· Fachbeitrag · Altersrente/Versorgungswerk
Verfassungswidrige Doppelbesteuerung von Renteneinkünften
von StB Christian Herold, Herten, www.herold-steuerrat.de
| Derzeit liegen zwei Revisionen zur Doppelbesteuerung von Renten beim BFH, über die wohl Mitte Mai 2021 entschieden wird. Doch selbst wenn der BFH die Frage beantwortet, wann eine Doppelbesteuerung vorliegt und wie diese konkret zu ermitteln ist, so dürfte die Frage offenbleiben, ob der Steuerpflichtige die Doppelbesteuerung nachweisen muss, wofür sehr komplexe Berechnungen erforderlich sind. Denn die Finanzverwaltung weist schon jetzt Einsprüche rigoros zurück, die nur mit der Existenz der anhängigen Verfahren begründet werden. Der Beitrag gibt Rat, was Berater und Steuerpflichtiger in diesem Fall tun können. |
1. Verfassungsgemäß oder Doppelbesteuerung?
BFH und BVerfG sind der Auffassung, der Gesetzgeber habe nun einmal einen breiten Spielraum bei der Festlegung der Rahmenbedingungen für die Einkommensteuer und diesen habe er in noch zulässiger Weise ausgenutzt. Allerdings kann es im Einzelfall durchaus Fälle einer unzulässigen Doppelbesteuerung geben. Dies ist nach dem Urteil des BFH (21.6.16, X R 44/14) dann der Fall, wenn die steuerfreien Rentenbezüge geringer sind als der aus versteuertem Einkommen geleistete Teil der Altersvorsorgeaufwendungen. Eine mögliche Doppelbesteuerung könnte beispielsweise Personen betreffen, die zunächst als Angestellte und später viele Jahre gewerblich oder freiberuflich tätig waren und auf Antrag bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) bis zum Eintritt in den Ruhestand pflichtversichert geblieben sind. Denn als Gewerbetreibender oder Freiberufler gab es einerseits keine steuerfreien Zuschüsse zur Altersversorgung, andererseits konnten die Beiträge zumindest nach dem alten Recht der Rentenbesteuerung bis 2004 nur sehr begrenzt steuerlich abgezogen werden. Auch Freiberufler, die freiwillig hohe Beiträge in ihr Versorgungswerk einbezahlt haben, könnten betroffen sein.
Leider haben die Richter des BFH in dem zitierten Urteil ausgeführt, dass der Steuerzahler die Beweislast für die Doppelbesteuerung trägt. Das heißt: Es müssen alle Steuerbescheide der Vergangenheit vorgelegt werden. Das können mitunter 45 Jahre sein. Alternativ könne der Verlauf der Rentenversicherung dargestellt werden, aus denen das FG im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht die weiteren Tatsachen herleiten muss (so BFH-Richter Nöcker in NWB 16, 3432).
2. Erneut zwei Verfahren beim BFH
Derzeit liegen beim BFH, wie erwähnt, zwei Verfahren zur „Doppelbesteuerung von Renten“ (FG Hessen 28.5.18, 7 K 2456/14, Rev. BFH X R 20/19; FG Baden-Württemberg 1.10.19, 8 K 3195/16, Rev. BFH X R 33/19). Auch ist ein Verfahren beim FG Saarland (3 K 1072/20) anhängig. Exemplarisch soll hier kurz der Fall aus Baden-Württemberg skizziert werden.
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Der verheiratete Kläger hatte ca. zehn Jahre lang als Auszubildender und Angestellter Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet. Als freiberuflich Tätiger war er auf Antrag bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) bis zum Eintritt in den Ruhestand pflichtversichert. Seit Dezember 2007 bezieht er eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Das FA berücksichtigte einen steuerpflichtigen Besteuerungsanteil von 54 %. Dies sei verfassungswidrig ‒ so der Kläger. Denn als Freiberufler habe er 89,15 % der Beiträge aus versteuertem Einkommen gezahlt.
Die Richter entschieden, dass die Summe der Rententeilbeträge, die dem Kläger nach der statistischen Lebenserwartung steuerunbelastet zufließen werden, höher sei als der vom Kläger aus versteuertem Einkommen geleistete Teil seiner Altersvorsorgeaufwendungen. Die Berechnung der steuerunbelastet zufließenden Rententeilbeträge nahmen die Richter auf der Grundlage des Nominalwertprinzips vor. Das FG berücksichtigte weder die Lebenserwartung der jüngeren Ehefrau im Hinblick auf eine ihr möglicherweise künftig zufließende Hinterbliebenenrente noch bestimmte steuerliche Abzüge. Fazit: Die Besteuerung sei nicht verfassungswidrig. Doch das FG ließ die Revision zum BFH zu. |
3. Finanzverwaltung verlangt nahezu Unmögliches
Üblicherweise gilt die Empfehlung, dass sich Steuerzahler auf die anhängigen BFH-Verfahren berufen sollen und ein Ruhen ihres eigenen Falls (Einspruchs) beantragen sollen, wenn sie der Auffassung sind, dass auch bei ihnen eine unzulässige Doppelbesteuerung vorliegen könnte. Aber: Einer Anweisung der OFD Nordrhein-Westfalen zufolge werden Anträge auf ein „Ruhen des Verfahrens“ abgelehnt, wenn die Steuerzahler ihren Einspruch nicht hinreichend begründen (Kurzinformation Einkommensteuer vom 14.7.20). Das heißt also nach dem Willen der Finanzbeamten:
- Es ist eine konkrete Berechnung erforderlich, die die mögliche Doppelbesteuerung aufzeigt.
- Zudem sollen geeignete Unterlagen (Versicherungsverlauf, Steuerbescheide und Steuererklärungen für die Jahre der Einzahlungsphase, soweit diese nicht mehr an Amtsstelle vorliegen) vorgelegt werden.
- Die Feststellungslast liegt beim Steuerzahler. Kommt er den oben genannten Anforderungen nicht nach, liegt kein Fall vor, der ein Ruhenlassen des Einspruchs erforderlich macht. Der Einspruch ist als unbegründet zurückzuweisen.
PRAXISTIPP | Es ist nicht klar, ob die Anweisung bundesweit abgestimmt ist. Betroffene sollten die geforderte Berechnung und die entsprechenden Unterlagen nach Möglichkeit ihrem Einspruch aber dennoch beifügen, um sich die Aussichten auf ein erfolgreiches Einspruchsverfahren und vor allem auch auf ein Ruhen des Verfahrens zu bewahren. Zwar ist die Haltung der Finanzverwaltung, von Anfang an eine konkrete Berechnung zu fordern, äußerst bedenklich und vielleicht auch nicht mehr lange zu halten. Nur: Den Einspruchsführern nützt es nicht viel, wenn sie eine ablehnende Einspruchsentscheidung in Händen halten und gegen diese nur noch ‒ mit einem entsprechenden Kostenrisiko ‒ klagen können. Von daher sollte der „Forderung“ der Finanzverwaltung ‒ soweit es eben geht ‒ nachgekommen werden. |
4. Berechnung der möglichen Doppelbesteuerung
Die Berechnung einer möglichen Doppelbesteuerung ist zugegebenermaßen schwierig. Dazu muss einerseits anhand der Steuerbescheide vergangener Jahre (insbesondere der Jahre vor 2005) ermittelt werden, in welcher Höhe die Rentenbeiträge steuerlich entlastet wurden und andererseits in welcher Höhe die Renteneinkünfte nun „befreit“ werden. Das heißt, anhand der voraussichtlichen Lebenserwartung nach der so genannten Sterbetafel sind die prognostizierte Rentenhöhe und der steuerfreie Rentenanteil zu berechnen. Eine Doppelbesteuerung liegt vor, wenn die steuerfreien Rentenbezüge geringer sind als der aus versteuertem Einkommen geleistete Teil der Altersvorsorgeaufwendungen. Da kommen viele Faktoren zusammen, wie die beiden Beispiele zeigen.
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Herr Müller (EUR) | Frau Meier EUR) | |||
Erwerbsphase | ||||
Einzahlungen in die Altersversorgung | 500.000 | 300.000 | ||
davon steuerlich ausgewirkt | 175.000 | 150.000 | ||
davon aus versteuertem Einkommen | 325.000 | 150.000 | ||
Rentenphase | ||||
Rente bei Renteneintritt monatlich | 2.778 | 2.500 | ||
Rente jährlich | 33.336 | 30.000 | ||
statistische (Rest-)Lebenserwartung (Jahre) | 15 | 20 | ||
erwartete Rente bis zum Tod | 500.040 | 600.000 | ||
Besteuerungsanteil | 65 % | 325.026 | 60 % | 360.000 |
steuerfrei | 35 % | 175.014 | 40 % | 240.000 |
Vergleich | ||||
aus versteuertem Einkommen gebildete Rente | 325.000 | 150.000 | ||
steuerfrei belassene Rente | 175.014 | 240.000 | ||
mögliche Doppelbesteuerung | 149.986 | nein |
Die Beispiele sind sehr vereinfachend dargestellt. Wer nicht gerade Freude an Mathematik und zudem viel Zeit hat, wird solche Berechnungen kaum leisten können. Soweit die Möglichkeit besteht, sollten Interessierte daher den Beitrag von Schindler/Braun (NWB Nr. 11/2020, S. 784) mit einer tabellarischen Übersicht und Musterberechnungen zu den Fällen der möglichen Doppelbesteuerung zur Hand nehmen. Die dortigen Hinweise können zur Begründung des eigenen Einspruchs dienen. Schindler/Braun gebührt die Anerkennung, die eventuelle Doppelbesteuerung von Renten finanzmathematisch aufgezeigt, wenn nicht gar nachgewiesen zu haben.
Wer den Aufsatz nicht zur Hand hat oder sich umfassende Berechnungen sparen möchte, könnte auch folgendes ‒ zugegebenermaßen vereinfachende ‒ Schema zur Berechnung einer möglichen Doppelbesteuerung seinem Einspruch beifügen. Zumindest wird sich das FA mit der Berechnung eingehend auseinandersetzen müssen.
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Datum/Jahre/% | EUR | EUR | |||
1. | Beiträge Rentenversicherung, Versorgungswerk bis 2004 insgesamt (nur eigene bzw. Arbeitnehmerbeiträge) | = | |||
2. | davon berücksichtigt als Sonderausgaben/Vorsorgeaufwendungen | Steuerliche Einkommensminderung in der Aktivphase* | = | ||
3. | Beiträge Rentenversicherung, Versorgungswerk ab 2005 insgesamt (nur eigene bzw. Arbeitnehmerbeiträge) | = | |||
4. | davon berücksichtigt als Sonderausgaben/Vorsorgeaufwendungen | Steuerliche Einkommensminderung in der Aktivphase* | = | ||
5. | Summe 2. + 4. = | = | |||
6. | Eingezahltes Rentenkapital 1. + 3. = | Summe 1. + 3. = | = | ||
7. | Damit „Rentenstock“ aus versteuertem Einkommen aufgebaut i. H. v. | Differenz 6. ./. 5. | = | ||
8. | Rentenbeginn am: | ||||
9. | Voraussichtliche Lebenserwartung laut Sterbetafel: | ||||
10. | Rente pro Monat: | = | |||
11.** | Besteuerungsanteil in % | z. B. 70 % | |||
12 | Rentenfreibetrag damit | z. B. 30 % | |||
13. | Rentenfreibetrag in EUR | = | |||
14. | Der steuerunbelastete Teil der Rente beträgt somit | Rentenfreibetrag laut Punkt 13. × voraussichtliche Lebenserwartung in Jahren laut Punkt 9 | = | ||
15. | Höherer Wert aus Punkt 7. u. Punkt 14. | = | |||
16. | Wenn der Wert laut Punkt 7. höher ist als der Wert laut Punkt 14., könnte eine teilweise unzulässige Besteuerung der Rente („Doppelbesteuerung“) vorliegen, da die Summe der Rententeilbeträge, die dem Rentner hier nach der statistischen Lebenserwartung steuerunbelastet zufließen werden, höher wären als der aus versteuertem Einkommen geleistete Teil der Altersvorsorgeaufwendungen. |
* Anhand der Steuerbescheide sollte der Wert möglichst genau ermittelt werden. Falls dies nicht möglich ist: Für die Jahre bis 2004 kann er gegebenenfalls mit höchstens 5.000 EUR pro Jahr geschätzt werden, denn in den 90er Jahren waren abziehbar: Grundhöchstbetrag 2.610 DM + Vorwegabzug 6.000 DM + halber Grundhöchstbetrag 1.305 DM. Bei Zusammenveranlagung waren die Beträge zu verdoppeln, jedoch waren sie zum Beispiel bei Einkünften aus nicht-selbstständiger Arbeit (§ 19 EStG) zu kürzen. Zudem ist zu beachten, dass die Höchstbeträge früher gemeinsam für alle Vorsorgeaufwendungen galten, also auch für Beiträge zur Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Die Beiträge zu den verschiedenen Sparten der gesetzlichen Sozialversicherung sind gleichrangig in die Berechnung des abziehbaren Teils der Altersvorsorgeaufwendungen einzustellen, sodass letztlich in den meisten Fällen nicht 5.000 EUR, sondern umgerechnet vielleicht nur ein Abzugsbetrag von 3.000 EUR oder noch weniger auf die Rentenversicherung entfiel.
** Haben Stpfl. vor dem 1.1.05 mindestens 10 Jahre lang Beiträge geleistet, die insgesamt über den Jahreshöchstbeitrag in der gesetzlichen Rentenversicherung (West) hinausgingen, so können sie beantragen, dass die auf diesen Beiträgen beruhende Rente nicht mit dem hohen Besteuerungsanteil, sondern mit dem wesentlich günstigeren Ertragsanteil versteuert wird (sog. Öffnungsklausel nach § 22 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. bb S. 2 EStG).
PRAXISTIPP | Wie erwähnt ist das Berechnungsschema noch sehr vereinfacht. Es kann aber möglicherweise helfen, um einen Einspruch nicht von vornherein als unbegründet abzulehnen. |
Das besondere Augenmerk muss letztlich auf die exakte Berechnung der ‒ geringen ‒ steuerlichen Entlastung in der Aktivphase gelegt werden, insbesondere bei den Jahren vor 2005. Und hier helfen sicherlich die alten Steuerbescheide am besten weiter, die dem Einspruch ‒ nebst Rentenmitteilungen ‒ auch beigefügt werden sollten. Hier gilt die Praktikerregel: Viel (Papier) hilft viel. |
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Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,
gegen den oben genannten Einkommensteuerbescheid (nebst Bescheid über die Festsetzung von Kirchensteuer und des Solidaritätszuschlags) lege ich/legen wir hiermit fristgerecht Einspruch ein und begründe(n) ihn wie folgt:
Laut Steuerbescheid haben Sie meine Rente … (genaue Bezeichnung) in Höhe von … dem zu versteuernden Einkommen hinzugerechnet, mithin also … EUR versteuert. Die Rente ist teilweise jedoch aus bereits versteuertem Einkommen aufgebaut worden. Oder anders ausgedrückt: Während meiner Erwerbsphase sind entsprechende Beiträge zur Altersvorsorge nur im geringen Maße steuerlich abgezogen worden, während die Renten nunmehr relativ hoch besteuert wird. Das betrifft insbesondere die Vorsorgeaufwendungen, die vor der steuerlichen Rentenreform, also vor dem Jahre 2005, geleistet worden sind.
Zur Begründung meines Einspruchs füge ich Ihnen in Kopie alle mir noch zur Verfügung stehenden Einkommensteuerbescheide der vergangenen Jahre sowie ‒ ebenfalls in Kopie ‒ alle vorhandenen Rentenbezugsmitteilungen und auch die Rentenberechnungen der Deutschen Rentenversicherung und/oder meines Versorgungswerks bei.
Beigefügt habe ich/haben wir Ihnen auch ein Berechnungsschema, das auf den Ausführungen des FG Baden-Württemberg (1.10.19, 8 K 3195/16, Rev. BFH X R 33/19) beruht. Da beim BFH nicht nur dieses, sondern auch das Verfahren mit dem Aktenzeichen X R 20/19 anhängig ist, beantrage ich/beantragen wir ein Ruhen meines/unseres Einspruchsverfahrens, bis der BFH in den genannten Verfahren entschieden hat. (Hinweis: Diesen Absatz anpassen, wenn die Entscheidungen des BFH vorliegen.)
Ich/wir weise/n darüber hinaus, auf den ausführlichen Fachaufsatz von Schindler/Braun (NWB Nr. 11/2020, Seite 784). Die Autoren haben finanzmathematisch nachgewiesen, dass eine Doppelbesteuerung bei Renten nicht nur ein absoluter Ausnahmefall ist, sondern nahezu die Regel darstellt.
Wie erwähnt bin ich/sind wir damit einverstanden, das Einspruchsverfahren nach § 363 Abs. 2 AO ruhen zu lassen, bis der Bundesfinanzhof entschieden hat. (Hinweis: Diesen Absatz anpassen, wenn die Entscheidungen des BFH vorliegen.)
Bitte bestätigen Sie mir/uns den Eingang dieses Schreibens und auch das Ruhen des Verfahrens. |
Bei dem Einspruchsmuster handelt es sich um einen Vorschlag, der individuelle Ausführungen und die Beratung durch einen Steuerberater, Rechtsanwalt oder anderweitig zur Hilfe in Steuersachen Befugten nicht ersetzen kann. Es kann keinerlei Gewähr dafür gegeben werden, dass die Finanzverwaltung den Einspruch als begründet ansieht und/oder ein Ruhen des Verfahrens gewährt. Der Mustereinspruch mitsamt Berechnung kann im Übrigen die bereits mehrfach erwähnten finanzmathematischen Berechnungen von Schindler/Braun nicht ersetzen.