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  • · Fachbeitrag · Die Arztpraxis in der Insolvenz

    Einkommensteuerschuld einer freiberuflich tätigen insolventen Ärztin ist keine Masseverbindlichkeit

    von RA FAfMedR Philip Christmann, Berlin, www.christmann-law.de

    Die Einkommensteuer auf freiberufliche Einkünfte einer Insolvenzschuldnerin ist nach einer Entscheidung des BFH (18.9.12, VIII R 47/09) keine Masseverbindlichkeit. Das Gericht stellt klar, welche Verbindlichkeiten aus der Insolvenzmasse und welche vom Insolvenzschuldner selbst zu begleichen sind und welche rechtliche Bedeutung eine vom Insolvenzverwalter erklärte Freigabe der Arztpraxis hat. Nach einer Freigabe haftet der Arzt selbst für seine Verbindlichkeiten aus der Arztpraxis.

    Sachverhalt

    Die Insolvenzverwalterin über das Vermögen einer freiberuflich tätigen Ärztin in eigener Praxis klagte gegen einen Steuerbescheid. Über das Vermögen der Ärztin war 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Am 30.6.07 erklärte die Insolvenzverwalterin die bedingungslose Freigabe der Arztpraxis der Ärztin. Sowohl das Vermögen als auch die Einkünfte der Insolvenzschuldnerin sollten von der Freigabe erfasst sein. Das FA setzte durch Bescheid vom 14.6.07 für das Jahr 2008 Einkommensteuervorauszahlungen für die Ärztin (Insolvenzschuldnerin) gegenüber der Insolvenzverwalterin fest. Bei der Berechnung der Höhe der Einkommensteuervorauszahlung berücksichtigte das FA (auch) Einkünfte der Insolvenzschuldnerin aus deren freiberuflicher Tätigkeit als Ärztin. Die Klägerin beantragte, die Steuerfestsetzung in diesem Bescheid gegen die Insolvenzmasse auf „0“ herabzusetzen. Dies lehnte das FA ab. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage der Insolvenzverwalterin.

     

    PRAXISHINWEIS | Mit anderen Worten richtete sich der Bescheid des FA gegen die Insolvenzmasse (also die Masse aller Einnahmen und Erträge aus der Arztpraxis) und das FA wollte sich daraus nach §§ 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorrangig vor den anderen Gläubigern für seine Steueransprüche befriedigen.

    Nach § 53 InsO sind aus der Insolvenzmasse „vorweg“ u.a. die sonstigen Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) zu befriedigen. Vorweg bedeutet, dass diese Verbindlichkeiten vor und unabhängig von der Verteilung des aus der Insolvenzmasse erzielten Erlöses an die vorweg zu befriedigenden Insolvenzgläubiger zu zahlen sind. Gläubiger sonstiger Masseverbindlichkeiten sind also gegenüber den anderen Gläubigern privilegiert. Zu den sonstigen Masseverbindlichkeiten gehören unter anderem die Verbindlichkeiten, die der Insolvenzverwalter beispielsweise durch Verträge begründet, die durch ein Unterlassen des Insolvenzverwalters begründet wurden oder die in anderer Weise entstehen. Sonstige Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 2. Fall InsO, die „in anderer Weise“ entstehen, sind grundsätzlich auch Steuerforderungen, soweit der Steueranspruch an die Masse „anknüpft“. Es kam im vorliegenden Fall also maßgeblich darauf an, ob die Steuerschuld sich auf einen Gegenstand (hier Einnahmen aus der ärztlichen Praxis) bezog, der zur Masse gehörte, oder ob dieser Gegenstand durch die Freigabeerklärung der Insolvenzverwalterin wirksam aus der Masse entlassen worden war.

    Anmerkungen

    Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die Erträge aus der Arztpraxis aufgrund der Freigabeerklärung der Insolvenzverwalterin nicht mehr zur Insolvenzmasse gehören. Folglich ist auch die sich darauf beziehende Einkommensteuerverbindlichkeit auch keine Masseverbindlichkeit. Die Insolvenzmasse haftet also nicht für die Einkommensteuerverbindlichkeit.

     

    PRAXISHINWEIS | Es kann aus Sicht des Gerichts dahinstehen, ob die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 InsO vor dem gesetzlichen Anwendungszeitpunkt dieser Vorschrift (ab dem 1.7.07) möglich war. Denn aufgrund der bedingungslosen Freigabeerklärung der Insolvenzverwalterin vom 30.6.07 kann auch eine „echte“ insolvenzrechtliche Freigabeerklärung in Betracht kommen. Es kann weiter ohne Entscheidung bleiben, ob eine echte Freigabe erklärt wurde oder ob solche überhaupt zulässig wäre. Denn die Einkommensteuer auf die freiberuflichen Einkünfte der Ärztin wäre sowohl im Falle der wirksamen wie auch der unwirksamen Freigabe (nur) gegen das insolvenzfreie Vermögen der Ärztin festzusetzen.

    Bei einer wirksamen Freigabe wird das Entstehen einer Masseverbindlichkeit verhindert. Das Gericht prüfte, ob die Freigabe nun als eigenes Rechtsinstitut oder als nach § 35 Abs. 2 InsO anerkannte gesetzliche Freigabe zulässig war. Im Ergebnis kam es darauf aus Sicht des Gerichts nicht an. Denn die Freigabe war auch schon vor der Einführung von § 35 Abs. 2 InsO rechtlich anerkannt, sodass die Einführung von § 35 Abs. 2 InsO (anwendbar auf Verfahren, die nach dem 1.7.07 eröffnet wurden) nur erläuternden (deklaratorischen) Charakter hatte (BGH 21.4.05, IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32). Mit anderen Worten hat § 35 Abs. 2 InsO nur die bereits vorher bestehende Wirkung der Freigabe erläutert und in Gesetzesform gegossen.

     

    Aber auch im Falle einer unwirksamen echten Freigabe ergibt sich nichts anderes. Auch im Falle einer solchen bloßen Duldung der freiberuflichen Tätigkeit der Ärztin durch den Insolvenzverwalter wird die aus dieser Tätigkeit entstehende Einkommensteuerverbindlichkeit nicht zur Masseverbindlichkeit. Denn die Arbeitskraft eines Schuldners und die daraus entstehenden Erträge gehören nicht zum Insolvenzvermögen (BGH 18.12.08, IX ZB 249/07, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 09, 299).

     

    Eine vom FA im Revisionsverfahren erstmalig behauptete Vereinbarung zwischen der Ärztin und der Insolvenzverwalterin dergestalt, dass die Insolvenzverwalterin auf die Einziehung von Honorareinnahmen der Ärztin verzichtet, diese selbstständig in der bisherigen „freigegebenen“ Praxis arbeitet und Erträge über 1. 200 EUR - nach Abzug der Betriebsausgaben und Steuern - an die Masse leisten muss, ist vom FG im Streitfall nicht festgestellt worden.

     

    Praxishinweise

    Praktisches Ergebnis ist also, dass das FA die Steuerverbindlichkeiten unmittelbar gegen die Ärztin geltend machen muss. Das FA kann nicht auf die Insolvenzmasse zugreifen. Die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters befreit also die Masse von der Haftung für die Steuerverbindlichkeiten.

     

    Der insolvente Arzt kann seine Praxis in der Regel fortführen. Die Zulassung fällt nicht in die Insolvenzmasse, weil sie ein höchstpersönliches Recht darstellt (BSG 21.3.12, B 6 KA 22/11 R). Die Insolvenz schadet grundsätzlich weder der ärztlichen Zulassung noch der ärztlichen Approbation (Christmann, PFB 12, 45). Der Arzt erhält regelmäßig eine Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters für seine Arztpraxis. Der Insolvenzverwalter ist rechtlich verpflichtet, sich zu entscheiden, ob er die Freigabe erklärt oder ob alle Ansprüche aus der selbstständigen Tätigkeit des Arztes im Insolvenzverfahren gegen die Masse geltend gemacht werden sollen und müssen. Höchstrichterlich ungeklärt ist allerdings, was geschieht, wenn der Insolvenzverwalter sich bei Verfahren, die nach dem 1. Juli 2007 eröffnet wurden, nicht zu der Freigabe erklärt und ob dies dann ein Unterlassen im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1, 2. Fall InsO darstellt mit der Folge der Haftung der Insolvenzmasse.

     

    Praxishinweis für den Berater des Arztes

    Nach einer Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters erlangt der Arzt wieder die dauernde Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über seine Arztpraxis. Somit haftet der Arzt selbst für seine Steuerverbindlichkeiten und muss sich selbst um deren Begleichung bemühen.

     

    PRAXISHINWEIS | Der Arzt sollte den Insolvenzverwalter auf eine Erklärung zur Frage der Freigabe hinwirken, um rechtliche Klarheit zu erlangen hinsichtlich der Frage, ob er selbst für die Einkommensteuerverbindlichkeiten haftet oder ob diese aus der Masse zu begleichen sind. Voraussetzung für eine eigenverantwortliche Fortführung des Arztpraxis ist mithin eine Freigabeerklärung und zwar bezogen sowohl auf das Vermögen als auch die Einkünfte der Ärztin aus der Arztpraxis. Wegen der teilweise äußerst komplexen Folgen einer Freigabeerklärung bzw. ihrer Nichtabgabe (vgl. Beschluss des AG Duisburg 22.4.10, 60 IN 26/09) sollte immer eine Beratung durch einen Fachanwalt für Insolvenzrecht erfolgen.

    Praxishinweis für den Berater eines Gläubigers

    Die Freigabeerklärung ist für den Gläubiger regelmäßig nachteilhaft. Denn er muss seine Befriedigung unmittelbar beim Schuldner (Arzt) suchen. Aus diesem Grund sei hier auf die Möglichkeit hingewiesen, die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 S. 3 InsO mittels Antrages im Gläubigerausschuss bzw. in der Gläubigerversammlung anzugreifen. Auch dem Gläubiger, der beispielsweise die laufende Miete der Arztpraxis nun wieder bei dem Arzt beitreiben soll, kann nur geraten werden, hier entsprechende fachanwaltliche Beratung zu suchen.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Der Arzt unter dem Schutzschild - Neue Gestaltungsmöglichkeiten für insolvente Ärzte (Christmann, PFB 12, 277)
    • Der Ablauf des Insolvenzverfahrens bei einem niedergelassenen Arzt (Christmann, PFB 12, 45)
    • Krisenberatung: Interne oder externe Sanierung einer Arztpraxis (Christmann, PFB 11, 314)
    • Krisenberatung: Alarmzeichen für die Krise einer Arztpraxis (Christmann, PFB 11, 225)
    Quelle: Ausgabe 03 / 2013 | Seite 65 | ID 37911970