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  • · Fachbeitrag · Vertragsarztrecht/Strafrecht

    Die Delegation ärztlicher Leistungen ist in Ermächtigungsfällen riskant

    von RA, FA für MedR, Wirtschaftsmediator Dr. Tobias Scholl-Eickmann und RA Benedikt Büchling, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

    Zwei jüngere Entscheidungen (LSG Berlin-Brandenburg 16.10.15, L 24 KA 24/11; LG Berlin 19.1.15, 538 Qs 155-157/14, Beschlüsse) zeigen, welche weitreichenden Folgen ein Verstoß gegen den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung haben kann. Insbesondere verdeutlichen sie, dass straf- und vertragsarztrechtliche Bewertung nicht zwingend gleichlaufen. Anders gesagt: Es ist durchaus denkbar, strafrechtlich unbescholten zu bleiben und gleichwohl vertragsarztrechtlich Honorar zurückzahlen zu müssen und ggf. auch disziplinarrechtlich sanktioniert zu werden.

     

    Hintergrund

    Die Zulässigkeit der Delegation ärztlicher Leistungen und deren Grenzen durch das Gebot der persönlichen Leistungserbringung beschäftigt Gerichte immer wieder. Das Gebot der persönlichen Leistungserbringung ist für ermächtigte Ärzte insbesondere in § 32a Ärzte-ZV verankert. Danach hat der ermächtigte Arzt die in dem Ermächtigungsbeschluss bestimmte vertragsärztliche Tätigkeit persönlich auszuüben. Ergänzend ist der Grundsatz in weiteren vertragsarztrechtlichen Bestimmungen niedergelegt, z. B. Ziffer 2.2 der Allgemeinen Bestimmungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) oder § 15 BMV-Ä. Für ermächtigte Ärzte ergibt sich die Pflicht zudem unmittelbar aus dem jeweiligen Ermächtigungsbescheid. Mit der „Sammelerklärung“ versichert der ermächtigte Arzt, die abgerechneten Leistungen persönlich erbracht zu haben.

     

    Bei Verstößen gegen den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung drohen zuvorderst Honorarrückforderungen, die - abhängig vom Fachgebiet und Umfang der Ermächtigung - sechsstellige Höhe erreichen können sowie zudem auch disziplinarrechtliche und strafrechtliche Sanktionen.

     

    Mit der Rechtmäßigkeit einer solchen Honorarrückforderung und der Frage der Strafbarkeit in diesem Zusammenhang beschäftigten sich die beiden Besprechungsentscheidungen:

     

    • Ein ermächtigter Chefarzt verstößt gegen das Gebot der persönlichen Leistungserbringung, wenn er regelmäßig und systematisch Leistungen an ihm im stationären Bereich nachgeordnete Ärzte delegiert (LSG Berlin-Brandenburg 16.10.15, L 24 KA 24/11).

     

    • Nicht jede Abrechnungsunregelmäßigkeit, welche ebenso gut auf die Erfassung, Dokumentation und Abrechnung der entgeltrelevanten Vorgänge durch Mitarbeiter zurückzuführen sein kann, trägt den für eine Durchsuchung hinreichenden Tatverdacht (LG Berlin 19.1.15, 538 Qs 155-157/14, Beschlüsse).

     

    Sachverhalt und Anmerkungen (LSG Berlin-Brandenburg)

    Dem Chefarzt, einem Facharzt für Radiologie und Nuklearmedizin, wurde eine Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung erteilt. Der Ermächtigungstext umfasste bestimme Gebührenordnungspositionen (GOP) des EBM auf dem Gebiet der Nuklearmedizin, mit welchem die Durchführung einer „Schilddrüsensprechstunde“ ermöglicht wurde, und enthielt den ausdrücklichen Hinweis, dass die Ermächtigung ausschließlich an die Person des ermächtigten Arztes gebunden ist.

     

    Die Beratung der Patienten in einer „Schilddrüsensprechstunde“ führte der Chefarzt selbst durch. Die ebenfalls vom Ermächtigungsumfang erfassten szintigrafischen Untersuchungen wurden von anderen nachgeordneten Ärzten in seiner Abwesenheit übernommen. Die Befundberichte kontrollierte der Chefarzt anhand der Szintigrafie- und der Sonografie-Bilder und unterzeichnete sie. In seinen Abrechnungs-Sammelerklärungen gab der Chefarzt jeweils an, dass er oder sein Vertreter die Szintigrafien- oder Sonografien erbracht hätten.

     

    • Exkurs

    Das Sozialgericht zog die Aussagen der nachgeordneten Ärzte aus der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder bei. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen den Chefarzt wegen des Vorwurfs des Abrechnungsbetrugs ermittelt, stellte das Verfahren aber ein, weil für den Beschuldigten die Möglichkeit bestand, die delegierten ärztlichen Leistungen im Rahmen seiner Abrechnungen als persönlich erbracht anzusehen.

     

    Die KV sah in der Vorgehensweise einen Verstoß gegen das Gebot der persönlichen Leistungserbringung und setzte eine Rückforderungssumme auf ca. 160.000 EUR fest. Nach einem erfolglosen Widerspruchsverfahren erhob der Arzt Klage gegen den Widerspruchsbescheid. Nachdem die Klage durch das SG Potsdam abgewiesen wurde, legte der Arzt Berufung beim LSG ein.

     

    Das LSG hielt die Honorarrückforderung für rechtmäßig. Ein ermächtigter Arzt müsse sämtliche ärztliche Leistungen selbst erbringen. Lediglich delegationsfähige nichtärztliche Leistungen können an hinreichend qualifiziertes und überwachtes nichtärztliches Hilfspersonal delegiert werden. Die Durchführung der Kernleistungen, also der Szintigrafien sowie der Sonografien, seien nicht delegationsfähig.

     

    Damit seien auch die abgegebenen Sammelerklärungen unrichtig, da ein Verstoß gegen das Gebot der persönlichen Leistungserbringung vorliege. Der Chefarzt habe zudem nach Überzeugung des LSG grob fahrlässig gehandelt, weil der Ermächtigungstext den ausdrücklichen Hinweis auf die bestehende Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung enthielt. Von einem einmaligen Versehen oder leichter Fahrlässigkeit könne angesichts des systematischen Handelns nicht die Rede sein.

     

    Sachverhalt und Anmerkungen (LG Berlin)

    In einem ähnlich gelagerten Fall hatte sich das LG Berlin mit der Frage der Rechtmäßigkeit von Durchsuchungsbeschlüssen gegen ermächtigte Ärzte zu beschäftigen. Gegen die beschuldigten Ärzte wurde wegen des Verdachts des

    gewerbsmäßigen Abrechnungsbetrugs ermittelt. Konkret lagen der Staatsanwaltschaft Stichproben aus einem Revisionsbericht vor. Den Ärzten wurde vorgeworfen, dass sie ärztliche Leistungen nicht persönlich erbracht, aber gleichwohl vorsätzlich gegenüber der KV abgerechnet hätten. Das Amtsgericht erteilte daraufhin einen Durchsuchungsbeschluss, gegen den die ermächtigten Ärzte Beschwerde einlegten.

     

    Die Strafkammer erklärte die Durchsuchungsanordnung für rechtswidrig, da das Ermittlungsergebnis keinen Anfangsverdacht trage und die Durchsuchungsanordnung unverhältnismäßig sei.

     

    • Exkurs

    Folgende Voraussetzungen müssen für eine Durchsuchungsanordnung vorliegen:

     

    • Anfangsverdacht (Möglichkeit der Tatbegehung)
    • Auffindbarkeit von Beweismitteln
    • Verhältnismäßigkeit
     

    Grundsätzlich bestünden keine Zweifel daran, dass sich ein ermächtigter Arzt, der nicht persönlich erbrachte Leistungen abrechnet, wegen Abrechnungsbetrugs strafbar macht. Beruhe der eine Durchsuchung von Wohnraum und Arbeitsplatz rechtfertigende Tatverdacht auf einem auf Stichproben zurückgreifenden Revisionsbericht, so seien an die Plausibilität und die damit gewonnenen Verdachtsmomente erhöhte Anforderungen zu stellen. Nicht jede Abrechnungsungenauigkeit sei zwangsläufig auf die Ärzte zurückzuführen.

     

    Praxishinweis

    Angesichts beider Entscheidungen ist anzuraten, die im stationären Bereich unkritische und übliche Delegation von Leistungen an nachgeordnete Ärzte im Rahmen einer Ermächtigung restriktiv zu halten. Anhaltspunkte für (un-)zulässige Delegationen ergeben sich beispielhaft aus der Anlage 24 zum BMV-Ä, die eine tabellarische Übersicht mit Hinweisen und Beispielen enthält. Diese Übersicht ist nicht abschließend, kann aber für den vertragsärztlichen Bereich als Blaupause und Wertungsgrundlage dienen.

    Quelle: Ausgabe 06 / 2016 | Seite 148 | ID 43980714