemäß fest. Nach Überprüfung des Fahrtenbuchs des Klägers
vertrat er die Ansicht, die Steuerberaterpraxis in S stelle die regelmäßige Betriebsstätte des Klägers dar. Insoweit dürften
die Aufwendungen für die Fahrten nach S gemäß
§ 4 Absatz 5 Nr. 6 Einkommensteuergesetz (EStG) in Höhe des positiven Unterschiedsbetrages zwischen dem auf diese Fahrten
entfallenden tatsächlichen Aufwendungen und dem sich nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ergebenen Betrag den Gewinn nicht mindern.
Er erhöhte dementsprechend den Gewinn um – der Höhe nach unstreitige – EUR 3.595,35 und setzte mit nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung
(AO) geändertem Bescheid vom 15.12.2010 die Einkommensteuer für 2009 auf EUR 6.235,– fest. Gleichzeitig hob er den Vorbehalt
der Nachprüfung auf.
Mit der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage vertritt der Kläger weiterhin in die Ansicht, die Aufwendungen für seine
Fahrten nach S seien in voller Höhe als Betriebsausgaben zu berücksichtigen.
Die Steuerberaterpraxis in S stelle nicht seine Betriebsstätte oder regelmäßige Arbeitsstätte dar. Hierfür sei erforderlich,
dass die Geschäftseinrichtung der Verfügungsmacht des Unternehmers unterliegen. Dies sei bei ihm nicht der Fall.
Die Steuerberaterpraxis sei aus seiner Sicht ein Kunde wie alle seine anderen Mandanten. Er habe dort im Jahre 2009 lediglich
61,7% seiner Einnahmen erzielt. Dieser Anteil sei im Jahre 2010 auf unter 45% gesunken und habe sich auch 2011 weiter reduziert.
Der Umfang und die Dauer der freien Mitarbeit seien nicht abzusehen bzw. geplant gewesen. Hinzu komme, dass er an keinerlei
bestimmte Arbeitszeiten gebunden sei, so dass seine persönliche Anwesenheit in S jederzeit in seinem freien Ermessen gelegen
habe.
In der Steuerberaterpraxis habe zunächst das Freie-Platz-Prinzip geherrscht. Im Streitjahr 2009 habe er aber die Möglichkeit
gehabt, regelmäßig den gleichen Arbeitsplatz zu nutzen. Eine Tätigkeit für eigene Mandanten sei ihm zwar nicht ausdrücklich
untersagt gewesen, da es keine Überschneidungen gegeben habe. Wegen bestehender Platzprobleme hätte sich die Steuerberaterpraxis
aber „bedankt”, wenn er die dortigen Räumlichkeiten mit seinem Material vollgestopft hätte. Zudem sei eine Abwicklung eigener
Angelegenheiten organisatorisch nur schwer möglich gewesen, da sich sämtliche Akten seiner sonstigen Mandanten, seine Fachliteratur,
sein Archivmaterial und sein Equipment in E befunden hätten. Insbesondere habe er in E erheblich umfangreichere Fachliteratur
zum internationalen Steuerrecht, als sie in der Steuerberatungspraxis vorhanden sei. Faktisch habe es sich so eingespielt,
dass er in E auch Angelegenheiten der Steuerberaterpraxis erledigt habe, insbesondere wenn er auf seine Literatur habe zurückgreifen
müssen.
Zudem sei nach dem BFH-Urteil vom 9.7.2009 VI R 21/08, BStBl II 2009, 822 die betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers
keine regelmäßige Arbeitsstätte. Diese Rechtsprechung sei auch bei Gewinneinkünften entsprechend anzuwenden.
Der Kläger beantragt,
den geänderten Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 15.12.2010 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 21.4.2011 ersatzlos
aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, in Anlehnung an die Rechtsprechung des BFH (BFH-Urteile vom 9.6.11 VI R 36/10, BStBl II 2012, 36 und VI R 55/10,
BStBl II 2012, 38), wonach ein Arbeitnehmer nur noch eine regelmäßige Arbeitsstätte haben könne, sei auch bei Selbstständigen
nur noch eine regelmäßige Betriebsstätte anzunehmen.
Regelmäßige Betriebsstätte des Klägers sei aber die Steuerberaterpraxis in S, die der Kläger an 181 Arbeitstagen aufgesucht
und in der er einen nicht unerheblichen Teil seiner Betriebseinnahmen erwirtschaftet habe.
Die mit der Begrenzung des Fahrtkostenabzugs in § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG angestrebte Gleichbehandlung des Werbungskostenabzugs
bei Arbeitnehmern und des Betriebsausgabenabzugs bei Selbstständigen verlange eine deutliche Grenzziehung zwischen dem privaten
Bereich des Wohnens und dem der beruflichen oder betrieblichen Betätigung. Räumlichkeiten, die wie üblicherweise ein häusliches
Arbeitszimmer nur einen Teil der Wohnung oder des Wohnhauses bildeten, könnten ungeachtet ihrer beruflichen oder betrieblichen
Nutzung nicht als Betriebsstätte qualifiziert werden.
Insoweit sei die Kürzung der Fahrtkosten zu Recht erfolgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und de Steuerakten Bezug genommen.
Gründe
II.
Die Klage ist begründet.
Der geänderte Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 15.12.2010 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 21.4.2011 ist
rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –), da der Beklagte hierin
die auf die Fahrten nach S entfallenden Fahrzeugkosten nicht in voller Höhe als Betriebsausgaben berücksichtigt, sondern unter
Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG um EUR 3.595,– gekürzt hat. Er war deshalb aufzuheben.
1. Bei den dem Kläger im Streitjahr für seinen Pkw entstandenen Aufwendungen handelt es sich um Betriebsausgaben i. S. von
§ 4 Abs. 4 EStG, weil dieses Fahrzeug weit überwiegend betrieblich genutzt wurde und deshalb zum notwendigen Betriebsvermögen
des Klägers gehörte. Die Fahrten nach S sind auch betrieblich veranlasst. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Zu Unrecht geht der Beklagte jedoch davon aus, dass diese Aufwendungen teilweise einem Abzugsverbot gemäß § 4 Abs. 5 Satz
1 Nr. 6 Sätze 1 und 2 EStG unterliegen. Nach dieser Regelung dürfen Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Wege zwischen
Wohnung und Betriebsstätte den Gewinn nur in dem durch § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG bestimmten Umfang mindern. Danach
sind Fahrten eines Arbeitnehmers zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte mit der Entfernungspauschale von EUR 0,30
für jeden vollen Entfernungskilometer, höchstens EUR 4.500,– im Kalenderjahr, abgegolten; ein höherer Betrag als EUR 4.500,–
ist anzusetzen, soweit der Arbeitnehmer einen eigenen oder ihm zu Nutzung überlassenen Kraftwagen benutzt.
Diese Vorschrift ist im Streitfall nicht anzuwenden, weil der Kläger bei der aus Gründen der Gleichbehandlung gebotenen Anwendung
der neueren BFH-Rechtsprechung zur regelmäßigen Arbeitsstätte von Arbeitnehmern auch auf die übrigen Steuerpflichtigen im
Streitjahr 2009 am Sitz der Steuerberaterpraxis keine Betriebsstätte im Sinne des § 12 AO oder des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6
Satz 1 EStG unterhielt und damit auch keine Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte vorlagen.
a. Eine Betriebsstätte im Sinne von § 12 S. 1 AO liegt nicht vor. Diese erfordert, dass der Unternehmer eine nicht nur vorübergehende
Verfügungsmacht über die von ihm genutzte Geschäftseinrichtung oder Anlage hat. Das bloße Tätigwerden in den Räumlichkeiten
des Vertragspartners genügt für sich genommen selbst dann nicht zur Begründung der erforderlichen Verfügungsmacht, wenn die
Tätigkeit über mehrere Jahre hinweg erbracht wird (BFH-Urteil vom 4.6.2008 I R 30/07, BStBl II 2008, 922 m.w.N.). Im Streitfall
war dem Kläger die Nutzung seines Arbeitsplatzes in S nur im Rahmen seiner Tätigkeit für die Steuerberaterpraxis eingeräumt.
Ein eigenständiges Nutzungsrecht bestand nicht. Insbesondere konnte ihm die Nutzungsmöglichkeit jederzeit entzogen werden.
b. Der Senat verkennt nicht, dass die bisherige BFH-Rechtsprechung den Begriff der Betriebsstätte im Sinne des § 6 Abs. 5
Nr. 6 Satz 1 EStG abweichend von § 12 AO definiert und unter „Betriebsstätte” jede (von der Wohnung getrennte) Beschäftigungsstätte
des Steuerpflichtigen versteht. Als regelmäßige Betriebstätte war danach der Ort zu verstehen, an dem der Unternehmer die
geschuldete Leistung mit einer gewissen Nachhaltigkeit zu erbringen hatte; anders als in § 12 AO war eine abgrenzbare Fläche
oder Räumlichkeit und eine hierauf bezogene Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen nicht erforderlich (BFH-Urteil vom 19.9.1990
X R 44/89, BStBl II 1991, 97 m.w.N.). Demgegenüber konnten im eigenen Wohnhaus belegene oder in die private Sphäre eingebundene
Räumlichkeiten nicht als Betriebsstätte im Sinne von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG qualifiziert werden (BFH-Beschlüsse vom
18.5.2005 X B 42/04, Juris; vom 28.6.2006 IV B 75/05, BFH/NV 2006, 2243 und vom 26.6.2007 V B 197/05, BFH/NV 2007, 1897).
Damit wurden entsprechend dem Regelungszweck des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG, Unternehmer und Arbeitnehmer hinsichtlich
der Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeits- bzw. Betriebsstätte gleich behandelt und die tatbestandlichen Voraussetzungen
für Arbeitsstätte und Betriebsstätte gleich interpretiert. Nach dieser bisherigen Rechtsprechung ist das Bürogebäude eines
Auftraggebers, das ein Selbständiger im Rahmen seiner Tätigkeit praktisch jeden Arbeitstag regelmäßig aufsuchte, als Betriebsstätte
anzusehen, da der Selbstständige einem Arbeitnehmer vergleichbar war, der täglich zu seiner Arbeitsstätte fährt. Sein häusliches
Arbeitszimmer ist keine Betriebsstätte (vgl. BFH-Beschluss vom 21.3.2001 IV B 29/00, Juris).
Bei Anwendung dieser bisherigen Rechtsprechung unterlägen die 181 Fahrten des Kläger dem begrenzten Betriebskostenabzug, da
er – wie ein Arbeitnehmer seine regelmäßige Arbeitsstelle – seine Beschäftigungsstelle in S praktisch jeden Arbeitstag von
seiner Wohnung aus aufgesucht hat.
b. Der BFH hat allerdings seine die regelmäßige Arbeitsstätte von Arbeitnehmern betreffende Rechtsprechung inzwischen aufgegeben
bzw. modifiziert.
Regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist nach der neueren BFH-Rechtsprechung nur noch jede ortsfeste
dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich,
sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, das heißt fortdauernd und immer wieder aufsucht; dies ist regelmäßig der Betrieb
des Arbeitgebers oder ein Zweigbetrieb. Dagegen ist die betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers keine regelmäßige
Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Die Vorschrift kommt demnach auch dann nicht zur Anwendung, wenn ein
Arbeitnehmer bei einem Kunden des Arbeitgebers längerfristig eingesetzt ist (BFH-Urteile vom 10.7.2008 VI R 21/07, BStBl II
2009, 818; vom 9.7.2009 VI R 21/08, BStBl II 2009, 822).
Zur Begründung führt der BFH an, dass gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG alle beruflich veranlassten Aufwendungen, zu denen grundsätzlich
auch Fahrt- bzw. Mobilitätskosten gehören, regelmäßig in tatsächlicher Höhe abziehbar seien. Dieser Grundsatz erfahre zwar
durch § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG insoweit eine Einschränkung, als die Fahrtkosten zwischen Wohnung und (regelmäßiger) Arbeitsstätte
nicht im tatsächlichen Umfang steuerlich abziehbar seien, sondern nur nach Maßgabe einer Entfernungspauschale. Diese Durchbrechung
des Prinzips des Begrenzung sei im Grundsatz sachlich gerechtfertigt (BFH-Urteil vom 11.5.2005 VI R 7/02, BFHE 209, 502, BStBl
II 2005, 782), da sich ein Arbeitnehmer bei einer auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegten (regelmäßigen) Arbeitsstätte in
unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken könne. Dies
könne etwa durch Bildung von Fahrgemeinschaften und Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und ggf. durch eine entsprechende
Wohnsitznahme geschehen. Für diesen Fall erweise sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als sachgerechte und folgerichtige
Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip.
Dagegen sei die Durchbrechung der vollen Abziehbarkeit beruflich veranlasster Mobilitätskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG
sachlich nicht gerechtfertigt, wenn keine auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte (regelmäßige) Arbeitsstätte vorliege, auf
die sich der Arbeitnehmer typischerweise in der aufgezeigten Weise einstellen könne. Dies sei insbesondere bei Auswärtstätigkeiten
der Fall (BFH-Urteile vom 11.5.2005 VI R 7/02, BStBl II 2005, 782 und VI R 70/03, BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785; vgl.
auch BFH-Urteil vom 10.4.2008 VI R 66/05, BStBl II 2008, 825). Ein auswärts tätiger Arbeitnehmer habe typischerweise nicht
die vorgezeichneten Möglichkeiten, seine Wegekosten gering zu halten, insbesondere scheide ein Familienumzug an die Tätigkeitsstätte
aus. Entsprechendes treffe auch auf einen Arbeitnehmer zu, der vorübergehend ausschließlich am Betriebssitz eines Kunden für
seinen Arbeitgeber tätig ist.
Dementsprechend ist der BFH in seinem Urteil vom 10.7.2008 VI R 21/07, BStBl II 2009, 818 auch bei einem Arbeitnehmer, der
vorübergehend ausschließlich am Betriebssitz eines Kunden für seinen Arbeitgeber tätig ist, davon ausgegangen, dass dieser
typischerweise nicht die Möglichkeit hat, sich auf diese Tätigkeitsstätte einzustellen. Hieraus hat der BFH geschlossen, dass
die betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr.
4 EStG ist, und insoweit ausgeführt, dass diese Vorschrift auch dann nicht zur Anwendung kommt, wenn ein Arbeitnehmer bei
einem Kunden längerfristig eingesetzt wird. Denn die Beurteilung, ob sich ein Arbeitnehmer in der genannten Weise auf eine
bestimmte Tätigkeitsstätte einstellen kann, habe stets aus der Sicht zum Zeitpunkt des Beginns der jeweiligen Tätigkeit „ex
ante”) zu erfolgen. Solle ein Arbeitnehmer in der betrieblichen Einrichtung eines Kunden seines Arbeitgebers eingesetzt werden,
so sei prägend für diese Sicht des Arbeitnehmers allein das Arbeitsverhältnis und nicht die Vertragsbeziehung zwischen Arbeitgeber
und Kunde. Auf die konkrete Ausgestaltung und die Dauer jener vertraglichen Beziehung könne und müsse sich der Arbeitnehmer
typischerweise weder rechtlich noch faktisch mit dem Ergebnis der Minderung der Wegekosten einstellen. Vielmehr sei es gerade
Ausdruck des Arbeitsverhältnisses, dass der beim Kunden eingesetzte Arbeitnehmer hinsichtlich des Orts, an dem er seine Arbeitsleistung
zu erbringen hat, in besonderer Weise dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterliege. Auch bei längerfristigem Einsatz beim
Kunden stehe die dortige Tätigkeit unter einem dem Einfluss des Arbeitnehmers entzogenen Vorbehalt, dass die vom Arbeitsverhältnis
unabhängige Vertragsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Kunde Bestand hat.
d. Der Senat ist der Auffassung, dass die geänderte Rechtsprechung des BFH zur regelmäßigen Arbeitsstätte in § 9 Abs. 1 Satz
3 Nr. 4 EStG entsprechend auch hinsichtlich der Auslegung des Begriffs der Betriebsstätte in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG
anzuwenden ist.
Das Erfordernis einer entsprechenden Auslegung ergibt sich insbesondere aus der bereits nach der bisherigen Rechtsprechung
zum Betriebsstättenbegriff verfassungsrechtlich gebotenen Gleichbehandlung von Arbeitnehmern und Unternehmern in Bezug auf
den Abzug von Fahrtkosten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeits- bzw. Betriebsstätte (vgl. BVerfG-Beschluss vom 2.10.1969
1 BvL 12/68, BVerfGE 27, 58; so auch Urteile des Finanzgerichts Münster vom 22.3.2013 4 K 4834/10 E, EFG 2013, 839; des Finanzgerichts
Baden-Württemberg vom 27.10.2011 3 K 1849/09, EFG 2012, 310). Ebenso wie ein Arbeitnehmer, der an wechselnden Arbeitsstellen
oder in der betrieblichen Einrichtung eines Kunden des Arbeitsgebers eingesetzt ist, kann auch ein in einer betrieblichen
Einrichtung eines Kunden tätiger selbstständiger Unternehmer regelmäßig nicht durch Bildung von Fahrgemeinschaften oder die
Verlegung seines Wohnsitzes die Fahrtkosten minimieren. Denn auch für ihn ist es – ebenso wie für einem Arbeitnehmer, der
in der Einrichtung eines Kunden tätig ist – typischerweise ungewiss, wie lange die vertragliche Beziehung zu seinem Kunden
erhalten bleibt, da –soweit nicht ausnahmsweise langfristige Verträge abgeschlossen sind– das Auftragsverhältnis üblicherweise
jederzeit kurzfristig beendet werden kann. Insoweit kann auch ein Unternehmer aus der maßgeblichen Sicht zum Zeitpunkt des
Beginns der jeweiligen Tätigkeit regelmäßig nicht beurteilen, wie lange seine Tätigkeit in der betrieblichen Einrichtung seines
Auftraggebers fortdauern wird. Selbst wenn er – anders als hier der Kläger – lediglich für einen Kunden tätig ist, ist es
ihm daher regelmäßig nicht zumutbar, seinen Fahrtaufwand dadurch zu reduzieren, dass er seinen Wohnsitz in die Nähe der betrieblichen
Einrichtung des Kunden verlegt. Dies gilt erst recht, wenn ein Unternehmer nicht nur für einen einzigen Kunden in dessen betrieblicher
Einrichtung, sondern daneben für weitere Kunden tätig ist.
Im Übrigen spricht auch der in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 2 EStG enthaltene Verweis, wonach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 insgesamt
und nicht nur in Bezug auf seine Rechtsfolgen anzuwenden ist, für eine gleichartige Auslegung beider Vorschriften
e. Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze und der gebotenen Gesamtwürdigung der Umstände des Streitfalls hatte der Kläger im
Streitjahr 2009 keine Betriebsstätte im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG in S, sodass die streitigen Fahrtkosten dorthin
in vollem Umfang als Betriebsausgaben zu berücksichtigen sind.
Es war dem Kläger – ähnlich einem Arbeitnehmer, der in der Einrichtung eines Kunden seines Arbeitgebers tätig ist – nicht
möglich und zumutbar, etwa durch Verlegung seines Wohnsitzes seine Fahrtkosten zu minimieren, da er nicht von einer dauerhaften
und regelmäßigen Tätigkeit in der betrieblichen Einrichtung der Steuerberaterpraxis in S ausgehen konnte.
Gegen eine von vornherein langfristig angelegte Tätigkeitsstätte in S spricht bereits, dass der Kläger lediglich als freier
Mitarbeiter für die Steuerberaterpraxis tätig war und Absprachen über die Dauer und die Länge der Zusammenarbeit nicht getroffen
waren. Insoweit war das Auftragsverhältnis jederzeit kündbar. Zudem richtete sich der Umfang der Tätigkeit nach dem Arbeitsanfall
der Steuerberaterpraxis, sodass der Kläger nicht nur vom Bestehen des Auftragsverhältnisses mit der Steuerberaterpraxis, sondern
auch von den nicht in seinem Einflussbereich liegenden weiteren Vertragsverhältnissen zwischen der Steuerberaterpraxis und
deren Mandanten abhängig war.
Dagegen sind Umstände, nach denen der Kläger von vorneherein von einem über lange Jahre gesichertem Auftragsverhältnis hätte
ausgehen können, weder festgestellt noch sonst ersichtlich. Hiergegen spricht auch, dass der mit der Steuerberaterpraxis erzielte
Umsatzanteil nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben des Klägers von im Streitjahr rund 61% auf im Jahre 2010 unter 45%
gesunken ist und sich 2011 noch weiter reduziert hat.
3. Da nach alledem die Räume der Steuerberaterpraxis keine regelmäßige Betriebsstätte des Klägers darstellen, ist § 4 Abs.
5 Satz 1 Nr. 6 EStG nicht anwendbar. Die Fahrzeugkosten für seine Fahrten nach S sind daher ohne Beschränkung abziehbar. Die
Ermittlung des Betrags, mit dem die Nutzungsentnahme durch den Gebrauch des Pkw für Privatfahrten gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Sätze
1 und 3 EStG angesetzt wurde, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Das vom Kläger vorgelegte Fahrtenbuch ist ordnungsgemäß.
Danach betrug der Anteil der privaten Kfz-Nutzung nicht mehr 15,48 %.
Die dafür angesetzte Entnahme kann wie vom Kläger ermittelt angesetzt werden. Dies ist nicht streitig
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den
§§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
5. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, um dem BFH Gelegenheit zu geben, die
Maßgeblichkeit der Rechtsprechung des VI. Senats auch für die Anwendung von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG zu bestätigen.