· Umsatzsteuer
Leistungen von Kostengemeinschaften an ihre beteiligten Ärzte sind umsatzsteuerfrei

von Dipl.-Fw. und Dipl.-Kfm. André Reineke, Bielefeld
| Leistungen einer ärztlichen Praxisgemeinschaft, die gegründet wurde, um Praxisräume und Personal gemeinsam zu nutzen, und die nach dem Prinzip der Kostendeckung tätig ist, sind unter bestimmten Voraussetzungen umsatzsteuerfrei. Das hat der BFH (4.9.24, XI R 37/21, Beschluss) entschieden. Der Beschluss ist zwar zur alten Rechtslage ergangen. Er enthält aber wichtige Grundsätze zur Auslegung der Nachfolgeregelung und von Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL. |
1. Problem: Unmittelbar zur Ausführung steuerfreier Umsätze
Im Kern geht es darum, wie Kostengemeinschaften, die in der Praxis vor allem bei Ärzten häufig anzutreffen sind, umsatzsteuerlich zu behandeln sind. Nach § 4 Nr. 14 Buchst. d UStG a. F. waren die sonstigen Leistungen von Gemeinschaften, deren Mitglieder Angehörige der in S. 1 bzw. Buchst. a bezeichneten Berufe waren, an ihre Mitglieder bis zum 31.12.19 steuerfrei, soweit diese Leistungen „unmittelbar“ zur Ausführung ihrer steuerfreien Umsätze verwendet wurden. Eine weitere Voraussetzung war, dass die Kostengemeinschaft lediglich die Erstattung ihrer Auslagen verlangte. § 4 Nr. 14 Buchst. d UStG war durch das Gesetz zur weiteren Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.19 durch § 4 Nr. 29 UStG ersetzt worden. Aber auch in § 4 Nr. 29 UStG hat der Begriff „unmittelbar“ eine zentrale Bedeutung für die Steuerfreiheit. Die Finanzverwaltung vertritt bislang die Auffassung, dass allgemeine Verwaltungskosten nicht von der Umsatzsteuer befreit sind, da sie nur mittelbar den steuerfreien Umsätzen der Mitglieder einer Kostengemeinschaft dienen (BMF 19.7.22, III C 3 ‒ S 7189/20/10001 :001, Tz. 1.4.). Der Begriff „unmittelbar“ wird hier also sehr eng ausgelegt. Aus diesem Grund führt die Auslegung des Begriffs „unmittelbar“ in diesem Zusammenhang immer wieder zu Diskussionen zwischen Finanzverwaltung und Steuerzahlern.
2. Sachverhalt
Zwei Ärzte errichteten eine Praxisgemeinschaft zur gemeinsamen Nutzung von Praxisräumen, Einrichtungen und Personal. Am Vermögen der Praxisgemeinschaft waren die Ärzte jeweils hälftig beteiligt. Das Anlagevermögen wurde der Praxisgemeinschaft von einem der Gesellschafter überlassen. Eine ausdrückliche Vereinbarung über die Höhe der von den Gemeinschaftern zu leistenden Entgelte enthält der Gemeinschaftsvertrag nicht, sondern den Hinweis, dass die Praxisgemeinschaft nach dem Kostendeckungsprinzip arbeitet und keine Gewinne erwirtschaften sollte. Die Gemeinschafter leisteten zur Deckung der Kosten monatliche Beiträge.
Die Praxisgemeinschaft übernahm die zuvor bei einem der Ärzte beschäftigten medizinischen Fachangestellten sowie eine Büro- und eine Rezeptionskraft. Darüber hinaus schloss sie verschiedene Verträge in eigenem Namen ab, wie z. B. einen Anstellungsvertrag mit einer Reinigungskraft und Verträge über die freie Mitarbeit einer Krankengymnastin und einer Heilpraktikerin. Beide Gemeinschafter übten ihre ärztliche Tätigkeit selbstständig in eigenem Namen und auf eigene Rechnung aus. Hierbei erhielten sie von der Kostengemeinschaft u. a. Rechnungen über Personaldienstleistungen.
2.1 Umsatzsteuerpflichtige Leistungen gegenüber den Gemeinschaftern
Im Rahmen einer Außenprüfung vertrat das FA die Ansicht, dass die Kostengemeinschaft als Unternehmerin anzusehen sei. Sie habe an ihre Gemeinschafter steuerbare Leistungen gegen Entgelt erbracht. Diese Leistungen seien umsatzsteuerpflichtig, soweit sie nicht in der steuerfreien Überlassung von Räumlichkeiten bestünden oder unmittelbar für steuerfreie Heilbehandlungen verwendet worden seien. Dies betreffe die Verwaltungstätigkeiten für die Gemeinschafter sowie Arbeiten bei der Erstellung der Abrechnungen, den Zahlungsverkehr, die Praxisorganisationsleistungen und die Raumpflege. Die Prüferin sah daher die mittels der Raumpflegerin erbrachten Leistungen in vollem Umfang und die durch A als Geschäftsführer der Klägerin sowie die durch die Bürokraft erbrachten Leistungen jeweils teilweise als steuerpflichtige Leistungen an. Zudem würde im Vergleich zu anderen externen Firmen eine Wettbewerbsverzerrung eintreten, da diese für ihre gleichartigen Leistungen Umsatzsteuer in Rechnung stellen müssten.
2.2 Praxisgemeinschaft berief sich auf Unionsrecht
Die Praxisgemeinschaft berief sich hingegen auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL, wonach Dienstleistungen von der Umsatzsteuer befreit werden müssen, die „selbstständige Zusammenschlüsse von Personen, die eine Tätigkeit ausüben, die von der Steuer befreit ist (…), an ihre Mitglieder für unmittelbare Zwecke der Ausübung dieser Tätigkeit erbringen, soweit diese Zusammenschlüsse von ihren Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordern, vorausgesetzt, dass die Befreiung nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung führt“. Das FG Niedersachsen (11.11.21, 5 K 62/19; PFB, Nachricht vom 1.8.22) folgte dieser Argumentation und gab der Klage statt. Die Geschäftsführungstätigkeit sei nicht steuerbar. Die übrigen Leistungen seien gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. d UStG a. F. steuerfrei.
3. Entscheidung des BFH
Der BFH stellte zunächst fest, dass es sich bei einer zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks nach außen auftretenden Praxisgemeinschaft um eine Unternehmerin handelt.
3.1 Geschäftsführungsleistungen
Eine Praxisgemeinschaft, die Leistungen für die Führung ihrer eigenen Geschäfte bezieht, muss aber nicht zwangsläufig gleichzeitig Geschäftsführungsleistungen an ihre Mitglieder erbringen. Dadurch, dass die Kostengemeinschaft Geschäftsführungsleistungen bezog, verschaffte sie ihren Gesellschaftern keinen Vorteil. Sie war Leistungsempfängerin und nicht Leistende. Die Leistungen dienten ausschließlich der Innenorganisation und seien aus diesem Grund nicht steuerbar.
3.2 Reinigungsleistungen
Zudem führt der BFH aus, dass sich eine aus Ärzten bestehende Praxisgemeinschaft, die mit einer angestellten Mitarbeiterin Reinigungsleistungen an ihre Mitglieder ausführt und dafür Subunternehmerleistungen bezieht, erfolgreich auf die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL berufen kann, wenn die Praxisgemeinschaft lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordert und aufgrund der Gewährung der Steuerbefreiung keine Wettbewerbsverzerrungen drohen. Die Kosten für die Reinigungskraft dienten unmittelbar der steuerfreien Tätigkeit der Ärzte. Der Zweck der Bestimmung sei, bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer zu befreien, um höhere Kosten für diese Dienstleistungen und die Lieferung bestimmter Gegenstände zu vermeiden. Diese höheren Kosten würden entstehen, wenn diese Dienstleistungen der Mehrwertsteuer unterworfen wären.
Außerdem soll jemand, der bestimmte Dienstleistungen anbietet, nicht Mehrwertsteuer entrichten müssen, wenn er genötigt ist, mit anderen Berufsausübenden im Rahmen einer gemeinsamen Gesellschaft zusammenzuarbeiten, die Tätigkeiten übernimmt, die zur Erbringung dieser Dienstleistungen erforderlich sind. Dass die Kostenteilungsgemeinschaft die Anstellung der Reinigungskraft übernommen hat, rechtfertige keine andere Behandlung, als wenn die Ärzte die Reinigungsleistungen von einer bei ihnen angestellten Reinigungskraft hätten ausführen lassen.
4. Die Konsequenz für die Praxis
Die Argumentation des BFH steht im Kontrast zum Schreiben des BMF (19.7.22, III C 3 ‒ S 7189/20/10001 :001), wonach allgemeine Verwaltungskosten nicht von der Umsatzsteuer befreit sind, da sie nur mittelbar den steuerfreien Umsätzen der Mitglieder einer Kostengemeinschaft dienen. Dort heißt es: „Tätigkeiten, die lediglich mittelbar der Ausführung von nicht steuerbaren oder steuerfreien Umsätzen der Mitglieder dienen oder von den Mitgliedern für solche bezogen werden (z. B. allgemeine Verwaltungsleistungen), fallen hingegen nicht unter die Befreiung, weil sie diese allenfalls fördern. Die allgemeinen Verwaltungsleistungen umfassen diejenigen Tätigkeiten, die die Ausführung der eigentlichen Kernaufgabe(n) der Mitglieder ermöglichen, jedoch in ihrer Funktion als interne und somit begleitende Tätigkeiten nicht dem begünstigten Zweck als solchem dienen.“ Der BFH hat in diesem Beschluss aber letztlich den Begriff „unmittelbar“ weiter ausgelegt als die Finanzverwaltung.
Aufgrund der deutlichen Worte des BFH ist zu erwarten, dass die Finanzverwaltung das BMF-Schreiben in diesem Punkt überarbeiten wird. Dass der Beschluss des BFH zu § 4 Nr. 14 Buchst. d UStG a. F. ergangen ist, ändert daran nichts. Da sich der Begriff „unmittelbar“ auch in der Nachfolgeregelung § 4 Nr. 29 UStG befindet, hat er auch für aktuelle und kommende Zeiträume eine große Bedeutung.