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  • · Fachbeitrag · Gesetzgebung

    Terminservice- und Versorgungsgesetz: Was bringt es Ärzten und Patienten Neues?

    von Bertram F. Koch, Justiziar der Ärztekammer Westfalen-Lippe a.D., Of Counsel, Kanzlei am Ärztehaus, Münster, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

    | Das Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung (TSVG) zielt in erster Linie darauf ab, Wartezeiten auf Arzttermine für gesetzlich Krankenversicherte zu verkürzen und die ärztliche Versorgung in ländlichen und strukturschwachen Regionen zu verbessern. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über wesentliche Inhalte des geplanten TSVG. Die Neuregelungen könnten/sollen am 1.5.19 in Kraft treten. Der Kabinettsentwurf ist vom Bundestag am 13.12.18 bereits in 1. Lesung beraten worden, der Bundesrat hat allerdings noch Änderungsvorschläge, vor allem das MVZ betreffend. |

    1. Ziel der Regelungen

    Das in der Gesetzesbegründung so bezeichnete „Sofortprogramm“ zielt darauf ab,

     

    • allen gesetzlich Versicherten einen gleichwertigen Zugang zur ambulanten ärztlichen Versorgung zu ermöglichen, indem Wartezeiten auf Haus-, Kinder- und Facharzttermine verkürzt, das Sprechstundenangebot erweitert und die Vergütung vertragsärztlicher Leistungen verbessert werden;

     

    • die Versorgung in ländlichen und strukturschwachen Regionen zu verbessern, indem die Grundlagen der Bedarfsplanung weiterentwickelt und die Förderungs- und Sicherstellungsinstrumente der KV erweitert werden;

     

    • Leistungsansprüche der Versicherten in einzelnen Bereichen der ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung zu erweitern, indem insbesondere Zuschüsse zum Zahnersatz erhöht werden und

     

    • die Möglichkeiten der Digitalisierung im Gesundheitswesen für die Patientinnen und Patienten im Versorgungsalltag stärker als bisher praktisch nutzbar zu machen.

    2. Terminservicestellen

    Die Aufgaben der schon seit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz 2015 bei den KV eingerichteten Terminservicestellen sollen erweitert werden. Bisher vermitteln die Stellen bei Vorliegen einer Überweisung einen Termin beim Facharzt. Künftig müssen die Stellen auch Termine bei Hausärztinnen und Hausärzten und bei Kinderärztinnen und Kinderärzten vermitteln. Nicht nur das! Sie müssen Versicherte darüber hinaus auch schon bei der Suche nach einem Hausarzt oder einem Kinderarzt unterstützen. Letzteres mit Blick auf die in der Gesetzesbegründung ausdrücklich erwähnten Fallkonstellationen, in denen Versicherte berichten, bisher keinen Hausarzt (gefunden) zu haben.

     

    Aufgabe der Servicestellen wird es zukünftig darüber hinaus sein, Versicherten in Akutfällen eine unmittelbare ärztliche Versorgung zu vermitteln, und zwar ‒ je nach Beschwerdebild ‒ entweder in einer Arztpraxis, in einer Portal- bzw. Bereitschaftsdienstpraxis oder in einer Notfallambulanz bzw. bei einem lebensbedrohlichen Notfall letztendlich sogar an den Rettungsdienst.

     

    Um die Erreichbarkeit der Terminservicestellen zu verbessern, ist vorgesehen, dass diese in Zukunft unter der ‒ bisher allein für den außerhalb der üblichen Sprechstundenzeiten organisierten vertragsärztlichen Not- bzw. Bereitschaftsdienst geltenden ‒ bundesweit einheitlichen Rufnummer 116 117 erreichbar sind, und zwar rund um die Uhr an allen Wochentagen.

     

    Ergänzt wird die Zusammenlegung der Terminvermittlung über die Servicestellen und die Vermittlung einer Ärztin oder eines Arztes in Akutfällen schließlich mit einem verbesserten digitalen Angebot. Auf diese Weise soll zukünftig die Vereinbarung eines Termins nicht mehr nur telefonisch, sondern auch online oder per App erfolgen können.

    3. Mindestsprechstunden

    Niedergelassene Vertragsärzte sollen verpflichtet werden, künftig mehr Sprechstunden anzubieten. So wird die in der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte festgelegte Mindestsprechstundenzeit für gesetzlich Versicherte (bislang wöchentlich 20 Stunden) auf 25 Stunden erhöht. Damit Ärztinnen und Ärzte, die Hausbesuche machen, nicht benachteiligt werden, sollen Besuchszeiten auf die Mindestsprechstundenzeit angerechnet werden.

     

    Arztgruppen der „grundversorgenden und wohnortnahen Patientenversorgung“ wie konservativ tätige Augenärzte, Frauenärzte, Orthopäden und HNO-Ärzte müssen mindestens fünf Stunden in der Woche als offene Sprechstunden (d.h. ohne Terminvereinbarung) anbieten. Hausärzte und Kinder- und Jugendärzte betrifft dies nicht.

     

    Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband erhalten als Partner des Bundesmantelvertrags den Auftrag zu regeln, wie Hausbesuche auf die Sprechstundenzeiten angerechnet werden können und welche Arztgruppen offene Sprechstunden anbieten müssen. Außerdem sollen die KV zukünftig jedes Jahr nach einheitlichen Kriterien prüfen, ob die Ärztinnen und Ärzte ihrem Versorgungsauftrag nachkommen.

    4. Vergütungsanreize

    Für die zusätzlichen Leistungen sieht der Gesetzentwurf eine extrabudgetierte, teilweise höhere Vergütung vor. Das gilt für die erfolgreiche Vermittlung eines „dringlich notwendigen Behandlungstermins“ durch den Hausarzt zum Facharzt genauso wie für ärztliche Leistungen, die von der Terminservicestelle vermittelt werden. Ebenso angehoben und außerhalb des vereinbarten Budgets vergütet werden soll die Versicherten- und Grundpauschale bei der Behandlung neuer Patientinnen und Patienten sowie für ärztliche Leistungen während der offenen Sprechstunde. Für die Behandlung von Akut- und Notfällen während der Sprechstundenzeiten sieht der Entwurf ebenfalls mehr Honorar vor. Der einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) für technische Leistungen soll zur Förderung der „sprechenden Medizin “ überprüft und aktualisiert werden. Auch dieses Detail ist erwähnenswert: Hausbesuche auf dem Land sollen z. B. dadurch gefördert werden, dass bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen Landarztpraxen zukünftig ‒ anders als bisher ‒ als Praxisbesonderheiten anerkannt werden.

    5. Eigeneinrichtungen der KV

    Um die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zu gewährleisten, zu verbessern oder zu fördern, hat der Gesetzgeber den KV schon bisher das Recht eingeräumt, Einrichtungen zu betreiben, die der unmittelbaren ärztlichen Versorgung dienen. Diese Befugnis wird erweitert und flexibilisiert. In unterversorgten Gebieten oder auch schon bei drohender Unterversorgung sind die KV zukünftig nicht mehr nur berechtigt, sondern jetzt verpflichtet, Eigeneinrichtungen zu betreiben. Ein Benehmen mit den Krankenkassen ist nicht mehr herzustellen. Die Eigeneinrichtungen sollen auch durch Kooperationen und gemeinsam mit Krankenhäusern betrieben werden. Zudem wird klargestellt, dass Eigeneinrichtungen auch durch mobile oder digitale Sprechstunden (z. B. Fernbehandlung im Rahmen der Weiterentwicklung der auf dem 121. Deutschen Ärztetag 2018 auf den Weg gebrachten berufsrechtlichen Vorgaben), durch mobile Praxen, Patientenbusse oder ähnliche Versorgungsangebotsformen betrieben werden können.

    6. „Strukturfonds“ der KV

    Schon bisher waren den KV durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz 2012 und durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz 2015 Maßnahmen (z. B. „Strukturfonds“ ) an die Hand gegeben worden, um die Versorgung in strukturschwachen Regionen zu verbessern. Anders als in der Vergangenheit wird das Thema „Strukturfonds“ den KV jetzt verpflichtend gemacht. Es wird überdies inhaltlich erweitert. So werden die Mittel des „Strukturfonds“ von mindestens 0,1 % auf bis zu 0,2 % der vereinbarten Gesamtvergütung verdoppelt. Die Krankenkassen haben zusätzlich einen Betrag in gleicher Höhe in den „Strukturfonds“ zu entrichten.

     

    Nicht zuletzt wird der Mittelverwendungszweck präzisiert und ergänzt. Nicht nur ‒ wie schon bisher ‒ Neuniederlassungen oder die Gründung von Zweigpraxen können aus dem Fonds durch die Übernahme von Investitionskosten unterstützt werden, sondern demnächst auch Praxisübernahmen. Als zulässiger Mittelverwendungszweck sind explizit zudem neben der Förderung von lokalen „Gesundheitszentren für die medizinische Grundversorgung“ die Förderung von Eigeneinrichtungen der KV, die Förderung von Sonderbedarfszulassungen sowie der Aufkauf von Arztsitzen festgelegt.


    7. Medizinische Versorgungszentren

    Medizinische Versorgungszentren (MVZ) haben sich etabliert. Sie sind seit Jahren für viele Ärztinnen und Ärzte eine attraktive Form der Berufsausübung, zumal eine Tätigkeit dort u. a. mit flexibleren Arbeitszeiten verbunden ist. Der Gesetzentwurf entwickelt die bisher hierzu existierenden Regelungen weiter, um die Attraktivität von MVZ zu erhalten. Gleichzeitig werden Rechtsunsicherheiten beseitigt. Wert gelegt worden ist bei allem auf eine ausgewogene Balance zwischen Anstellung und selbstständiger Tätigkeit.

     

    7.1 Stellung im Nachbesetzungsverfahren

    Die bisher bestehende Möglichkeit zur Nachbesetzung einer Angestellten-Arztstelle in einem MVZ wird auf ein sachgemäßes Maß beschränkt. In Zukunft wird der Zulassungsausschuss auch bei der Nachbesetzung einer genehmigten Anstellung den Bedarf prüfen. Entschieden wird dabei nur über das „Ob“ und nicht über das „Wie“ der Nachbesetzung. Das MVZ kann weiter seine angestellten Ärztinnen und Ärzte selbst auswählen.

     

    Zur Stärkung von MVZ im Nachbesetzungsverfahren wird vorgesehen, dass der Zulassungsausschuss bei der Bewerbung eines MVZ auf einen in einem Nachbesetzungsverfahren ausgeschriebenen Vertragsarztsitz die Ergänzung des besonderen Versorgungsangebots des MVZ zu berücksichtigen hat.

     

    Zudem wird klargestellt, dass eine Vertragsärztin oder ein Vertragsarzt auf die Zulassung zugunsten eines in einem anderen Planungsbereich gelegenen MVZ verzichten kann, wenn sie/er ausschließlich in der Zweigpraxis des MVZ im bisherigen Planungsbereich tätig wird.

     

    7.2 Gründerkreis

    Neben zugelassenen Ärztinnen und Ärzten und zugelassenen Krankenhäusern können MVZ u. a. auch von Erbringern nichtärztlicher Dialyseleistungen gegründet werden. Um den Einfluss von Kapitalinvestoren ohne medizinisch-fachlichen Bezug zur vertragsärztlichen Versorgung auf die Versorgungsstrukturen zu beschränken, wird für Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen die Gründungsmöglichkeit auf fachbezogene MVZ beschränkt.

     

    Dass ein MVZ auch von zugelassenen Ärztinnen und Ärzten gegründet werden kann, war von Anfang an so. Auch das ist nicht neu: Da die Gründungsvoraussetzungen nicht nur bei der Gründung selbst, sondern dauerhaft gegeben sein müssen, ist einem MVZ die Zulassung u. a. dann zu entziehen, wenn die gesetzlichen Gründungsvoraussetzungen länger als sechs Monate nicht mehr vorliegen. Ebenfalls bereits gesetzlich geregelt ist, dass für diejenigen Ärztinnen und Ärzte, die bei der Gründung auf ihre Zulassung zugunsten einer Anstellung im MVZ verzichtet haben, die Gründereigenschaft bestehen bleibt, solange sie in dem MVZ tätig sind. Um zu verhindern, dass einem MVZ nach dem (z. B. altersbedingten Ausscheiden aller originären Gründer die Zulassung zu entziehen ist, wird geregelt, dass die Gründungsvoraussetzung gewahrt bleibt, wenn angestellte Ärztinnen und Ärzte deren Gesellschafteranteile übernehmen, solange sie in dem MVZ tätig sind.

     

    In der Verwaltungspraxis war in der Vergangenheit häufig unklar, ob für jedes neu gegründete MVZ auch die Gründung einer jeweils eigenständigen Trägergesellschaft notwendig war/ist. Deshalb wird klargestellt, dass mehrere MVZ auch von einer (einzigen) Träger-GmbH getragen werden können.

     

    Im Zusammenhang mit den Regelungen zum MVZ in der Rechtsform einer GmbH wird klargestellt, dass die von den Gesellschaftern zu leistenden Sicherheiten (selbstschuldnerische Bürgschaft und Sicherheitsleistungen nach § 232 BGB) gleichwertig und optional nebeneinander stehen.

     

    Zukünftig haben auch Praxisnetze die Möglichkeit, ein MVZ zu gründen, wenn auch nur in unterversorgten Gebieten.

     

    7.3 Kritik des Bundesrats

    An den für MVZ geplanten Vereinfachungen hat der Bundesrat Kritik geäußert, weil sie seiner Meinung nach so nicht erwünschte Monopolstrukturen fördern. Die Ländervertretung hat deshalb darum gebeten, im weiteren Gesetzgebungsverfahren geeignete Regelungen zu treffen, um den „feststellbaren und für das Versorgungsgeschehen und die Versorgungssicherheit schädlichen Monopolisierungstendenzen in der vertragsärztlichen Versorgung durch Medizinische Versorgungszentren (MVZ) wirksam zu begegnen“. Die Bundesregierung hat bereits zugesagt, diesen Vorschlag zu prüfen.

     

    Gleiches gilt für eine Forderung der Länder, die darauf abzielt, dass zukünftig ein Krankenhaus-MVZ ‒ anders als bisher ‒ nur gegründet bzw. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden darf, wenn es in der Nähe des Krankenhauses betrieben wird und das Krankenhaus überdies einen fachlichen Bezug zum Versorgungsauftrag des MVZ hat. Die in diesem Zusammenhang mitformulierte Forderung des Bundesrats, in Zukunft die Gründung von MVZ durch Krankenhäuser nur in demselben Planungsbereich zuzulassen, will die Bundesregierung ebenfalls prüfen. Ob und inwieweit diese Punkte in einen überarbeiteten Gesetzentwurf einfließen werden, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.

    8. Bedarfsplanung

    Der Entwurf thematisiert die Neufassung der Bedarfsplanungs-Richtlinie, mit deren Weiterentwicklung der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz schon 2015 beauftragt worden war. Aufgabe des G-BA ist es dabei u. a., die Verhältniszahl, die die Anzahl der Einwohner je Arzt festlegt, zu überprüfen und auch die Sozial- und Morbiditätsstruktur in die Planung mit einzubeziehen. Ziel ist es, die Bedarfsplanung kleinräumiger, bedarfsgerechter und flexibler zu gestalten. Da sich die Fertigstellung des hierzu vom G-BA beauftragten wissenschaftlichen Gutachtens bis Herbst 2018 verzögert hat, verlängert der Gesetzentwurf die ‒ ursprünglich auf den 1.1.17 gesetzte ‒ Frist für die vom G-BA zu erarbeitenden Anpassungen für eine bedarfsgerechte Versorgung bis zum 30.6.19.

     

    Befristet bis zum Abschluss der Beratungen im G-BA wird es bei der Neuzulassung von Rheumatologen, Psychiatern und Kinderärzten keine Zulassungsbeschränkungen geben. In ländlichen Gebieten sollen Zulassungssperren für Ärztinnen und Ärzten unbefristet ganz entfallen. Für welche Gebiete dies gilt, sollen die Bundesländer selbst entscheiden können. Korrespondierend mit der Schaffung zusätzlicher Arztsitze in den von ihnen bestimmten Regionen erhalten die Bundesländer zudem ein Mitberatungs- und Antragsrecht in den Zulassungsausschüssen.

    Quelle: Ausgabe 04 / 2019 | Seite 88 | ID 45741775