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  • · Fachbeitrag · Betriebsstättengewinnermittlung

    Zurechnung von Einkünften zu einer Finanzierungsbetriebsstätte

    von Prof. Dr. Dieter Endres und StB Dr. Stefan Brunsbach, Frankfurt a. M.

    | Als Reaktion auf die von der OECD entwickelten Grundsätze zur Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte hat sich auch der deutsche Gesetzgeber in § 1 Abs. 5 , 6 AStG und der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV) für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes und die damit verbundene Gleichsetzung von Betriebsstätten mit Kapitalgesellschaften bei der Gewinnabgrenzung entschieden. Nach dem Authorized OECD Approach (AOA) sind einer Betriebsstätte die Gewinne zuzurechnen, die sie erzielen würde, wenn sie ein selbstständiges und unabhängiges Unternehmen wäre. Im Musterfall wird dargestellt, wie die Ergebniszurechnung zu einer ausländischen Finanzierungsbetriebsstätte erfolgt. |

    1. Sachverhalt

    Die in Stuttgart ansässige Azuli AG ist weltweit im Bereich der Entwicklung, der Produktion und des Vertriebs von Bremssystemen für die Automobilindustrie tätig. Sie verfügt im In- und Ausland über Tochtergesellschaften. Ein Schwerpunkt ihrer Aktivitäten befindet sich im US-Dollar-Raum. Zur Steuerung der USD-Liquidität soll die Finanzierungsfunktion in den USA zentralisiert werden. Zum Aufgabenbereich der neuen Finanzierungseinheit gehören die Liquiditätsbeschaffung und Geldanlage sowie das gruppeninterne Cash-Management, soweit es sich um USD-Devisen handelt.

     

    Zu diesem Zweck mietet die Azuli AG Büros in New York an, wo zwei Mitarbeiter arbeiten. Die Azuli AG überweist 100 Mio. USD auf ihr Bankkonto in den USA, welches von den in New York arbeitenden Mitarbeitern eröffnet und verwaltet wird. Diese Mittel werden dazu verwendet, die erforderliche Liquidität anderer Gruppengesellschaften im USD-Raum zu gewährleisten. Im Konzern nicht benötigte überschüssige Liquidität wird nach Vorgaben von Stuttgarter Mitarbeitern der Finanzabteilung am US-Kapitalmarkt angelegt. Die daraus generierten Zinserträge betragen im Jahr 2015 3 Mio. USD. Die operativen Kosten der Niederlassung belaufen sich auf 500.000 USD (Personalkosten, Miete, Bankgebühren).

     

     

    Wie sind die Einkünfte zwischen der Azuli AG und der Finanzierungsbetriebsstätte in New York aufzuteilen?

    2. Lösungshinweise

    Mit der Aufnahme der Tätigkeiten in dem New Yorker Büro begründet die Azuli AG eine Betriebsstätte in New York. Nach dem in Art 7 i. V. m. Art 5 DBA D/USA verankerten Betriebsstättenprinzip ist die USA als Quellenstaat zur Besteuerung der Betriebsstätteneinkünfte berechtigt. Deutschland nimmt die Betriebsstätteneinkünfte nach Art. 23 Abs. 3 Buchst. a) DBA D/USA von der Bemessungsgrundlage aus. Sowohl für den Umfang der Quellenbesteuerung in den USA als auch den Umfang der Steuerfreistellung in Deutschland stellt sich somit die Frage, welche Gewinne der Finanzierungsbetriebsstätte zuzurechnen sind.

     

    MERKE | Ändern sich die Aufgaben der Funktionen im Konzern bzw. werden diese neu verteilt, ist jeweils auch zu überprüfen, ob eine sofort entgeltspflichtige Funktionsverlagerung vorliegt. Voraussetzung ist, dass in der Folge das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlegende Unternehmen eingeschränkt wird.

     

    Beim vorliegenden Sachverhalt, bei dem sich die Ausstattung der Finanzierungsbetriebsstätte auf die Zurverfügungstellung von Kapital beschränkt, dürfte der Tatbestand einer Funktionsverlagerung nicht erfüllt sein (vgl. die Analyse zu vergleichbaren Sachverhalten bei Endres/Oestreicher, IStR 09, Beihefter zu Heft 20).

     

    § 1 Abs. 5 und 6 AStG i. V. m. der BsGaV regeln die Betriebsstättengewinnermittlung nach AOA-Grundsätzen (zur Entwicklung und zum Inhalt des AOA vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl., 761 ff.; Kaeser, in: Lüdicke/Schnitger/Spengel, Besteuerung internationaler Unternehmen, München 2016, 179 ff.).

     

    • In einem ersten Schritt sind die Personalfunktionen (§ 4 BsGaV) zu identifizieren, welche der Betriebsstätte zuzurechnen sind. Sie legen fest, wie die Betriebsstätte für Zwecke der Zurechnung von Einkünften steuerlich ausgestaltet ist (vgl. Oestreicher, in: Lüdicke/Schnitger/Spengel, a. a. O., 278).Auf dieser Grundlage erfolgt dann die Zuordnung der Wirtschaftsgüter und der sonstigen Vermögenswerte, der Geschäftsvorfälle, Chancen und Risiken, des Dotationskapitals sowie der sonstigen Passivposten einschließlich der Finanzierungsaufwendungen (§§ 5 bis 15 BsGaV).

     

    • In einem zweiten Schritt sind dann die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen (Dealings) zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus zu identifizieren und unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei der Betriebsstättengewinnaufteilung zu berücksichtigen.

     

    Zur Beantwortung der Frage, wie diese Grundsätze auf den hier angesprochenen Sachverhalt einer Finanzierungsbetriebsstätte anzuwenden sind, sind zwei Ansätze denkbar:

     

    • Einerseits könnte man vor dem Hintergrund der der Betriebsstätte zuzurechnenden Personalfunktionen dieser die liquiden Mittel von 100 Mio. USD bzw. die entsprechenden Forderungen und Anlagen zuordnen. Dies würde dazu führen, dass die erzielten Zinserträge Einkünfte der Betriebsstätte darstellen. Konsequenterweise würde sich dann allerdings die Frage stellen, ob die Zurverfügungstellung der 100 Mio. USD ein Dealing in Form einer angenommenen Darlehensbeziehung ist, sodass bei der Ermittlung des der Betriebsstätte zuzurechnenden Gewinns unter Umständen ein (angemessener) fiktiver Zinsaufwand zu berücksichtigen wäre.

     

    • Alternativ könnte man auf Grundlage einer Funktions- und Risikoanalyse sowie der Zuordnung der Personalfunktionen zu dem Ergebnis kommen, dass die Mittel nicht der Betriebsstätte zuzurechnen sind. In diesem Fall würde eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus dahin gehend bestehen, dass die Finanzierungsbetriebsstätte eine (fiktive) Dienstleistung gegenüber dem Stammhaus erbringt, welche nach allgemeinem Drittvergleichsgrundsatz im Regelfall nach der Kostenaufschlagsmethode bezogen auf die operativen Kosten der Finanzierungsbetriebsstätte zu vergüten wäre.

     

    MERKE | In der BsGaV ist in § 17 eine spezielle Regelung zu Finanzierungsbetriebsstätten enthalten, die anderen Regeln der BsGaV vorgeht. Dort wird geregelt, dass im Fall einer Finanzierungsbetriebsstätte regelmäßig davon auszugehen ist, dass die Ausübung einer Finanzierungsfunktion eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung begründet, die eine Dienstleistung darstellt.

     

    Unterstrichen wird dieser Vorrang des obigen zweiten Ansatzes auch durch § 16 Abs. 3 BsGaV, wonach allein die Nutzung finanzieller Mittel durch die Betriebsstätte grundsätzlich keine anzunehmende schuldrechtliche (Darlehens-)Beziehung darstellt.

     

    Auch der am 18.3.16 veröffentlichte Entwurf der Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung (VWG BsGa) betont, dass die Ausübung einer Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens im Regelfall als Dienstleistung der Finanzierungsbetriebsstätte für das übrige Unternehmen anzusehen ist und nicht als Zurverfügungstellung eigener finanzieller Mittel der Finanzierungsbetriebsstätte, die zur Annahme einer fiktiven Darlehensvereinbarung führen würde. Die Überlassung der Finanzmittel löst somit auch keine fiktiven Zinszahlungen der Betriebsstätte an das Stammhaus aus. Damit wird allerdings die vollständige Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte durchbrochen, denn Dritte würden ohne Vergütung kein Kapital zur Verfügung stellen (vgl. Melhem/Dombrowski, IStR 15, 915 m. w. N.).

     

    Für die Ausübung der Finanzierungsfunktion ist eine kostenorientierte Verrechnungspreismethode anzuwenden. Finanzierungsaufwendungen und Finanzierungserträge des Unternehmens, welche durch die Tätigkeiten der Finanzierungsbetriebsstätte verursacht werden, beeinflussen die Kostenbasis nicht. Vermögenswerte, die Grundlage für eine externe Anlage von Liquiditätsüberhängen sind oder die aufgrund der externen Anlage von Liquiditätsüberhängen entstehen, sind nicht der Finanzierungsbetriebsstätte zuzuordnen.

     

    § 17 Abs. 7 BsGaV enthält eine Öffnungsklausel gegenüber dem widerlegbaren Regelfall einer fiktiven Dienstleistung. So ist eine vom Regelfall abweichende Zuordnung von Vermögenswerten und Passivposten vorzunehmen,

     

    • wenn in der Finanzierungsbetriebsstätte im Hinblick auf entstehende Vermögenswerte und Passivposten sowie auf die damit zusammenhängenden Chancen und Risiken Personalfunktionen ausgeübt werden, die eine Zuordnung der Vermögenswerte und der Passivposten zur Finanzierungsbetriebsstätte als sachgerecht erscheinen lassen, oder

     

    • wenn eine andere Verrechnungspreismethode zu einem Ergebnis führt, das dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht.

     

    Auch wenn die Abgrenzung zwischen Regelfall und Ausnahme nur bedingt konkret in der BsGaV geregelt ist, wird gerade im Entwurf der VwG BsGa deutlich, dass die deutsche Finanzverwaltung unterstellt, dass einer Finanzierungsbetriebsstätte letztlich ein Gewinn in Höhe einer angemessenen Dienstleistungsgebühr zuzuweisen ist. Diese ermittelt sich nach Maßgabe einer kostenorientierten Methode, wie insbesondere der Kostenaufschlagsmethode. Da laut Sachverhalt in dem hier gebildeten Fall die endgültigen Entscheidungen über die Anlage überschüssiger liquider Mittel von Mitarbeitern des Stammhauses getroffen werden, besteht ein starkes Indiz dahin gehend, dass für Zwecke der Betriebsstättengewinnabgrenzung kein anderes Ergebnis vertretbar erscheint. Die Zinserträge aus der Geldanlage sind damit dem (deutschen) Stammhaus zuzurechnen.

     

    Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass aus Sicht des deutschen Steuerrechts die der US-Betriebsstätte zuzurechnenden Erträge sich aus einem angemessenen Entgelt für eine Finanzdienstleistung ergeben. Dieses ist nach der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln. Unterstellt man einen dem Drittvergleich entsprechenden Kostenaufschlag von 5 %, würde sich ein der Betriebsstätte zuzurechnender Gewinn von 25.000 USD (5 % von 500.000 USD) ergeben.

    3. Resümee

    Der Musterfall zeigt, dass die Frage der Zuordnung der Vermögensgegenstände nach Maßgabe der in der Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktionen eine erhebliche Bedeutung für die Höhe des der Betriebsstätte zuzuweisenden Gewinns haben kann. Würde man die liquiden Mittel und damit die Zinserträge der Betriebsstätte zurechnen, ergäbe sich - natürlich in Abhängigkeit von der Berücksichtigung fiktiver oder tatsächlicher Refinanzierungszinsen - ein Gewinn der Betriebsstätte von bis zu 2.500.000 USD (3.000.000 USD Zinserträge abzüglich 500.000 USD Kosten). Eine Verrechnungspreisplanung im Betriebsstättenkontext würde deshalb die Verlagerung von Personalfunktionen zum Ausgangspunkt nehmen (vgl. Oestreicher, in: Lüdick/Schnitger/Spengel, a. a. O., 287).

     

    Ist aber bereits nach deutschem AOA-Verständnis die Gewinnaufteilung ein komplexes Unterfangen mit keineswegs eindeutigem Ergebnis, so erhöht sich das Konfliktpotenzial, wenn der andere Staat (hier die USA) der deutschen Handhabung nicht entspricht. Solche Verwerfungen, die ungeachtet der Tatsache eintreten können, ob das jeweils anzurechnende DBA eine Regelung mit einem AOA-Ansatz enthält, resultieren in Doppel- und Minderbesteuerungen. Würden im Musterfall die USA einen Betrag von 2.500.000 USD der Besteuerung unterwerfen, ließe sich die daraus ergebende Doppelbesteuerung allenfalls im Wege eines (langwierigen und aufwendigen) Verständigungsverfahrens lösen.

     

    Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Betriebsstättengewinnermittlung auch nach der Einführung des AOA ein Dauerthema des internationalen Steuerrechts bleiben wird. Auch die seit dem 18.3.16 bereits in Entwurfsform vorliegenden VWG BsGa werden auf über 150 Seiten nicht alle Zweifelsfragen lösen und Unsicherheiten beseitigen können (vgl. zu diesem Entwurf Busch, DB 2016, 910 ff.). Ihr Ziel ist es, noch konkreter als durch Gesetz und Verordnung möglich, sicherzustellen, dass von Steuerpflichtigen und Verwaltung akzeptable Lösungen gefunden werden, die internationale Besteuerungskonflikte vermeiden. Dennoch: Compliance im Betriebsstättenumfeld ist eine herausfordernde Aufgabe.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Zu den Kriterien über das Vorliegen einer Dienstleistungsbetriebsstätte s. Endres/Brunsbach, PIStB 16, 159
    • Zur Anwendung des Fremdvergleichs bei Betriebsstätten am Praxisfall s. Hagemann/Kahlenberg, PIStB 15, 159
    • Zur neuen Betriebsstättengewinnermittlung - 5 Musterfälle zur Auslegung (Teil 1 und 2) s. Endres/Oestreicher/van der Ham, PIStB 14, 276, 303
    Quelle: Ausgabe 07 / 2016 | Seite 188 | ID 44085918