· Fachbeitrag · Stempeltheorie
Freiberufliche Tätigkeit im Spannungsfeld von Eigenverantwortlichkeit und Delegation
von RA Prof. Dr. Alexander Kratzsch, Bünde
| Der BFH (14.5.19, VIII R 35/16) hat unlängst darüber entschieden, ob eine eigenverantwortliche Tätigkeit der Gesellschafter einer Freiberufler-GbR (noch) vorliegt, wenn angestellte Prüfingenieure eigenständig Hauptuntersuchungen durchführen und dabei lediglich stichprobenartig von den Gesellschaftern überwacht werden. Diese Entscheidung hat auch für Heilberufler-Gesellschaften Bedeutung. |
1. Die BFH-Entscheidung zur Prüfingenieure-GbR
Eine Personengesellschaft ist nur dann i. S. von § 18 EStG freiberuflich tätig, wenn sämtliche Gesellschafter die Merkmale eines freien Berufs erfüllen. Jeder Gesellschafter muss über die persönliche Berufsqualifikation verfügen und eine freiberufliche Tätigkeit, zu deren Ausübung er persönlich qualifiziert ist, tatsächlich entfalten. Die Berufsträger ‒ bei Personengesellschaften die Mitunternehmer ‒ müssen dabei jedem Auftrag den „Stempel ihrer Persönlichkeit“ aufdrücken.
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Die Klägerin, eine GbR, führt u. a. Haupt- und Abgasuntersuchungen durch. Ihre Gesellschafter A und B sind selbst Prüfingenieure. Neben den Gesellschaftern beschäftigt sie drei weitere Prüfingenieure. Nach den Feststellungen des FG ist die Klägerin Mitglied in der Prüforganisation KÜS (Kraftfahrzeugüberwachungsorganisation freiberuflicher Kfz-Sachverständiger).
Den überwiegenden Teil der im Streitjahr 2009 durchgeführten Hauptuntersuchungen (5.569 von 6.722 Hauptuntersuchungen) und sämtliche Abgasuntersuchungen übernahmen die drei angestellten Prüfingenieure ohne Mitwirkung der beiden Gesellschafter. |
Der BFH entschied, dass die GbR aufgrund der eintretenden Abfärbewirkung insgesamt gewerbliche Einkünfte erzielt habe (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG). Es lag nach Auffassung des BFH keine eigenverantwortliche Tätigkeit der Gesellschafter vor, soweit diese die Erledigung von Aufträgen an Arbeitnehmer gänzlich übertragen haben. Zwar wurden die Gesellschafter der Klägerin freiberuflich tätig, soweit sie selbst Hauptuntersuchungen durchgeführt haben. Eine freiberufliche Betätigung schied allerdings aus, weil nicht jeder einzelne bearbeitete Auftrag den Berufsträgern zuzurechnen war. Die angestellten Prüfingenieure haben die Hauptuntersuchungen eigenständig durchgeführt und sind dabei lediglich stichprobenartig von den Gesellschaftern der GbR überwacht worden.
Generell gilt: Der freiberuflichen Tätigkeit eines Berufsträgers steht die Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte nicht entgegen (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG). Eine gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG unschädliche Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte setzt voraus, dass die Leistung als solche des Berufsträgers erkennbar und ihm damit persönlich zurechenbar ist.
§ 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG ermächtigt aber weder dazu, Routineaufgaben vollständig auf einen angestellten Berufsträger zu delegieren, noch dem Berufsträger eine Tätigkeit als eigene zuzurechnen, die tatsächlich ein anderer, angestellter Berufsträger eigenständig ausführt und zu verantworten hat. Die Mithilfe fachlich vorgebildeter Mitarbeiter ist nur unschädlich, wenn die persönliche Teilnahme des Berufsträgers an der praktischen Arbeit in ausreichendem Umfang gewährleistet ist. Dies traf im Streitfall nicht zu.
2. Die Problematik bei Laborärzten
Die Problematik stellt sich auch im Rahmen der Heilberufe, insbesondere für Laborärzte. Der Laborarzt erzielt Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG), wenn er ‒ ggf. unter Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte ‒ aufgrund der eigenen Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird (Stempeltheorie). Dies ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Hierfür sind die Praxisstruktur, die individuelle Leistungskapazität des Arztes, das in der Praxis anfallende Leistungsspektrum und die Qualifikation der Mitarbeiter zu berücksichtigen. Eine leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit liegt im Einzelfall z. B. dann nicht vor, wenn die Zahl der vorgebildeten Arbeitskräfte und die Zahl der täglich anfallenden Untersuchungen eine Eigenverantwortlichkeit ausschließen (BMF 12.2.09, IV C 6 ‒ S 2246/08/10001, BStBl I 09, 398). So hat der BFH z. B. ebenfalls eine gewerbliche Tätigkeit bejaht bei einem Laborarzt
- mit einem Personalbestand von 50 bis 55 Mitarbeitern und einer durchschnittlichen Arbeitszeit von gerade noch 30 Sekunden pro Auftrag (BFH 21.3.95, XI R 85/93, BStBl II 95, 732);
- mit 102.200 Untersuchungsaufträgen pro Jahr, weiterem ärztlichen Personal in erheblichem Umfang, einer Pharmazeutin sowie zwischen 50 bis 70 weiteren Mitarbeitern im Angestelltenverhältnis (BFH 1.2.90, IV R 140/88, BStBl II 90, 507).
3. Die Problematik bei Laborgemeinschaften
Bei Laborgemeinschaften ist nach dem Schreiben des BMF (12.2.09, IV C 6 ‒ S 2246/08/10001, BStBl I 09, 398) danach zu differenzieren, ob die Laborgemeinschaft mit Gewinnerzielungsabsicht tätig ist oder kostendeckend arbeitet:
- Liegt eine Gewinnerzielungsabsicht der Laborgemeinschaft vor, erzielt eine beteiligte Ärztegemeinschaft gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1, 2. Alt. EStG insgesamt gewerbliche Einkünfte, soweit die Einkünfte der Laborgemeinschaft nach der „Stempeltheorie“ als gewerblich zu beurteilen sind. Erzielt die Laborgemeinschaft dagegen freiberufliche Einkünfte, tritt keine Abfärbewirkung für die beteiligten Mitglieder ein.
- Bei ausschließlich an Mitglieder erbrachten Leistungen einer lediglich kostendeckenden Gemeinschaft ist § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG für die Laborgemeinschaft selbst nicht anwendbar. In diesem Fall sind die Einnahmen unmittelbar den Einnahmen aus selbstständiger Arbeit der beteiligten Ärzte zuzurechnen (BMF 12.2.09, a.a.O., Rz. 6). Danach ist eine einheitliche und gesonderte Feststellung eines Gewinns (§§ 179, 180 AO) nicht vorzunehmen; lediglich die Betriebsausgaben sind gesondert festzustellen.
- Sind an einer Laborgemeinschaft, die nicht mit Gewinnerzielungsabsicht tätig wird, auch niedergelassene Laborärzte beteiligt, ist eine Umqualifizierung der Einkünfte erst auf der Ebene des niedergelassenen Laborarztes nach den dargestellten Grundsätzen zu prüfen. Das bedeutet m. E., es kommt darauf an, ob der jeweilige Laborarzt (oder einer seiner Mitunternehmer-Mitgesellschafter) in jedem Einzelfall mitwirkt, in dem er die Ergebnisse der Gemeinschaftspraxis für seine Praxis nutzt. Anderenfalls läge ‒ entsprechend den oben aufgeführten Maßstäben ‒ kein eigenverantwortliches Tätigwerden vor.
PRAXISTIPP | Insoweit ist als vermeidende Gestaltung zu erwägen, ob die Auslagerung von Tätigkeiten in Schwestergesellschaften möglich und sinnvoll ist. Ist dies der Fall, kann eine Infektionswirkung der nicht eigenverantwortlich erbrachten Leistungen vermieden werden. In diesem Fall ist § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG nicht für die Ärztegemeinschaft anzuwenden. |