· Fachbeitrag · Der praktische Fall
Streitvermeidung im internationalen Steuerrecht ‒ der Werkzeugkasten im Überblick
von StB Marc Oppermann, Düsseldorf
| Die Bekämpfung der doppelten Nichtbesteuerung stand lange Zeit im Fokus der BEPS-Initiative, wohingegen die Vermeidung der tagtäglichen tatsächlichen Doppelbesteuerung ein Schattendasein führte. Im Jahr 2016 hat die OECD mit ihrer Agenda für mehr Rechtssicherheit in der Besteuerung (Tax Certainty Agenda) begonnen, Empfehlungen zur Verbesserung von Mechanismen der Streitvermeidung und -beilegung zu erarbeiten. Der Forderung einer fairen Einmalbesteuerung wird auch aktuell im Rahmen der DAC7-Diskussion vehement Nachdruck verliehen. Nachfolgend sollen an einem Musterfall Streitvermeidungsmechanismen de lege lata vorgestellt werden. |
1. Musterfall
Zum US-amerikanischen Industriekonzern M-Corporation gehört neben zwei deutschen Gesellschaften, einer direkten Tochterholding- und einer operativen Enkelgesellschaft, eine österreichische Produktionsgesellschaft. Diese österreichische T2-Austria-GmbH beliefert die E-GmbH auf Basis eines Contract Manufacturing Agreements als sog. Auftragsfertiger mit Maschinen, welche die E-GmbH weltweit auf eigene Rechnung vertreibt. Als klassischer Auftragsfertiger übernimmt die T2-Austria-GmbH mit Abnahmegarantie und somit ohne Auslastungsrisiko einen abgegrenzten Teil der Produktion in starker Abhängigkeit von der E-GmbH als Auftraggeber unter Bereitstellung der immateriellen Werte. Die Beschaffung der Rohstoffe und Materialien erfolgt eigenverantwortlich im eigenen Namen und auf eigene Rechnung seitens der T2-Austria GmbH.
Die Ergebnisse der österreichischen T2-Austria GmbH sind seit 2016 negativ, obwohl sie als Auftragsfertiger und damit als Routineunternehmen qualifiziert, welcher nach international anerkannten Grundsätzen stets einen geringen, aber stabilen Gewinn erzielen sollte. In einer Betriebsprüfung in Österreich wird beabsichtigt, nur für das Jahr 2017 ‒ da das Vorjahr schon festsetzungsverjährt ist ‒ eine Einkommenskorrektur von + 708 TEUR im Kalenderjahr 2023 vorzunehmen. Dies entspricht einer Median-Anpassung im Einklang mit der nachfolgenden unternehmensinternen Verrechnungspreisdokumentation:
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2017 | |||
Revenue | A | 1.812.574 | |
Total Cost of Sales | B | 2.098.674 | |
Gross Profit | C = A ‒ B | ‒ 286.100 | |
Total Operating Expenses | D | 264.312 | |
Operating Profit | E = C ‒ D | ‒ 550.412 | |
Net Cost Plus Margin | F = E ÷ (B + D) | ‒ 23,29 % | |
Austria‘s NCP ratio of ‒ 23,3 % on its provision of contract manufacturing services is below the range established by European contract manufacturing companies‘ unadjusted NCPs generated. The results of the TNMM analysis are shown in the following table: | |||
Austria | Lower Quartile | Median | Upper Quartile |
‒ 23,29 % | 3,10 % | 6,70 % | 10,20 % |
Primär-Berichtigung in Österreich auf Median: | |||
Target Revenue | 2.521.306,06 | (B + D) × 1,067 | |
less Revenue | ‒ 1.812.574,00 | A | |
Income Adjustment | 708.732,06 |
In Deutschland begannen vor Jahren zwei unabhängige lokale Betriebsprüfungen für beide Gesellschaften betreffend die Jahre 2014 bis 2016. In der Zwischenzeit wurde zusätzlich eine Anschluss-Betriebsprüfung für die Jahre 2017 bis 2019 für beide Gesellschaften zwecks Vermeidung der Festsetzungsverjährung begonnen, wobei allerdings (nur) die lokale Betriebsprüfung der E-GmbH für die Jahre 2014 bis 2016 abgeschlossen wurde, sodass der Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) aufgehoben wurde.
Angesichts der auf den ersten Blick berechtigten Verrechnungspreisanpassung in Österreich und der dadurch resultierenden wirtschaftlichen Doppelbesteuerung stellen sich zwei Fragen in Deutschland:
- Welche Streitvermeidungs- und Streitbeilegungsmechanismen stehen grundsätzlich zur Vermeidung einer drohenden oder verwirklichten Doppelbesteuerung zur Verfügung?
- Welcher Streitvermeidungsmechanismus ist für den vorliegenden Fall am besten geeignet und welche Besonderheiten sind zu beachten?
2. Überblick über die internationalen Instrumente der Streitvermeidung und -beilegung
2.1 Teil 1: International kooperative Verfahren
Mechanismen der Streitvermeidung und -beilegung haben auf internationaler Ebene in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dabei sollten Instrumente der Streitbeilegung im Idealfall nur in Ausnahmefällen zur Anwendung gelangen, um eine faire Einmalbesteuerung von Gewinnen sicherzustellen. Die Zukunft gehört vielmehr der Kooperation bzw. in den Worten des BZSt: „Die Zukunft gehört der Streitvermeidung“ (s. Homepage des BZSt zu Joint Audits unter dem Stichwort „Zukunft“). Aus Sicht des Steuerpflichtigen ergeben sich folgende Optionen, um eine drohende bzw. verwirklichte Doppelbesteuerung zu vermeiden:
2.1.1 Advance Pricing Agreements (APAs)
International wird zwischen uni-, bi- und multilateralen Vorabverständigungsverfahren (APAs) unterschieden. Nach deutschem Verständnis stellen nur bilaterale sowie multilaterale APAs, welche technisch gesehen mehrere bilaterale APAs darstellen, echte Vorabverständigungsverfahren im engeren Sinne dar, da diese mindestens zwei Steuerverwaltungen betreffen. Im weiteren Sinne werden die unilaterale verbindliche Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) und die unilaterale verbindliche Zusage (§ 204 AO) auch unter Vorabverständigungsverfahren subsumiert. Da diese zwei Mechanismen auf Verrechnungspreissachverhalte nur sehr eingeschränkt anwendbar sind, werden sie ‒ wie die Simultaneous Audits ‒ nicht weiter dargestellt.
Das Ziel von APAs ist die Vereinbarung von Kriterien, anhand derer fremdübliche Verrechnungspreise für den jeweiligen Sachverhalt bestimmt werden sollen (lt. Tz 4.134 der OECD-Verrechnungspreisleitlinien aus 2022 vor allem die gewählte Verrechnungspreismethode, Vergleichswerte und sachgerechte Anpassungen dieser Vergleichswerte sowie Gültigkeitsbedingungen im Hinblick auf künftige Ereignisse). APAs bieten einige Vorteile. Insbesondere die Sicherheit, dass eine Doppelbesteuerung in Zukunft nicht eintritt, soweit der zukünftige Sachverhalt dem Sachverhalt des APA-Antrags entspricht, ist hier zu nennen. Die Bearbeitungsgebühren sind gemäß § 89a Abs. 7 AO mit 30.000 EUR für einen Erstantrag bzw. 15.000 EUR für einen Verlängerungsantrag relativ hoch. Sie liegen aber zumindest häufig deutlich unter den Kosten und dem Zeiteinsatz von Streitbeilegungsmechanismen. Daher kann ein APA bei entsprechend hohen Steuerrisiken sinnvoll sein, um für die in der Regel maximal fünf folgenden Jahre und ggf. sogar für zurückliegende Jahre (sog. roll-back) Rechtssicherheit zu erlangen.
Der Ablauf des APAs vollzieht sich in vier Phasen:
- Vorgespräch (Prefiling),
- Einreichen des APA-Antrags
- Verhandlung zwischen den Behörden
- Umsetzung der APA-Vereinbarung
(s. hierzu im Detail Neuling/Wilmanns/Busch/Scheibe, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung [2020], 16 bis 35).
2.1.2 International Compliance Assurance Programme (ICAP)
Die OECD startete im Jahr 2018 im Rahmen des OECD Forum on Tax Administration ein neues Pilotprojekt, das ICAP, zur internationalen Weiterentwicklung von Betriebsprüfungen. Mit diesem Projekt soll (zunächst) ein Programm für eine multilaterale, kooperative steuerliche Risikobeurteilung von multinationalen Unternehmen geschaffen werden, um die Rechts- und Planungssicherheit für Unternehmen zu verbessern und grenzüberschreitende Prüfungen effizienter durchzuführen. Deutschland war im Pilotprogramm nur Beobachter, beteiligt sich aber an ICAP 2.0. Das ICAP-Programm kommt nur für Steuerpflichtige infrage, die einen länderbezogenen Bericht multinationaler Unternehmensgruppen (§ 138a AO) erstellen. Der Anwendungsbereich umfasst ab ICAP 2.0 die Themenbereiche Verrechnungspreise, Betriebsstätten und weitere grenzüberschreitende ertragsteuerliche Sachverhalte (z. B. Quellensteuern, hybride Gesellschaftsstrukturen, DBA-Anwendung).
Viele global tätige Unternehmen sehen in ICAP 2.0 das Potenzial, über globale steuerliche Vorprüfungen sowohl ihren späteren Ressourceneinsatz in Betriebsprüfungen zu reduzieren als auch schneller Rechtssicherheit zu erlangen. ICAP könnte sich daher bei global tätigen Unternehmen mit grenzüberschreitenden Aktivitäten in den teilnehmenden Ländern als neuer globaler Vorprüfungsstandard für Ertragsteuern durchsetzen.
Bei ICAP wird eine koordinierte Risikoanalyse ausgewählter Sachverhalte durchgeführt. Es handelt sich damit nicht um eine Vollprüfung. Bei dem Ergebnis „Low Risk“ erhält der Steuerpflichtige einen „Outcome Letter“ mit der Aussage, dass die betroffene Steuerverwaltung nicht damit rechnet, Prüfungsressourcen für eine weitergehende Prüfung der jeweiligen Transaktionen zu verwenden. Bei einem anderen Ergebnis als „Low Risk“ gibt es nach dem aktualisierten ICAP-Handbuch vom 18.2.21 viele Optionen. Beispielsweise könnte eine rein innerstaatliche Außenprüfung, ein APA-Verfahren oder ein Joint Audit begonnen werden.
2.1.3 Joint Audits / Multilateral Control
Joint Audits stellen eine Form von gemeinsam durchgeführten steuerlichen Außenprüfungen bei grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen und Sachverhalten im internationalen Steuerrecht dar. Die Zugangsvoraussetzungen sind gering. Es muss sich lediglich um deckungsgleiche sowie verfahrensrechtlich noch änderbare Prüfungszeiträume handeln. Eine Mindestgrenze bezüglich Umsatz und/oder Gewinn gibt es nicht. Außerdem können grundsätzlich alle Prüffelder bei internationalen Sachverhalten einer Joint Audit unterzogen werden.
Mit Blick auf die Ziele, die Vorteile sowie das Potenzial dieses Streitvermeidungsmechanismus wird auf die nachfolgende, im Ton sehr wertschätzende Einschätzung des BZSt als zuständige Stelle für Joint Audits verwiesen (s. unter www.iww.de/s7479):
- Streitvermeidung anstelle von Streitbeilegung: „Ziel von ‚Joint Audits‘ ist sowohl die Vermeidung der Doppelbesteuerung als auch die Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung durch Herstellung von Informationstransparenz. Bisher ist zu beobachten, dass Doppelbesteuerungen vielfach dann entstehen, wenn die beteiligten Staaten einen nicht umfassend bekannten Sachverhalt mit Auslandsbezug der jeweiligen nationalen Besteuerung unterwerfen. Insbesondere Verrechnungspreiskorrekturen gehen hierbei von einem lediglich unilateral ermittelten Sachverhalt aus und führen, sofern der andere Staat eine Erstkorrektur nicht vollumfänglich gegenberichtigt, zur Doppelbesteuerung.“ […]
- Vorteile eines Joint Audits: „Ein Joint Audit ist ein starkes Instrument sowohl für die Steuerverwaltung als auch für die Unternehmen, um Rechtssicherheit und Planungssicherheit in einem frühen Stadium zu erhalten. Da alle beteiligten Steuerverwaltungen frühzeitig in den Prozess eingebunden sind und der Steuerpflichtige im Gegensatz zu einem Verständigungsverfahren direkte Beteiligungsmöglichkeiten hat, wird das Vertrauen zwischen den Steuerverwaltungen und den Steuerpflichtigen gestärkt. Die Prüfungsergebnisse sind nachvollziehbar und extreme Steuerpositionen werden vermieden.
- Der Erfolg des Joint Audit Verfahrens hängt in hohem Maße von der Zusammenarbeit des Steuerpflichtigen und der beteiligten Finanzverwaltungen ab. Der Steuerpflichtige hat den Vorteil, dass er die gewünschten Dokumente und Informationen nur einmal zur Verfügung stellen muss. Darüber hinaus muss nicht der Steuerpflichtige selbst versuchen, bilaterale Lösungen mit verschiedenen Finanzbehörden zu finden, die sich ggf. auch widersprechen können, sondern die Finanzverwaltungen selbst müssen eine gemeinsame und tragfähige Lösung finden. Der Steuerpflichtige ist nicht mehr direkt den gegensätzlichen Interessen der verschiedenen Finanzverwaltungen ausgesetzt und befindet sich somit in einer wesentlich komfortableren Lage.
- Wenn eine Einigung im Rahmen des Joint Audits erzielt wird, ist ein Verständigungsverfahren nicht mehr erforderlich. Im Falle eines Scheiterns beschleunigt das Vorhandensein gemeinsam festgestellter Tatsachen die nachfolgenden Verständigungsverfahren oder APAs erheblich.“
MERKE | Mit Blick auf die (vorstehende) positive Einschätzung des BZSt ‒ welche so auch durchaus in der Praxis vom BZSt gelebt wird ‒ können Joint Audits „eine Schlüsselrolle bei der Kostensenkung, der Beschleunigung der Verfahren und der frühzeitigen Gewährleistung von Rechtssicherheit spielen“. Dies gilt m. E. umso mehr, wenn eine Weiterentwicklung des Instruments aktiv angegangen wird (s. hierzu nachfolgend unter 2.2). |
2.2 Einschub: aktuelle Reformvorschläge
Am 14.1.22 hat die Bundessteuerberaterkammer Vorschläge zu den internationalen Aspekten der Modernisierung der Betriebsprüfung an das BMF versendet. Ausgehend von dem begrüßenswerten Trend, dass international kooperative Verfahren immer stärker fokussiert werden, wurden Verbesserungsvorschläge für die unter 2.1 dargestellten kooperativen Verfahren (APA, Joint Audit und ICAP bzw. EUCAP) erarbeitet. Für alle drei Verfahren ergeben sich folgende zentrale Reformvorschläge:
- Kulturwandel: Da kooperative Verfahren auf einer Zusammenarbeit zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen fußen, muss gegenseitiges Vertrauen gesteigert und Transparenz geschaffen werden. Dafür ist ein Kulturwandel unerlässlich. Insbesondere muss die Finanzverwaltung ihr eigenes Selbstverständnis von einer klassischen Eingriffsverwaltung hin zu einem kooperativen Steuervollzug wandeln.
- Einigungswillen: Von zentraler Bedeutung ist ein Einigungswille im Verhältnis zu anderen Staaten und lösungsorientiertes Vorgehen.
- Fünf konkrete Verbesserungsvorschläge:
- 1. Schaffung nationaler Rechtsgrundlagen für alle kooperativen Verfahren zwecks Erlangung von Rechtssicherheit
- 2. Ausweitung von Antrags- und Mitwirkungsrechten der Steuerpflichtigen sowie Stärkung der verfahrensrechtlichen Stellung der Steuerpflichtigen
- 3. Beschleunigung von Verfahren, die zu rechtsverbindlichen Ergebnissen führen, um auf beiden Seiten effizienter arbeiten zu können und Ressourcen einzusparen
- 4. Einführung eines Einigungszwangs für alle kooperativen Verfahren
- 5. Verringerung der Zugangsschwellen zu kooperativen Verfahren, um insbesondere kleine und mittlere Unternehmen nicht zu benachteiligen
2.3 Teil 2: Tatsächliche Verständigung und schlichte Gegenberichtigung
2.3.1 Tatsächliche Verständigung
In der Betriebsprüfungspraxis lässt sich feststellen, dass in den letzten Jahren viele Steuerpflichtige bemüht waren, mit der Betriebsprüfung eine einvernehmliche Einigung mit Blick auf Verrechnungspreiskorrekturen zugunsten von Deutschland zu erzielen. Vor dem Hintergrund, dass andernfalls zeit-, arbeits- und kostenintensive Verständigungs-/Schiedsverfahren zu führen wären, ist eine hohe Kompromissbereitschaft der Steuerpflichtigen verständlich. Gleichwohl darf nicht verkannt werden, dass solche unilateralen Verrechnungspreis-(Erst-)korrekturen in Deutschland, wenn sie nicht zu einer vollständigen Gegenkorrektur im Ausland führen, zu einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung führen. Daher wurde vielfach „zumindest“ ein gewisser Abschlag von bis zu 30 % auf die Verrechnungspreiskorrektur seitens der Betriebsprüfung gewährt, um so eine Abmilderung der Doppelbesteuerung zu erreichen.
Hervorzuheben ist, dass dieser gesetzlich nicht geregelte Mechanismus des Abschlags, welcher für nicht oder nur unter erschwerten Umständen zu ermittelnde abgeschlossene Sachverhalte Anwendung finden kann, vielfach keine vollständige Aufhebung durch ein nachfolgendes Verständigungs-/Schiedsverfahren zulässt. In der Neufassung des BMF-Schreibens zu Verständigungs- und Schiedsverfahren (BMF 27.8.21, IV B 3 - S 1304/21/10004 :007, BStBl I 21, 1495) wird es als sachgerecht erachtet, dass der Steuerpflichtige und sein verbundenes ausländisches Unternehmen mittels schriftlichen Verzichts erklären, den Inhalt der tatsächlichen Verständigung zum Gegenstand eines Schiedsverfahrens zu machen. Damit könnte zwar immer noch ein Verständigungsverfahren formal beantragt werden, die deutsche Finanzverwaltung wird aber keiner aus ihrer Sicht nachteiligen Verständigungslösung zustimmen.
MERKE | Aus betriebswirtschaftlicher Sicht stellt eine tatsächliche Verständigung einen sinnvollen Lösungsansatz dar, wenn die Kosten der Beseitigung einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung im Verständigungs- und/oder Klageverfahren höher sind als die ggf. durch einen Abschlag verbleibende Doppelbesteuerung. Dies gilt zumindest für tatsächlich nicht oder nur unter erschwerten Umständen zu ermittelnde Sachverhalte, nicht hingegen für Betriebsprüfungen, in denen ohne intensive Prüfungshandlungen überzogene vorläufige Verrechnungspreiskorrektur-Feststellungen vorgebracht werden. |
2.3.2 Schlichte Gegenberichtigung
Durch eine schlichte, d. h., außerhalb eines Verständigungsverfahrens zu vollziehende, Gegenberichtigung soll die nachträgliche Korrektur der Verrechnungspreise i. S. v. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA durch die Finanzverwaltung des einen Staates (sog. Erstkorrektur) im Wege einer korrespondierenden Anpassung durch die Finanzverwaltung im anderen Staat gegenberichtigt werden. Art. 9 Abs. 2 OECD regelt die Pflicht zur Gegenberichtigung wie folgt:
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Werden in einem Vertragsstaat den Gewinnen eines Unternehmens dieses Staates Gewinne zugerechnet ‒ und entsprechend besteuert ‒, mit denen ein Unternehmen des anderen Vertragsstaats in diesem Staat besteuert worden ist, und handelt es sich bei den zugerechneten Gewinnen um solche, die das Unternehmen des erstgenannten Staates erzielt hätte, wenn die zwischen den beiden Unternehmen vereinbarten Bedingungen die gleichen gewesen wären, die unabhängige Unternehmen miteinander vereinbaren würden, so nimmt der andere Staat eine entsprechende Änderung der dort von diesen Gewinnen erhobenen Steuer vor. Bei dieser Änderung sind die übrigen Bestimmungen dieses Abkommens zu berücksichtigen; erforderlichenfalls werden die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten einander konsultieren. |
Die Gegenberichtigung zur Vermeidung einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung stellt keinen Automatismus dar. Vielmehr besteht für den Steuerpflichtigen die Möglichkeit, die Finanzverwaltung des anderen Staates über die (beabsichtigte oder bereits erfolgte) Erstkorrektur zu informieren und eine schlichte Gegenberichtigung zu beantragen.
Die deutsche Finanzverwaltung erkennt einen Rechtsanspruch auf Gegenberichtigungen nach § 9 Abs. 2 OECD-MA nachgebildeter Artikel im jeweiligen DBA (nur) an, wenn und soweit eine ausländische Steuerverwaltung eine dem Grunde und der Höhe nach berechtigte Berichtigung von Einkünften vorgenommen hat und die Gegenberichtigung nach deutschem Steuerrecht materiell- und verfahrensrechtlich zulässig ist (Tz. 4.6 VWG VP). Dies bedeutet, dass weiterhin eine sog. selbst executive Wirkung von Art. 9 Abs. 2 OECD-MA als eigenständiger Rechtsgrundlage für eine Korrektur in Deutschland verneint wird und somit nach der materiell-rechtlichen Prüfung der ausländischen Erstkorrektur eine inländische Korrekturvorschrift (häufig § 164 Abs. 2 AO) Anwendung finden muss, um ohne Verständigungs-/Schiedsverfahren eine Minderung der Einkünfte in Deutschland zu erreichen.
PRAXISTIPP | In vielen Fällen wird für Kapitalgesellschaftsstrukturen eine materiell-rechtliche Korrekturnorm (in Form der vGA oder einer verdeckten Einlage) sowie eine verfahrensrechtliche Korrekturvorschrift (insbesondere § 164 Abs. 2 AO) zur Verfügung stehen, um eine korrespondierende Gegenberichtigung durchzuführen. Andernfalls sollte eine kooperative Billigkeitslösung mit der Finanzverwaltung ‒ bspw. über die bilanzielle Abbildung von Forderungen und Verbindlichkeiten ‒ angestrebt werden, um eine faire Einmalbesteuerung nicht durch eine „rein formalistische Behinderung der schlichten Gegenberichtigung“ zu blockieren (Neuling/Wilmanns/Busch/Scheibe: Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung [2020], 321). |
Beachten Sie | Art. 9 Abs. 2 OECD-MA setzt eine Einigung der Vertragsstaaten über den Verrechnungspreis voraus. Hierzu sieht Art. 9 Abs. 2 S. 2 OECD-MA ein Konsultationsverfahren vor, in dem dem die Erstkorrektur durchführenden Vertragsstaat die Darlegung der Unangemessenheit der Verrechnungspreise obliegt.
MERKE | Für unkritische Fälle, d. h. Fälle ohne großes Streitpotenzial dem Grunde und/oder der Höhe nach, stellt dieses Instrument durchaus einen praktikablen Lösungsansatz dar, um schnelle einseitige Abhilfe einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung zu leisten und ein langwieriges und kostenintensives Verständigungsverfahren zu vermeiden. Selbst wenn das konkrete DBA keinen dem Art. 9 Abs. 2 OECD-MA nachgebildeten Artikel enthält, kann nach rein interstaatlichen Vorschriften über die Rechtsinstitute der vGA und/oder der verdeckten Einlage eine schlichte Gegenkorrektur erfolgen, vorausgesetzt die Erstkorrektur im Ausland wird vom deutschen Fiskus als (ganz oder teilweise) zutreffend anerkannt. |
3. Lösungsvorschlag zum Praxisfall
Mit dem Musterfall (s. unter 1.) liegt ein unkritischer Fall ohne großes Streitpotenzial dem Grunde nach vor. Für den umgekehrten Fall, in dem die deutsche Gesellschaft als Contract Manufacturer fungierte, würde eine deutsche Betriebsprüfung nämlich auch (mindestens) eine Korrektur i. H. v. 708 TEUR auf den Median vornehmen. Daher sollten auch mit Blick auf den Amtsermittlungsgrundsatz i. S. d. § 88 Abs. 1 AO sowie auf § 199 Abs. 1 AO, wonach der Außenprüfer die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse für die Besteuerungsgrundlagen zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen zu prüfen hat, keine größeren Zweifel an der Pflicht zur Vornahme einer Gegenberichtigung für 2017 bestehen. Dies gilt zumindest dann, wenn die österreichische Finanzverwaltung neben einer genauen Sachverhaltsdarstellung Nachweise über die sachliche Richtigkeit der österreichischen Erstkorrektur erbringt bzw. bestätigt, dass die unternehmensinterne Verrechnungspreisdokumentation korrekt ist.
Aus den vorstehenden Gründen sollte die E-GmbH in Abstimmung mit ihrer Betriebsprüfung sowie der Betriebsprüfung der T1-GmbH einen Antrag auf schlichte Gegenberichtigung für 2017 i. H. v. 708 TEUR stellen. Mit Blick auf den vorliegenden Dreiecksfall und das letzte Beispiel zum einlagefähigen Wirtschaftsgut in Tz 1.4 der VWG VP ist folgende Korrektur technisch geboten:
- Aus deutscher Sicht liegt zunächst eine Vorteilszuwendung von der T2-Austria-GmbH an die M-Corporation in Form der verdeckten Gewinnausschüttung i. H. v. 708 TEUR vor. Diese verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) bleibt ohne jegliche deutsche Steuerfolgen, da sowohl die die vGA leistende als auch die vGA empfangende Körperschaft im Ausland ansässig sind.
- Anschließend wird ausgehend von der M-Corporation eine verdeckte Einlage ‒ da es sich bei den zu günstig angeschafften Gütern um einlagefähige Vermögensgegenstände handelt ‒ i. H. v. 708 TEUR in die T1-GmbH fingiert, der direkt eine fingierte verdeckte Einlage in die E-GmbH folgt.
- Daher ist das steuerliche Einlagekonto der T1-GmbH sowie der E-GmbH um 708 TEUR zu erhöhen. Außerdem erhöht sich der steuerbilanzielle Beteiligungsbuchwert an der E-GmbH auf Ebene der T1-GmbH um 708 TEUR, wohingegen auf Ebene der E-GmbH eine außerbilanzielle Einkommensminderung nach § 8 Abs. 3 S. 3 KStG i. H. v. 708 TEUR geboten ist.
Das in § 8 Abs. 3 S. 4 bis 6 KStG geregelte materielle Korrespondenzprinzip stellt aufgrund der Erstkorrektur in Österreich kein Problem dar. § 8 Abs. 3 S. 4 KStG greift nicht ein, da die ursprüngliche Einkommensminderung nicht bei der M-Corporation als Gesellschafter, sondern der Schwestergesellschaft in Österreich eingetreten ist. § 8 Abs. 3 S. 5 KStG greift auch nicht ein, da die „fingierte“ vGA das Einkommen der leistenden Körperschaft in Österreich ‒ aufgrund der dort erfolgenden Erstkorrektur ‒ nicht mindert (so auch explizit Baumhoff/Kluge, FR 15, 107 bis 115).
ZWISCHENFAZIT | Für 2017 sollte eine Gegenberichtigung in Form der verdeckten Einlage in Deutschland geboten sein. Dies ist angesichts der österreichischen Erstkorrektur für 2017 im Jahr 2023 auch sachgerecht, um eine faire Einmalbesteuerung von Gewinnen zu gewährleisten. |
Mit Blick auf 2016 ist Folgendes zu konstatieren: Mangels einer Erstkorrektur in Österreich scheidet eine schlichte Gegenberichtigung in Deutschland aus. Gleichwohl liegt derselbe obige Dreiecksfall vor, sodass grundsätzlich ‒ trotz fehlender Doppelbesteuerung ‒ ebenfalls eine Korrektur aufgrund des Rechtsinstituts der verdeckten Einlage in Deutschland angezeigt ist.
Dies scheitert mit Blick auf die Aufhebung des § 164 AO zwar nicht an der sog. erhöhten Bestandskraft (§ 173 Abs. 2 AO), da mit § 32a Abs. 2 KStG eine eigenständige verfahrensrechtliche Korrekturvorschrift außerhalb der AO eine Änderung ermöglichen würde. Allerdings liegt eine schädliche Einkommensminderung in Österreich vor, sodass aufgrund des materiellen Korrespondenzprinzips ‒ hier: § 8 Abs. 3 S. 5 KStG ‒ eine außerbilanzielle Einkommensminderung in Deutschland ausscheidet.
FAZIT UND AUSBLICK | Der Beitrag hat gezeigt, dass ausländische Verrechnungpreiskorrekturen in Kapitalgesellschaftsstrukturen nach aktuellem Recht nicht zwingend in der Streitbeilegung mittels Verständigungs-/Schiedsverfahren enden müssen, um eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung zu vermeiden. Für kritische Sachverhalte bieten sich insbesondere Joint Audits an, wohingegen für unkritische Sachverhalte vielfach eine schlichte Gegenberichtigung beantragt werden sollte. Die Zukunft gehört den kooperativen Verfahren. Dazu ist insbesondere ein Kulturwandel innerhalb der Finanzverwaltung ‒ weg von einer klassischen Eingriffsverwaltung hin zu einem kooperativen Steuervollzug ‒ sowie ein ausgeprägter Einigungswille für eine faire Einmalbesteuerung unerlässlich. |