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  • Fachbeitrag · Sozialversicherungsrecht/Vertrags(zahn)arztrecht

    Abgrenzung der Tätigkeit eines Vertrags(zahn)-arztes als Junior-Partner in „freier Praxis“ zur Scheinselbstständigkeit

    von Bertram F. Koch, Justiziar der ÄKWL a.D., Of Counsel, Münster, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

    | Das LSG Baden-Württemberg (23.11.16, L 5 R 1176/15) hat mit überzeugender Begründung die Tätigkeit einer „Junior-Partnerin“ in einer Zahnarztpraxis als versicherungspflichtige Beschäftigung nach § 7 Abs. 1 SGB IV bewertet. Unerheblich war, dass die gemeinsame Berufsausübung der Zahnärzte vom Zulassungsausschuss formell als Gemeinschaftspraxis genehmigt worden war. Die rechtlichen Einordnungen des Vertrags(zahn)arztrechts wie des (zahn)ärztlichen Berufsrechts sind für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung nach § 7 Abs. 1 SGB IV nicht bindend. |

    1. Sachverhalt

    Ein Zahnarzt und eine Zahnärztin, beide zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen, schlossen sich als Gemeinschaftspraxis zusammen, was auch vom Zulassungsausschuss genehmigt wurde.

     

    Der Gesellschaftsvertrag enthielt unter anderem folgende Regelungen:

     

    • Die Zahnärztin sollte als „Gewinnanteil“ 30 % der von ihr selbst erwirtschafteten Honorare erhalten. Aus den verbleibenden Einnahmen wurden die Praxiskosten bezahlt. Den Rest erhielt der Zahnarzt.

     

    • Der Zahnarzt stellte auch das gesamte, im Vertrag als „Sondervermögen“ ausgewiesene, materielle Vermögen zur Verfügung.

     

    • Die Zahnärztin musste keine Einlage leisten. Sie war nicht am materiellen Vermögen oder an den Kosten der Beschaffung zukünftigen materiellen Vermögens beteiligt.

     

    • Wer von den Vertragsparteien - und in welchem Umfang - einen Verlust zu tragen hätte, war vertraglich nicht geregelt.

     

    • Beide Gesellschafter waren einzeln vertretungsberechtigt. Im Innenverhältnis aber bedurften wirtschaftlich bedeutsamere Maßnahmen (wie z. B. die Kündigung von Arbeitsverhältnissen) der Zustimmung des Zahnarztes.

     

    • Im Fall ihres Ausscheidens sollte die Zahnärztin eine pauschalierte Abfindung, gestuft nach der Dauer ihrer Tätigkeit und abhängig von dem von ihr durchschnittlich erwirtschafteten Jahresumsatz, erhalten.

     

    Bei einer routinemäßigen Betriebsprüfung forderte die Deutsche Rentenversicherung Bund den Zahnarzt auf, offene Sozialversicherungsbeiträge in beträchtlicher Höhe nachzuentrichten. Die Klage des Zahnarztes blieb sowohl in erster Instanz (SG Freiburg) als auch in zweiter Instanz (LSG Baden-Württemberg) erfolglos. Revision ist nicht zugelassen.

    2. Die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg

    Nach Auffassung des LSG Baden-Württemberg war die Zahnärztin nicht freiberuflich „in freier Praxis“ tätig, sondern versicherungspflichtig beschäftigt. Die Richter stützten ihre Entscheidung auf verschiedene, sich in der Summe ergänzende Gesichtspunkte. Diese waren das Ergebnis der vom Gericht überzeugend herausgearbeiteten, für die Statusbeurteilung der Zahnärztin notwendigen Gesamtschau des vertraglich Festgelegten und des im Alltag der Kooperation tatsächlich Praktizierten.

     

    Maßgebend ist und bleibt - so das Gericht zu Recht- stets das Gesamtbild der zu beurteilenden Arbeitsleistung auf der Grundlage einer wertenden Zuordnung aller Umstände i. S. einer Gesamtabwägung. Dies muss(te) selbstverständlich auch für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Tätigkeit als Arzt bzw. Zahnarzt gelten.

     

    Folgende Umstände des konkreten Falls waren maßgeblich:

     

    • Der Zahnarzt stellte über sein „Sondervermögen“ der Praxis die Betriebsmittel (Praxiseinrichtung) allein und ohne Kostenbeteiligung der Zahnärztin zur Verfügung.

     

    • Die Zahnärztin trug weder ein Kapitalrisiko noch ein wirklich unternehmerisches Risiko. Sie war nicht am Verlust und auch nicht am Gewinn der Gesellschaft beteiligt. Ihre Einkünfte stammten allein aus dem selbst erwirtschafteten Umsatz.

     

    • Gegenüber der KZV bzw. Privatpatienten rechnete allein und ausschließlich der Zahnarzt ab.

     

    • Hinzu kamen die im Innenverhältnis stark beschränkte Vertretungsbefugnis und einige Sonderrechte für den Seniorpartner. So war z. B. nur der Zahnarzt befugt, bei über sechswöchiger Erkrankung der Zahnärztin zulasten deren Gewinnanteils einen Vertreter einzustellen.

     

    Die für eine Freiberuflichkeit sprechenden Indizien (nicht weisungsgebundene Tätigkeit, keine Haftungsfreistellung der Zahnärztin im Innenverhältnis) hielt das Gericht für irrelevant. Dasselbe galt für die Genehmigung der Gemeinschaftspraxis durch den Zulassungsausschuss (§ 33 Abs. 3 Zahnärzte-ZV). Das allerdings bedeute nicht, dass die Einordnungen durch den Zulassungsausschuss nicht doch als gewichtiger Gesichtspunkt in die Gesamtabwägung einfließen könne.

    3. Praxishinweise

    Der Entscheidung ist uneingeschränkt zuzustimmen. Sie reiht sich in den vom BSG abgesteckten Rahmen ein. Schon 2010 hatte das BSG (23.6.10, B 6 KA 7/09 R) klare Abgrenzungskriterien zur Differenzierung zwischen einem verdeckten Anstellungsverhältnis (Scheinselbstständigkeit) und der freiberuflichen Tätigkeit eines Vertragsarztes „in freier Praxis“ definiert.

     

    Zur Auslegung des Merkmals „in freier Praxis“ i. S. des § 32 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV/Zahnärzte-ZV ist zum einen darauf abzustellen, dass der (Zahn-)Arztberuf durch ein hohes Maß an eigener Verantwortung und an eigenem wirtschaftlichen Risiko charakterisiert ist. Zum anderen trägt das Berufsbild (der freiberuflich Tätigen) im Ganzen einen unternehmerischen „Zug“, der auf Selbstverantwortung, individueller Unabhängigkeit und eigenem wirtschaftlichem Risiko gegründet ist. Zur Tätigkeit „in freier Praxis“ gehört letztlich mehr als nach den §§ 705 ff. BGB für eine Gesellschafterstellung erforderlich ist.

     

    Für die Vertragsgestaltung bedeutet dies:

     

    • Jeder Gesellschafter muss das unternehmerische Risiko mittragen: Das zu erzielende Einkommen muss vom Erfolg oder Misserfolg der gesamten (Zahn-)Arztpraxis abhängen. Bei ungünstiger Entwicklung muss für jeden Gesellschafter das Risiko bestehen, für seine Arbeit kein oder nur wenig Einkommen zu erzielen bzw. eintretende Verluste mit eigenem Kapital ausgleichen zu müssen.

     

    • Jeder Gesellschafter muss am Gewinn und Verlust beteiligt sein, nicht nur am Umsatz. Berechnet sich der „Gewinnanteil“ eines Gesellschafters unabhängig von den Kosten, so ist dies gerade kein Gewinnanteil.

     

    • Jeder Gesellschafter sollte mit einem gewissen Kapitaleinsatz an der Gesellschaft (auch am immateriellen Vermögen - „Goodwill“) beteiligt sein.

     

    • Die Regelungen u. a. zur Vertretung und auch zum Urlaub sollten möglichst paritätisch ausgestaltet sein.

     

    Ist ein Gesellschafter einer Gemeinschaftspraxis als scheinselbstständig anzusehen, müssen an die jeweiligen Rentenversicherungsträger nicht nur rückwirkend bis zu vier Jahre an Sozialabgaben nachgezahlt werden. Es drohen auch Honorarrückforderungen der K(Z)V, von der drohenden Gewerbesteuerpflicht (BFH 3.11.15, VIII R 63/13) ganz zu schweigen.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Eine Zahnärztin in Gemeinschaftspraxis, die 70 % ihrer Einnahmen abführt und kein Risiko trägt, ist abhängig beschäftigt (Christmann, PFB Nachricht vom 6.12.16)
    • Praktische Probleme bei Honorarärzten und bei freiberuflichen Mitarbeitern in Physiotherapie- und Ergotherapie-Praxen (Sedlaczek, PFB 16, 272)
    • Die freie Mitarbeit bei einem Therapeuten ist wieder möglich! (Sedlaczek, PFB 16, 316)
    • Einbindung einer Honorarärztin in den Stationsalltag (Christmann, PFB Nachricht vom 10.6.16)
    Quelle: Ausgabe 04 / 2017 | Seite 92 | ID 44475381