· Fachbeitrag · Abkommensrecht
Anwendung und Wirkung der Subject-to-Tax-Klausel im DBA-Niederlande
von StB Dipl.-Fw. (FH) Markus Ungemach, MBA und FBIStR, Dortmund/Essen und StB (niederl. Recht) Eric van Nugteren, LL. M., Enschede/Niederlande
| Primäres Ziel von DBA ist die Vermeidung oder Abmilderung einer Doppelbesteuerung in Bezug auf die grenzüberschreitende Einkünfteerzielung. Daneben ist ein weiteres wesentliches Ziel die Vermeidung einer doppelten Nichtbesteuerung, die zu einer Wettbewerbsverzerrung führen und dem Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung widersprechen würde. Um letztgenanntes Ziel zu verwirklichen, spielen sog. Subject-to-Tax-Klauseln eine elementare Rolle. Der Beitrag gibt auf Basis eines Praxisfalls zum DBA-Niederlande einen Überblick zum Anwendungsbereich sowie zur Wirkungsweise von Subject-to-Tax-Klauseln und weist auf ungeklärte Praxisfragen hin. |
1. Sachverhalt
Der niederländische Staatsangehörige A hat seinen einzigen Wohnsitz i. S. d. § 8 AO in Dortmund, wo er sich zugleich dauerhaft i. S. d. § 9 AO aufhält. Neben anderen, unzweifelhaft ausschließlich in Deutschland einkommensteuerpflichtigen Einkünften erzielt er in 2023 einen Gewinn aus der Veräußerung eines in Enschede (Niederlande) belegenen Mehrfamilienhauses (MFH). Der notarielle Verkaufsvertrag des beauftragten niederländischen Notars datiert vom 20.4.23 und sieht einen Übergang von Nutzen und Lasten auf den Erwerber zum 1.5.23 vor. Der Veräußerungspreis beläuft sich insgesamt auf 500.000 EUR. Das Grundstück hatte A mit notariellem Kaufvertrag vom 26.8.15 und mit Übergang von Nutzen und Lasten zum 1.9.15 zu einem Kaufpreis von 350.000 EUR (davon unstreitig Grund und Boden 100.000 EUR und Gebäude 250.000 EUR) erworben und seitdem zur Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (langfristige Vermietung an fremde Mieter zu deren privaten Wohnzwecken) genutzt. Veräußerungskosten sind dem A nicht entstanden. Die Belegenheitsgemeinde Enschede hat den Wert des MFH zum 1.1.22 mit 450.000 EUR festgestellt und zum 1.1.23 mit 475.000 EUR.
Steht Deutschland ein Besteuerungsrecht an dem Veräußerungsgewinn zu?
2. Einkommensteuerrechtliche Beurteilung in Deutschland
A ist nach § 1 Abs. 1 S. 1 EStG aufgrund Wohnsitzes bzw. gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Deutschland darf somit das gesamte Welteinkommen des A besteuern.
Der Gewinn aus der Veräußerung des MFH ist gemäß § 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 EStG steuerpflichtig, da der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung des MFH nicht mehr als zehn Jahre beträgt.
Für die Berechnung der Veräußerungsfrist des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 EStG ist grundsätzlich das der Anschaffung sowie Veräußerung zugrunde liegende schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft (notarieller Vertrag) maßgebend (BFH 8.4.14, IX R 18/13, BStBl II 14, 826).
Der Veräußerungsgewinn ist nach den Grundsätzen des deutschen Einkommensteuerrechts, mithin nach § 23 Abs. 3 S. 1 u. 4 EStG, wie folgt zu ermitteln:
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Veräußerungspreis | 500.000 EUR | |
Anschaffungskosten Grund und Boden | ‒ 100.000 EUR | |
Anschaffungskosten Gebäude | 250.000 EUR | |
AfA vom 1.9.15 bis 30.4.23 | ||
250.000 EUR × 2 % ÷ 12 Monate × 92 Monate = | ‒ 38.334 EUR | ‒ 211.666 EUR |
Veräußerungsgewinn | 188.334 EUR |
3. Einkommensteuerrechtliche Beurteilung in den Niederlanden
3.1 Allgemeine Besteuerungsgrundsätze
Es gibt in den Niederlanden keinen einheitlichen Begriff des zu versteuernden Einkommens. Stattdessen werden die zu einer Einkunftsart (sog. Box) gehörenden Einkünfte getrennt voneinander ermittelt und mit verschiedenen Tarifen besteuert. Die für alle Boxen berechneten Steuern ergeben zusammengefasst die gesamte niederländische Steuerschuld. Diese wird sodann um den Gesamtbetrag verschiedener Steuerabzüge aus persönlichen Gründen gekürzt. Das niederländische Einkommensteuerrecht kennt zurzeit drei Boxen.
- Box 1 erfasst Einkünfte aus Arbeit und selbstgenutztem Wohneigentum. Hierunter fallen Unternehmensgewinne (u. a. Gewinne aus Gewerbebetrieb), Einkünfte aus selbstständiger und sonstiger Tätigkeit, Einkünfte aus gegenwärtiger oder früherer nichtselbstständiger Arbeit, einige wiederkehrende Bezüge sowie der Nutzungswert selbstgenutzten Wohneigentums.
- Box 2 betrifft die Besteuerung von Einkünften aus wesentlicher Beteiligung ab 5 % an niederländischen Kapitalgesellschaften und ähnlichen ausländischen Gesellschaften, die der Körperschaftsteuer unterliegen, sowie aus ähnlichen Kapitalbeteiligungen.
- Box 3 behandelt Einkünfte aus Vermögensbesitz. Dazu gehören Einkünfte aus Spar- und Kapitalanlagen in einem weit gefassten Sinne (u. a. sonstige private Veräußerungsgewinne aus Beteiligungen unter 5 %, Gewinne aus der Veräußerung von Immobilien und auch Mieteinnahmen). Im Rahmen der Box-3-Besteuerung werden nicht die tatsächlich erzielten Einkünfte bzw. Veräußerungsgewinne als Bemessungsgrundlage der Steuer ermittelt, sondern vielmehr fiktive Einkünfte bzw. pauschale Renditen auf Basis des Werts des Nettovermögens unter Abzug eines allgemeinen Freibetrags. Demzufolge führen Vermögenszuwächse zu höheren Einkünften und somit zu einer höheren Besteuerung in Box 3.
3.2 Besteuerung des Veräußerungsgewinns des A
A unterliegt mit seinem Veräußerungsgewinn in den Niederlanden der beschränkten Einkommensteuerpflicht. Die Besteuerung für 2023 erfolgt nach Box 3.
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Ermittlung der pauschalen Rendite auf Basis des zum 1.1.22 von der Gemeinde jährlich festgestellten Werts des MFH, sog. WOZ-Wert (Waardering Onroerende Zaken) | |
Es wird immer der Wert des vorherigen Jahres verwendet | 450.000 EUR |
Pro Person gibt es einen Freibetrag von | ‒ 57.000 EUR |
Bemessungsgrundlage der Box-3-Besteuerung | 393.000 EUR |
Die gesetzlich festgestellte Rendite für das Jahr 2023 bzgl. dieser Kategorie von Besitz beträgt 6,17 % | |
Pauschale Rendite: 393.000 EUR × 6,17 % = | 24.248 EUR |
Der anzuwendende Steuersatz beträgt 32 % | |
Box-3-Steuer: 24.248 EUR × 32 % = | 7.759 EUR |
In der Box-3-Besteuerung ist die Wertsteigerung und später auch eine Veräußerung mit Gewinn in Bezug auf das MFH enthalten.
Beachten Sie | Am 24.12.21 hat das niederländische höchste Gericht (Hoge Raad) in einem Urteil (sog. „Heilig-Abend-Urteil“) entschieden, dass die Box-3-Besteuerung ab 2017 durch Besteuerung auf Grundlage einer fiktiven Vermögenszusammenstellung und fiktiver Renditen dem Recht auf Eigentum widerspricht. Der Gesetzgeber hat auf dieses Urteil reagiert. Für die Jahre 2017 bis einschließlich 2022 wird die Box-3-Steuer auf Basis angepasster Regeln berechnet. Steuerpflichtige, für die diese Berechnung zu einer geringeren Steuerschuld führt, können unter Umständen entschädigt werden. Für Jahre ab 2023 gibt es eine Zwischenlösung, bis ab 2027 die Box-3-Besteuerung komplett reformiert sein soll. Auch diese Zwischenlösung wird inzwischen heftig diskutiert. Es laufen viele Verfahren dagegen.
4. Abkommensrechtliche Beurteilung
A ist gemäß Art. 4 Abs. 1 S. 1 des DBA zwischen Deutschland und den Niederlanden (DBA-NL) aufgrund seiner unbeschränkten Steuerpflicht als in Deutschland ansässig anzusehen.
Nach Art. 13 Abs. 1 DBA-NL kann der Gewinn aus der Veräußerung des MFH von den Niederlanden als Belegenheitsstaat (Quellenstaat) besteuert werden.
Von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer werden nach Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) DBA- NL die Einkünfte aus den Niederlanden ausgenommen, die nach dem Abkommen tatsächlich in den Niederlanden besteuert werden und nicht unter ‒ den vorliegend nicht einschlägigen ‒ Art. 22 Abs. 1 Buchst. b) DBA-NL fallen.
Fraglich ist nun, ob die Box-3-Besteuerung des Veräußerungsgewinns zu einer tatsächlichen Besteuerung i. S. d. Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) DBA-NL in den Niederlanden führt oder nicht. Nur bei Annahme einer tatsächlichen Besteuerung in den Niederlanden wendet Deutschland auf den Veräußerungsgewinn die Freistellungsmethode unter Progressionsvorbehalt (vgl. Art. 22 Abs. 1 Buchst. d) DBA-NL) an. Ansonsten kommt es zur Anwendung der Anrechnungsmethode, wobei in diesem Kontext dann fraglich wäre, ob die niederländische Box-3-Steuer eine aus deutscher Sicht anrechenbare ausländische Einkommensteuer darstellt oder nicht.
5. Subject-to-Tax-Klauseln
Der im vorliegenden Fall zu beurteilende Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) DBA-NL stellt eine sog. Subject-to-Tax-Klausel dar.
MERKE | Subject-to-tax-Klauseln, auch Rückfallklauseln genannt, sind abkommensrechtliche Besteuerungsvorbehalte, die eine Freistellung von Einkünften von einer Besteuerung im anderen Vertragsstaat abhängig machen (s. auch BMF 20.6.13, IV B 2 - S 1300/09/10006, BStBl I 13, 980, Tz. 2). |
5.1 Anwendungsbereich und Wirkungsweise
In der Regel richten sich Subject-to-tax-Klauseln an den Ansässigkeitsstaat, d. h., die Steuerfreistellung der Einkünfte durch diesen Staat ist von der Besteuerung der betreffenden Einkünfte im Quellenstaat abhängig. Liegen die Voraussetzungen einer Subject-to-tax-Klausel vor, werden die im anderen Vertragsstaat nicht besteuerten Einkünfte nach den deutschen Steuervorschriften in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen und eine etwaige ausländische Steuer im Wege der Steueranrechnung bzw. des Steuerabzugs berücksichtigt (BMF 20.6.13, IV B 2 - S 1300/09/10006, BStBl I 13, 980, Tz. 2.5 Buchst. a).
Zu beachten ist, dass die abkommensrechtlichen Subject-to-Tax-Klauseln vorrangig vor den nationalen Vorschriften (z. B. § 50d Abs. 9 EStG) anzuwenden sind. Eine nationale Vorschrift ist im vorliegenden Fall jedoch nicht einschlägig.
5.2 Tatsächliche Besteuerung im Quellenstaat
Eine tatsächliche Besteuerung in dem Vertragsstaat, dem das Besteuerungsrecht nach dem DBA zugewiesen ist (Quellenstaat), liegt vor, soweit die Einkünfte in die steuerliche Bemessungsgrundlage dieses Vertragsstaats einbezogen werden (BMF 20.6.13, IV B 2 - S 1300/09/10006, BStBl I 13, 980, Tz. 2.3 Buchst. a).
Davon ist u. a. auch dann auszugehen, wenn eine Besteuerung infolge
- von Freibeträgen,
- eines Verlustausgleichs oder -abzugs wegen anderer negativer Einkünfte,
- des Abzugs bzw. der Anrechnung von im Ausland gezahlten Steuern,
- der Anwendung eines DBA-Schachtelprivilegs oder einer Richtlinie des Unionsrechts
unterbleibt oder
- aufgrund ausländischer Vorschriften zur Einkünfteermittlung Differenzen im Vergleich zu der nach deutschem Steuerrecht ermittelten Bemessungsgrundlage auftreten.
Eine Nichtbesteuerung liegt hingegen vor, soweit der Quellenstaat nach seinem nationalen Recht Einkünfte nicht besteuern kann, insbesondere weil diese nicht steuerbar bzw. sachlich steuerbefreit sind oder der Steuerpflichtige persönlich steuerbefreit ist oder aus anderen Gründen eine tatsächliche Besteuerung unterbleibt (z. B. aufgrund Verzichts des anderen Vertragsstaats durch Erlass der Steuer; BMF 20.6.13, IV B 2 - S 1300/09/10006, BStBl I 13, 980, Tz. 2.3 Buchst. b).
Es kommt jedoch nicht darauf an, in welchem Umfang die fraglichen Gewinne oder Einkünfte von der Besteuerung im Quellenstaat erfasst werden oder ob dort alle Einkunftsteile im Rahmen der ausländischen Steuerveranlagung auch zu einer konkreten Steuerzahlungspflicht führen. Dies ist immer dann der Fall, wenn eine Subject-to-Tax-Klausel eine qualitativ-konditionale Voraussetzung der Besteuerung im Quellenstaat beinhaltet („wenn”) und nicht eine solche quantitativer Art („soweit”; BFH 27.8.97, I R 127/95, BStBl II 98, 58).
6. Lösung des Sachverhalts
Ausgehend vom konkreten Wortlaut der Subject-to-Tax-Klausel des Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) DBA-NL („nach diesem Abkommen tatsächlich in den Niederlanden besteuert werden”) ist festzuhalten, dass diese Vorschrift eine qualitativ-konditionale Voraussetzung der Besteuerung im Quellenstaat (Niederlande) beinhaltet und keine besonderen Anforderungen an die Art und Weise bzw. Qualität der Besteuerung stellt.
Mithin besteht kein Erfordernis einer Ermittlung der niederländischen steuerlichen Bemessungsgrundlage nach dem Vorbild des deutschen Ermittlungsschemas für das zu versteuernde Einkommen, sodass auch die pauschale Box-3-Besteuerung als tatsächliche Besteuerung zu qualifizieren ist. Auch die Höhe des Steuersatzes ist nicht entscheidungserheblich. Der im Rahmen der Box-3-Besteuerung erfolgende Abzug eines persönlichen Freibetrags sowie der etwaige Abzug von Schulden im Zusammenhang mit dem Erwerb des Vermögens stehen nach vorstehenden Ausführungen einer tatsächlichen Besteuerung nicht entgegen.
Zudem stellt die Box-3-Steuer nach der in einem Urteilsfall zum DBA Niederlande-Frankreich geäußerten Auffassung des Hoge Raad eine Einkommensteuer dar (Hoge Raad 1.12.06, ECLI:NL:PHR:2006:AV5017).
Diese Auffassung wird man auch vor dem Hintergrund des BFH-Urteils vom 9.12.10 (I R 49/09, BStBl II 11, 482) zur sog. Britischen Claw-back-Besteuerung teilen können. Im Rahmen dieser auch bei der Veräußerung von Grundstücken anzuwendenden Besteuerung wird nicht ein Veräußerungsgewinn im eigentlichen Sinne erfasst, sondern die Veräußerung führt nach britischem Steuerrecht vielmehr nur dazu, dass zuvor gewährte Abschreibungen auf Teile der Immobilie rückgängig gemacht werden (Beseitigung des in der Vergangenheit eingeräumten Steuervorteils der Vornahme von AfA mit Wirkung für die Zukunft). Da die Claw-back-Besteuerung den durch die Veräußerung realisierten Wertzuwachs nicht erfasst, führt sie aus deutscher Sicht nicht zu einer Besteuerung eines Veräußerungsgewinns. Die Veräußerung wird lediglich zum Auslöser für die Rückforderung eines in der Vergangenheit gewährten Steuervorteils.
In Abgrenzung dazu liegt der niederländischen Box-3-Besteuerung eine andere Systematik zugrunde. Auch wenn es nur zu einer pauschalen Erfassung von Wertsteigerungen in Bezug auf Immobilien kommt, so ist die Box-3-Besteuerung einer Ertragsbesteuerung von Wertzuwächsen wirtschaftlich vergleichbar.
Vor diesem Hintergrund sollte Deutschland den Veräußerungsgewinn des A unter Progressionsvorbehalt von der Besteuerung in Deutschland freistellen. Die Subject-to-Tax-Klausel des Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) DBA-NL findet aufgrund tatsächlicher Besteuerung des Veräußerungsgewinns in den Niederlanden keine Anwendung.
FAZIT | Der vorliegende Beitrag verdeutlicht, dass im Rahmen der Anwendung von DBA eine Steuerfreistellung durch den Ansässigkeitsstaat von einer Subject-to-Tax-Klausel abhängen kann. Dann kommt es maßgeblich auf die tatsächliche Besteuerung der betreffenden Einkünfte im Quellenstaat an.
Eine Besteuerung im Quellenstaat liegt im Sinne der Subject-to-Tax-Klausel des Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-NL vor, wenn die Einkünfte in die steuerliche Bemessungsgrundlage dieses Vertragsstaats einbezogen werden.
In Abgrenzung zur britischen Claw-back-Besteuerung sollte die niederländische Box-3-Besteuerung einer Ertragsbesteuerung von Wertzuwächsen wirtschaftlich vergleichbar sein. |