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  • · Fachbeitrag · Der praktische Fall

    Doppelansässigkeit von Kapitalgesellschaften im Verhältnis Deutschland ‒ Österreich (Teil 1)

    von StB Dipl.-Fw. (FH) Markus Ungemach, MBA, Dortmund und StB Dr. Markus Stefaner, Wien

    | Der stetige technologische Fortschritt in der Art und Weise der Kommunikation sowie die immer digitaler werdende Zusammenarbeit über nationale Grenzen hinweg beeinflussen maßgeblich die Führung von Geschäften von Kapitalgesellschaften. Die Beschränkungen durch die immer noch anhaltende COVID-19-Pandemie haben dem vorbezeichneten Wandel einen weiteren Schub gegeben. Wenn die Geschäftsführungsorgane von unterschiedlichen Ländern aus die ihnen obliegenden Aufgaben und Funktionen wahrnehmen, dann ist zu prüfen, ob Fälle doppelt oder mehrfach ansässiger Kapitalgesellschaften gegeben sein könnten. |

    1. Ausgangsfall

     

    • Sachverhalt

    An der in Österreich errichteten und dort über ihren Satzungssitz verfügenden Ö-GmbH sind der in Dortmund wohnhafte D sowie der in Lienz (Österreich) wohnhafte L zu jeweils 50 % beteiligt. Die Ö-GmbH gleicht einer inländischen Körperschaft (GmbH) i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG (vgl. dazu Tabelle 1 zum BMF 24.12.99, IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl I 99, 1076). Sowohl D als auch L sind zu Geschäftsführern der Ö-GmbH berufen. Unternehmensgegenstand der Ö-GmbH sind die Herstellung und der weltweite Vertrieb nachhaltiger Baustoffe. Die Produktion und der weltweite Vertrieb der Baustoffe erfolgen ausschließlich von Lienz aus. Dort verfügt die Ö-GmbH über eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung, Produktionsbetriebsstätten, ein Vertriebsbüro sowie eine Verwaltungsabteilung (Backoffice und Finanzabteilung bzw. Rechnungswesen).

     

    Zwischen den Geschäftsführern D und L, welche gleichberechtigt sind, besteht eine Geschäftsführungsordnung:

     

    • D verantwortet die weltweiten Vertriebsaktivitäten sowie das Rechnungswesen und die damit zusammenhängenden kaufmännischen Fragen.
    •  
    • L ist für die grundlegenden bzw. strategischen Entscheidungen auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung in Bezug auf die Baustoffe sowie für deren Produktion verantwortlich.

     

    D hält sich alle zwei Monate für rund eine Woche physisch in Lienz auf und führt Besprechungen sowie Meetings mit den Mitarbeitern des Vertriebsteams sowie des Rechnungswesens durch. Ansonsten nimmt D seine Geschäftsführungsaufgaben von dem in seinem Privathaus in Dortmund befindlichen Homeoffice aus wahr. In dieser Zeit erfolgt die Kommunikation zwischen D und den Mitarbeitern des Vertriebsteams sowie des Rechnungswesens mittels Telefonkonferenzen, Videokonferenzen sowie per E-Mail. Die Verträge mit Kunden und Geschäftspartnern der Ö-GmbH werden ausschließlich von leitenden Vertriebsmitarbeitern in eigener Zuständigkeit und Verantwortung unterschriftsreif verhandelt und auch unterzeichnet.

    Diese Vertriebsmitarbeiter sind mit entsprechenden Abschlussvollmachten ausgestattet und unternehmen regelmäßig Dienstreisen zwecks Führung der Verhandlungsgespräche mit den Kunden und Geschäftspartnern. D übernimmt insoweit nur eine Überwachungsfunktion dahingehend, dass die von ihm vorgegebenen Leitlinien und Grundsätze in Bezug auf die Vertriebsaktivitäten eingehalten und beachtet werden. Lediglich in Einzelfällen strategisch bedeutsamer Geschäftsabschlüsse ist D unmittelbar in die Vertragsverhandlungen mit Kunden und Geschäftspartnern eingebunden.

     

    2. Grundsätze des deutschen Körperschaftsteuerrechts

    2.1 Unbeschränkte Steuerpflicht

    Nach § 1 Abs. 1 KStG sind Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig, wenn sie ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben:

     

    • Geschäftsleitung im vorstehenden Sinne ist nach § 10 AO der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung.

     

    • Den Sitz hat eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse gemäß § 11 AO an dem Ort, der durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung, Stiftungsgeschäft oder dergleichen bestimmt ist.

     

    Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 1 KStG können somit nicht nur inländische Körperschaften, welche zugleich Sitz und Geschäftsleitung in Deutschland haben, sondern auch ausländische Gesellschaften, also solche mit Sitz im Ausland, der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht unterliegen, wenn sie ihre Geschäftsleitung in Deutschland haben.

     

    MERKE | Eine Gesellschaft mit Sitz im Ausland und Geschäftsleitung im Inland kann aber nur dann nach Maßgabe von § 1 Abs. 1 KStG unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sein, wenn sie aus ertragsteuerrechtlicher Sicht als Körperschaft einzuordnen ist. Die Einordnung einer ausländischen Gesellschaft als Kapitalgesellschaft oder Personengesellschaft erfolgt auf Grundlage eines von der Rechtsprechung des RFH und des BFH entwickelten zweistufigen Rechtstypenvergleichs (vgl. grundlegend das Venezuela-Urteil RFH 12.2.30, VI A 899/27, RStBl 30, 444; BMF 19.3.04, IV B 4 - S 1301 USA - 22/04, BStBl I 04, 411). Im Rahmen dieses Rechtstypenvergleichs wird mittels einer generell-abstrakten Betrachtungsweise beurteilt, ob eine nach ausländischem Recht errichtete Gesellschaft einer inländischen Körperschaft i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG (Kapitalgesellschaft) bzw. einer inländischen sonstigen juristischen Person i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG oder einer inländischen Mitunternehmerschaft i. S. d. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG ähnlich ist.

     

    2.2 Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung

    Der Ort der Geschäftsleitung ist nach § 10 AO der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. Dieser wird definiert als fester Bezugspunkt für die Leitungstätigkeit in einem Unternehmen.

     

    Der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung befindet sich nach der Rechtsprechung des BFH dort, wo der für die Geschäftsführung maßgebende Wille gebildet wird und die für die Geschäftsführung notwendigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden (u. a. BFH 19.5.10, I B 191/09, BStBl II 11, 156; 5.11.14, IV R 30/11, BStBl II 15, 601).

     

    Maßgeblich ist auf den Ort abzustellen, an dem die zur Vertretung der Gesellschaft befugten Personen die ihnen obliegende laufende Geschäftsführertätigkeit entfalten, d. h., an dem sie die tatsächlichen, organisatorischen und rechtsgeschäftlichen Handlungen vornehmen, die der gewöhnliche Betrieb des Unternehmens der betreffenden Gesellschaft mit sich bringt. Entscheidend ist dabei, auf den Ort abzustellen, von dem aus die für das Unternehmen relevanten Tagesgeschäfte (Day-to-Day-Business) geführt werden (u. a. BFH 7.12.94, I K 1/93, BStBl II 95, 175; 5.11.14, IV R 30/11, BStBl II 15, 601; vgl. auch OFD Düsseldorf 6.10.2005, Arbeitshilfe zur Besteuerung ausländischer Gesellschaften, Tz. 1.a.).

     

    MERKE | Der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung kann sich regelmäßig nur an einem einzigen Ort befinden (BFH 3.7.97, IV R 58/95, BStBl II 98, 86). Dies ist die örtliche Einrichtung, in der sich die Geschäftsführung mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufhält (BFH 30.1.02, I R 12/01, BFH/NV 02, 1128).

     

    Bei einer GmbH befindet sich der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung regelmäßig an dem Ort, an dem der Geschäftsführer die ihm obliegende Leitungstätigkeit entfaltet. Dies wird im Allgemeinen der Ort sein, wo sich die Büroräume des Geschäftsführers befinden (BFH 29.4.87, X R 16/81, BFH/NV 88, 64; 23.1.91, I R 22/90, BStBl II 91, 554).

     

    Werden die laufenden Geschäfte von verschiedenen, an unterschiedlichen Orten ansässigen Personen ausgeführt, ist anhand der im Einzelnen ausgeführten Geschäftsführungsaufgaben zu gewichten und der Ort zu identifizieren, an dem die umfangreichsten Geschäftsführungsmaßnahmen ergriffen werden (BFH 7.12.94, I K 1/93, BStBl II 95, 175; 3.7.97, IV R 58/95, BStBl II 98, 86). In derartigen Fallkonstellationen ist der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung regelmäßig dort angesiedelt, wo sich die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht bedeutungsvollste Stelle befindet (BFH 21.9.89, V R 55/84, BFH/NV 90, 353; 21.9.89, V R 32/88, BFH/NV 90, 688; 23.1.91, I R 22/90, BStBl II 91, 554).

     

    Beachten Sie | Gibt es mehrere Geschäftsführer, werden die Geschäftsführungsaufgaben regelmäßig aufgeteilt und den Personen zugewiesen, z. B. durch Aufteilung in kaufmännische und technische Leitungsaufgaben nach Maßgabe einer Geschäftsführungsordnung bzw. einer Ressortaufteilung. Dann kommt es für die Bestimmung des Mittelpunkts der geschäftlichen Oberleitung nicht auf die oberste (technische) Geschäftsleitung, sondern darauf an, wo sich das kaufmännische Büro, notfalls auch der Wohnsitz, des leitenden (kaufmännischen) Geschäftsführers befindet (BFH 23.1.91, I R 22/90, BStBl II 91, 554; 28.7.93, I R 15/93, BStBl II 94, 148; 16.12.98, I R 138/97, BStBl II 99, 437).

     

    Nehmen mehrere Personen gleichwertige Geschäftsführungsaufgaben von verschiedenen Orten aus wahr, ist eine Gewichtung im vorstehend beschriebenen Sinn nicht möglich. In einem solchen Fall bestehen (ausnahmsweise) mehrere Geschäftsleitungsbetriebsstätten (BFH 5.11.14, IV R 30/11, BStBl II 15, 601).

     

    PRAXISTIPP | Werden gleichwertige Geschäftsführungsaufgaben von verschiedenen Orten aus wahrgenommen, sollte in der Praxis regelmäßig die Bestimmung eines einzigen Mittelpunkts der geschäftlichen Oberleitung möglich sein, wenn eine die Entscheidungskompetenzen unter den Geschäftsführern regelnde Geschäftsordnung bzw. Ressortaufteilung existiert. Darin kann z. B. einem Geschäftsführer, wie dem Vorsitzenden der Geschäftsführung oder dem dienstältesten Geschäftsführer, ein Letztentscheidungsrecht zugewiesen werden. An seinem Tätigkeitsort (z. B. kaufmännisches Büro oder privater Wohnsitz) sollte sich dann der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung i. S. d. § 10 AO befinden (Ungemach, Die doppelt ansässige Kapitalgesellschaft im deutschen internationalen Körperschaftsteuerrecht, in: Gosch/Grotherr/Bergmann, Steuerplanung und Compliance, Rz. 32).

     

    Für die Beantwortung der Frage, an welchem Ort die für das Unternehmen relevanten Tagesgeschäfte geführt werden, kommt es nicht darauf an, dass die Anteilseigner der Gesellschaft von ihrem gesellschaftsrechtlichen Kontroll- oder Weisungsrecht Gebrauch machen und ihren gesellschaftsrechtlichen Einfluss auf die Geschäftsführungsorgane bzw. gesetzlichen Vertreter der Körperschaft ausüben. Der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung kann sich im Einzelfall nur dann am Ansässigkeitsort des Anteilseigners bzw. eines der Anteilseigner befinden, wenn die tatsächliche Geschäftsleitung durch den Anteilseigner völlig an sich gezogen wird. Dies setzt jedoch voraus, dass der betreffende Anteilseigner den laufenden Geschäftsgang nicht nur beobachtet, kontrolliert und fallweise beeinflusst, sondern ständig in die Tagespolitik der Körperschaft eingreift und dauerhaft die im gewöhnlichen Geschäftsverkehr des Unternehmens erforderlichen Entscheidungen von einigem Gewicht selbst trifft. Erforderlich ist demzufolge ein ständiges „Reinregieren“ durch den oder einen der Anteilseigner, sodass dieser als faktischer Geschäftsführer zu qualifizieren ist.

     

    Beachten Sie | Sind im Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung der Körperschaft Vorbehalte der Anteilseigner zu Geschäftsführungsmaßnahmen vereinbart, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen, sind diese dagegen nicht geeignet, um den Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung an den Ansässigkeitsort des Anteilseigners oder eines der Anteilseigner zu verlagern (u. a. BFH 3.7.97, IV R 58/95, BStBl II 98, 86).

     

    2.3 Lösung des Ausgangsfalls aus deutscher Sicht

    Die Ö-GmbH ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG in Deutschland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig, weil sie im Inland über einen Ort der geschäftlichen Oberleitung i. S. d. § 10 AO verfügt.

     

    Bei der Ö-GmbH sind mit D und L mehrere Geschäftsführer vorhanden, die ihre Geschäftsleitungsfunktionen aus unterschiedlichen Staaten (Deutschland und Österreich) heraus wahrnehmen. Die Geschäftsleitungsfunktionen sind dabei auf beide Geschäftsführer dergestalt aufgeteilt, dass D die weltweiten Vertriebsaktivitäten sowie das Rechnungswesen und die damit zusammenhängenden kaufmännischen Fragen und L die grundlegenden bzw. strategischen Entscheidungen auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung in Bezug auf die produzierten und vertriebenen Baustoffe sowie die Verantwortung für deren Produktion zugewiesen sind. In derartigen Fallkonstellationen kommt es bei der Bestimmung des Mittelpunkts der geschäftlichen Oberleitung nicht auf die oberste (technische) Geschäftsleitung, sondern regelmäßig darauf an, wo sich das kaufmännische Büro, notfalls auch der Wohnsitz des leitenden (kaufmännischen) Geschäftsführers befindet.

     

    Wollte man entgegen den vorstehenden Rechtsgrundsätzen der kaufmännischen Geschäftsleitungsfunktion nicht das Übergewicht bei der Bestimmung des Mittelpunkts der geschäftlichen Oberleitung zusprechen und würde man die von D und L ausgeführten Geschäftsleitungstätigkeiten als gleichwertig beurteilen, dann wären ausnahmsweise zwei Geschäftsleitungsbetriebsstätten anzunehmen (eine in Deutschland, eine in Österreich). Dies würde an der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht der Ö-GmbH in Deutschland nichts ändern.

    3. Grundsätze des österreichischen Körperschaftsteuerrechts

    3.1 Unbeschränkte Steuerpflicht

    Wie in vielen Bereichen ähneln die österreichischen Grundsatzprinzipien den deutschen in der Frage der Anknüpfung an die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht. Gemäß § 1 Abs. 1 öKStG unterliegen der Körperschaftsteuerpflicht nur Körperschaften (juristische Personen des Privatrechts, Betriebe gewerblicher Art und nicht rechtsfähige Personenvereinigungen, Anstalten, Stiftungen und andere Zweckvermögen).

     

    Die Einordnung als intransparente Körperschaft und die Abgrenzung zur transparenten Mitunternehmerschaft erfolgt dabei wie in Deutschland nach dem Typenvergleich (vgl. z. B. Hohenwarter-Mayr, in: Lang et al. [Hrsg.], KStG § 1 Rz. 65 ff.). Die Judikatur, Praxis und Literatur gehen dabei bis auf die deutsche Grundsatzentscheidung zurück (Venezuela-Judikatur, RFH 12.2.30, VI A 899/27, RStBl 30, 444).

     

    Genauso wie in Deutschland knüpft das österreichische Steuerrecht für die unbeschränkte Steuerpflicht an das Vorliegen zumindest eines von zwei Kriterien an. § 1 Abs 2 öKStG normiert, dass Körperschaften dann unbeschränkt steuerpflichtig sind, wenn sie im Inland ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz […] haben. Die unbeschränkte Steuerpflicht liegt dabei vor, wenn eines der oder beide Kriterien erfüllt sind. Wie in Deutschland sind somit Körperschaften mit österreichischem Sitz (wenn sie nicht steuerbefreit sind) in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig. Ebenso unterliegen der unbeschränkten Steuerpflicht Körperschaften mit Sitz im Ausland und österreichischem Ort der Geschäftsleitung. In beiden Fällen greift daher die Besteuerung des Welteinkommens.

     

    PRAXISTIPP | Ist eine Körperschaft in zwei Staaten ansässig, ist Folgendes für die Praxis relevant: Liegt ein ausländischer Ort der Geschäftsleitung vor, wird bei den dem OECD-MA vor 2017 nachgebildeten DBA dem anderen Staat Vorrang gewährt und die Gesellschaft gilt (für Zwecke des fraglichen DBA) als im anderen Staat (im Staat der Geschäftsleitung) als ansässig. Die österreichische Finanzverwaltung geht dann davon aus, dass die Gesellschaft aufgrund des österreichischen Sitzes zwar nach nationalem Recht weiterhin mit dem Welteinkommen besteuert wird, ihr jedoch die Anwendbarkeit der übrigen österreichischen DBA (ausgenommen jenes mit dem Staat der Geschäftsleitung) verwehrt wird. Deshalb sollen derartigen Gesellschaften auch keine österreichischen Ansässigkeitsbescheinigungen erteilt werden (öBMF, öKStR Rz 4).

     

    3.2 Sitz

    Der Sitz i. S. d. Abgabenvorschriften liegt an dem gesellschaftsvertraglich definierten Ort. Fehlt es an einer Festlegung des Sitzes in der Satzung o. Ä., gilt der Ort der Geschäftsleitung als Sitz (§ 27 Abs. 1 öBAO). Der Sitz ist daher in der Praxis weniger sachverhaltsabhängig und einfacher zu überprüfen.

     

    Im öKStG ist in einzelnen Fällen auch die Unterscheidung zwischen inländischen und ausländischen Körperschaften anzutreffen. Wenn dies der Fall ist, erfolgt die Differenzierung nach dem Sitz (Pinetz/Stefaner, in: Lang et al. [Hrsg.], KStG § 9 Rz. 29 m. w. N.). Körperschaften mit österreichischem Sitz gelten als inländische, solche mit Sitz außerhalb Österreichs als ausländische Körperschaften. Inländische Körperschaften sind daher in jedem Fall ansässig (da der österreichische Sitz dafür genügt). Ausländische Körperschaften können hingegen unbeschränkt steuerpflichtig (Sitz im Ausland, Ort der Geschäftsleitung im Inland) oder beschränkt steuerpflichtig sein (Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Ausland).

     

    Die Unterscheidung zwischen in- und ausländischen Körperschaften innerhalb der Kategorie der unbeschränkt Steuerpflichtigen kann unionsrechtliche Fragen aufwerfen. Anzutreffen ist die Differenzierung insbesondere in den Regelungen zu Unternehmensgruppen (§ 9 öKStG), Beteiligungserträgen (§ 10 öKStG), den Regelungen zu hybriden Gestaltungen (§ 14 öKStG) und bei der Mindestbesteuerung (§ 24 Abs. 4 öKStG).

     

    PRAXISTIPP | Liegt bei ausländischen Gesellschaften der Ort der Geschäftsleitung im Inland, ist wegen des (ausländischen) Sitzes eine ausländische unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft gegeben. Dies kann im Vergleich zu inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaften Vorteile (keine Mindestkörperschaftsteuer, Möglichkeit der Steuerneutralität der Beteiligung an der ausländischen Körperschaft), aber auch Nachteile (Beschränkungen der Möglichkeit, tiefere Ebenen in eine österreichische Unternehmensgruppe einzubeziehen) mit sich bringen.

     

    3.3 Ort der Geschäftsleitung

    § 27 Abs. 2 öBAO definiert den Ort der Geschäftsleitung. Demnach ist Ort der Geschäftsleitung dort, wo sich der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung befindet.

     

    Der Ort der Geschäftsleitung ergibt sich dabei nicht aus einem Vertrag, sondern durch den Sachverhalt. Das Konzept entspricht grundsätzlich dem deutschen Konzept. So fasst die Finanzverwaltung die Kernpunkte ihrer Ansicht wie folgt zusammen: „Der Ort der Geschäftsleitung ist dort, wo der für die Geschäftsführung maßgebende Wille gebildet wird, wo also die für die Führung des Unternehmens notwendigen und wichtigen Maßnahmen angeordnet werden, wo die unternehmenslenkenden Dispositionen getroffen werden. […] Wenn die Geschäftsleitung dezentralisiert ist, ist der Ort der Geschäftsleitung dort, wo sich in organisatorischer Hinsicht die bedeutungsvollste Stelle der Lenkung und Leitung befindet. Wenn sich die kaufmännische und die technische Leitung an verschiedenen Orten befinden, kommt es auf den Ort der kaufmännischen (Ober-)Leitung an.“ (öBMF, öKStR Rz. 6). Hintergrund für diese Abwägung und Notwendigkeit der Entscheidung zwischen unterschiedlichen Oberleitungen ist, dass nach Ansicht der österreichischen Finanzverwaltung eine Körperschaft nur einen Ort der Geschäftsleitung haben kann.

     

    Ebenso richtet sich auch in Österreich die Bestimmung des Orts der Geschäftsleitung i. d. R. nach den dazu berufenen Organen (Geschäftsführung, Vorstand). Das Tätigwerden von Gesellschaftern o. Ä. wird regelmäßig nicht relevant sein, solange keine „De-facto-Geschäftsführung“ stattfindet. Wird die Geschäftsleitung durch Entscheidung der zuständigen Organe vertraglich outgesourct und in Abstimmung mit Vertretern der Gesellschaft (Organen) ausgeübt, richtet sich der Ort der Geschäftsleitung nach den Auftraggebern des Outsourcings.

     

    PRAXISTIPP | Der Ort der Geschäftsleitung bestimmt sich auf Basis vorstehender Ausführungen nach den faktischen Gegebenheiten. Gerade in internationalen Unternehmen besteht die Praxis, dass (auch) Vertreter übergeordneter Konzernebenen in der Geschäftsführung vertreten sind. Insbesondere wenn diese die Mehrheit haben und/oder alleine vertretungsfähig sind, stellt sich die sachverhaltsabhängige Frage, wo der Ort der Geschäftsleitung liegt. Es sollte daher klar dokumentiert werden, wo der Ort der Geschäftsleitung liegt, z. B. durch Reisenachweise und Protokolle. Zu beachten ist auch, dass im Fall einer ausländischen Tochtergesellschaft, bei der in der Geschäftsführung neben österreichischen Vertretern nur lokale Parteienvertreter (oder ähnliche Dienstleister) vertreten sind, die österreichische Finanzverwaltung die Frage stellen kann, ob die lokalen Vertreter eigenständig oder nur im Auftrag tätig werden und ob dann nachvollziehbar dokumentiert ist, dass die Entscheidungen im Ausland getroffen werden.

     

    3.4 Lösung des Ausgangsfalls aus österreichischer Sicht

    Die Ö-GmbH ist als österreichische GmbH mit Sitz in Österreich jedenfalls eine inländische unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschaft gemäß § 1 Abs. 2 Z 1 öKStG. Nach innerstaatlichem Recht unterliegt sie daher der Besteuerung mit dem Welteinkommen, unabhängig davon, ob der Ort der Geschäftsleitung in Österreich oder in Deutschland liegt.

     

    Für die Bestimmung des Orts der Geschäftsleitung ist dabei zu prüfen, „wo sich die bedeutungsvollste Stelle der Lenkung und Leitung befindet“ (öBMF, öKStR Rz. 6). Im Zweifel schlägt hier der Ort, an dem die kaufmännischen Entscheidungen getroffen werden, den Ort an dem die technischen Entscheidungen getroffen werden. Im Sachverhalt ist daher allenfalls noch zu ermitteln, ob D die wichtigsten kaufmännischen Entscheidungen alleine in Deutschland trifft oder ob die regelmäßigen Besuche in Lienz dazu dienen, die wesentlichen Entscheidungen (nach Abstimmungen mit L oder den lokalen Mitarbeitern) dort zu treffen ‒ z. B., weil er zwar aufgrund der Geschäftsordnung zuständig, aber nicht alleine entscheidungsberechtigt ist. Für das Vorliegen eines österreichischen Orts der Geschäftsleitung kann dabei auch ein von D regelmäßig genutztes Büro in Lienz sprechen, wenn dieses für die Arbeit und Entscheidungsfindung genutzt wird. In Lienz könnte damit neben der Zentralverwaltung auch die Verfestigung der kaufmännischen Geschäftsleitung unterstellt werden.

     

    Beachten Sie | Die österreichische Finanzverwaltung stellt im Zweifel nur subsidiär auf den Wohnsitz des Geschäftsführers ab, wenn kein Büro vorliegt, wobei dies wohl den Standardfall der Willensbildung im Büro anspricht (öBMF, öKStR Rz. 6).

     

    Kommt man nach dieser Überprüfung allerdings zu der Überzeugung, dass die meisten wesentlichen kaufmännischen Entscheidungen von D in dessen Büro am Wohnsitz getroffen werden, liegt der Ort der Geschäftsleitung auch nach Ansicht der österreichischen Finanzverwaltung (gemäß öBMF, öKStR Rz. 6) in Dortmund. Die Gesellschaft verbleibt aber aufgrund des Sitzes unbeschränkt steuerpflichtig in Österreich.

     

    Der Standort in Lienz (Produktion und Vertrieb) wird zweifelsohne die Voraussetzungen für eine Betriebsstätte nach § 29 öBAO erfüllen. Da jedoch der Sitz zur unbeschränkten Steuerpflicht in Österreich führt, verbleibt für die Frage des Vorliegens einer Betriebsstätte innerstaatlich keine Relevanz.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Im zweiten Teil dieses Beitrags in der nächsten Ausgabe wird die abkommensrechtliche Ansässigkeit sowie die Zuweisung der Besteuerungsrechte am Praxisfall erläutert. Dabei werden die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Ansässigkeitsbestimmung dargestellt und ein Exkurs zum ständigen Vertreter gemacht.
    Quelle: Ausgabe 03 / 2022 | Seite 87 | ID 47980343