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  • · Fachbeitrag · Grenzüberschreitende Dienstleistungen

    Kriterien für das Vorliegen einer Dienstleistungsbetriebsstätte

    von Prof. Dr. Dieter Endres und StB Dr. Stefan Brunsbach, Frankfurt a. M.

    | Durch die Zunahme grenzüberschreitender Dienstleistungen, die oftmals ohne klassische Betriebsstätte im Tätigkeitsstaat auskommen, stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit einer Quellenbesteuerung. Gerade in Ländern, die typischerweise „Dienstleistungsimporteure“ sind, besteht zunehmend das politische Bedürfnis, die Gewinne ab einer bestimmten Dauer auch ohne Vorliegen einer festen Geschäftseinrichtung zu besteuern. Die Kriterien, ab wann eine steuerpflichtige Dienstleistungsbetriebsstätte zu bejahen ist, werden anhand eines Deutschlandprojektes eines holländischen IT-Beraters verdeutlicht. |

    1. Sachverhalt

    Der in der Nähe von Aachen ansässige Automobilzulieferer Zulimax GmbH will ein neues IT-System implementieren, bei dem sämtliche Teile der Wertschöpfungskette (Einkauf, Produktion, Vertrieb, Finanz- und Rechnungswesen) integriert werden und auch die Kommunikation mit externen Lieferanten und Kunden in digitalisierter Form abgebildet werden kann. Die Implementierung dieses komplexen IT-Systems soll durch das in Maastricht, Niederlande, ansässige IT-Beratungsunternehmen Soft Consult BV erfolgen. Die Implementierungsphase ist für eine Dauer von zwei Jahren angesetzt. Die Zahl der IT-Experten, die für die Dauer des Projekts vor Ort in Aachen in den Räumen der Zulimax GmbH tätig werden, beträgt im Durchschnitt zehn Personen. Diese werden zum Teil über die Laufzeit des Projekts ausgetauscht.

     

    Die Zulimax GmbH und die Soft Consult BV schließen einen Dienstleistungsvertrag über das Projekt (Tagessatz pro Mitarbeiter: 2.000 EUR zuzüglich Reisekosten). Das gesamte Gebührenvolumen für das Implementierungsprojekt wird von den Vertragsparteien auf ca. 10 Mio. EUR geschätzt.

     

    Der Leiter der Steuerabteilung der Soft Consult BV bittet seinen deutschen Steuerberater um Stellungnahme, ob sich aus diesem Projekt - neben den bekannten Lohnsteuerpflichten der Mitarbeiter - steuerliche Konsequenzen für das holländische Unternehmen in Deutschland ergeben.

    2. Lösungshinweise

    2.1 Nationales Recht

    Ein deutsches Besteuerungsrecht kann sich nur dann ergeben, wenn die Soft Consult BV inländische Einkünfte nach § 49 EStG bezieht (§ 2 i. V. m. § 8 KStG) und Deutschland nach dem DBA-D/NL nicht in seinem Besteuerungsrecht beschränkt wird.

     

    Als inländische Einkünfte kommen in dem oben beschriebenen Sachverhalt nur Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG in Betracht. Voraussetzung hierfür ist, dass die Soft Consult BV im Inland eine Betriebsstätte unterhält.

     

    MERKE | Nach § 12 AO ist eine Betriebsstätte jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient. Als feste Geschäftseinrichtung können dabei Gebäude oder einzelne Räume innerhalb eines Gebäudes angesehen werden (BFH 3.2.93, I R 80-81/91, BStBl II 93, 462). Aber auch Anlagen wie z. B. Rohrleitungen, Server, Marktverkaufsstellen u. Ä. erfüllen grundsätzlich die Betriebsstättendefinition.

     

    Für das Vorliegen einer Betriebsstätte sind vier kumulative Merkmale wesensbestimmend (vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl., 300 ff.):

     

    • das Vorhandensein einer festen Geschäftseinrichtung oder Anlage,
    • die Nachhaltigkeit dieser Einrichtung,
    • die Verfügungsmacht über diese Einrichtung und
    • der Tätigkeitsbereich eines Unternehmens.

     

    Die Mitarbeiter der Soft Consult BV üben ihre Beratungstätigkeit in den Räumen der Zulimax GmbH aus. Damit findet die Aktivität zwar in der in Deutschland gelegenen festen Geschäftseinrichtung statt, allerdings gehört diese dem Auftraggeber, der Zulimax GmbH. Nach der obigen Grunddefinition ist aber Voraussetzung für das Vorliegen einer Betriebsstätte, dass die Soft Consult BV eine gewisse nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht über die betreffende Einrichtung besitzt. Dafür ist grundsätzlich erforderlich, dass sie eine Rechtsposition betreffend die Nutzung der festen Geschäftseinrichtung innehat, die ohne ihre Mitwirkung nicht ohne Weiteres beseitigt oder verändert werden kann (vgl. Gersch, in: Klein, AO, 11. Aufl., § 12, Rn. 5 m. w. N.). Wie dieses Kriterium im konkreten Einzelfall zu beurteilen ist, soll anhand von zwei in diesem Zusammenhang ergangenen BFH-Urteilen illustriert werden:

     

    • Im Urteil des BFH vom 14.7.04 (I R 106/03, BFH/NV 05, 154) ging es um die Tätigkeit eines ausländischen Unternehmens in den inländischen Räumlichkeiten des Auftraggebers (US-Armee) in Bezug auf den Betrieb und die Wartung eines Kampfsimulationssystems. Die Mitarbeiter des ausländischen Unternehmens haben auf dem Militärgelände über mehrere Jahre hinweg in zwei bestimmten Gebäuden gearbeitet. Diese Gebäude waren mit denjenigen Vorrichtungen ausgestattet, die für die vertraglich geschuldete Tätigkeit des ausländischen Unternehmens benötigt wurden. Angesichts dessen ging der BFH davon aus, dass der Auftraggeber verpflichtet war, dem ausländischen Auftragnehmer die entsprechenden (inländischen) Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Damit hat das ausländische Unternehmen nach Auffassung des BFH eine Rechtsposition inne, die zur Annahme einer tatsächlichen Verfügungsmacht ausreicht.

     

    • In Abgrenzung hierzu lag dem BFH-Urteil vom 4.6.08 (I R 30/07, BStBl II 08, 922) ein Sachverhalt zugrunde, bei dem ein ausländisches Unternehmen die Reinigung von Gebäuden, Maschinen und Anlagen als Dienstleistung anbot. In Deutschland führte dieses im Ausland ansässige Unternehmen Reinigungsarbeiten an militärisch genutzten Flugzeugen auf einem NATO-Flughafen durch. Es war dabei als Subunternehmerin eines anderen Unternehmens tätig, welches der Hauptauftragnehmer der NATO für Reinigungsarbeiten auf dem Flughafen war. In dem geschlossenen Dienstleistungsvertrag waren die Rechte und Pflichten der Mitarbeiter auf dem Flughafengelände geregelt. Weder die Reinigungshalle noch andere Räumlichkeiten waren an das ausländische Reinigungsunternehmen vermietet. Die NATO stellte jedoch dem Reinigungspersonal einen Aufenthaltsraum mit Kücheneinrichtung, verschließbaren Schränken und Duschvorrichtungen zur Verfügung. Darüber hinaus war die NATO dazu verpflichtet, den Mitarbeitern der ausländischen Reinigungsfirma Zugang zur Reinigungshalle sowie anderen Sicherheitszonen zu gewähren. Die damit verbundene Nutzungsberechtigung bestand aber nur insoweit, als dort die vereinbarten Reinigungsarbeiten zu erbringen waren.

     

    • Hier lag somit eine vertragliche Verpflichtung der NATO vor, jedoch kein selbstständiger Anspruch des ausländischen Unternehmens auf Zutritt zu den entsprechenden Räumlichkeiten. Damit handelte es sich in diesem Fall nach Auffassung des BFH lediglich um das bloße Tätigwerden in den inländischen Räumlichkeiten. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Tätigkeiten über mehrere Jahre hinweg erbracht wurden, hat der BFH das Vorliegen einer tatsächlichen Verfügungsmacht über die inländischen Räumlichkeiten durch das ausländische Unternehmen verneint. Im Ergebnis unterlag die ausländische Reinigungsfirma mangels Betriebsstätte keiner inländischen Steuerpflicht.

     

    Die Urteile verdeutlichen, wie schmal der Grat zwischen der Existenz und dem Nichtvorliegen einer Dienstleistungsbetriebsstätte in der Praxis sein kann. Letztlich sind die Umstände des Einzelfalls entscheidend (vgl. zu weiterer Rechtsprechung Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl., 303 f.).

     

    Kriterien für die Beurteilung unseres Musterfalls zeigen sich in der Beantwortung folgender Fragen:

     

    Checkliste / Zur Beurteilung der Verfügungsmacht

    • Können sich die Mitarbeiter frei in den Räumlichkeiten der Zulimax GmbH bewegen oder nur in Begleitung, nach Anweisung oder entsprechend vereinbarter Richtlinien?

     

    • Welche vertraglichen Vereinbarungen wurden hinsichtlich der Nutzung der Räumlichkeiten der Zulimax GmbH geschlossen?

     

    • Könnten die Arbeiten ganz oder zum Teil auch außerhalb dieser Räumlichkeiten durchgeführt werden?
    • Üben die Mitarbeiter ihre Tätigkeiten in speziell und dauerhaft zugewiesenen Büros aus oder handelt es sich, in Abhängigkeit von der jeweiligen Aufgabe, um ständig wechselnde Räumlichkeiten?
    •  
    • Werden die für die Implementierung des Projekts erforderlichen Tätigkeiten ausschließlich in den Räumlichkeiten der Zulimax GmbH ausgeübt oder stellen die vor Ort ausgeübten Tätigkeiten nur einen Teil des Gesamtprojekts dar (indem weitere Leistungen beispielsweise in dem Heimatstandort der Soft Consult BV ausgeübt werden)?
     

    Kommt die Sachverhaltsanalyse zu dem Ergebnis, dass die Soft Consult BV über eine hinreichende Dispositionsbefugnis über die Räumlichkeiten verfügt, wird man das Vorliegen einer tatsächlichen Verfügungsmacht und damit einer Betriebsstätte bejahen. Werden jedoch die genutzten Räumlichkeiten weder vermietet noch in vergleichbarer Weise zur Nutzung überlassen, sodass der Auftragnehmer keinen rechtlichen oder tatsächlichen Anspruch auf Nutzung der Räume hat, mangelt es an dem Merkmal der Verfügungsmacht und das Vorliegen einer Betriebsstätte nach § 12 AO ist zu verneinen.

     

    2.2 Abkommensrecht

    Im Abkommensrecht richtet sich die Definition einer Betriebsstätte nach Art. 5 OECD-MA (bzw. im obigen Musterfall nach der entsprechenden Betriebsstättendefinition im DBA-D/NL). Auch dort ist die Verfügungsmacht über eine feste Geschäftseinrichtung als Tatbestandsvoraussetzung benannt.

     

    MERKE | Auf OECD-Ebene finden sich allerdings abkommenspolitische Tendenzen zu einer Erweiterung des Betriebsstättenbegriffs. Ein prominentes Beispiel hierfür ist das im Kommentar zum OECD-MA (Stand: 2014, zu Art. 5, Tz. 4.5) aufgenommene Anstreicher-Beispiel. Hiernach begründet ein Maler eine Betriebsstätte in einem anderen Staat, wenn er in diesem über einen Zeitraum von zwei Jahren jeweils an drei Tagen pro Woche Malerarbeiten in einem Bürogebäude ausführt. Ähnliche Ausführungen sind in Tz. 5.4 des OECD-Kommentars zu einer Beratertätigkeit enthalten. Deutschland vertritt in der Kommentierung diesbezüglich allerdings eine andere Auffassung und sieht in dem Vorliegen einer Verfügungsmacht über die feste Geschäftseinrichtung durch das im anderen Staat ansässige Unternehmen eine zwingende Voraussetzung für das Vorliegen einer Betriebsstätte (vgl. OECD-Kommentar, Tz. 45.7).

     

    Daher ist im Musterfall nach deutscher Diktion das Vorliegen einer inländischen Betriebsstätte der Soft Consult BV sowohl nach nationalem als auch nach Abkommensrecht zu verneinen.

     

    Allerdings weicht Deutschland in einigen Abkommen von der Grundsatzposition ab, dass bloße wirtschaftsberatende und technische Dienstleistungen nicht betriebsstättenbegründend wirken. In Ausnahmefällen (so die DBA mit China, Liberia, Philippinen, Taiwan und Türkei) wird die Betriebsstättendefinition des Art. 5 auf Dienstleistungen ausgeweitet, die eine gewisse Zeitdauer überschreiten (vgl. Brüninghaus, in: Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise, 4. Aufl., Kap. L, Rn. 63).

     

    • Beispiel

    Eine deutsche Unternehmensberatungsgesellschaft erbringt über einen Zeitraum von acht Monaten Systemberatung bei einem Auftraggeber in der Türkei. Nach Art. 5 Abs. 3 Buchst. b) DBA-D/Türkei liegt eine Dienstleistungsbetriebsstätte vor, wenn die Beratungstätigkeiten innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten für eine Dauer von insgesamt mehr als sechs Monaten (für ein und dasselbe Vorhaben oder ein damit zusammenhängendes Vorhaben) verrichtet werden. Somit kann allein das Tätigwerden im Quellenstaat Türkei ausreichen, um eine Betriebsstätte zu begründen (vgl. Görl, in: Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl., zu Art. 5, Rn. 81; Kaeser, in: Debatin/Wassermeyer, Kommentierung DBA Türkei, zu Art. 5, Rz. 22 ff). Im Beispiel darf die Türkei den der Betriebsstätte zuzurechnenden Gewinn besteuern. Deutschland stellt den Betriebsstättengewinn nach Art. 22 Abs. 2 Buchst. a) DBA-D/Türkei von der Besteuerung frei.

     

    Es bleibt aber fraglich, wie Deutschland im Umkehrfall, also z. B. einer Dienstleistung durch einen türkischen Unternehmer in Deutschland, ein diesbezügliches deutsches Besteuerungsrecht reklamieren kann. Wie oben beschrieben, setzt ja der nationale Betriebsstättenbegriff das Vorliegen einer Verfügungsmacht voraus und umfasst somit diesen Sachverhalt nicht. Außerdem mangelt es an einer abschließenden Definition des Dienstleistungsbegriffs, womit wiederum die Gefahr von Qualifikationskonflikten und daraus resultierenden Doppelbesteuerungen entsteht.

    3. Resümee

    Grenzüberschreitende Dienstleistungen unterliegen nur dann einer Quellenbesteuerung, wenn das Vorliegen einer Betriebsstätte im Aktivitätsstaat zu bejahen ist. Entscheidend ist somit regelmäßig die Frage, ob das ausländische Unternehmen im Inland über eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hinsichtlich einer festen Geschäftseinrichtung verfügt. Ob eine solche hinreichende Dispositionsgewalt über die Geschäftseinrichtung vorliegt, ist nur anhand einer sorgfältigen Sachverhaltsanalyse zu beurteilen. Da die unerwartete Begründung einer Betriebsstätte im Nachhinein weitreichende Konsequenzen haben kann (von der möglichen Doppelbesteuerung im Ertragsteuerrecht über Lohnsteuerfragen bis hin zur inländischen Umsatzsteuerpflicht), sollte in konkreten Fällen ggf. überlegt werden, eine (Vorab-)Abstimmung mit den Finanzbehörden zu erreichen.

    Quelle: Ausgabe 06 / 2016 | Seite 159 | ID 43997006