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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    Umsatzsteuerfreie Betreuungsleistungen erfordern keine direkte Beziehung zwischen Unternehmer und Träger der freien Jugendhilfe

    von StB Jürgen Derlath, Münster

    Betreuungsleistungen einer juristischen Person sind nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL steuerfrei, wenn der Person die Erlaubnis zum Betrieb einer Einrichtung zur Betreuung von Kindern und Jugendlichen nach § 45 SGB VIII erteilt wurde. Außerdem müssen die Leistungen über einen Träger der freien Jugendhilfe abgerechnet und damit - aus Sicht der juristischen Person - mittelbar von öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe gezahlt werden (BFH 6.4.16, V R 55/14).

     

    Sachverhalt

    Die Klägerin ist eine GmbH, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolgt, u.a. in der Förderung der Jugend in Bildung und Erziehung sowie der Jugendhilfe nach §§ 27 ff. KJHG. Hierzu erbringt die GmbH u.a. Betreuungsleistungen der Kinder- und Jugendhilfe nach SGB VIII. Die Betriebserlaubnisse für die Wohnheime waren ihr nach § 45 SGB VIII vom Landschaftsverband erteilt worden. Die Leistungen (Streitjahr 2007) stellte sie einer als Trägerin der freien Jugendhilfe nach § 75 i. V. mit § 45 SGB VIII anerkannten GbR in Rechnung, die sie mit den öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe abrechnete. Die GmbH hielt ihre Leistungen für steuerfrei. FA und FG sahen das anders.

     

    Anmerkungen

    Der BFH gab jedoch der GmbH Recht. Zwar seien die Betreuungsleistungen nach nationalem Recht nicht umsatzsteuerbefreit. Da die GmbH aber eine Einrichtung mit sozialem Charakter sei, greife die Steuerbefreiung nach Unionsrecht.

     

    Keine Befreiung nach nationalem Steuerrecht

    Nach § 4 Nr. 25 UStG sind bestimmte Leistungen der „Träger der öffentlichen Jugendhilfe und der förderungswürdigen Träger der freien Jugendhilfe“ steuerfrei. Die Norm verweist auf § 75 SGB VIII. Hier wurde die GbR als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt. Ob die GmbH die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfüllt, kann offen bleiben. Denn schon die Betreuungsleistungen fallen nicht unter die Leistungen § 4 Nr. 25 UStG.

     

    Befreiung nach Unionsrecht

    Die GmbH gehört aber zu den anderen Einrichtungen mit sozialem Charakter. Denn sie unterhält ein Wohnheim, in dem Kinder und Jugendliche mit psychischer Behinderung untergebracht sind. Für den Betrieb dieser Einrichtung ist eine Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII erforderlich, die auch erteilt wurde. Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 25 UStG gemäß § 27 Abs. 1 UStG i. V. mit Art. 28 Abs. 4 JStG 2008 gilt aber erst für Umsätze ab dem 1.1.08. Die GmbH kann sich jedoch auf das Unionsrecht berufen.

     

    Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL knüpft an leistungs- und an personenbezogene Voraussetzungen an:

     

    • Die Leistungen müssen eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbunden sein. Als Betreiberin des Wohnheims wird sie gegenüber dem Jugendamt im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe (§§ 27 bis 41 SGB VIII) tätig.
    • Es muss sich um eine anerkannte Einrichtung i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL handeln. Dafür spricht insbesondere die Erteilung der Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII.
    • An der Tätigkeit im Bereich der Kinder- und Jugendbetreuung muss ein besonderes Gemeinwohlinteresse bestehen, was hier der Fall ist.
    • Die Kosten der Leistungen werden - im Ergebnis - durch Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen. Auch eine mittelbare oder „durchgeleitete“ Kostentragung erfüllt nach der jüngsten Rechtsprechung des BFH (18.8.15, V R 13/14) das Merkmal.

     

    Aus Sicht des BFH erfüllte die GmbH damit mehrere - bei der Beurteilung der Eigenschaft als Einrichtung mit sozialem Charakter - zu berücksichtigende Gesichtspunkte. Da diese nicht kumulativ zu verstehen sind (BFH 25.4.13, V R 7/11 und BFH 8.6.11, XI R 22/09) und somit nicht vollständig vorliegen müssen, führt eine Gesamtwürdigung der maßgeblichen Kriterien dazu, dass die GmbH als Einrichtung mit sozialem Charakter anzusehen ist.

     

    Praxishinweis

    Dass die GmbH keine direkten vertraglichen Beziehungen zu den öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe unterhielt, sondern über die GbR abrechnete, war unerheblich. Der BFH (8.11.07, V R 2/06, BStBl II 08, 634) hatte zwar ausgeführt, die Anerkennung als eine „Einrichtung mit vergleichbarer Zielrichtung“ setze zumindest eine unmittelbare vertragliche Beziehung zwischen einem Träger und dem Unternehmer voraus, sodass es nicht ausreichend sei, wenn der Unternehmer lediglich als Subunternehmer für eine anerkannte Einrichtung tätig geworden ist. Unmittelbar zuvor wird aber die Rechtsprechung wiedergegeben, wonach die Anerkennung eines Unternehmers als eine Einrichtung mit sozialem Charakter auch aus der Übernahme der Kosten für seine Leistungen durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit abgeleitet werden kann (Rz 41).

     

    Der Schluss, dass nur bei Vorliegen (unmittelbarer) vertraglicher Vereinbarungen eine Anerkennung in Betracht kommt, stünde - so der BFH - insbesondere nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH, die lediglich darauf abstellt, ob „die Kosten der fraglichen Leistungen ... von Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden“ (BFH 29.7.15, XI R 35/13, PFB online 12.10.15). Bereits in einer älteren Entscheidung hat es der BFH (18.8.15, V R 13/14, PFB online 28.10.15) als unerheblich angesehen, dass keine direkten vertraglichen Vereinbarungen mit den öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe bestanden.

     

    Weiterführender Hinweis

    Quelle: Ausgabe 07 / 2016 | Seite 177 | ID 44078333